Gleichheit statt Ethik. Der VfGH entkernt das Fortpflanzungsmedzingesetz

Imago Hominis (2014); 21(3): 199-214
Jakob Cornides

1. Einleitung

Die Entscheidung1 des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) im Jänner 2014, einige Kernbestimmungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) aufzuheben und somit eine „kopernikanische Wende“ auf dem Gebiet des Fortpflanzungsmedizinrechts herbeizuführen, hat nur einige Tage lang für ein Rauschen im Blätterwald gesorgt, auch Gegenstimmen meldeten sich zu Wort.2 Bald aber ist man wieder zur Tagesordnung übergegangen, als handle es sich dabei um eine ganz alltägliche Angelegenheit.

Die wichtigsten Aspekte der Entscheidung sollen nun im vorliegenden Beitrag behandelt werden. Dabei geht es vor allem um die folgenden Punkte:

  • die Inkongruenz zwischen Begründung und Urteilsspruch;
  • die Lückenhaftigkeit des vom VfGH vorgetragenen „Gleichbehandlungs“-Arguments;
  • die Fehlinterpretation bzw. Nichtberücksichtigung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte;
  • die in der VfGH-Entscheidung nur unzureichend erörterte Frage des Kindeswohls.

Zum Abschluss dieser Erörterung wird der Frage nachgegangen, welche Schlussfolgerungen aus dieser Entscheidung für die Neugestaltung des Fortpflanzungsmedizinrechts zu ziehen sind.

2. Inkongruenz zwischen Begründung und Urteilsspruch

Zuallererst sei aber festgehalten: Die beiden verfahrensgegenständlichen Beschwerden bezogen sich ausschließlich auf einen bestimmten Sonderfall der medizinisch unterstützten Fortpflanzung, nämlich auf die in § 1 Abs. 2 lit. 1 FMedG genannte Samenspende in vivo, d. h. auf „das Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane der Frau“. Sie bezogen sich ausdrücklich nicht auf die übrigen in § 1 Abs. 2 FMedG genannten Sachverhalte.

Dementsprechend hat sich auch die Argumentation des VfGH nur mit diesem Sonderfall befasst, nicht aber mit der (in der Praxis weitaus häufigeren) in-vitro-Zeugung. Nur diese Einschränkung hat es dem VfGH ermöglicht, die gegen die medizinisch assistierte Zeugung allgemein bestehenden ethischen Einwände (insb. die gegen die Leihmutterschaft bestehenden Bedenken, dass hierdurch der weibliche Körper in menschenunwürdiger Weise kommerzialisiert werde, oder den Hinweis, dass bei der Zeugung im Reagenzglas üblicherweise sog. „überschüssige“ Embryonen hergestellt werden, unter denen man den „besten“ aussucht und in die Gebärmutter der Auftraggeberin einpflanzt, während man die übrigen entweder kryokonserviert oder gleich zerstört) beiseitezuschieben, weil sie den entscheidungsgegenständlichen Sachverhalt nicht beträfen.

Bene docet qui bene distinguit. Umso erstaunlicher ist es, dass der Spruch des Erkenntnis weit über das hinausgeht, was die Argumentation des VfGH zu tragen vermag. Nach Weglassung der vom VfGH aufgehobenen (hier durchgestrichen wiedegegebenen) Abschnitte lauten die relevanten Bestimmungen des FMedG nunmehr wie folgt:

Begriffsbestimmungen

§ 1. (1) Medizinisch unterstützte Fortpflanzung im Sinn dieses Bundesgesetzes ist die Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr.

(2) Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung im Sinn des Abs. 1 sind insbesondere

  1. das Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau,
  2. die Vereinigung von Eizellen mit Samenzellen außerhalb des Körpers einer Frau,
  3. das Einbringen von entwicklungsfähigen Zellen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau und
  4. das Einbringen von Eizellen oder von Eizellen mit Samen in die Gebärmutter oder den Eileiter einer Frau.

(3) Als entwicklungsfähige Zellen sind befruchtete Eizellen und daraus entwickelte Zellen anzusehen.

Zulässigkeit

§ 2. (1) Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig.

(2) Sie ist ferner nur zulässig, wenn nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind oder ein Geschlechtsverkehr zur Herbeiführung einer Schwangerschaft den Ehegatten oder Lebensgefährten wegen der ernsten Gefahr der Übertragung einer schweren Infektionskrankheit auf Dauer nicht zumutbar ist.

(3) Samen, Eizellen, Hoden- oder Eierstockgewebe dürfen auch für eine künftige medizinisch unterstützte Fortpflanzung entnommen und aufbewahrt werden, wenn ein körperliches Leiden oder dessen dem Stand der Wissenschaft entsprechende Behandlung eine ernste Gefahr bewirkt, dass eine Schwangerschaft nicht mehr durch Geschlechtsverkehr herbeigeführt werden kann.

§ 3. (1) Für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung dürfen nur die Eizellen und der Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden.

(2) Für die Methode nach § 1 Abs. 2 Z 1 darf jedoch der Samen eines Dritten verwendet werden, wenn der des Ehegatten oder Lebensgefährten nicht fortpflanzungsfähig ist.

(3) Eizellen und entwicklungsfähige Zellen dürfen nur bei der Frau verwendet werden, von der sie stammen.

Wie unschwer zu erkennen ist, fallen mit den aufgehobenen Wortfolgen (zum Stichtag 31. Dezember 2014) nahezu alle Beschränkungen weg, denen die medizinisch unterstützte Fortpflanzung bisher unterworfen war. Erlaubt ist demnach nicht etwa nur die verfahrensgegenständliche Samenspende in vivo für lesbische Paare; vielmehr stehen nunmehr sämtliche Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung allen Paaren (egal ob hetero- oder homosexuell, lesbisch, verheiratet oder unverheiratet, verpartnert oder unverpartnert) offen, und auch ein Verbot der Leihmutterschaft ist dem Gesetz nun nicht mehr eindeutig zu entnehmen.3 Auch ist die Zulässigkeit nicht mehr an die Bedingung gebunden, dass zuvor alle zumutbaren Anstrengungen unternommen wurden, um eine Schwangerschaft auf „natürlichem“ Weg herbeizuführen; die medizinisch unterstützte Fortpflanzung wäre demnach nicht mehr der letzte Ausweg für ungewollt kinderlose (heterosexuelle) Paare, sondern sie steht jedermann ohne weitere Voraussetzungen zur Verfügung – beispielsweise auch Paaren, die auf natürlichen Geschlechtsverkehr einfach keine Lust haben, oder die sich durch das Verfahren der künstlichen Zeugung eine genetische Optimierung ihres Nachwuchses erhoffen. Denn auch der Herstellung einer unbegrenzten Anzahl von Embryonen und der Selektion aufgrund beliebiger Kriterien steht nun, wie es scheint, kein Hindernis mehr entgegen.

Geht man von den rechtlichen Ausführungen des VfGH aus, so wäre eigentlich nur die Korrektur der (vermeintlichen) „Ungleichbehandlung“ gleichgeschlechtlicher Paare in Bezug auf die Samenspende in vivo erforderlich gewesen – und alles übrige wäre nur ein unbeabsichtigter oder unvermeidbarer „Kollateralschaden“, den der Gesetzgeber dadurch wieder beheben könnte, dass er die weggefallenen Beschränkungen durch neue, diesmal aber ‚diskriminierungsfreie‘ Bestimmungen gleichartigen Inhalts ersetzte. Dies ist auch der Grund, warum die aufgehobenen Bestimmungen erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, nämlich zum Stichtag 31. Dezember 2014, außer Kraft treten werden. Dem Gesetzgeber verbleibt somit eine „Reparaturfrist“, die es ihm theoretisch erlauben soll, die vom VfGH eingerissenen Schranken teilweise wieder aufzurichten – wenn er es denn will und kann. Unterbleibt die Gesetzesreparatur jedoch, so gilt ab 1. Jänner 2015 das FMedG in der vom Höchstgericht „amputierten“ Form.

