Bioethik Aktuell

Fünf Jahre nach der Covid-Krise: Entscheidungsträger hätten sich mehr ethische Reflexion gewünscht

​​​​​​​Länder mit drastischen staatlichen Verordnungen wie Österreich schnitten schlechter ab als Schweden und die Schweiz

Lesezeit: 04:37 Minuten

Lockdowns, Schulschließung, Impfpflicht: Im Rückblick lassen sich immer klarer Vergleiche der Pandemie-Verläufe und Langzeitfolgen zwischen den Ländern ziehen. Schweden und die Schweiz verzeichneten eine niedrigere Übersterblichkeit und geringere wirtschaftliche Schäden als Österreich - trotz lockerer Maßnahmen. Eine Schweizer Studie stellt mehr Bedarf an Ethik-Unterstützung in Gesundheitskrisen fest.

© AdobeStock_583111947_Rattanapon_01.jpeg

In einer in BMC Medical Ethics (2024) veröffentlichten Schweizer Studie werteten Forscher 13 interdisziplinäre Experten-Interviews über ethische Aspekte der Entscheidungsfindung in der Covid-19 Pandemie aus. Systematisch befragt wurden Wissenschaftler aus den Bereichen Kommunikation, Datenanalyse, Ökonomie, Epidemiologie und Ethik sowie politische Entscheidungsträger. Das Ergebnis der Analyse zeigt: Ethische Beratung und konkrete Unterstützung kamen im Umgang mit der Pandemie zu kurz.

Ethische Beratung spielte keine aktive Rolle

Ein zentrales ethisches Problem der Pandemie lag in der Abwägung  zwischen individuellen Rechten, wirtschaftlichem Wohlstand, Gemeinwohl und Gesundheit. Viele der Befragten bedauerten, dass die Rolle der ethischen Beratung als nebensächlich eingestuft wurde. Auch die Nationale Ethikkommission spielte keine aktive Rolle im Entscheidungsprozess. In Hinblick auf zukünftige Gesundheitskrisen wünschen sich die befragten Verantwortungsträger, dass mehr in ihre eigene ethische Bildung investiert wird. Zudem sollten Ethiker in Zukunft bei Entscheidungsfindungen mitwirken und dazu beitragen, diese auch für andere nachvollziehbar ethisch zu begründen.

Wissenschaftler schlagen „ethische Strategie“ für Krisenfälle vor

Das Forscherteam um die Philosophin Caroline Brall (Universität Bern) schlägt vor, dass künftige Krisenmanagements eine „ethische Strategie“ beinhalten sollte, die (a) die zugrunde liegenden Werte definiert, die die Entscheidungsfindung bei Kompromissen leiten und prägen, (b) die Rolle oder das Selbstverständnis der Ethikberater, (c) den Prozess, wie ethische Überlegungen durchgeführt werden sollten, und (d) die Öffentlichkeit in ethische Überlegungen einbezieht. Damit könnte auch das Vertrauen und die Akzeptanz der Bevölkerung hinsichtlich Maßnahmen gestärkt werden.

Niedrigere Übersterblichkeit bei weniger Einschränkungen in der Schweiz

In einem in der ÖKZ (2023) publizierten Fachbeitrag verglich Martin Sprenger, Leiter des Universitätslehrganges Public Health der Medizinischen Universität Graz, die Pandemiebewältigung in Österreich und der Schweiz anhand der Kennzahlen für Lockdowns, Schulschließungen, Maskenpflicht, Tests und Impfpflicht. Das Ergebnis: Die Schweiz kam wesentlich besser durch die Pandemie als Österreich - trotz deutlich weniger Einschränkungen für die Bürger.

So sind in Österreich sind bis Mitte Dezember 2022 mit 2.384 pro Million Einwohner deutlich mehr Menschen mit oder an COVID-19 verstorben als in der Schweiz mit 1.619. Der Altersdurchschnitt lag in der Schweiz bei 84 Jahren, in Österreich bei 82 Jahren. Laut dem schwedischen Chef-Epidemiologen Anders Tegnell lag die Übersterblichkeit über den gesamten Pandemiezeitraum betrachtet (im Verhältnis zum Durchschnitt an Todesfällen 2015-2019) in Österreich bei 10,7, in Deutschland bei 10,3 - und in der Schweiz bei 9,8 (Pragmaticus, 31.1.2025).

