Gesundheitsdaten: Von der Selbstvermessung zum Versicherungsmarkt
„Gewinnen Sie eine Reise nach Italien mit 10.000 Schritten. So einfach ist das.“1 Diese Reklame veröffentlichte die südafrikanische Versicherung Discovery für ihr Lebensstils- und Gesundheitsprogramm Vitality. Das Konzept dahinter: Wenn die Versicherten ihre selbst aufgezeichneten Gesundheitsdaten – die Zahl der täglichen Schritte, die sportliche Aktivität, die verbrauchten Kalorien und Daten über Vorsorgeuntersuchungen - an ihre Versicherung übermitteln, erhalten sie finanzielle Vorteile.2 Ab 2016 wird auch Generali als Privatversicherer dieses Programm in Deutschland in den Sparten Lebens-, Berufsunfähigkeits- und privaten Krankenversicherung3 anbieten, in Österreich wird es dieses Angebot vorerst noch nicht geben.4 Während Datenschützer dagegen Sturm laufen, scheinen die Verbraucher nicht abgeneigt: Jeder dritte Deutsche würde Gesundheitsdaten an Versicherer weitergeben, wenn man im Gegenzug Beitragsersparnisse und Gutscheine erhalten würde.5
Diesem Trend liegt eine neue Selbstvermessungs-Bewegung zugrunde. Die Selbstvermessung ist nicht nur für Technik und Fitness affine Nutzer interessant, sondern auch für Versicherungen, Gesundheits- und Finanzpolitiker sowie Technologiekonzerne. Die immer attraktiver werdende Weitergabe von Gesundheitsdaten wirft etliche Fragen auf, von denen einige in der Folge diskutiert werden sollen.
Mobile Technologien ermöglichen private Selbstvermessung
Das Leben der Menschen wird heute zunehmend durch mobile Technologien bestimmt, es wird immer „smarter“, wie Zahlen belegen: 86 Prozent aller Mobiltelefone in Österreich sind Smartphones und 93 Prozent der Besitzer solcher Telefone nutzen Applikationen, kurz Apps.6 Smartphones und/oder Wearables – tragbare vernetzte elektronische Geräte wie Armbänder, Smartwatches, Datenbrillen, aber auch T-Shirts, Schuhe, u. a. – ermöglichen mittels bestimmter Apps, dass immer mehr Menschen über ihre eigenen Gesundheitsdaten verfügen, weil sie sich selbst vermessen oder neudeutsch „tracken“.
In App-Stores findet man drei verschiedene Kategorien von Applikationen, die dem Gesundheitsbereich zuzuordnen sind:
- Medizin-Apps, die sich einerseits an Heilberufsgruppen für den Berufsalltag und andererseits an Patienten zur besseren Bewältigung meist chronischer Erkrankungen richten;
- Gesundheits-Apps, die zur Erhaltung der Fitness und zur Förderung eines gesunden Lebensstils dienen;
- Versorgungs-Apps, mittels der der Nutzer auf Daten aus dem Versorgungssystem zurückgreift (z. B. Daten aus der eigenen elektronischen Gesundheitsakte) oder selbst generierte Daten in das Versorgungssystem einspeist (z. B. teilen Gesunde ihre Vitaldaten oder Chroniker ihre Daten aus digitalen Patiententagebüchern Therapeuten und Versicherern mit).7
Für den Trend der Selbstvermessung und die Weitergabe von Gesundheitsdaten sind die Gesundheits-Apps und ein Teil der Versorgungs-Apps relevant. Medizin-Apps und die der medizinischen Versorgung dienenden Apps kommen im Rahmen der mHealth (Mobile Health) zur Anwendung.
Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass 32,9 Prozent der Smartphone-Besitzer Fitness-Apps nutzen. Die meistgenutzten Apps sind Jogging-/Lauf-Apps mit 36,8 Prozent, Schrittzähler-Apps mit 30,1 Prozent und Fitness-Apps mit 27,7 Prozent. Wenig genutzt werden hingegen vorinstallierte Gesundheitsapps (iPhone Health-App 16,4 Prozent, Android Google Fit-App 4,9 Prozent).8
Der Markt der erwähnten Wearables muss sich dagegen noch entwickeln. Derzeit besitzen erst 4,9 Prozent der Österreicher ein Fitness-Armband, 2 Prozent eine Smart-Watch. Der am häufigsten genannte Grund für den Besitz einer Smartwatch ist laut einer in Österreich durchgeführten Umfrage (Mehrfachantworten möglich) die Technikaffinität, während die Überwachungsmöglichkeit beim Sport bzw. das Messen und Tracken medizinischer Daten mit 35 Prozent an dritter Stelle liegen.9 Eine in Deutschland durchgeführte Studie beleuchtet die bevorzugten Anwendungsgebiete: 68 Prozent der Smartwatch-Interessenten möchten mit der Uhr eingehende Nachrichten lesen, 55 Prozent möchten eine Fitness-App nutzen, und 32 Prozent möchten ihre Gesundheitsdaten messen und im Fall des Falles einen Notruf senden.10 Ein Boom dieser Wearables in unseren Ländern ist aus heutiger Sicht nur eine Frage der Zeit, wie Prognosen zum Umsatz mit Wearable Technologie zeigen. Während in Europa der Umsatz im Jahr 2013 bei 2,99 Milliarden Euro lag, soll diese Zahl bis 2018 auf 9,03 Milliarden Euro ansteigen.11
Warum Selbstvermessung?
Die Gründe für die Selbstvermessung – „Quantified Self“ – sind vielfältig. Manche Menschen haben zunächst einfach Interesse an der Erfassung der eigenen Gesundheit und möchten ihr Wohlbefinden steigern, immer den aktuellen „Fitnessstand“ kennen und messen sich gerne mit anderen. Andere nutzen dieses Angebot schlicht, weil es da ist, ohne ein konkretes Ziel zu verfolgen, wieder andere probieren gerne neue Technologien aus und gehören somit zur Gruppe der „Early Adopters“. Der Nutzer bekommt viel, er gibt aber auch viel preis: hochsensible Daten.
An der Verbreitung der Selbstvermessung sowie darüber hinausgehenden Mobile-Health-Diensten sind natürlich auch andere Akteure interessiert. Die Europäische Kommission spricht in ihrem 2014 veröffentlichten Grünbuch über Mobile Health-Dienste von einem dreifachen Vorteil: Erstens hätten Patienten mehr Kontrolle und könnten Gesundheitsproblemen besser vorbeugen, zweitens werde das Gesundheitssystem effizienter und die Kosten könnten gesenkt werden, und drittens würden gewaltige Chancen für innovative Dienste, Unternehmensneugründungen und die App-Wirtschaft geschaffen werden.12 Wesentliche Föderer der Selbstvermessung sind Politik, Wirtschaft und Versicherungen.
Der Weg der privaten Gesundheitsdaten auf den Markt
Die Menschen sammeln also selbst ihre Gesundheitsdaten. Dies kommt wiederum Versicherungen sehr entgegen, die den Lebensstil ihrer Kunden kennen möchten. Generali13 betont, mit ihrem Fitnessprogramm den Menschen dabei helfen zu wollen, aktiver und gesünder zu leben. Ständig gebotene Anreize und Belohnungssysteme würden das Bemühen der Menschen um mehr Bewegung, Sport oder gesündere Ernährung fördern. Die Anbieter sehen ihre Programme auch als Instrumente der Krankheitsprävention, die die angespannte Lage der westlichen Gesundheitssysteme verbessern könnten.
Diese angebotene Weitergabe der eigenen Gesundheitsdaten mit der lukrativen Aussicht, niedrigere Prämien, Rabatte und Bonuspunkte zu erhalten, ist verständlicherweise attraktiv. Die Daten sind ohnehin vorhanden, warum sie nicht zu eigenen Gunsten einsetzen?