Diese Situation ist von vielen früheren VfGH-Entscheidungen bekannt – beispielsweise von der 2007 erfolgten teilweisen Aufhebung des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes, die, da sich die Regierung auf eine Neufassung der aufgehobenen Bestimmung nicht einigen konnte, den gänzlichen Wegfall der Erbschafts- und Schenkungssteuer ab 2008 zur Folge hatte.4 Im vorliegenden Fall ist das Vorgehen des VfGH jedoch aus mehreren Gründen höchst fragwürdig. Denn zum einen steht der Anlass des höchstrichterlichen Eingreifens zu seinen kollateralen Auswirkungen in keinem angemessenen Verhältnis: Um eine (vermeintliche) Diskriminierung zu beseitigen, hat man die dem FMedG zugrundeliegenden Wertungen schlichtweg auf den Kopf gestellt bzw. sie aus der Rechtsordnung eliminiert, wodurch die Reproduktionsmedizin insgesamt zu einer ethik- und menschenrechtsfreien Zone innerhalb der österreichischen Rechtsordnung zu werden droht. Zweitens wirft die neue, durch das unbedachte Handeln des Höchstgerichts herbeigeführte Rechtslage weit erheblichere menschenrechtliche Probleme auf als jene (vermeintliche) Diskriminierung, die der VfGH beseitigen wollte: nämlich alle jene Bedenken (z. B. bezüglich der Herstellung „überzähliger“ Embryonen, ihrer Selektion, Zerstörung und Kryokonservierung), die, wenn man seinen Einlassungen Glauben schenken darf, auch der VfGH durchaus für gravierend hält.5 Man hat also auf Spatzen mit Kanonen geschossen, und den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben. Drittens ist dieses Vorgehen auch demokratiepolitisch bedenklich: Denn wenn bis zum Jahresende keine Gesetzesänderung zustande kommt, dann gilt ab dem 1. Jänner 2015 par défaut ein inhaltlich entkerntes FMedG, das in dieser Form von keinem Gesetzgeber jemals beschlossen wurde (und wohl auch niemals beschlossen worden wäre), und dessen ethische Wertungen jenen des historischen Gesetzgebers von 1992 in keinster Weise mehr entsprechen. Es entsteht so eine vermutlich menschenrechtswidrige Rechtslage,6 die überdies durch kein demokratisches Verfahren jemals legitimiert worden ist. Die nahezu unbeschränkte Freigabe reproduktionsmedizinischer Techniken wäre dann gewissermaßen das ungeplante Ergebnis eines gesetzgeberischen „Betriebsunfalls“.

Gewiss, es bestünde theoretisch die Möglichkeit, diesem „Betriebsunfall“ durch eine rechtzeitig vor Jahresende erfolgende Gesetzesänderung zuvorzukommen. Doch auch diesbezüglich wird durch die hier zu erörternde Entscheidung die Ausgangslage in einer unguten Weise verschoben, weil der Umstand, dass nach Ablauf der vom VfGH gesetzten Frist automatisch eine moralische Substandardversion des bisherigen Gesetzes in Kraft tritt, genau jenen in die Hände spielt, die einen solchen moralischen Substandard für erstrebenswert halten: Sie können ihren Willen ganz einfach dadurch durchsetzen, dass sie eine Reparatur des Gesetzes blockieren. Es besteht somit die ernstliche Gefahr, dass die Entscheidung des VfGH letztlich zu einer dauerhaften Beschädigung der im Fortpflanzungsmedizinrecht bisher geltenden ethischen Standards führen wird. Man spricht im Zusammenhang mit der Reproduktionsmedizin oft von drohenden Dammbrüchen. Im vorliegenden Fall aber ist, um bei diesem Bild zu bleiben, der Damm nicht gebrochen, sondern die Höchstrichter haben ihn fröhlich in die Luft gesprengt – mit dem freundlichen Hinweis, dass es dem Gesetzgeber ja unbenommen bleibe, aus den Trümmern einen neuen, um zwei Zentimeter niedrigeren Damm zu errichten. Es bleibt die Frage, ob der VfGH sich mit den abzusehenden Folgen seiner Entscheidung auseinandergesetzt hat: Hat er dies unterlassen, so kann man sein Vorgehen nur als naiv bezeichnen, hat er es aber getan, so muss er sich den Vorwurf der Mutwilligkeit gefallen lassen.

3. Die (vermeintliche) „Diskriminierung“

Da der VfGH sich in seiner Entscheidung vor allem mit dem Problemkreis einer vermeintlichen „Diskriminierung“ gleichgeschlechtlicher Paare beschäftigt hat, so will auch ich in meiner Kritik dieser Entscheidung dasselbe tun. Was alle übrigen ethischen Gesichtspunkte betrifft, die im Rahmen reproduktionsethischer Fragestellungen berücksichtigt werden sollten, so hat der VfGH sie ja nicht rundweg für unerheblich erklärt, sondern sie nur – im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Themenkreis der Samenspende in vivo – für nicht einschlägig gehalten. Diesem Standpunkt vermag ich teilweise zu folgen, teilweise jedoch nicht. Richtig ist, dass die Möglichkeit der Herstellung (bzw. Selektion, Tötung, oder Kryokonservierung) „überschüssiger“ Embryonen hier nicht besteht, weswegen sie im vorliegenden Aufsatz auch nicht erörtert werden muss. Andere ethische Bedenken, wie z. B. die Frage, ob nicht auch das mit Hilfe reproduktionsmedizinischer Verfahren gezeugte Kind schützenswerte Rechte hat, auf die der Gesetzgeber Bedacht nehmen muss, scheinen mir hingegen sehr wohl von Bedeutung, und ich werde hierauf noch eingehen.

Zunächst aber will ich mich mit dem Thema der „Gleichbehandlung“ befassen, das den Dreh- und Angelpunkt der hier zu erörternden Entscheidung bildet.

3.1 Die Argumentation des VfGH

Die Argumentation des VfGH lässt sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen: Zunächst wird festgestellt, dass nach der bisherigen Rechtslage „verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften einerseits und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften andererseits ungleich behandelt werden“; sodann wird darauf verwiesen, dass „der Gleichheitssatz“ (gemeint ist wohl: Art. 7 B-VG) es dem Gesetzgeber „verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen“; zuletzt wird auf Art. 8 und 14 EMRK (und die einschlägige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) verwiesen, wonach gleichgeschlechtliche Beziehungen sowohl unter den Begriff des „Privatlebens“ als auch unter den des „Familienlebens“ fallen. Der Wunsch, ein Kind zu haben und sich zu diesem Zweck natürlicher oder medizinisch unterstützter Methoden der Fortpflanzung zu bedienen, unterliege dem Schutzbereich des Art. 8 EMRK; außerdem müssen „besonders überzeugende und schwerwiegende Gründe vorliegen, um eine am Geschlecht oder an der sexuellen Orientierung anknüpfende Differenzierung nicht als Diskriminierung und damit Verletzung des Art. 14 EMRK iVm mit einem einschlägigen Konventionsrecht zu erweisen“.

Solche „besonders überzeugenden und schwerwiegenden Gründe“ vermag der VfGH im gegebenen Zusammenhang nicht zu erkennen, weshalb er zu dem Ergebnis einer verfassungswidrigen „Diskriminierung“ gleichgeschlechtlicher Paare kommt.

3.2 Das fehlende Glied in der Beweiskette

Die Gerechtigkeit erfordert, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich, alles aber sachgemäß zu behandeln. Nicht jede Ungleichbehandlung ist diskriminierend; vielmehr ist unter dem negativ konnotierten Begriff der „Diskriminierung“ nur eine unsachgemäße Ungleichbehandlung zu verstehen. Der Nachweis einer diskriminierenden Ungleichbehandlung läuft demnach auf den folgenden Syllogismus hinaus:

Prämisse 1A und B werden ungleich behandelt.
Prämisse 2A und B sind aber gleich.
SchlussfolgerungDaher liegt eine Diskriminierung vor.

Es ist ein Kennzeichen fehlerhaften Argumentierens, wenn in einem solchen Syllogismus die zweite Prämisse kurzerhand weggelassen wird. Es verbleibt ein Argument von ungefähr dieser Struktur:

PrämisseA und B werden ungleich behandelt.
SchlussfolgerungDaher liegt eine Diskriminierung vor.

Das Argument dreht sich also gewissermaßen um sich selbst: Jede Ungleichbehandlung ist zugleich eine „Diskriminierung“. Genau an diesem Fehler leidet auch die hier zu erörternde Entscheidung des VfGH: Denn einen stichhaltigen Nachweis, dass es sich bei verschiedengeschlechtlichen und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften um etwas – in Bezug auf den Verfahrensgegenstand – „Gleiches“ handelt, sucht man in ihr vergebens. Man kann nicht einmal sagen, dass die Argumente des VfGH in diesem Punkt „nicht überzeugend“ oder „nicht stichhaltig“ seien, sondern sie sind schlicht nicht vorhanden: Gerade das, was zu beweisen wäre, wird unhinterfragt vorausgesetzt.

