Bioethik aktuell: „Zuallererst nicht schaden“ zählt zu den ethischen Grundprinzipien ärztlicher Heilkunst. Wie sieht das bei der Eizellspende für die Betroffenen aus?
Nicole Petrovits: Die Eizellgewinnung bedeutet immer einen Eingriff in den Organismus einer Frau, die an keinem Krankheitszustand leidet, den es zu lindern oder bessern gilt. Es handelt sich vielmehr um einen Eingriff bei einer gesunden Frau, der mit Komplikationen verbunden sein kann. Deshalb kann für die Frau, die ihre Eizellen abgibt, grundsätzlich nicht gesagt werden, dass man ihr keinesfalls schadet. Sie wird stimuliert und punktiert, sie erhält eine Kurznarkose. Das ist eine relativ komplexe Prozedur. Das ist nicht mit der Gewinnung der Spermien zu vergleichen.
Wenn man etwa versucht, so viele Eizellen wie möglich zu gewinnen, kann dies negative Folgen auf die zukünftige Reproduktionsfähigkeit dieser Frauen haben. Man versucht deshalb idealerweise nur solche zu nehmen, die bereits Kinder geboren haben. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass dieses Prinzip nicht immer beachtet wird.
Aber es geht nicht nur um die Frau, die nach einer Stimulation ihre Eizellen an Dritte verkauft oder weitergibt. Für die Empfängerin einer Eizelle ist die Implantation ebenfalls kein komplikationsloses Verfahren. Immunologisch und klinisch gesehen sind die Eizelle und die Spermazelle für den empfangenden Organismus fremd. Ein Embryo ist grundsätzlich für jede Frau ein Fremdkörper. Dadurch besteht – wie bei jeder Schwangerschaft – das Risiko einer sog. Schwangerschaftsvergiftung, das bei der Übertragung eines komplett fremden Embryos im Vergleich erhöht ist. Wenn der Organismus auf den Fremdkörper reagiert, wird das Immunsystem aktiv – mit unterschiedlichen Folgen. Für die Frauen bedeutet das oft auch erhebliche psychische Belastungen – bis hin zu Ablehnung des zweifach fremden Kindes in ihrem Körper.
Bioethik aktuell: Und welche Folgen hat das Verfahren für Kinder?
Petrovits: Aus Sicht des Kindes sind vor allem die Informationsrechte anzusprechen, wenn man sich die Frage stellt, niemandem schaden zu wollen. Wenn ein Kind nichts von seiner Herkunft und den Umständen seiner Entstehung erfährt, wird oft ein späterer psychologischer Schaden riskiert und angerichtet. Die Kinder werden nicht in Kenntnis gesetzt, weil das Thema mit Scham besetzt ist. Die sozialen Eltern wollen nicht sagen, dass genetisch keine Verwandtschaft besteht. Und wenn die Kinder dann als Jugendliche durch Erkrankung oder die Feststellung der Blutgruppe draufkommen, dass sie im Labor mit „fremden Eltern“ entstanden sind, ist das natürlich ein riesiger Vertrauensschaden, der als Beeinträchtigung für alle betrachtet wird. Eine ehrliche Aufklärung der Kinder über die Umstände der künstlichen Befruchtung ist deshalb sehr wichtig – idealerweise schon im Kindergartenalter.
Bioethik aktuell: Die Eizellspende soll demnächst auch in Deutschland und der Schweiz legalisiert werden. Welche Erfahrungen haben Sie in Österreich?
Petrovits: In Österreich ist die Eizellspende seit 2015 legal. Wir haben ein Werbeverbot, es darf kein Honorar gezahlt werden. De facto sind aber stets finanzielle Interessen im Spiel, wobei die Entgeltfrage für die „Spenderin“ nicht wirklich geregelt ist. Die Rede von „altruistisch“ ist in meiner Wahrnehmung deshalb eine Farce. Wenn man nichts dafür zahlt, gibt es keine einzige Spenderin. Keine Frau unterzieht sich nur einfach so einem Eingriff zur Eizellabgabe. Vielleicht gibt es Ausnahmefälle, wo dies für die eigene ältere Schwester gemacht wurde, aber das ist wirklich die Ausnahme.
Bioethik aktuell: Was halten Sie von dem Argument, dass eine Legalisierung der Verfahren den „Fortpflanzungstourismus“ stoppen kann?
Petrovits: Eine Legalisierung der Eizellspende kann den Reproduktionstourismus nicht stoppen. Deutsche kommen nach Österreich, auch Tschechien, Polen und Spanien sind begehrte Ziele, die Kunden wandern dorthin, wo es für sie finanziell am besten passt, selbst wenn das Verfahren in ihrem eigenen Land erlaubt ist. Es braucht deshalb internationale Regulatoren, die den einzelnen Ländern bei ihrer Gesetzgebung als Orientierung dienen.
Die größten Geschäfte wurden bisher in der Ukraine gemacht, wo es sehr große Eizellbanken gibt. Dort wurde auch aktiv Werbung gemacht – mit Hochglanzkatalogen. Es gibt dort sogar die "VIP-Donor eggs 1. Klasse". Das sind Kataloge, die die Eizellspenderinnen wie Models präsentieren, bei manchen sind Studium und Doktortitel vermerkt. Da sucht man sich dann eine Quasi-Mutter aus dem Katalog aus. Es gibt auch von der WHO keine Statements, die den Deckel auf eine Entwicklung setzen, die Kinder langfristig benachteiligt oder gar diskriminiert. Das Kindeswohl muss bei gesetzlichen Regelungen auch für den Staat von Interesse sein. In Österreich setzen wir uns mit der Initiative Stoppt Leihmutterschaft dafür ein und sind auch international vernetzt. Bei der Leihmutterschaft kauft man sich de facto ein Kind. Und das wird in der gesellschaftlichen Debatte komplett ausgeblendet.
Bioethik aktuell: Wie sollten die Rechte des Kindes in einer gesetzlichen Regelung aussehen?
Petrovits: Informationsrechte stehen im Vordergrund. In Österreich sind anonyme Spenden verboten. Das halte ich für ganz wichtig. Allerdings warten wir schon seit 2015 auf ein zentrales Eizell- und Samenspenderregister, das den Betroffenen den Zugang zu den Informationen zu ihrer genetischen Abstammung sichert. Kinder sollten außerdem nicht erst ab 15 Jahren, wie es das Gesetz vorsieht, über ihre Abstammung und Genese informiert werden, sondern schon im frühen Kindesalter.
Aus medizinischer Sicht rate ich allen Frauen dringend, dass eine künstliche Befruchtung im Mutter-Kind-Pass eingetragen wird - schon während der Schwangerschaft. Leider verschweigen das manche, sodass nicht einmal die Gynäkologen, die eine Schwangere begleiten, darüber informiert sind, dass die Befruchtung künstlich war. Das ist zum Nachteil der Kinder: Nur, wenn Kinderärzte von den Umständen der Entstehung wissen, können sie auch metabolische Besonderheiten, Gefäßwandverdickungen und ähnliche Auffälligkeiten bei IVF-Kinder in Bezug setzen. Kinder haben ein Recht darauf. Wir können nicht ein Verfahren propagieren, das dann in seinen Konsequenzen vertuscht werden soll.
Bioethik aktuell: Welches Orientierungswissen sollte in den Regulatoren der Reproduktionsmedizin verankert sein?
Petrovits: Die Naturwissenschaft ist das eine – was wir technisch beherrschen und medizinisch wissen. Das Orientierungswissen ist eine Hilfe für die richtigen Entscheidungen. Was soll legalisiert werden, wie weit wollen wir gehen, worauf sollten wir bewusst verzichten? Wo sollen wir lieber den Deckel drauf lassen? Das braucht es Ansätze aus den Geisteswissenschaften – Philosophie, Psychologie, Soziologie usw. Die Sicht des Kindes vermisse ich in der Fruchtbarkeitsmedizin komplett. Das Kind wird zur Zeit seiner Entstehung nur als Objekt, nicht als Subjekt gesehen. Diese Einstellung lässt sich leider derzeit auch noch bei vielen meiner Kollegen beobachten.
Das Gespräch führte Bioethik aktuell-Redakteur Rainer Klawki.