Endokrine Disruptoren - ein außer Kontrolle geratenes Experiment?
Zusammenfassung
Endokrine Disruptoren (EDCs) sind Verbindungen, die in das endokrine System eingreifen, dessen Funktion unterbrechen und zu gesundheitlichen Schäden führen können. Zu dieser Substanzgruppe gehören Hormone, Verbindungen in Plastik sowie Pestizide. Seit 1950 sind negative Auswirkungen dieser Ökotoxide auf die Fertilität der Tiere bekannt. In den letzten Jahren werden diese auch mit gesundheitlichen Schädigungen des Menschen in Verbindung gebracht wie Fertilitätsstörungen, negative Auswirkungen auf Schilddrüsen- und Hirnfunktion und erhöhtes Krebsrisiko. Diese neuen Erkenntnisse haben jüngst weltweit zu Diskussionen hinsichtlich neuer Gesetze und regulatorischer Richtlinien geführt. Im folgenden Artikel sollen die wesentlichen toxikologischen und ethischen Herausforderungen diskutiert werden insbesondere in Bezug auf den kumulativen Effekt, dem Verlust der Wirkschwelle, der Auswirkung auf die Nachkommen und das Verschwinden der Trennlinie zwischen Mensch und Tier.
Schlüsselwörter: Endokrine Disruptoren, kumulative Effekte, Transgenerationeneffekt, Tierethik, Umweltethik
Abstract
Endocrine disrupting chemicals (EDCs) refer to a spectrum of compounds that interfere with the endocrine system, disrupt its normal function, and can lead to health problems. Hormones, plastic compounds, and pesticides are some examples of these compounds. The adverse effects of EDCs on animal reproduction have been known since 1950. In recent years, there has been growing evidence of their adverse effects on human reproduction, thyroid function, brain function, and an increased risk of cancer. This new evidence has resulted in worldwide discussions regarding new laws and regulatory guidelines. In this article, the main toxicological as well as ethical challenges posed by EDCs will be discussed, particularly regarding their cumulative effect, the absence of an effective dose level, the trans-generational effects, and the blurring of the dividing line between humans and other creatures.
Keywords: endocrine disrupting chemicals, cumulative effects, trans-generational effects, animal ethics, environmental ethics
„Im Menschen hat die Natur sich selbst gestört und nur in seiner moralischen Begabung…einen unsicheren Ausgleich für die erschütterte Sicherheit der Selbstregulierung offengelassen“1 – so schrieb Hans Jonas vor mehr als 30 Jahren.
In diese Selbstregulierung hat der Mensch in den letzten Jahrzehnten mit einer Selbstverständlichkeit eingegriffen, ohne zunächst zu merken, dass er in ein globales Experiment mit massiven Auswirkungen auf die Natur involviert ist. Dies betrifft vor allem den Bereich der Ökotoxizität. Niemals zuvor wurden so viele Schadstoffe in einem vergleichbaren Ausmaß und mit derartiger Geschwindigkeit dem Ökosystem zugeführt.2 Dass dies meist ohne direkte Absicht – zumindest was die Sicherheit des Menschen anbelangt – geschehen ist, entschuldigt nicht. Denn die Konsequenzen sind schon lange sichtbar und bekannt – allerdings nicht beim Menschen, sondern in der Tierwelt. Da allerdings die Schädlichkeit für den Menschen bisher nicht wissenschaftlich erwiesen war, wurde und wird die Natur weiter (aus)genützt, ohne sich um andere Lebensformen zu kümmern.
Wie irreführend diese abwartende Schlussfolgerung ist, zeigt sich nun insbesondere in Bezug auf eine Substanzgruppe, die als endokrine Disruptoren (EDCs = endocrine disrupting chemicals) bezeichnet werden. Dazu gehören so unterschiedliche Substanzgruppen wie pharmazeutische Produkte (z. B. Östrogene, wie das in Kontrazeptiva enthaltene Ethinylestradiol (EE2), Hormone in der Tiermedizin, Antibiotika und Cytotoxine), das im Plastik enthaltene Bisphenol A, durch den Autoverkehr verursachte polyzyklische aromatische Hydrocarbone, Produkte in Textilien, Pestizide, Metalle, Lebensmittelzusatzstoffe, Kosmetika oder das Desinfektionsmittel Triclosan, aber auch natürliche Substanzen wie Phytoöstrogene. Diese Verbindungen greifen sowohl im Menschen als auch bei fast allen Lebewesen in das sogenannte endokrine System ein. Dieses ist zusammen mit dem Nervensystem verantwortlich für die innere Stabilität plurizellulärer Lebewesen. Das endokrine System wird reguliert durch hochaktive Substanzen, die Hormone.