Damit fällt aber das ganze Gedankenkonstrukt des VfGH wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Denn die Argumentation erschöpft sich letztlich in einer (ebenfalls sehr oberflächlich bleibenden) Erörterung über das Nichtvorliegen „besonders überzeugender und schwerwiegender Gründe“, die eine Ungleichbehandlung allenfalls rechtfertigen könnten – aber sie übersieht, dass solche Rechtfertigungsgründe gar nicht notwendig sind, wenn noch nicht einmal der Nachweis erbracht wurde, dass das, was ungleich behandelt wurde, gleich ist.

Man kann dem Höchstgericht gewiss zugutehalten, dass es mit seinem argumentativen Kurzschluss keineswegs alleine steht; vielmehr ist die gesamte gesellschaftliche Debatte über die (anzustrebende oder abzulehnende) Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften von genau diesem Defizit geprägt: Eine ernsthafte Erörterung der Frage, ob das, was da gleich behandelt werden soll, denn auch tatsächlich gleich ist, findet nicht statt. Es ist, als gäbe es hier ein Tabu, an das niemand zu rühren wagt.

Dass die Beschwerdeführer in den beiden verfahrensgegenständlichen Anlassfällen dieses Thema mit Stillschweigen übergangen haben, darf man ihnen nicht verdenken – wer wollte denn von ihnen verlangen, dass gerade sie selbst auf den entscheidenden Schwachpunkt ihres Argumentes hinweisen? Aber für ein Höchstgericht gelten andere Maßstäbe: Von ihm wird erwartet, dass es seine Standpunkte schlüssig begründet. Und in diesem Punkt erweisen sich sowohl der vom OGH eingebrachte Gesetzesprüfungsantrag7 als auch die letztendlich vom VfGH getroffene Entscheidung als defizitär.

3.3 Die Sonderstellung der Ehe

Bevor ich diesen Punkt – die Gleichsetzung verschiedener Lebensformen – einer ausführlicheren Erörterung unterziehe, muss ich in aller gebotenen Kürze noch auf ein weiteres Problem eingehen. Die Ausführungen des VfGH sind so ungenau gefasst, dass sich ihnen nicht mit letzter Klarheit entnehmen lässt, ob das Höchstgericht bereits die ungleiche Stellung von Ehepaaren und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften als „Diskriminierung“ wertet, oder ob sich der Diskriminierungsvorwurf nur auf die differenzierende Behandlung zwischen verschiedengeschlechtlichen und gleichgeschlechtlichen (in beiden Fällen: nichtehelichen) Lebensgemeinschaften bezieht.8 Man ist insoweit auf Mutmaßungen angewiesen. Aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geht jedoch ganz ausdrücklich hervor, dass die EMRK der Institution der Ehe zwischen Mann und Frau eine eindeutige Sonderstellung einräumt, so dass es den Konventionsstaaten jedenfalls gestattet ist, Ehepaaren Rechte einzuräumen, die anderen Zweiergemeinschaften nicht eingeräumt werden.9 Da sich die Argumentation des VfGH extensiv auf die Judikatur des EuGHMR stützt, zugleich aber eine eigenständige Argumentation in Bezug auf die Ehe nicht enthält, gehe ich davon aus, dass der VfGH den Standpunkt des Straßburger Gerichtshofs teilt oder zumindest nicht in Zweifel ziehen will. Demnach wäre also auch in Österreich eine bevorzugte Behandlung der Ehe zulässig, und das Diskriminierungsverbot beträfe nur die ungleiche Behandlung nichtehelicher verschiedengeschlechtlicher mit gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.

Für eine allfällige Reparatur des FMedG hätte dies natürlich Folgen: Denn sie könnte ganz einfach darin bestehen, dass die aufgehobenen Bestimmungen in § 2(2) und § 3(1) und (2) unverändert wieder in Kraft gesetzt würden, während man aus § 2(1) nunmehr auch die Wortfolge „oder Lebensgemeinschaft“ entfernte, sodass er nunmehr lautete: „Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig“. Und in der Tat fragt es sich, warum der VfGH, als es darum ging, die (vermeintliche) Ungleichbehandlung zu beseitigen, nicht diese Lösung gewählt hat, die einen bei weitem gelinderen Eingriff in die (vermeintlich) defizitäre Rechtsnorm dargestellt hätte. Denn dies hätte zwar zu einem Rechtsverlust für nichteheliche verschiedengeschlechtliche Paare geführt, der aber von diesen Paaren in durchaus zumutbarer Weise dadurch vermieden werden könnte, dass sie, bevor sie sich der Prozedur einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung unterziehen, zuerst eine Ehe eingingen. Die unzweifelhaft legitimen (und auch vom VfGH nicht in Zweifel gezogenen) Grundwertungen des FMedG wären dabei intakt geblieben. Stattdessen hat das Höchstgericht diese Wertungen in einer grobschlächtigen, durch die eigene Argumentation überhaupt nicht gedeckten Weise außer Kraft gesetzt;10 was letztlich einen demokratiepolitisch überaus bedenklichen Übergriff in die Befugnisse des Gesetzgebers darstellt.

Für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung können wir also die Frage, ob andere Lebensgemeinschaften der Ehe gleichzustellen sind, getrost beiseitelassen: Nach der Rechtsprechung des EuGHMR ist dies ausdrücklich nicht der Fall, und auch aus der hier besprochenen VfGH-Entscheidung ist nichts Derartiges zu entnehmen.

3.4. Worin gleichen sich (nichteheliche) verschiedengeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Gemeinschaften?

Der Kern der Problematik scheint vielmehr darin zu liegen, dass innerhalb der Kategorie „nichteheliche Lebensgemeinschaften“ eine differenzierende Behandlung verschiedengeschlechtlicher oder gleichgeschlechtlicher Zweiergemeinschaften nach Ansicht des VfGH entweder überhaupt nicht, oder doch nur dann zulässig ist, wenn hierfür „besonders überzeugende und schwerwiegende Gründe“ ins Treffen geführt werden können. Hier befindet sich – soviel ist immerhin zuzugeben – die nunmehrige Entscheidung des VfGH in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGHMR, der sich in der 2013 ergangenen Entscheidung X. und andere gegen Österreich11 genau derselben Argumentation bedient hat.

Freilich wäre es wünschenswert, wenn das österreichische Höchstgericht die Standpunkte des EuGHMR nicht einfach ungeprüft und unhinterfragt zu den eigenen machte. Gerade die hier einschlägige Entscheidung X. und andere gegen Österreich leidet, neben anderen gravierenden Defiziten, an genau demselben Fehler, den wir bereits im Hinblick auf die hier erörterte VfGH-Entscheidung festgestellt haben: Die (vermeintliche) Ungleichbehandlung homo- und heterosexueller Lebensgemeinschaften wird nur behauptet, aber nicht schlüssig nachgewiesen.12

Worin besteht also nun die (vermeintliche) Gleichheit, die zu gleicher Behandlung berechtigen soll? Zunächst besteht sie wohl vor allem in einer negativen Eigenschaft – nämlich darin, dass es sich in beiden Fällen nicht um Ehen, sondern eben um nichteheliche Gemeinschaften handelt, die daher auch (wie wir bereits festgestellt haben) der Ehe rechtlich nicht gleichgestellt werden müssen. Aber gibt es, von dieser negativen Feststellung abgesehen, noch weitere Gemeinsamkeiten?

Man kann natürlich dadurch zum Ergebnis der „Gleichheit“ gelangen, dass man allfällige Unterschiede, worin auch immer sie bestehen mögen, aus der Betrachtung ausklammert. Demnach wären gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche eben deswegen „gleich“, weil es sich in beiden Fällen um zwei Personen handelt, die „einander lieben“ und „in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben“. Eine solche Betrachtungsweise wäre jedoch nur scheinbar „objektiv“ – tatsächlich reduziert sie die eigene Wahrnehmung willkürlich auf dasjenige, was zum vorgefassten Standpunkt nicht in Widerspruch steht, während alles Übrige geflissentlich übersehen wird. Die vermeintliche „Gleichheit“ stellt sich demnach als das Ergebnis einer gezielten und interessegeleiteten Reduktion der Wirklichkeit dar, nicht als das Resultat einer unvoreingenommenen Betrachtung.