In der Schweiz gab es deutlich weniger Lockdowns und Schulschließungen

In der Schweiz gab es nur ganz zu Pandemiebeginn und Anfang 2021 einen Lockdown und keine FFP2-Pflicht. Zudem blieben Schulen kürzer geschlossen und Impfempfehlungen waren zurückhaltender, besonders für Kinder. In Österreich gab es vier „Lockdowns“ für die Allgemeinbevölkerung, plus eine Osterruhe 2021 im Osten und vom 15. November 2021 bis 24. Jänner 2022 einen zusätzlichen zehnwöchigen „Lockdown“ für Personen ab dem 12. Lebensjahr, die die Kriterien des „Grünen Passes“ (2GRegel) nicht erfüllten. Zudem gab es eine umfassende Maskenpflicht, und längere Schulschließung.

Die wirtschaftlichen Folgen in Österreich waren gravierender und das Vertrauen in die Regierung sank drastisch, während rund 90% der Schweizer mit dem politischen System zufrieden sind.

Pandemie-Management spaltete österreichische Gesellschaft

52 Prozent der Österreicher sehen das Vertrauen in die Regierung durch die Corona-Krise geschwächt. In Schweden zeichnet sich ein anderes Bild ab. Die Bürger sind zufrieden mit der Regelung der Pandemie und nicht in polarisierte Lager gespalten, wie Anders Tegnell beim Experten-Forum des Pragmaticus (5.2.2025) in Wien berichtet. Tegnell gehörte bis 2022 der schwedischen Behörde für öffentliche Gesundheit an und bestimmte maßgeblich den schwedischen Weg der Pandemie-Bewältigung. Es gab keinen einzigen Lockdown in Schweden, die Schule blieben immer offen und es gab auch keine Maskenpflicht.

„Kritiker der schwedischen Strategie haben unseren Weg als unverantwortliches Laissez-faire abgetan. Doch das traf nie zu. Wir haben nur mit größter Sorgfalt versucht, eine Balance zwischen dem Schutz der Gesundheit und anderen Bedürfnissen der Gesellschaft zu schaffen. Die negativen Effekte der rigorosen Maßnahmen wurden in vielen Ländern überhaupt nicht berücksichtigt“, so Tegnell (Pragmaticus, 31.1.2025).

Schweden setzte mehr auf Eigenverantwortung und weniger auf Zwang 

Schweden machte es sich zum Ziel, die Intensivstationen ihrer Krankenhäuser nicht zu überlasten. Allerdings setzte die Regierung, um dieses Ziel zu erreichen, auf das Verantwortungsbewusstsein der eigenen Bürger anstatt auf staatliche Verordnungen. Es wurden keine Lockdowns verhängt. Die Bürger wurden aufgefordert, ihre Kontakte zu reduzieren.

Während Schulen offenblieben, deutlich weniger getestet und keine Masken- und Impfpflicht bestand, verzeichnete Schweden eine geringere Übersterblichkeit als die meisten europäischen Länder. In Schweden kam es zu keiner Überlastung der Intensivbetten. Die Impfung wurde vom Großteil der Bevölkerung freiwillig angenommen und das Vertrauen in die Gesundheitsbehörden blieb stark. Für Tegnell sei der beste Weg, Vertrauen in die Impfung zu gewinnen, sie nicht staatlich vorzuschreiben, betont er beim Pragmaticus-Forum.

Aufarbeitung bleibt in Österreich noch aus

Der neue Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Helmut Frister, sieht rückblickend erhebliche Fehlentscheidungen im Pandemie-Management (Rheinische Post, 27.11.2024). Die Abschottung der Altenheime und die Schulschließungen seien überzogen und radikal gewesen. Die deutsche Regierung schob eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie bislang auf.

Auch in Österreich bleibt eine Aufarbeitung noch aus. Erste Ansätze dafür hätte es seitens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und einzelner Wissenschaftler gegeben, meint Eva Schernhammer, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie der MedUni Wien. Sie ist der Meinung, dass „politische Entscheidung getroffen wurden, für die es keine gute wissenschaftliche Grundlage gab". (Kurier, 7.2.2025)

Weiterführende Literatur: IMAGO HOMINIS 2022/3 mit dem Schwerpunkt "Pandemie und Ethik"

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: