Bioethik Aktuell

Künstliche Befruchtung: Forscher fordern Aufklärung über gesundheitliche Risiken bei Kindern

Vor 10 Jahren wurde das Fortpflanzungsmedizin-Gesetz in Österreich novelliert - viele Baustellen sind noch offen

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Kinder, die nach einer künstlichen Befruchtung geboren werden, haben ein höheres Risiko für Geburtsfehler. Auffallend häufiger leiden sie unter angeborenen Herzfehlern, werden zu früh geboren oder haben ein zu niedriges Geburtsgewicht. Wissenschaftler vermuten, dass die Ursachen für die potenzielle Gesundheitsschädigung im Verfahren selbst liegen. Die Politik darf diese Fakten nicht länger ignorieren.

IVF-Kinder haben häufiger Fehlbildungen und Krankheiten
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Vor 10 Jahren, am 23. Februar 2015, trat das neue Fortpflanzungsmedizingesetz in Österreich in Kraft. Das Gesetz hatte im Vorfeld zahlreiche Debatten ausgelöst, viele Kritikpunkte blieben letztlich unberücksichtigt. Auch wissenschaftliche Studien, die schon damals die gesundheitliche Risiken des Verfahrens für Frauen und Kinder beleuchteten, insbesondere bei Samen- und Eizellspende, wurden ignoriert. 10 Jahre später sind immer noch viele Fragen offen, sagt IMABE-Direktorin Susanne Kummer.

80 von 100 Frauen gehen in Österreich nach einer IVF ohne Kind nach Hause

„Es stimmt nachdenklich, wenn Verantwortungsträger in Reproduktionskliniken und Politik sich bis heute vor einer umfassenden Aufklärung über die physischen und psychischen Risiken der IVF und Langzeitfolgen scheuen", betont Ethikerin Kummer. Die Not ungewollter kinderloser Paare ist groß. Sie geraten allzu leicht in den Sog überzogener Versprechungen von Wunschbabykliniken. Das zeigen auch die offiziellen Daten.

2018 bis 2023 wendete der Staat 111 Millionen Euro für 69.298 Versuche mit künstlicher Befruchtung auf. Die durchschnittliche Baby‐Take‐home‐Rate lag 2022/23 in den öffentlichen Zentren bei 20,7 Prozent (IVF-Jahresbericht 2023). „80 Prozent der Frauen gehen demnach nach sehr belastenden Eingriffen – hormonell, invasiv und psychisch aufreibend – ohne Kind nach Hause“, sagt Kummer. Österreichweit sind 51.156 Embryonen tiefgefroren gelagert (FmedG-Reg_Bericht 2023).

1.225 Kinder haben bis zu drei oder vier Elternteile

Das versprochene zentrale Samen- und Eizellspendenregister, das Kindern und jungen Erwachsenen ermöglichen sollte, nachzuverfolgen, wer ihre leiblichen Eltern sind, gibt es bis heute nicht. Seit 2016 wurden 1.225 Kinder in Österreich nach einer Samen- bzw. Eizellspende (oder beidem gleichzeitig) geboren, Tendenz steigend (§21 FMedG-Reg 2016-2023). Selbsthilfe-Gruppen betroffener Kinder haben ein zentrales Register in Deutschland durchgesetzt. In Österreich ruht hingegen ein entsprechender Entwurf trotz politischer Ankündigungen seit 10 Jahren in der Schublade.

Lancet: ICSI-Methode verringert die Erfolgschancen auf eine Lebendgeburt

Inzwischen könne man die Fülle von wissenschaftlichen Daten, die Gesundheitsrisiken der künstlichen Befruchtung für Kinder und Frauen, insbesondere nach Eizellspende nachweisen, nicht mehr ignorieren, betont Kummer (Bioethik aktuell, 5.11.2022). 

Eine der gängigsten Methoden der künstlichen Befruchtung für unfruchtbare Paare kann eine teure Zeitverschwendung sein und sogar die Erfolgschancen verringern, heißt es in einer 2024 in The Lancet veröffentlichten Studie. Forscher aus Australien und China untersuchten dabei die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), bei der ein einzelnes Spermium direkt in eine reife Eizelle injiziert wird. Diese Methode wurde 1992 ursprünglich für Paare mit schwerer männlicher Unfruchtbarkeit entwickelt. „Der vermehrte Einsatz von ICSI bei Paaren mit Unfruchtbarkeit ohne schweren männlichen Faktor hat einen Aufschwung erlebt, weil man glaubte, dass der Einsatz von ICSI den Befruchtungserfolg erhöhen könnte, und jetzt haben wir gezeigt, dass dies nicht stimmt“, berichten die Wissenschaftler. Darüber hinaus gibt es seit Jahren gesundheitliche Bedenken gegen ICSI - ein invasives Verfahren, das die natürlichen Selektionsbarrieren während des Befruchtungsprozesses umgeht (Bioethik aktuell, 19.11.2013). Der Trend zeigt sich auch klar in Österreich: Laut der Statistik 2024 wurden in 73,2 Prozent der Anwendungen eine ICSI und nur bei 16,1 Prozent eine klassische IVF durchgeführt.