Wer hingegen gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche (nichteheliche) Lebensgemeinschaften unvoreingenommen und ohne vorgefasste Absicht miteinander vergleicht, kann sich der Einsicht nicht entziehen, dass eine gleichgeschlechtliche Beziehung ihrer Natur nach steril ist (d. h., dass sich die beiden Partner auch dann nicht gemeinsam fortpflanzen können, wenn sie beide an sich zeugungsfähig sind), während in einer verschiedengeschlechtlichen Beziehung die Zeugung gemeinsamer Kinder möglich ist, sofern dem nicht ein körperlicher Defekt eines der beiden Partner entgegensteht. Ist in einer solchen verschiedengeschlechtlichen Beziehung die Zeugung von Kindern beabsichtigt, dann kann diese Beziehung mit einer gewissen Berechtigung als „eheähnlich“ bezeichnet werden (und zwar auch dann, wenn es am für eine Ehe erforderlichen Bindungswillen beider Partner zu fehlen scheint bzw. dieser nicht durch ein Eheversprechen formalisiert ist); sie ist jedenfalls „eheähnlicher“, als es eine gleichgeschlechtliche Beziehung jemals sein könnte. Daraus folgt nicht, dass die verschiedengeschlechtliche nichteheliche Lebensgemeinschaft der Ehe gleichgestellt werden muss, aber es folgt, dass verschieden- und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht „gleich“ sind – jedenfalls nicht in Bezug auf die Fähigkeit, Kinder zu zeugen.

Man kann diesen ontologischen Unterschied auch anhand eines anderen Beispiels veranschaulichen. In meiner Garage steht ein Auto. Es handelt sich um ein ganz normales Auto mit vier Rädern, einem Motor, einer Passagierkabine, einem Lenkrad, einer Windschutzscheibe, und allem, was sonst noch dazugehört. Aber leider ist der Motor defekt (vielleicht ist der Keilriemen gerissen?), und das Auto bewegt sich daher nicht von der Stelle. In meiner Küche steht ein anderer Gegenstand: Er ist kubisch, und wenn man die Türe öffnet, sieht man in seinem inneren eine drehbare Trommel. Es handelt sich bei diesem Gegenstand um eine Waschmaschine. Natürlich kann auch meine Waschmaschine nicht fahren – und das, obwohl sie einwandfrei funktioniert. Das Auto und die Waschmaschine gleichen sich also insofern, als sie sich beide nicht von der Stelle bewegen – aber niemand käme wohl auf die Idee, dass mein Auto, da es nicht fahren kann, kein Auto ist. Es handelt sich eben um ein Auto mit einem Defekt. Selbstverständlich würde aber auch kein vernünftiger Mensch meine funktionierende Waschmaschine für kaputt halten, weil sie sich nicht von der Stelle bewegt, oder sie gar als „kaputtes Auto“ bezeichnen. Ebensowenig würde jemand sagen, dass alles, was nicht fahren kann, kein Auto ist, oder dass alle Objekte, die sich nicht von der Stelle bewegen können, gleich behandelt werden müssen. Tatsächlich muss nur das Auto repariert werden, die Waschmaschine hingegen nicht.

Dem FMedG hat der historische Gesetzgeber die grundlegende Wertung zugrunde gelegt, dass die medizinisch assistierte Fortpflanzung nicht zum Regelfall der menschlichen Fortpflanzung werden, sondern dass sie (gerade angesichts der bereits erwähnten ethischen Bedenken) ein seltener Ausnahmefall bleiben soll. Sie sollte daher als letzter verbleibender Ausweg nur solchen Paaren offenstehen, die, obwohl sie alles Zumutbare unternommen haben, um auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen, ungewollt kinderlos geblieben sind. Die Reproduktionsmedizin soll also Abhilfe schaffen, wo körperliche Defizite eines Partners oder beider Partner eine Zeugung auf natürlichem Weg verhindern: Wer sie in Anspruch nimmt, muss tatsächlich ein „Patient“, d. h. ein Kranker, sein.

Diese vom Gesetzgeber getroffene Wertung kann man natürlich in Zweifel ziehen. Man könnte, wie ich es an anderer Stelle bereits getan habe;13 die Auffassung vertreten, dass gegen die Zeugung im Reagenzglas aus den bereits mehrfach erwähnten (hier nicht zu erörternden) Gründen so schwerwiegende ethische Bedenken bestehen, dass die einzig richtige Lösung darin läge, sie überhaupt niemandem zu gestatten. Man könnte auch den Standpunkt einnehmen, dass, um ein Aufwachsen des Kindes bei seinen biologischen Eltern zu gewährleisten, wenigstens die heterologe Zeugung (d. h. die medizinisch unterstützte Zeugung mithilfe gespendeter Ei- oder Samenzellen) ausgeschlossen sein sollte. Oder man könnte, alle ethischen Gesichtspunkte außerachtlassend, die Meinung vertreten, dass alles, was technisch möglich ist, auch erlaubt sein sollte.

Fest steht aber, dass die vom VfGH behauptete Diskriminierung in Wirklichkeit nicht vorliegt. Die vom historischen Gesetzgeber vorgenommene Wertentscheidung ist konsistent und nachvollziehbar: Es besteht ein objektiver und bedeutsamer Unterschied zwischen Paaren, die kinderlos geblieben sind, obwohl sie alles Zumutbare unternommen haben, um auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen, und Paaren oder Einzelpersonen, die sich aus freiem Willen dazu entschieden haben, das nicht tun zu wollen, was „Eva einst hat machen müssen, dass sie hernach den Kain gebar“.14

Der bereits im Gesetzesprüfungsantrag des OGH nachzulesende Hinweis, dass „Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, … von der Möglichkeit aus[geschlossen seien], Kinder zu haben und aufzuziehen“,15 erweist sich mithin als verfehlt. Denn in Wirklichkeit hindert nichts diese an sich gesunden und fortpflanzungsfähigen Frauen daran, Kinder zu haben und aufzuziehen; ihre Kinderlosigkeit ist vielmehr die Folge eines selbstgewählten Lebensstils: Sie könnten das tun, was man eben tun muss, um ein Kind zu empfangen, aber sie wollen es nicht. Ist ihr Interesse, dennoch zu einem Kind zu kommen, im selben Maß berücksichtigenswert wie der Kinderwunsch einer Frau, die aufgrund einer physiologisch bedingten Unfruchtbarkeit kein Kind hat? Und inwiefern ist, wie vom Rechtsvertreter der Antragstellerinnen behauptet, für eine empfängnisfähige Frau, die ein Kind will, der Geschlechtsverkehr mit dem Mann, der der Vater dieses Kindes werden soll, „nicht zumutbar“16 oder gar „menschenverachtend“?17 (Gilt dieses Verdikt für alle Frauen oder nur für Lesben?) Kann allen Ernstes behauptet werden, für lesbische Frauen bestehe ein „Fortpflanzungsverbot“?18 Spielt es überhaupt keine Rolle, dass für das künstlich gezeugte Kind ein Aufwachsen ohne Vater geplant wird? Hier hätte der VfGH, bevor er sich die Standpunkte der Antragstellerinnen ungeprüft zu eigen macht, durchaus auch ein paar kritische Nachfragen stellen müssen.

Aus alledem ergibt sich: Die vom VfGH festgestellte „Diskriminierung“ liegt in Wirklichkeit schon deswegen nicht vor, weil das, was da gleichbehandelt werden soll, nicht gleich ist. Zwischen einer Ehe, einer „eheähnlichen“ verschiedengeschlechtlichen Partnerschaft, und einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft bestehen objektive und – gerade im Hinblick auf die Möglichkeit der Fortpflanzung! – relevante ontologische Unterschiede, die nur derjenige nicht erkennt, der sie nicht erkennen will. Dabei besteht zwischen der Ehe und einer „eheähnlichen“ verschiedengeschlechtlichen Partnerschaft eine größere Ähnlichkeit als zwischen dieser und einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Dass es keine Diskriminierung darstellt, die Ehe besser zu stellen als nichteheliche Gemeinschaften, hat der EuGHMR ausdrücklich festgestellt. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Inanspruchnahme bestimmter Formen der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nur Ehepaaren bzw. nur Ehepaaren und „eheähnlichen“ verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften zu gestatten, ist sachlich begründbar und daher zulässig.

Ein Eingehen auf die Frage, ob „besonders überzeugende und schwerwiegende Gründe“ vorliegen, die eine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung rechtfertigen, kann hier übrigens schon deshalb unterbleiben, weil entgegen der Annahme des VfGH das Kriterium der vermeintlichen Ungleichbehandlung gar nicht in der sexuellen Orientierung gelegen war. Vielmehr waren nach der bisherigen Rechtslage auch heterosexuelle Paare von der Inanspruchnahme der in § 1 FMedG genannten reproduktionsmedizinischen Verfahren ausgeschlossen, wenn sie nicht aufgrund eines Gebrechens fortpflanzungsunfähig waren. Das Unterscheidungskriterium war also nicht die sexuelle Orientierung, sondern das Vorliegen eines Gebrechens. Die Entscheidung des VfGH wäre also nur dann nachvollziehbar, wenn man die homosexuelle Orientierung selbst als ein für die Zeugung von Kindern hinderliches „Gebrechen“ qualifizierte, was aber wohl vom Höchstgericht nicht beabsichtigt war. Mangels einer solchen Zuordnung stellt sich das Erkenntnis jedoch als argumentative Schattenboxerei dar: Es gibt nur vor, sich gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung zu richten, während es in Wirklichkeit den vom Gesetzgeber 1992 gewählten „gebrechensorientierten“ Ansatz aushebelt.

4. Weitere Überlegungen zu Art. 8 und 14 EMRK

Nachdem meine bisherigen Ausführungen sich auf einer rein ontologischen Ebene bewegt haben, ist es an der Zeit, sich auch der rechtlichen Argumentation des VfGH zu widmen. Diese rechtliche Argumentation läuft im Wesentlichen auf die Behauptung hinaus, die nunmehrige Entscheidung habe anders nicht getroffen werden können, da sie bereits durch die Rechtsprechung des EuGHMR vorgegeben sei. Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch auch dies als unzutreffend.

Daran, dass eine gleichgeschlechtliche Beziehung unter den Begriff des „Privatlebens“ in Art. 8 EMRK fällt, besteht natürlich überhaupt kein Zweifel. Und dasselbe gilt natürlich für den Wunsch eines Menschen nach Nachwuchs oder für die Entscheidung, kinderlos bleiben zu wollen. Aber was folgt daraus? Worin besteht die „Achtung“, die der Staat diesen und anderen Aspekten des Privatlebens schuldet?

Der wesentliche Gehalt des in Art. 8 EMRK garantierten Grundrechts ist es, das Privat- und Familienleben gegen unangemessene Eingriffe zu schützen. Das betrifft vor allem den Schutz gegen Überwachung und Ausspähung: Solange gegen jemanden kein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung (oder einer solchen Handlungsabsicht) besteht, soll der Staat ihn nicht belauschen, bespitzeln, seinen Brief- und Fernmeldeverkehr überwachen, etc. Selbstverständlich gilt dieses Recht auch gegen Dritte (z. B. Journalisten oder Papparazzi), so dass auch insoweit eine Pflicht des Staates besteht, durch geeignete Gesetzgebung und Gesetzesvollziehung für angemessenen Schutz zu sorgen. Angesichts der im Laufe der letzten Monate erfolgten Enthüllungen über die nahezu vollständige Überwachung des Internets, des Telefon- und des Briefverkehrs durch Geheimdienste und private Unternehmen wie Google oder Yahoo ist freilich die Feststellung unumgänglich, dass das in diesem ursprünglichen Sinn aufgefasste Recht auf Achtung des Privatlebens in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr existiert: Es besteht zwar auf dem Papier, kann aber in der Praxis nicht durchgesetzt werden. Schlimmer noch: Die europäischen Staaten scheinen nicht nur nicht imstande zu sein, ihre Bürger gegen die Ausspähung durch Geheimdienste dritter Staaten zu schützen, sondern sie lassen sich von diesen Geheimdiensten gerne mit Erkenntnissen aushelfen, die auf diese Weise gewonnen werden, so dass man hier durchaus von einer gewissen Komplizenschaft sprechen könnte. Und man hat nicht den Eindruck, dass der EuGHMR bisher irgendeinen nennenswerten Beitrag dazu geleistet hätte, diese bedenkliche Entwicklung einzudämmen.

Wie dem auch sei – fest steht, dass Art. 8 EMRK im Hinblick auf die „sexuelle Orientierung“ vor allem eines bedeutet: nämlich, dass jedermann grundsätzlich das Recht hat, seine „sexuelle Orientierung“ vor dem Staat und der Öffentlichkeit geheim zu halten.

Ein anderer wichtiger Aspekt ist, dass es dem Staat nicht gestattet ist, das Privatleben der Bürger in überflüssiger, sachlich nicht gebotener Weise zu reglementieren. Dies betrifft z. B. den (im vorliegenden Fall entscheidungsgegenständlichen) Kinderwunsch einer Person: Der Staat darf seinen Bürgern das Kinderkriegen weder aufzwingen noch verbieten.

Daraus folgt allerdings nicht, dass Eingriffe in das Privatleben unter keinen Umständen zulässig sind. Wer seine Ehefrau verprügelt, seine Kinder sexuell missbraucht oder im Kreise Gleichgesinnter mit Kinderpornographie handelt, wird sich nicht darauf berufen können, dass dies Bestandteil seines „Privatlebens“ sei, über das der Staat nichts wissen und in das er nicht eingreifen dürfe. Das Recht auf Achtung des Privatlebens ist kein absolutes und uneingeschränktes Recht; vielmehr sind staatliche Eingriffe in dieses Recht ausdrücklich gestattet, sofern sie „gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig (sind) für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

Man könnte nun trefflich darüber streiten, ob die Definitionsmacht darüber, was eine „Straftat“, bzw. was „die Moral“ ist, dem einzelstaatlichen Gesetzgeber oder dem EuGHMR als dem zur Auslegung der Konvention berufenen Organ zustehen soll. Fest steht aber, dass es sich bei Art. 8 EMRK jedenfalls nur um ein Abwehrrecht handelt und nicht um einen Anspruch des Bürgers, bei der Verwirklichung einer wie auch immer gearteten Lebensplanung vom Staat Unterstützung und Hilfestellung zu erhalten.

Der Themenkreis des Zugangs zur medizinisch assistierten Fortpflanzung war vor nicht allzu langer Zeit Gegenstand der EuGHMR-Entscheidung in der Rechtssache S. H. u. a. gegen Österreich, die genau dieselben Gesetzesbestimmungen betraf, um die es auch in der hier erörterten VfGH-Entscheidung ging. Eine der Beschwerde stattgebende Kammerentscheidung wurde infolge eines Einspruchs der österreichischen Bundesregierung von einer Großen Kammer des Straßburger Gerichtshofs dahingehend revidiert, dass ausdrücklich die Vereinbarkeit der österreichischen Rechtslage mit der Menschenrechtskonvention festgestellt bzw. das Vorliegen einer Verletzung von Art. 8 und 14 der Konvention verneint wurde.19 Die Einschätzung des VfGH, dass sich dort „andere Fragen gestellt haben“,20 so dass aus der Entscheidung des EuGHMR für das vorliegende Verfahren nichts zu gewinnen sei, erweist sich bei näherem Hinsehen nicht als zutreffend; tatsächlich hätte eine sorgfältigere Befassung mit der Judikatur des EuGHMR zu dem Ergebnis führen müssen, auch die beiden vom VfGH zu beurteilenden Verfassungsbeschwerden abzuweisen.

In diesem Zusammenhang ist zuallererst festzustellen, dass den Konventionsstaaten nach Auffassung des EuGHMR bei der Regelung des Zugangs zur medizinisch assistierten Fortpflanzung ein sehr weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt ist,21 der grundsätzlich wohl auch die Möglichkeit eines Totalverbots einschließt. Sofern ein Staat den Gebrauch solcher Techniken gestattet, darf er dies jedoch nur in einer Art und Weise tun, die niemanden diskriminiert.

Dass der Ansatz des österreichischen Gesetzgebers, die medizinisch assistierte Fortpflanzung nur als Notlösung bei einer medizinisch begründeten Zeugungsunfähigkeit zuzulassen, bei sachgemäßer Betrachtung an sich keine Diskriminierung darstellt, habe ich bereits ausgeführt. Wer sich die Entscheidung S. H. u. a. gegen Österreich näher ansieht, wird aber feststellen, dass der EuGHMR nicht nur diesen „gebrechensorientierten“ Ansatz des österreichischen Gesetzgebers grundsätzlich akzeptiert hat, sondern dass er darüber hinaus dem Gesetzgeber sogar die Möglichkeit zugesteht, innerhalb dieses Ansatzes unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich zu regeln.

Wie das vorliegende VfGH-Erkenntnis betraf S. H. u. a. gegen Österreich nämlich einen Diskriminierungsvorwurf. Die Sachverhalte, die vom Gesetz unterschiedlich geregelt wurden (und auf die sich der Vorwurf daher bezog), waren sich aber dort viel ähnlicher als hier: Während es beim nunmehrigen VfGH-Erkenntnis um den Vergleich zwischen einem an einem Zeugungsgebrechen leidenden heterosexuellen Paar und einem (naturgemäß zu gemeinsamer Fortpflanzung unfähigen) lesbischen Pärchen ging, ging es in S.H. u.a. gegen Österreich um den Vergleich zwischen Paaren, die allesamt in die Kategorie „heterosexuell aber zeugungsunfähig“ fielen. Die vermeintliche „Ungleichbehandlung“ lag darin, dass § 3(2) FMedG die künstliche Zeugung mithilfe gespendeter Samenzellen gestattete, die Verwendung gespendeter Eizellen hingegen nicht. Der Unterschied zwischen den Vergleichssachverhalten war also sehr viel geringer – und dennoch schien er dem EuGHMR bedeutend genug, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

Mit anderen Worten: Wenn innerhalb der Kategorie der heterosexuellen aber zeugungsunfähigen (mithin dem „gebrechensorientierten Ansatz“ unterfallenden) Paare eine differenzierende Behandlung zulässig ist, dann muss eine Differenzierung zwischen Paaren, die an einem derartigen Zeugungsgebrechen leiden, und anderen Paaren, die die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin nur als Bestandteil eines neuartigen Lifestyle in Anspruch nehmen wollen, erst recht zulässig sein.

Die Entscheidung des VfGH kann sich daher nicht nur auf die Judikatur des EuGHMR nicht stützen, sondern sie steht zu ihr in klarem Widerspruch. Da das Erkenntnis in Bezug auf Art. 7 B-VG, der die einzige einschlägige innerstaatliche Rechtsnorm darstellt, keine eigenständige Argumentation aufweist, ist davon auszugehen, dass auch diese Bestimmung nicht verletzt wurde. Das Erkenntnis erweist sich also insgesamt als verfehlt.

5. Das Recht des Kindes auf beide Eltern

Zu guter Letzt will ich hier noch auf einen anderen Aspekt eingehen, der vom VfGH leider überhaupt nicht berücksichtigt wurde, nämlich den des Kindeswohls.

In den (vom VfGH in seinem Erkenntnis extensiv zitierten) Schriftsätzen des OGH und der Antragstellerinnen liest man dazu manch – zum Teil wohl unfreiwillig? – Erhellendes. Beispielsweise führt der OGH aus, dass es „für ein Kind – unabhängig von der Art seiner Zeugung und den Bedingungen seines Lebens – besser ist, überhaupt zu sein als nicht zu sein“.22 Und Rechtsanwalt Graupner, der zwei der vier Antragstellerinnen vertritt, äußert sich ähnlich: „Wird lesbischen Frauen der Zugang zu Samenspenden verweigert, so müsste der Gesetzgeber nachweisen, dass es für das Kind besser wäre GAR NICHT GEBOREN ZU WERDEN, als als Kind einer Frau, die mit einer Frau in einer Partnerschaft lebt“.23

Diese Art der Argumentation befremdet. Gewiss trifft der Satz zu, dass es für ein Kind jedenfalls besser ist, überhaupt zu sein als nicht zu sein; – mit diesem Argument hat der OGH bereits im Jahr 1999 zurecht die im Namen eines mit schweren Behinderungen zur Welt gekommenen Kindes eingebrachte Schadenersatzklage wegen „wrongful life“ (d. h. wegen des von diesem Kind angeblich nicht erwünschten Lebens) abgewiesen. Aus dem Umstand, dass der Arzt während der Schwangerschaft der Mutter eine zufolge der bestehenden Diagnosemöglichkeiten feststellbare Missbildung des Fötus nicht erkannt habe und die Abtreibung des Fötus daher unterblieben sei, könne das mit diesen Missbildungen zur Welt gekommene Kind keine Schadenersatzforderung ableiten, da eben jeder das Leben so annehmen müsse, wie er es vorfinde.24

Aber ist dieses Argument, das im Zusammenhang einer Schadenersatzklage wegen „wrongful life“ fraglos richtig ist, auch im hier zu untersuchenden Zusammenhang angemessen? Könnten auf diese Weise nicht alle Rechte und legitimen Erwartungen eines mithilfe reproduktionsmedizinischer Verfahren gezeugten Kindes kurzerhand beiseitegeschoben werden? Und vielleicht auch die Rechte aller anderen Kinder? Es genügt ja offenbar, irgendeinen Argumentationszusammenhang darzustellen, in dem die Hypothese der Existenz eines bestimmten Kindes mit der Hypothese seiner Nichtexistenz verglichen wird: Die Existenz ist dann – zumindest für das Kind – immer besser als die Nichtexistenz.

Was passiert, wenn man diese Argumentation auf andere Sachverhalte anwendet? Was wäre, wenn z. B. ein blindes Ehepaar sich ein ebenfalls blindes Kind wünscht und daher einem Arzt den Auftrag erteilt, das noch im Mutterleib befindliche Kind mittels eines chirurgischen Eingriffs zu blenden? Es kommt natürlich immer wieder vor, dass Kinder mit derartigen Beeinträchtigungen zur Welt kommen – aber darf man dies planen oder vorsätzlich herbeiführen? Was ist mit Eltern, die sich ein Kind mit nur einem Bein wünschen? Diese Gedankenspielereien sind gewiss nicht lebensnah – aber sie betreffen Sachverhalte, die immerhin denkbar sind.25 Gilt dann immer noch das Prinzip, das Kind solle sich nicht beschweren, da es besser sei, überhaupt zu sein, als nicht zu sein? Haben Menschen mit Kinderwunsch das Recht zur „Planung“ blinder oder gehbehinderter Kinder? Gegenüber der in Österreich straffreien Abtreibung, die die Nichtexistenz des Kindes zur beabsichtigten Folge hat, stellen sich solche gezielten Verstümmelungen zweifellos noch als gelindere Form des Eingriffs dar – und doch scheint der Gedanke unerträglich, dass solche Planungen zulässig sein sollen. Wenn aber solche Planungen zurecht als unzulässiger Eingriff in die Rechte des Kindes zu betrachten sind, so fragt es sich, weshalb es in Bezug auf den Plan, ein Kind ohne seinen natürlichen Vater aufwachsen zu lassen, anders sein sollte.26

Die Ausführungen des Rechtsanwalts Dr. Graupner klingen so, als wollte er dem Kind, das seine Mandantinnen sich wünschen, schon vor der Geburt zurufen: „Sei froh, dass Du leben darfst, und stell keine dummen Fragen!“

Es bleibt ein schaler Beigeschmack: Wie es scheint, haben im Zusammenhang mit der Reproduktionsmedizin nur die beteiligten Erwachsenen irgendwelche Rechte, das Kind hingegen keine. Alles dreht sich nur um den „Kinderwunsch“. Dieser „Kinderwunsch“ schafft scheinbar eine durch Art. 8 EMRK grundrechtlich abgesicherte Rechtsposition; der Staat hat ihn nicht zu hinterfragen, sondern zu seiner Verwirklichung beizutragen – und zwar auch dann, wenn er von Einzelpersonen oder einem unfruchtbaren oder gleichgeschlechtlichen Paar geäußert wird. Das Kind hingegen ist und bleibt ein rechtloses Objekt. Ihm wird vom OGH (und von einem betriebsamen Rechtsanwalt, dem man die Einseitigkeit seines Standpunkts freilich nicht zum Vorwurf machen kann, weil er als Parteienvertreter agiert) mitgeteilt, dass seinen Interessen von vornherein nur ein geringer oder gar kein Stellenwert beizumessen sei, weil ja niemand dazu verpflichtet gewesen sei, seine Herstellung in Auftrag zu geben. Und der VfGH fügt dem einen dürren Verweis auf § 20 Abs. 2 FMedG hinzu, der dem Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Möglichkeit einräumt, von der Identität seines biologischen Vaters Kenntnis zu erhalten.

Das scheint mir ein wenig dürftig.

Die Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern ist nicht bloß ein rechtliches Konstrukt, das vom Gesetzgeber nach Belieben gestaltet werden darf. Vielmehr handelt es sich um eine Gegebenheit, die zu respektieren ist. Der Umgang der Rechtsordnung mit solchen Gegebenheiten gibt Auskunft über das zugrundeliegende Menschenbild.

Das mithilfe einer Samenspende entstandene Kind wächst mit seiner Mutter und einer Person auf, die nicht sein Vater ist. Ihm wird also das Recht auf eine Beziehung zu seinem leiblichen Vater (und bis zum 14. Lebensjahr sogar das Recht, auch nur die Identität dieses Vaters zu kennen) genommen. Stattdessen wird von ihm verlangt, dass es eine andere Person, nämlich den Lebensgefährten oder Ehegatten seiner Mutter, als „Vater“ betrachtet und respektiert. Infolge der hier besprochenen VfGH-Entscheidung kann es sich bei dieser zweiten Person nunmehr auch um eine Frau handeln, deren Qualifikation für die Rolle als „Bezugsperson“ offenbar allein darin besteht, dass sie mit der leiblichen Mutter des Kindes gleichgeschlechtliche Intimbeziehungen unterhält. Nicht nur auf den Vater hat das Kind kein Recht, sondern auch nicht auf eine männliche Vaterfigur. Und die Vorstellung, dass das Kind eine Bezugsperson braucht, die ihm einen gesunden, auf die Weitergabe des Lebens orientierten Umgang mit der Sexualität vorlebt, scheint unserem Höchstgericht ja mittlerweile völlig fremd zu sein. Ganz augenscheinlich liegt alledem die Annahme zugrunde, dass die Rolle einer „Bezugsperson“ beliebig substituierbar ist: Man braucht dem Kind nur zu befehlen, die betreffende Person fortan als „Papa“ oder „Mama“ zu bezeichnen, und die Sache hat sich. Was dies für die Identitätsfindung und das Selbstbewusstsein des Kindes bedeutet, wenn es in dieser entwürdigenden Weise zum Gegenstand fremder Verfügung gemacht wird, kann man sich leicht denken.

Man könnte mir natürlich entgegenhalten, dass meine Kritik sich allgemein gegen die Praxis der Samenspende durch Dritte richtet, und nicht nur gegen den Umstand, dass diese nunmehr auch gleichgeschlechtlichen Paaren zugänglich gemacht wird; nur letzteres sei aber Gegenstand der nunmehrigen VfGH-Entscheidung. Die Entscheidung, verschiedengeschlechtlichen Paaren die Zeugung eines Kindes mithilfe einer Samenspende in vivo zu ermöglichen, sei vom Gesetzgeber schon vor etlichen Jahren getroffen worden.

Dieser Einwand mag zutreffen. Aber mit der nunmehrigen Entscheidung hat man auf diesem Irrweg doch zwei entscheidende neue Schritte gesetzt: Denn zum einen wird aus dem, was nach der Absicht des historischen Gesetzgebers ein Ausnahmefall bleiben sollte, nunmehr ein Regelfall (da ein lesbisches Paar nur durch Samenspende zu einem Kind kommen kann); zum anderen schlägt man die Warnungen vieler Entwicklungspsychologen in den Wind, dass ein Kind zweier verschiedengeschlechtlicher Bezugspersonen bedarf, und mutet ihm stattdessen die Fiktion eines „gleichgeschlechtlichen Elternpaars“ zu. Und dies alles – die Unkenntnis des biologischen Vaters, und das Aufwachsen bei zwei gleichgeschlechtlichen Eltern – sind nicht etwa die Folge irgendwelcher unvorhergesehener Schicksalsschläge, sondern das Ergebnis einer von den Interessen der beteiligten Erwachsenen geleiteten Planung. Welchem Menschenbild entspricht das? Geht es hier wirklich um „Gleichberechtigung“, oder sind wir nicht eher dabei, das Kind zur Ware zu degradieren?

6. Was ist nun zu tun? Vorschläge für eine „diskriminierungsfreie“ Neufassung des FMedG

Ich denke, alle ethisch und rechtlich denkenden Menschen werden darin übereinstimmen, dass die durch das vom VfGH verfügte Außerkrafttreten einzelner Bestimmungen entstehende Rumpffassung des FMedG nicht unkorrigiert stehenbleiben kann: Sie würde zu einem ethischen Dammbruch führen, der von den tragenden Erwägungen des hier besprochenen VfGH-Erkenntnises nicht gedeckt und, wie ich hoffe, vom Höchstgericht auch nicht beabsichtigt ist. Die Einräumung einer Übergangsfrist scheint vielmehr darauf hinzudeuten, dass auch der VfGH eine (freilich nach seinen eigenwilligen Kriterien „diskriminierungsfreie“) Neuregelung der Materie für erforderlich hält.

Wie kann eine solche Neuregelung aussehen?

Im Grunde geht es hier um die Festlegung zweier Determinanten: einerseits um die Frage, welche Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung überhaupt zulässig sein sollen, andererseits aber um den zur Inanspruchnahme dieser Möglichkeiten berechtigten Personenkreis.

Die durch die nunmehrige VfGH-Entscheidung hervorgerufene Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung bietet die Gelegenheit, auch über grundsätzliche Probleme noch einmal von neuem nachzudenken, selbst wenn diese nicht Gegenstand der Anlassentscheidung waren. Für den vom VfGH nur kurz angedeuteten – aber nicht verfahrensgegenständlichen – Problemkreis der Herstellung, Selektion und Aufbewahrung oder Vernichtung sog. „überschüssiger“ Embryonen fehlt es bislang an einer ethisch überzeugenden Lösung. Es zeigt sich sogar, dass die in vielen europäischen Ländern im Bereich der Reproduktionsmedizin geübte Praxis ein gefährliches Potenzial aufweist, das Bewusstsein für die Menschenwürde in breiten Bevölkerungsschichten zu untergraben. Die kürzlich vom EuGHMR zugelassene Beschwerde einer italienischen Frau, die ein Eigentumsrecht an den vor einigen Jahren in ihrem Auftrag hergestellten „überschüssigen“ Embryonen geltend macht,27 sollte die letzten Zweifel ausräumen, worauf die Entwicklung hinausläuft: dass ein menschliches Wesen zur bloßen „Sache“ erklärt wird, über die andere Menschen nach Belieben verfügen können.

Angesichts dieser Entwicklung spräche viel dafür, die medizinisch unterstützte Fortpflanzung entweder ganz zu verbieten oder, wenn dies nicht „mehrheitsfähig“ sein sollte, den Zugang zu ihr (im Sinne der vom Gesetzgeber ursprünglich getroffenen Wertung) einzuschränken: Sie soll weiterhin nur in speziell begründeten Ausnahmefällen Anwendung finden und nicht etwa als Bestandteil eines modischen Lebensgefühls. Die Zeugung mithilfe einer Samenspende sollte ganz verboten werden; im Übrigen aber sollte am vom Gesetzgeber 1992 gewählten „gebrechensorientierten“ Regelungsansatz festgehalten werden.

Die vom VfGH in der hier besprochenen Entscheidung vorgetragenen Argumente scheinen ein Festhalten an diesem Ansatz in keiner Weise auszuschließen; ihre Stoßrichtung liegt ja in der Beseitigung einer vermeintlichen „Diskriminierung“ gleichgeschlechtlicher gegenüber verschiedengeschlechtlichen (nichtehelichen) Lebensgemeinschaften. Auch wenn die Entscheidung sehr schlecht begründet erscheint, wird man ihr zumindest in diesem Punkt Rechnung tragen müssen. Dementsprechend sollte § 2 Abs. 1  dahingehend abgeändert werden, dass die medizinisch unterstützte Fortpflanzung fortan nur in einer Ehe zulässig sein soll.

Referenzen

  1. VfGH, 10. 12. 2013, G 16/2013 und G 44/2013
  2. Cornides J., Samenspende für Lesben: Unscharfes Denken durch Gleichheitswahn, Kommentar der anderen, Der Standard, 26. 1. 2014, derstandard.at/1389858296185/Unscharfes-Denken-durch-Gleichheitswahn
  3. Die in §3 Abs. 3 FMedG enthaltene Bedingung schließt nämlich keineswegs aus, dass eine Frau sich als Leihmutter verdingt – etwa um dadurch einem homosexuellen Paar einen Kinderwunsch zu erfüllen. Die einzige Voraussetzung ist, dass die zu befruchtende Eizelle von ihr selber stammt. Dies wäre sozusagen das Korrelat zum hier vom VfGH untersuchten Sachverhalt eines lesbischen Paars, das mithilfe einer Fremdsamenspende zu einem Kind kommen möchte.
  4. VfGH, 7. 3. 2007, VfSlg 18093/2007. Wiewohl ich ihre letztendliche Folge, nämlich den gänzlichen Wegfall der Schenkungs- und Erbschaftssteuer, durchaus gutheiße, halte ich auch diese Entscheidung des VfGH für verfehlt. Ganz wie die im vorliegenden Aufsatz erörterte Entscheidung ist auch sie das Ergebnis einer verkehrten Anwendung des Gleichheitssatzes, die darauf hinausläuft, nicht etwa Personen gleich zu behandeln, sondern (unterschiedliche!) Sachverhalte: A hat ein Grundstück geerbt, und B ein Sparbuch, was nach der (vom VfGH für gleichheitswidrig gehaltenen) Rechtslage zu unterschiedlichen Steuerfolgen führte. Der Gleichheitssatz in Art. 7 B-VG erfordert aber nur, dass Personen (ohne Ansehen ihres Standes, ihres Geschlechtes, ihrer Person, etc.) vor dem Gesetz gleich seien; dass zwei an sich unterschiedliche Sachverhalte gleichbehandelt werden müssen, geht aus ihm nicht hervor.
  5. vgl. VfSlg 15.632/1999
  6. Die Vermutung der Menschenrechtswidrigkeit stützt sich einerseits auf das Faktum, dass die nunmehrige Rechtslage die Selektion, Zerstörung und Kryokonservierung menschlicher Embryonen gestattet, obwohl der VfGH selbst in VfSlg 15.632/1999 die Auffassung vertreten hatte, dass diesbezügliche ethisch/moralische Bedenken das Verbot derartiger Praktiken rechtfertigten; es ist aber seit 1999 kein technologischer Fortschritt eingetreten, der – etwa, indem er die Vermeidung solcher Verfahrensschritte ermöglichte – diese Bedenken heute obsolet erscheinen ließe. Andererseits lässt die nunmehr entstandene Rechtslage auch sämtliche wichtigen Belange des in vitro gezeugten Kindes außer Acht; vgl. hierzu Abschnitt 5 des vorliegenden Beitrags.
  7. Das zu G 16/2013 protokollierte Gesetzesprüfungsverfahren geht auf einen Antrag des OGH zurück, von dem in Rz 8 der VfGH-Entscheidung längere Passagen wiedergegeben werden.
  8. Formulierungen in Rz 31, 32, 39, 40, 41, und 42 der Entscheidung lassen anklingen, dass zumindest die verfahrenseinleitenden Anträge einen Vergleich zwischen (nicht registrierten) homosexuellen Partnerschaften und der Ehe herstellen wollten; die rechtlichen Ausführungen des VfGH sind freilich so allgemein gefasst, dass sich nicht recht erschließt, was womit verglichen wird.
  9. vgl. z. B. EuGHMR, Burden gg. Vereinigtes Königreich (13378/05), § 63; Gas und Dubois gg. Frankreich (25951/07), § 68; jeweils m. w. N.
  10. Wie der VfGH auch in der vorliegenden Entscheidung (Rz 27) ausführt, soll ein Normenkontrollverfahren dazu führen, „die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorläge – zu beseitigen“, wobei „der nach Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage notwendig ist.“ Von diesen Vorgaben scheint die Entscheidung jedoch in zweifacher Hinsicht abzuweichen: denn einerseits scheint bei genauerem Hinsehen die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht vorzuliegen, andererseits hätte man die (vermeintliche) Diskriminierung beseitigen können, ohne deswegen gleich die grundlegenden ethischen Wertungen des Gesetzes infrage zu stellen.
  11. EuGHMR, X. und andere gg. Österreich (19010/07), insb. §§ 130, 134, 136, 141, 151
  12. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob in Österreich für Homosexuelle die Möglichkeit der sog. „Stiefkindadoption“ geschaffen werden müsse, d. h. die Möglichkeit, das leibliche Kind eines gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten zu adoptieren. Der EuGHMR bejahte dies, da er eine ungerechtfertigte Diskriminierung gleichgeschlechtlicher im Verhältnis zu verschiedengeschlechtlichen (nichtehelichen) Lebensgemeinschaften zu erblicken vermeinte. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass bereits die Ausgangsfrage falsch gestellt war: Das österreichische Recht kennt nämlich den Begriff einer „Stiefkindadoption“ gar nicht, sodass insofern auch kein „Recht“ besteht, in Bezug auf welches jemand diskriminiert sein könnte. Tatsächlich sieht das ABGB nur die Adoption durch Ehepaare (die aber als Vergleichsobjekt für den Diskriminierungsvorwurf nicht in Betracht kam, weil, wie bereits erwähnt, die Judikatur des EuGHMR eine Besserstellung der Ehe gestattet) oder durch Einzelpersonen vor. Die sog. „Stiefkindadoption“ ist daher in Wirklichkeit ein Sonderfall der Adoption durch eine Einzelperson. In Bezug auf ein Recht (sofern es sich überhaupt um ein solches handelt), das nur durch Einzelpersonen ausgeübt werden kann, ist aber eine „Diskriminierung“ bestimmter Zweiergemeinschaften gegenüber bestimmten anderen Zweiergemeinschaften bereits begrifflich ausgeschlossen. Des Weiteren ist festzuhalten, dass nach der (auch damaligen) österreichischen Rechtslage Homosexuelle nicht von der Möglichkeit Kinder zu adoptieren ausgeschlossen waren; eine „Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung“ konnte also auch aus diesem Grund nicht vorliegen. Das eigentliche Hindernis für die von der Antragstellerin angestrebte Adoption des leiblichen Kindes ihrer Lebensgefährtin lag in Wirklichkeit nicht in ihrer sexuellen Orientierung begründet, sondern nur darin, dass nach (damaligem) österreichischem Recht eine Adoptivmutter nur an die Stelle der natürlichen Mutter bzw. ein Adoptivvater nur an die Stelle des natürlichen Vaters treten konnte; eine Adoption, bei der der natürliche Vater durch eine Frau ersetzt worden wäre, war demnach unzulässig. Mit der „sexuellen Orientierung“ des (oder der) Adoptionswilligen hat dies freilich nichts zu tun, sondern nur mit seinem (bzw. ihrem) Geschlecht. Doch auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts lag mit Sicherheit nicht vor, da Männer und Frauen genau gleich behandelt wurden. Die Entscheidung des EuGHMR erweist sich daher als verfehlt.
  13. Cornides J., Das Verbot der Eizellspende als „Diskriminierung“, Zeitschrift für Lebensrecht (ZfL) (2010); 4:, 106-117, vgl. insb. S. 114 ff.
  14. Mozart W. A., Brief an seine Schwester, 18. August 1784, (vgl. Schiedermair L., Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie, Band 2, München/ Leipzig (1914), S. 260-262)
  15. Wiedergegeben in Rz 9 der hier besprochenen VfGH-Entscheidung
  16. vgl. § 2 (2) FMedG
  17. So der in Rz 12 der Entscheidung auszugsweise wiedergegebene, von RA Dr. Graupner im Namen zweier Antragstellerinnen eingebrachte Gesetzesprüfungsantrag (dort unter Abschnitt 30)
  18. ebd., Abschnitt 54
  19. EuGHMR, S. H. u. a. gegen Österreich (57813/00)
  20. vgl. Rz 46 in der hier besprochenen Entscheidung
  21. EuGHMR, S. H. u. a. gegen Österreich (57813/00), § 97
  22. Wiedergegeben in Rz 9 der hier besprochenen VfGH-Entscheidung
  23. vgl. den in Rz 12 der Entscheidung auszugsweise wiedergegebenen Gesetzesprüfungsantrag (dort unter Abschnitt 33)
  24. OGH, 1Ob 91/99k, 25. 5. 1999
  25. Eine Mitarbeiterin von IMABE, die diesen Aufsatz korrigiert hat, macht mich darauf aufmerksam, dass die hier geschilderten Sachverhalte offenbar keineswegs so lebensfern sind, wie ich dachte (bzw. hoffte). Die britische Tageszeitung „The Guardian“ vom 8. April 2002 berichtet von zwei tauben lesbischen Frauen, die sich an eine reproduktionsmedizinische Klinik mit dem Wunsch wandten, ihnen ein ebenfalls taubes Kind zu verschaffen. Als Samenspender komme daher nur ein Gehörloser in Betracht.
  26. Dass das Kind grundsätzlich ein Recht darauf hat, mit seinen biologischen Eltern aufzuwachsen, ist im internationalen Recht anerkannt. So bestimmt z. B. Art. 24.3 der EU-Grundrechtecharta: „Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen“. Es ist erstaunlich, dass der VfGH in der vorliegend erörterten Entscheidung das Thema der Samenspende abhandelt, ohne auch nur mit einem Wort auf diese Bestimmung einzugehen.
  27. EuGHMR, Parillo gegen Italien (46470/11)

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