Tatsächlich können sich bereits 37 Prozent der Smartphone-Nutzer vorstellen, Gesundheitsdaten an die eigene Krankenversicherung weiterzugeben, bei Personen ab 65 Jahren ist es sogar fast die Hälfte (47 Prozent). Der Großteil dieser Personen möchte eine Gegenleistung dafür: Jeder Fünfte (19 Prozent) möchte Versicherungsrabatte, 10 Prozent möchten eine Prämie z. B. in Form von Geld oder eines Gutscheins. Nur 7 Prozent der Nutzer wären bereit ihre Daten ohne Gegenleistung weiterzuleiten, ab 65 Jahren sind es sogar 33 Prozent.14
Wie gelangen nun die selbst aufgezeichneten Daten zu den Versicherern? Momentan zeigen sich besonders private Versicherungen an den Gesundheitsdaten der App-Nutzer interessiert. Der Pionier am Markt der Bonusprogramme in Verbindung mit der Weitergabe von Gesundheitsdaten ist die bereits genannte südafrikanische Versicherung Discovery, die 1997 das Programm Vitality gründete und damit weltweit der erste Versicherer war, der Anreize für einen gesunden Lebensstil bat.15 Heute gibt es Franchise-Unternehmen in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, China, Singapur, Australien. In Südafrika versichert Vitality 1,7 Millionen Mitglieder, weltweit sind es über 5 Millionen.16
Sieht man sich auf der Vitality-Seite von Discovery um, so ist das Tracking mit Fitnessarmbändern wie Garmin, Polar, Jawbone, fitbit, RunKeeper oder Misfit sowie mit der GesundheitsApp iHealth u.a. möglich.17 Man muss sich beim jeweiligen Dienst anmelden und durch die Verbindung des eigenen Accounts mit Vitality sicherstellen, wohin die Daten übertragen werden. Christoph Schmallenbach, Vorstand von Generali Deutschland, erklärt, dass sein Unternehmen nur den von Vitality vergebenen Status, Bronze, Silber oder Gold, sehen werde.18
Die Generali Gruppe hat am 18. November 2014 die Kooperation mit Discovery und die Einführung des Fitnessprogramms Vitality ab dem ersten Halbjahr 2016 in Deutschland, Frankreich und Österreich angekündigt.19 „Wir beeinflussen das Verhalten unserer Kunden“, denn „gesündere Kunden sind besser für uns“ und so „stärken wir die Bindung zu unseren Kunden“, sagt Generali-Chef Mario Greco.20 In Deutschland wird das Fitnessprogramm trotz Proteststürmen von Datenschützern implementiert, in Österreich wurde das Programm vorerst auf Eis gelegt, weil hierzulande eine individuelle Prämie in der Krankenversicherung verboten ist und nur im Kollektiv angepasst werden kann, wie der Generali-Österreich-Chef, Peter Thierring, erklärte.21
Leistung und Kontrolle
Die Quantified-Self-Trends und das Geschäft mit den Gesundheitsdaten sind Symptome eines überbordenden Optimierungsgedankens und einer dominierenden Leistungsgesellschaft. Unternehmen wollen ihren Umsatz steigern, mehr Smartphones, Wearables und Apps absetzen; Politiker wollen das Gesundheitssystem finanzierbar halten und eine florierende Wirtschaft; Versicherungen wollen satte Gewinne; Nutzer und Versicherte wollen ihr Leben und ihre Gesundheit optimieren – schneller, gesünder, kontrollierter, schöner – und sind anfälliger denn je für finanzielle Anreize.
In Fitnessprogrammen wie Vitality werden Gesundheit, Bewegung, Sport und gesunde Ernährung zur Währung, für die man im Gegenzug Gutscheine oder günstigere Prämien erhält. Die Zahlen zeigen, dass die Menschen bei finanziellen Anreizen bereit sind, sozusagen ihre Privatsphäre zu verkaufen, sich überwachen zu lassen und damit persönlichen Freiheitsraum sorglos abzugeben. Die Selbstkontrolle kippt in Fremdkontrolle, wahrt aber den Schein individueller Selbstbestimmung. Die digitale Selbstvermessung schürt zudem die Gefahr, dass Patienten Pseudo-Korrelationen zwischen Daten herstellen oder der Illusion absoluter Selbstkontrolle unterliegen.