Angeborene Herzfehler nach IVF können schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben

Kinder, die nach einer künstlichen Befruchtung geboren wurden, haben ein um 36 Prozent erhöhtes Risiko für schwere Herzfehler gegenüber natürlich gezeugten Kindern. Das ist das Ergebnis einer aktuellen, groß angelegten skandinavischen Studie, die den Zusammenhang zwischen künstlicher Befruchtung und dem Risiko von angeborenen Herzfehlern untersucht (European Heart Journal, 2024). Die Analyse umfasst alle lebendgeborenen Kinder in Dänemark zwischen 1994 und 2014, in Finnland (1990-2014), in Norwegen (1984-2015) und in Schweden (1987-2015) - insgesamt mehr als 7,7 Millionen Kinder.

Studienleiterin Ulla-Britt Wennerholm von der Universität Göteborg und ihr Forscherteam fordern deshalb dazu auf, Eltern über die möglichen Risiken einer IVF vorab aufzuklären „Wir wissen bereits, dass Babys, die nach assistierter Reproduktionstechnologie geboren wurden, allgemein ein höheres Risiko für Geburtsfehler haben.“ Angeborene Herzfehler seien die am häufigsten auftretenden schweren Geburtsfehlern, so die Gynäkologin (Pressemitteilung 2024).

Betroffene Kinder und Jugendliche haben ein 11-mal höheres Risiko für einen Schlaganfall im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, auch wenn das Risiko insgesamt niedrig bleibt. Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern haben ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck in der Lunge. Einer von zehn dieser Betroffenen leidet noch vor dem 42. Lebensjahr an einer schweren Herzschwäche, heißt es in der schwedischen Studie. Schätzungen zufolge sind weltweit mindestens 12 Millionen Kinder nach IVF geboren.

Auch die Nährlösung beeinflusst das kindliche Genom und Epigenom

Die Nährlösung, in der die Embryonen bis zum Einsetzen in die Gebärmutter heranreifen, hat ebenfalls einen Einfluss auf die Gesundheit des Kindes. Dies ist bereits seit mehr als 10 Jahren Gegenstand der Forschung (Bioethik aktuell, 10.10.2016). Die Nährkultur simuliert die Bedingungen im Mutterleib, der Embryo befindet sich in diesen ersten Tagen nach der Befruchtung in einer extrem vulnerablen Phase. Zwischen Befruchtung und späterer Einnistung wird das gesamte Genom und Epigenom des Embryos umgebaut.

Geringeres Geburtsgewicht hat mit Genveränderung zu tun

Ein belgische Forschergruppe um Clauda Spits von der Freien Universität Brüssel untersuchte, warum ART-Kinder auch häufiger ein geringeres Geburtsgewicht haben (Nature Communication 2024). Offenbar spielen dabei Veränderungen in der mitochondrialen DNA (mtDNA) eine Rolle. Mitochondrien sind die „Kraftwerke“ der Zellen und beeinflussen die Entwicklung eines Babys während der Schwangerschaft.

Die Studie untersuchte die mtDNA von 451 Personen, die entweder nach ART oder natürlicher Empfängnis geboren wurden. Dabei stellten die Forscher fest, dass Kinder, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, häufiger spezielle genetische Veränderungen in ihrer mtDNA aufweisen als natürlich gezeugte Kinder. Diese Veränderungen können die Zellfunktion beeinflussen und stehen in Zusammenhang mit einem niedrigeren Geburtsgewicht – unabhängig davon, wie das Kind gezeugt wurde.

Hormone zur Reifung vieler Eizellen können Mutationen hervorrufen

Die Wissenschaftler vermuten, dass diese genetischen Veränderungen durch Mutationen während der Eizellreifung entstehen. Das Risiko für solche Veränderungen steigt, wenn die Mutter älter ist, was mit einer erhöhten Mutationslast der mtDNA verbunden ist, die an die Nachkommen weitergegeben werden kann. Zudem kann die hormonelle Stimulation, der sich Frauen unterziehen mit dem Ziel, dass mehrere Eizellen in ihre Körper heranreifen, zu einer Mutation der mtDNA in den Eizellen führen.

Institut für Medizinische
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