Schädigungen durch EDCs, wie beispielsweise durch die Einnahme des synthetischen Östrogens Diethylstilbestrol zur Verhütung von Schwangerschaftskomplikationen, sind bereits seit 1950 bekannt.3 Allerdings dauerte es noch 40 Jahre, bis Theo Colburn den Begriff der „endocrine disruptor chemicals“ (EDC) für hormonell aktive Umweltschadstoffe prägte.4 Noch 2002 wurde in einem Bericht der WHO zu EDCs erklärt, dass es nur wenige Beweise gäbe, die auf eine Gesundheitsgefährdung des Menschen hinweisen. Hingegen sei ausreichend bewiesen – auch durch Laboruntersuchungen –, dass es zur Schädigung des endokrinen Systems in der Tierwelt kommt.5 Mittlerweile werden EDCs von der Europäischen Umweltbehörde, der Europäischen Kommission und der Endocrine Society mit einer Reihe von gesundheitlichen Schädigungen des Menschen in Zusammenhang gebracht, wie Fertilitätsstörungen, Missbildungen bei Nachkommen, Entwicklungsstörungen, negative Auswirkungen auf die Schilddrüsenfunktion, auf den Metabolismus und erhöhte Risiken der Krebsentstehung in hormonabhängigen oder hormonproduzierenden Organen.6
Die brennende Aktualität und globale Dringlichkeit des Themas EDCs hat jüngst zu heftigen Diskussionen auf wissenschaftlicher und behördlicher Ebene geführt: Ein Bericht der WHO und UNEP Ende 2012/Anfang 2013 veröffentlicht durch Ake Bergman et al.7 bringt EDCs mit erhöhtem Krebsrisiko sowie mit gesundheitlichen Problemen der Schilddrüse, des Gehirns und Fertilitätsstörungen in Verbindung. Daraufhin unterzeichnen im Mai 2013 89 Wissenschaftler die sogenannte „2013 Berlaymont Declaration on Endocrine Disruptors“.8 Darin ist zu lesen, dass die europaweite Zunahme an hormonellen Erkrankungen nicht nur durch genetische Vorbedingungen und Lebensstil erklärt werden könne. Im März 2013 wurde von der EFSA die „Scientific Opinion on the hazard assessment of endocrine disruptors” publiziert,9 die zwischen endokrin aktiven Verbindungen und EDCs unterscheidet. Daraufhin warf PAN Europe (The Pesticide Action Network Europe) in einem offenen Brief dem Kommissar für Gesundheit und Konsumentenschutz Tonio Borg vor, für die Industrie Gesetzeslücken zu schaffen, da die EFSA einen Nachweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen endokriner Aktivität und unerwünschter Wirkung verlangt, in den Pestizid/Biozid Gesetzen aber nur die Möglichkeit einer negativen Auswirkung auf die Gesundheit genügt, um die Chemikalien aus dem Verkehr zu ziehen.10 In einem Brief an Professor Anne Glover, der wissenschaftlichen Beraterin des Präsidenten der Europäischen Kommission warnen 81 Wissenschaftler ausdrücklich vor neuen europäischen Regularien, die es als unmöglich ansehen, einen Schwellenwert oder einen sicheren Grenzwert für EDCs zu definieren. Dies würde die gegenwärtigen wissenschaftlichen und regulatorischen Praktiken auf den Kopf stellen und das traditionell akzeptierte Wissen der Toxikologie ignorieren.11 Diese neuen Standards würden außerdem weitreichende Folgen für die Gesellschaft und unsere Gewohnheiten haben. Eine für Dezember 2013 geplante Publikation der EU zur Definition der EDCs wurde von EU Umweltkommissar Janez Potocnik verschoben. Auf Initiative Frankreichs wurde die EU im Juni dieses Jahres jedoch wieder zu vereintem Handeln in Bezug auf EDCs aufgerufen.12
Hier geht es um mögliche Änderungen unseres täglichen Lebensstils. Die erste Frage an uns lautet: Wollen wir lieb gewonnene Gewohnheiten ändern, um uns und unsere Mitmenschen vor krankmachenden Chemikalien zu schützen? Die zweite Frage lautet und sie ist mit der ersten untrennbar verwoben: Wollen wir auch unsere Gewohnheiten ändern, um Tiere und die unbelebte Natur zu bewahren? Denn hätten wir den stummen Appell der Tiere und der Natur früher gehört, wäre der Natur, aber auch uns viel erspart geblieben. Diese Erkenntnis des „Fast zu Spät-Seins“ aber fordert ein radikales Umdenken aus ethischer Perspektive. In diesem Artikel sollen die wesentlichen Herausforderungen der herkömmlichen Toxikologie und Ethik andiskutiert werden. Eine vollständige Darstellung des komplexen Themas ist im Rahmen dieser Publikation nicht möglich.
