In der Reproduktionstechnik wird bei künstlicher Befruchtung immer häufiger dazu übergegangen, grundsätzlich mehrere Embryonen einzufrieren statt einen frischen Embryo zu übertragen. Kommt es zu keiner Schwangerschaft, stehen so für weitere Versuche Embryonen zur Verfügung. Ob durch die sog. Kryokonservierung für das Kind bis zu einem Alter von 18 Jahren gesundheitliche Risiken entstehen, ist schon seit einiger Zeit ein Gegenstand der Forschung – mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Der Fokus wurde auf Krebserkrankungen bis zum Alter von 18 Jahren gelegt
Neben Herz- und Kreislauferkrankungen (Bioethik aktuell, 8.10.2018), erhöhtem Geburtsgewicht und chromosomalen Anomalitäten sowie höheren Gesundheitsrisiken für Mütter im Zuge einer IVF-Schwangerschaft (Bioethik aktuell, 10.4.2022) sind in jüngster Vergangenheit auch die Häufigkeit von Krebserkrankungen bis zum 18. Lebensjahr Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei werden in aller Regel epidemiologische Daten ausgewertet. Große Patientengruppen konnten in den nordischen Ländern verglichen werden, weil – anders als in einigen mitteleuropäischen Ländern – allgemeine Gesundheitsdaten dort systematisch erfasst werden und ausreichendes Datenmaterial für das Aufdecken von Assoziationen zur Verfügung steht.
In nordischen Ländern sind Vergleiche mit der Gesamtbevölkerung möglich
Besonders beachtet wurde jetzt eine Untersuchung aller verfügbarer Daten aus Skandinavien. Wie die Gynäkologin Nona Sargislan und ihre Kollegen aus Göteborg in PLoS Medicine (19(9) e1004078) berichten, geben ihre Ergebnisse Anlass zu Sorge. Angesichts eines ständig wachsenden Einsatzes der Übertragung von gefroren-aufgetauten Embryonen (Frozen-thawed Embryo Transfer - FET) werden gesundheitliche Risiken übersehen.
Die Forscher werteten Gesundheitsdaten von 7.944.248 Kindern aus, die seit den 1990er Jahren bis 2015 in den nordischen Ländern geboren wurden, um die Häufigkeit von Krebserkrankungen in dieser Altersgruppe feststellen zu können. 7.772.474 Kinder waren spontan gezeugt, 171.774 Kinder (2,2%) entstanden nach künstlicher Befruchtung (In-vitro-Fertilisation). Davon kamen insgesamt 22.630 Kinder nach einer Kryokonservierung zur Welt.
Das auffallendste Ergebnis: Die zur Welt gekommenen Kinder nach dem Embryotransfer mit Einfrieren und Auftauen hatten ein erhöhtes Krebsrisiko – sowohl im Vergleich zu Kindern, die durch frische Embryotransfers entstandenen sind, als auch im Vergleich zu den auf natürlichem Weg gezeugten. Registriert wurden dabei Krebserkrankungen wie Leukämie und solche des zentralen Nervensystems oder Tumoren des Epithelgewebes. Die absolute Zahl: 48 Kinder, die nach FET geboren wurden, hatten bis zum Alter von 18 Jahren eine Krebserkrankung. Das entsprach einer Häufigkeit von 30,1 auf 100.000 Personen. Zum Vergleich: Beim frischen Embryotransfer ohne Kryokonservierung lag die Häufigkeit bei 18,8 auf 100.000 und bei spontan gezeugten Kindern betrug der Wert 16,7 Krebserkrankungen auf 100.000. Der Unterschied beider Gruppen zur Kryo-Gruppe war statistisch signifikant.
Kryokonservierung kann Epigenetik beeinflussen, Reproduktionsmedizin sieht bisher nur ein Warnsignal
Verschiedene Forscher weisen in der Interpretation der Daten darauf hin, dass die Zahl der Krebsfälle in der Kryo-Gruppe mit 48 Fällen gering war, weshalb die Resultate aus ihrer Studie nicht überbewertet werden sollen (vgl. Science Media Center, 1.9.2022). In den Kommentaren wird Wert daraufgelegt, dass die Zahlen nicht ausreichten, um sofort die Leitlinien auf diesem Gebiet zu ändern.
Andere IVF-Experten sehen in den Daten Signale für ein bestimmtes Risiko, dessen Ursachen unklar sind. Tierexperimentelle Studien haben gezeigt, dass eine Kryokonservierung zu epigenetischen Veränderungen führen kann – und über das dauerhafte An- oder Abschalten von Genen zur Krebsentstehung beitragen (JAMA 2019; 322: 2203-2210). Die Autoren der aktuellen Studie betonen jedenfalls, dass aufgrund des enormen Anstiegs der Häufigkeit assistierter Reproduktion mittels eingefrorener Embryonen dies - selbst bei einem individuell geringen Risiko - Auswirkungen auf Populationsebene haben kann. Eine andere Möglichkeit für das erhöhte Krebsrisiko liegt in der zusätzlichen Verwendung von Östrogenen oder Gestagenen bei der assistierten Reproduktion. Östrogene sind gesichert krebsfördernd, bei Gestagenen wird diese Wirkung vermutet.
Als Erfolg sehen die Reproduktionsmediziner den Umstand an, dass bei der IVF der Nicht-Kryo-Gruppe im Vergleich zur Normalbevölkerung bis zum 18. Lebensjahr kein statistisch signifikanter Unterschied in der Krebshäufigkeit aufgefallen ist. Gefordert werden von allen Beteiligten weitere Studien, die für mehr Klarheit in dieser Fragestellung sorgen sollen.