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Spiritualität stärkt Lebensqualität: Wie sie Krebspatienten hilft, besser mit ihrer Krankheit umzugehen

Krankheit hat eine existenzielle Dimension, auf die aus Sicht der Patienten häufig nicht eingegangen wird

Lesezeit: 03:41 Minuten

Eine Krebserkrankung ist nicht nur mit intensiver Therapie und Angst um Leben und Gesundheit verbunden. Die Diagnose löst häufig existenzielle Nöte und Sinnfragen aus. Wie wirkt sich die eigene Spiritualität der Patienten auf die Erfahrung der Krankheit aus? Eine aktuelle Studie zeigt nun: Spiritualität und Spiritual Care können die Lebensqualität von Krebskranken erheblich verbessern.

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Eine neue Meta-Analyse des Journal of Supportive Care in Cancer (2025) hat 26 Studien (8522 Teilnehmer aus 17 Ländern) über Lebensqualität, „Quality of life“ (QOL), und Spiritualität von Krebsüberlebenden bewertet. Häufig dreht sich onkologische Forschung um Krankheitsverläufe und Überlebensraten. Ziel dieser Übersichtsstudie war es, den Zusammenhang zwischen Spiritualität der Patienten und allgemeiner Lebensqualität systematisch zu analysieren.

Spiritualität ist Sinn, Glaube und Friede

Spiritualität wird als vielseitiges Konzept beschreiben. Dazu gehören empfundene Verbundenheit, Friede, eine Vorstellung vom Sinn des Lebens, Glaube, Suchen nach dem Göttlichen, Hoffnung, Beziehung mit Gott, ein Wertesystem, das Bewältigung von Krisen (Coping-Strategien) ermöglicht.

Ein Spiritualitätsindex der Studienteilnehmer wurde mit verschiedenen Skalen gemessen, wie der FACIT-SP-Skala (Functional Assessment of Chronic Illness Therapy – Spiritual Well-Being Scale). Miteinbezogen wurde die Definition von Palliative Care der WHO, die Spiritualität als maßgeblich für die Lebensqualität erachtet.

Lebensqualität besteht nicht nur in physischer Gesundheit

Lebensqualität wird anhand von vier Hauptaspekten definiert: Körperliche Gesundheit, psychische Gesundheit, soziales Wohlbefinden und spirituelles Wohlbefinden. Um einen skalierbaren Wert der Lebensqualität festzustellen, beantworteten Teilnehmer standardisierte Fragebögen wie den McGill Quality of Life Questionnaire mit Fokus auf emotionalem und spirituellem Wohlbefinden.

Mehr Spiritualität führt zu höherem emotionalem Wohlbefinden

Die Ergebnisse der Analyse sind eindeutig. In allen 26 Studien wurde eine signifikante Korrelation zwischen Spiritualität und Lebensqualität festgestellt. Ein höheres Maß an Spiritualität war mit geringerem Stress verbunden und wirkte schützend gegen Depressionen und Ängste. Spiritualität erwies sich als wichtigerer Faktor für Lebenszufriedenheit als soziale Unterstützung und Selbstbestimmung.

Die stärkste Verbindung zeigte sich zwischen Spiritualität und emotionalem Wohlbefinden. Spiritualität könne bei einer Krebsdiagnose eine existenzielle Krise mildern und eine bessere emotionale Anpassung an die Krankheit (Coping) fördern, so die Forschungsergebnisse. Höhere Spiritualität wirkte sich auch positiv auf die körperliche Gesundheit aus. Eine frühere Studie zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen ergab, dass Spiritualität mit einer 20%igen Verringerung der Sterblichkeit korrelierte. Friede, Glaube und Sinn sind die Komponenten, die den stärksten Einfluss auf die Lebensqualität hatten.

Die existenzielle Belastung von Krebs wird unterschätzt

Eine zentrale Erkenntnis war, dass die wahre Belastung einer Krebserkrankung häufig unterschätzt wird – vor allem wenn die Spiritualität des Patienten ignoriert wird. Das „existenzielle Leiden“ der Krankheit ist sehr präsent und kann dennoch leicht übersehen werden.

Viele Krebsüberlebende berichteten, dass das Gesundheitspersonal kaum oder gar nicht über Spiritualität spricht. Ärzte und Pfleger würden oft „den Moment verpassen“, über das spirituelle Wohlbefinden mit Patienten zu besprechen. Grund dafür sei die Annahme, dass Gesundheitspersonal könnte und sollte bei solchen Fragen nicht helfen.

Schulungen nötig, um spirituelle Bedürfnisse von Patienten zu erkennen

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Die positive Korrelation zwischen Spiritualität und Lebensqualität weist für die Forscher auf einen großen Bedarf an spiritueller Betreuung sowie an Schulungen für Gesundheitsberufe im Bereich Spiritual Care hin. Medizinisches Personal müsse besser geschult werden, um spirituelle Bedürfnisse von Patienten zu erkennen und zu adressieren (Bioethik aktuell, 07.06.2023). Besonders im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung scheint das Gespräch über spirituelle Nöte eine wichtige Rolle zu spielen, da Krebs häufig Lebenskrisen auslöst.

Wichtige Säule einer personenzentrierten Pflege und Therapie

Spiritual Care bezeichnet eine einfühlsame Begleitung von Patienten, die ihre spirituellen Bedürfnisse und Lebensfragen einbezieht. Dazu gehört, sich bewusst Zeit für Gespräche zu nehmen, in denen Patienten über Ängste, Hoffnungen oder Sinnfragen sprechen können. Praktische Beispiele sind gemeinsames Beten, einen ruhigen Raum für Reflexion bereitzustellen und im Gespräch die „richtigen“ Fragen zu stellen. Auch der gegenseitige Austausch über die eigene Spiritualität sowie offenes, wertschätzendes Zuhören ohne Zeitdruck und Vorurteile können für Patienten heilsam sein (Bioethik aktuell, 07.06.2023).

Seelsorger werden als eine wichtige Ressource unterschätzt

Viele Betroffene haben in herausfordernden Momenten ein Bedürfnis über ein mögliches Leben nach dem Tod, andere spirituelle Themen oder ihr eigenes Leben zu sprechen. Robert Klitzman (Professor für Psychiatrie an der Columbia University) betont die oft unterschätzte Rolle von Seelsorgern, die Patienten, Angehörige und medizinisches Personal unterstützen. Sie haben Zeit für tiefgehende Gespräche und fungieren als Vermittler im Gesundheitswesen, doch ihr Beitrag wird oft nicht ausreichend anerkannt. Die Forschung belegt die positive Wirkung von Seelsorgern auf Patienten (Bioethik aktuell, 12.12.2024).

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