Die so in den Apps und von Fitnessprogrammen wie Vitality angesammelten Daten sind ein willkommenes Ziel für Cyberkriminelle. Eine Studie des Ponemon Institutes in Michigan (USA) zeigt, dass die Zahl von Hackerangriffen auf Einrichtungen des Gesundheitsbereichs seit 2010 um 125 Prozent gestiegen ist.22 Andrea Voßhoff, deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte, warnt vor Fitnessapps, die sensible Gesundheitsdaten von Versicherten an deren Krankenkassen übermitteln. Sie mahnt vor allem Versicherte privater Kassen, sie mögen nicht unbedacht mit ihren Daten umgehen und sollten die kurzfristigen finanziellen Vorteile durch Offenlegung der Daten gegenüber den langfristigen Gefahren abwägen.23
Befürworter der Weitergabe von Gesundheitsdaten halten Kritikern entgegen: Bereits jetzt muss man beim Abschluss einer Privatversicherung viel genauere und maßgeblichere Daten als die Tracking-Daten zur Abschätzung des wahrscheinlich künftigen Gesundheitszustandes bekanntgeben und ärztliche Atteste liefern, um angenommen zu werden.
Ob die Teilnahme an Fitnessprogrammen wie Vitality zu einer dauerhaften Lebensstiländerung führt, scheint fraglich. Forscher um Mitesh Patel von der University of Pennsylvania erklären, dass die Kluft zwischen der Aufzeichnung der Daten und der tatsächlichen Verhaltensänderung groß sei. Wenn die Gesundheit der Bevölkerung bedeutend verbessert werden solle, müssten Wearables entweder erreichen, neue Gewohnheiten zu schaffen, d. h. externe in interne Motivation umzuwandeln, oder die externe Motivation aufrechterzuhalten. Beides sei jedoch sehr schwierig zu erreichen, und es sei kaum wissenschaftlich untersucht, ob diese neue Technik dies schaffen könne.24
Der deutsche Informatikexperte Urs Vito Albrecht wird noch deutlicher: Eine App könne nie die eigene Motivation ersetzen. „Sie kann aber beitragen, selbst gesetzte Ziele zu erreichen, zu erinnern, Verläufe und Erfolge sichtbar machen und einen Trainingsplan zu erfüllen.“25
Beim Geschäft mit den Versicherungsdaten ist auch ein anderer Aspekt der Freiheit betroffen: Wird es für Versicherte ein Recht auf „Nicht-Tracken“ ohne erhöhte Versicherungsprämie geben oder kommt ihnen das Verweigern teuer zu stehen? Das Recht auf „Nicht-Tracken“ wäre auch für jene Menschen von Bedeutung, die sich Selbstvermessungsgeräte nicht leisten können. Dadurch wird die soziale Klassentrennung verschärft, indem jene Menschen, die ohnehin privilegierter, wohlhabender und gesünder sind, auch im Versicherungsbereich besser gestellt werden. Diesem Problem wirken die privaten Versicherer und auch Krankenkassen bereits entgegen, indem sie Fitnessmesser gratis abgeben oder bezuschussen.26
Prävention vs. Solidarität
Prävention war schon bei Hippokrates in Form der Diätetik Teil der ärztlichen Behandlung. Auch heute zählt es zu den Aufgaben der Ärzte und Therapeuten, ihre Patienten zu einem gesunden Lebensstil anzuhalten. In unserer Zeit der überlasteten Gesundheitssysteme besteht die Gefahr eines überzogenen Präventionsgedankens, wonach Krankheit selbstverschuldet ist. Wenn man genug präventive Maßnahmen setzt, wird man nicht krank, so der Tenor. Wer in der Prävention nachlässt, ist am Ende selbst schuld, wenn er krank wird. Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio bringt dies auf den Punkt: „Gesundheit und Leistung, Krankheit und Schuld, das sind sehr vertraute Assoziationen, die durch eine unreflektierte und undifferenzierte Präventionsdebatte fatalerweise wiederbelebt und neu verstärkt werden.“27
Oft wird vergessen, dass es Grenzen der Eigenverantwortung gibt: Welche präventiven Maßnahmen soll beispielsweise ein Familienvater setzen, der abends nach Hause kommt, sich noch Frau und Kindern widmet und dann müde ins Bett fällt? Oder eine alleinerziehende Mutter, die froh sein muss, wenn sie mit dem Notwendigsten über die Runden kommt? Was ist, wenn jemand aufgrund einer Krankheit oder Behinderung körperlich nicht in der Lage ist, sportlich aktiv zu werden? Versicherungen betonen, dass die Fitnessprogramme für Junge und Alte, Gesunde und Kranke konzipiert seien, man kann sich jedoch nicht des Gedankens erwehren, dass Benachteiligte durch einen überzogenen Präventionsgedanken noch weiter an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.
Realistischerweise muss man sich auch bewusst sein, dass es nur zu menschlich ist, wenn jemand die geplanten Präventivmaßnahmen nicht ständig vorbildlich umsetzt. Auch könnte man hinter vorgehaltender Hand fragen: Kann und darf man es sich leisten, Gesundheit und Fitness nicht als das höchste Gut anzusehen und andere Prioritäten im Leben zu haben?
Im Hinblick auf die Eigenverantwortung gilt es auch hier, Kritik an einer Illusion zu üben: dass nämlich Gesundheit grenzenlos herstellbar sei. Der Gedanke der Herstellbarkeit und Optimierung verdrängt die Tatsache, dass Krankheit auch Schicksal ist.28 Bei einer Erkrankung spielen eben zahlreiche nicht kalkulierbare Faktoren mit.
Prävention wird richtig verstanden, wenn das Schlagwort „fördern statt fordern“ hochgehalten wird. Der Zweck der Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems rechtfertigt nicht das Mittel, die Bürger mit einer überzogenen Prävention in die Pflicht zu nehmen. Die Möglichkeit des Trackens birgt die Gefahr in sich, dass die Prävention „eingefordert“ werden kann, weil der Arzt oder die Versicherung Einblick in das Verhalten der Patienten oder Versicherten erhält.
In Zukunft werden wohl die Fitten und Gesunden nicht für den schlechten Gesundheitszustand und Lebensstil des Rests der Versichertengemeinschaft zahlen wollen. Sie werden eine individuelle Versicherungsprämie entsprechend ihres Risikos fordern. Die gesetzlichen Krankenkassen werden früher oder später den Privaten nachziehen. Bereits jetzt bietet die deutsche Krankenkasse AOK Nordost den Versicherten, die am „AOK-Gesundheitskonto“ teilnehmen, einen Zuschuss für Fitnessmesser an. Auch andere Krankenkassen prüfen bereits, ob sie ähnliche Angebote einführen sollen.29
Angesichts dieser Tendenzen scheint eine Entsolidarisierung im gesetzlichen Versicherungssystem möglich. Die Politik wird zu entscheiden haben, ob dieser Weg in unseren Versicherungssystemen eingeschlagen werden soll.
Jedenfalls müssen sich die Entscheidungsträger darüber im Klaren sein: „Keine Gewalt, kein Zwang und kein Druck von oben werden jemals effizient sein. Der Wert der Freiheit ist heute zu hoch, als dass man meinen könnte, Prävention gegen Autonomie durchsetzen zu können. Prävention muss frei gewählt werden“30, betont Wirtschaftsethiker Enrique Prat. Sobald gesetzliche Krankenkassen damit beginnen, Fitnessprogramme einzuführen, um die Präventionsbemühungen ihrer Versicherten zu kontrollieren, wechselt der Modus von „fördern“ auf „fordern“. Dann wird Freiheit als Grundvoraussetzung für eine dauerhafte Lebensstiländerung flächendeckend eingeschränkt – und wir landen in der Gesundheitsdiktatur, die Individuen ein Soll an einer gewissen Grundgesundheit vorschreibt. Derlei Optimierungsgedanken haben jedoch noch keiner Gesellschaft auf Dauer gut bekommen.
