Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass eine übermäßige Nutzung von Smartphones die graue Substanz in Gehirnregionen, die an der Entscheidungsfindung, der Belohnungsverarbeitung und der Impulskontrolle beteiligt sind, reduziert (Neuropsychological Review 2024). Die Veränderungen im Gehirn lassen Muster erkennen, die auch bei Substanzabhängigkeiten beobachtet werden können, erklärt das Forscherteam um Michoel Moshel, Neuropsychologe an der Macquarie University in Sidney. „Angesichts der zunehmenden Abhängigkeit von Technologie war es noch nie so wichtig, die Auswirkungen einer übermäßigen Bildschirmnutzung auf die kognitiven Funktionen und das allgemeine Wohlbefinden zu bewerten“, schreiben die Wissenschaftler.
Kognitive Einschränkungen wie nach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma
Die Neuropsychologen vergleichen die Auswirkungen des exzessiven Konsums von digitalen Medien mit jenem von Methamphetaminen, Alkohol - oder einem leichten Schädel-Hirn-Trauma, das ebenfalls zu einem Abfall der kognitiven Leistungs- und Aufmerksamkeitsfähigkeit führen kann. Wenn eine Therapie im Kinder- und Jugendalter ausbliebe, würden sich die Beeinträchtigungen im Laufe der Zeit verstärken.
Fünfjährige bedienen das Smartphone, können aber nicht mit Besteck essen
Wie stark die Abhängigkeit von Bildschirmmedien ist, zeigen aktuelle Daten: Knapp die Hälfte aller österreichischen Kinder zwischen 5 und 12 Jahren verbringt ein bis drei Stunden täglich online. 44 Prozent der 13- bis 17-Jährigen verbringen ein bis drei Stunden, ebenso viele sind täglich drei bis sechs Stunden online (Internetworld, 27.11.2024). In Deutschland verbringen laut der Jugend-Digitalstudie 2024 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren pro Woche durchschnittlich 71,5 Stunden im Netz. Sie leben im Internet und verlieren das Zeitgefühl. Was sie als Gegengewicht bräuchten sind Freundschaften, Bewegung, Natur und Bücherlesen.
Oder, wie es kürzlich Arnika Tiede, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde mit dem Schwerpunkt Neuro- und Sozialpädiatrie am Ordensklinikum Barmherzige Brüdern in Linz auf den Punkt brachte: „44 Prozent der Fünf- bis Sechsjährigen können zwar einen Touchscreen perfekt bedienen, aber nicht selbstständig mit Besteck essen, sich die Schuhe binden oder sich alleine an- und ausziehen. Das ist schon heftig.“ (OÖN, online 11.1.2025)
Neuroanatomische Prozesse beeinflussen die Identitätsbildung
Das exzessive Konsumieren „unheilvoller“ negativer Nachrichten („Doomscrolling“) beeinträchtigt zudem „die Aufmerksamkeit und die exekutiven Funktionen erheblich“, so Moshel. In ihrer Metaanalyse zeigen die Neuropsychologen, dass diese neuroanatomischen Veränderungen bei Jugendlichen mit Störungen in Prozessen wie Identitätsbildung und sozialer Wahrnehmung einhergehen. Dabei trifft es die Schwächsten doppelt: Wer ohnehin schon Probleme hat, flüchtet in die virtuelle Welt.
Das ständige Bedürfnis, auf das Handy zu schauen, kann zu einer Verhaltenssucht führen, die sich bei vielen Kindern und Jugendlichen zeigt. Experten sprechen hier von der sogenannten „Nomophobie“ (No-Mobile-Phone-Phobia), also der Angst, ohne das Mobiltelefon zu sein. Diese Abhängigkeit zeigt sich besonders in sozialen Kontexten, in denen Kinder Schwierigkeiten haben, sich auf Gespräche zu konzentrieren oder ohne digitale Ablenkung ruhig zu bleiben.
Direkte Auswirkungen auf Lernverhalten und schulische Leistungen
Forschungsergebnisse von renommierten Institutionen wie der Harvard Medical School, der Oxford University und dem King's College London untermauern diese Erkenntnisse. Insbesondere die immer kürzere Spanne der Aufmerksamkeit, schwächt das Gedächtnis. Dies hat direkte Auswirkungen auf das Lernverhalten und die schulischen Leistungen. Kinder, die täglich viele Stunden vor Bildschirmen verbringen, zeigen oft eine schlechtere Konzentrationsfähigkeit, eine erhöhte Ablenkbarkeit und eine geringere Fähigkeit zur Problemlösung.
74 Prozent der Lehrkräfte in Österreich befürworten Handyverbot an Schulen
Als Reaktion darauf haben verschiedene Länder bereits Maßnahmen ergriffen. Frankreich hat seit 2018 ein Handyverbot an Schulen, auch Länder wie die Niederlande, Italien, Lettland und Schweden haben ähnliche Regelungen getroffen. In Australien ist die Nutzung sozialer Medien erst ab 16 Jahren erlaubt. In Deutschland, Irland und Großbritannien gibt es ebenfalls Bestrebungen, die Handynutzung an Schulen einzuschränken.
In Österreich zeigt eine Befragung unter Lehrkräften eine breite Zustimmung zu einem Handyverbot an Schulen. 44 Prozent der Lehrkräfte sprechen sich klar, 30 Prozent eher dafür aus. Das geht aus einer aktuellen Umfrage hervor, die vom Österreichischen Bundesverlag gemeinsam mit der Johannes Kepler Universität Linz unter 949 Lehrkräften durchgeführt wurde (Pressemitteilung, 3.2.2025). Besonders in Pflichtschulen wird ein solches Verbot befürwortet, da dort die negativen Auswirkungen von Smartphones im Schulalltag besonders deutlich spürbar sind.
Ein zentrales Problem sind Cybermobbing, die Verbreitung gewaltverherrlichender Inhalte sowie der Konsum pornografischer Inhalte auf Schulhöfen. Außerdem beeinträchtigt das ständige Checken von Nachrichten und sozialen Medien die sozialen Interaktionen im realen Leben erheblich.
Schreiben mit der Hand wirkt sich positiv auf die Entwicklung des Gehirns aus
Länder wie Schweden, Dänemark und Norwegen haben ihre Digitalisierungspolitik im Bildungswesen überdacht und setzen wieder stärker auf analoge Schreibmethoden. Neuere Studien belegen, dass Schüler, die mit der Hand schreiben, Informationen nachhaltiger speichern können als jene, die ausschließlich auf digitalen Geräten tippen. Besonders bei Kindern fördert die Handschrift die Entwicklung motorischer Fähigkeiten und die Aktivität in Hirnarealen, die für das Gedächtnis und die Informationsverarbeitung zuständig sind, wie eine norwegische Studie in Frontiers in Psychology (2024) ergab. Das Schreiben mit der Hand verbessert nicht nur die Merkfähigkeit, sondern ist auch essenziell für das Erlernen von Rechtschreibung und Lesen.