Referenzen
- Werbung auf Discovery, Vitality, www.discovery.co.za/portal/individual/vitality-home (Werbung zuletzt auf Startseite gesehen am 5. 8. 2015) – Aktionsseite Win a Trip to Italy for four: www.discovery.co.za/portal/individual/vitality-news-jul15-get-to-italy
- Birnbaum R. et al., Versicherung will Lebensweise der Kunden kennen, 22. November 2014, Der Tagesspiegel
- Versicherung will Daten zu gesunder Lebensführung sammeln, Ärzteblatt.de, 21. November 2014
- Ruff C., Fitnessprämie: Generali rudert zurück, Der Standard, 27. November 2014
- Studie: Jeder Dritte würde Gesundheitsdaten an Versicherer geben, Spiegel Online, 20. Jänner 2015
- Mobile Marketing Association Austria (MMAA) und MindTake Research, Mobile Communications Report - MMA 2015, Wien, 26. Juni 2015, www.mmaaustria.at/html/img/pool/mobilecommunicationsreport2015.pdf
- Kramer U., Lucht M., Definition, Qualitätsbegriff und Anforderungsprofil aus Nutzer- und Expertensicht, Ansätze orientierender Qualitätsstandards für Verbraucher, S. 7, in: Lucht M. et al., Gesundheits- und Versorgungs-Apps. Hintergründe zu deren Entwicklung und Einsatz, Studienzentrum des Universitätsklinikums Freiburg (2015), www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/724464/Datei/143235/Studie-Gesundheits-und-Versorgungs-Apps.pdf, S. 7
- Fitness-Apps von jedem 3. Smartphone-User genutzt, Fittkau & Maaß Consulting, 8. Juni 2015, www.fittkaumaass.de/news/fitness-apps-von-jedem-3-smartphone-user-genutzt
- Mobile Marketing Association Austria (MMAA) und MindTake Research, siehe Ref. 6
- Smartwatch-Funktionen: Nachrichten lesen und Fitness-Apps sind am beliebtesten, Bitkom, 18. Juni 2015, www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Smartwatch-Funktionen-Nachrichten-lesen-und-Fitness-Apps-sind-am-beliebtesten.html
- Statista, Prognose zum Umatz mit Wearable Technology in Europa von 2013 bis 2018 (in Mrd Euro), 2015, de.statista.com/statistik/daten/studie/322222/umfrage/prognose-zum-umsatz-mit-wearable-computing-geraeten-in-europa/
- Europäische Kommission, Mobile Gesundheitsversorgung: Potenzial der Mobile-Health-Dienste soll erschlossen werden, Pressemitteilung, Brüssel (2014), europa.eu/rapid/press-release_IP-14-394_de.htm
- Generali, Vitality, 28. Juli 2015, www.generali-deutschland.de/online/portal/gdinternet/de/content/311198/1150478
- Gesundheits-Apps: Jeder dritte Smartphone-Nutzer würde Daten an die Krankenkasse weiterleiten, Bitkom, 28. April 2015
- Vitality History, www.thevitalitygroup.com/company/
- Mücke Sturm Company. Management Consultants, Digital Fitness Tracking Programs. Additional Business Value for Health Insurers, März 2015, S. 5
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- Kritik an Krankenkassen-Zuschuss für Fitnessmessgeräte wie AppleWatch, Deutsches Ärzteblatt, 10. August 2015
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- ebd.
- Kritik an Krankenkassen-Zuschuss für Fitnessmessgeräte wie AppleWatch, Deutsches Ärzteblatt, 10. August 2015
- Prat E. H., Prävention als moralische Einstellung, Imago Hominis (2011); 18(3): 179-186, hier S. 185
Sämtliche Internetseiten zuletzt abgerufen am 27. 11. 2015.
Mag. Monika Feuchtner, IMABE
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