Der kumulative Effekt
In konventionellen Toxikologiestudien wurden bisher meist nur Effekte einzelner Substanzen untersucht. Tatsächlich ist aber der Organismus immer vielen Substanzen gleichzeitig ausgesetzt. Verbindungen, die für sich allein keine toxischen Wirkungen zeigen, können, wenn Mensch und Tier diese gleichzeitig zu sich nehmen, zu synergistischen oder additiven schädlichen Effekten führen – auch kumulative Effekte oder Cocktaileffekt genannt. Diese kumulierten Expositionen werden in der klassischen Risikobewertung kaum beachtet.
EDCs kommen in vielen alltäglichen Gebrauchsgütern, in Lebensmitteln, in Arzneimitteln und in den Gewässern vor. Wenn diese Verbindungen einmal in der Umwelt vorhanden sind, können sie durch Luft und Wasserströmungen in die entferntesten Regionen kommen.13 Durch die Nahrungsmittelkette können abbauresistente EDCs in großen Mengen in Mensch und Tier angereichert werden. Auch wenn diese rasch abgebaut werden, kann eine regelmäßige Kontamination z. B. von landwirtschaftlichen Abflüssen zu hohen Konzentrationen führen. EDC-Exposition geschieht durch Aufnahme von Nahrungsmitteln, Staub und Wasser sowie durch Einatmung von Gasen und Partikeln über die Luft und Resorption über die Haut. Tierstudien zeigen, dass die kombinierte Verabreichung von EDCs zu additiven Effekten führt. Dies ist sogar der Fall, wenn die einzelnen Stoffe nur in ganz geringen Konzentrationen vorkommen und selbst keine schädlichen Effekte aufweisen.14 Zurzeit gibt es allerdings kaum Daten zur Auswirkung des EDC-Cocktails auf Mensch und wildlebende Tiere. Einen ersten neuen Ansatz findet man bei der Dänischen Umweltbehörde, die verschiedene Lebenssituationen besonders empfindlicher Personengruppen nachzuzeichnen versucht und realistische Expositionsszenarien mit Hilfe ausgewählter Alltagsprodukte zugrunde legt. Erste Erkenntnisse zeigen, dass nicht nur die Exposition über Nahrung und Innenraumluft, sondern auch der direkte Kontakt mit Kosmetika, Spielzeug oder Textilien zum Gesamtrisiko beiträgt.15 Der Östrogencocktail, den wir täglich genießen, besteht je nach geographischer Versorgungslage aus einer Mischung von landwirtschaftlichen Düngemitteln, Östrogenausscheidungen von Viehbestand, das mit Hormonen behandelt wurde, Plastikzusätzen, mit Chemikalien und Arzneistoffresten angereicherte Abflüsse, die ins Grundwasser gelangen. So werden Antiepilieptika, Antidepressiva, aber vor allem das in der Antibabypille vorkommende EE2 als wirksame EDCs angeführt.16
EE2 ist ein anschauliches Beispiel, wie schwierig es ist, sowohl von toxikologischer als auch ethischer Seite mit dem Problem Akkumulation umzugehen. Pillenbefürworter betonen, dass das EE2 aus den Kontrazeptiva nur einen verschwindend kleinen Mengenanteil der EDCs in den Gewässern ausmacht.17 Pillengegner betonen hingegen, dass EE2 schon in geringsten Dosen hochwirksam ist und schädliche Auswirkungen auf die Umwelt hat.18 Bereits 5 parts per trillion EE2, die 2001 von Forschern in einen kanadischen See eingelassen wurden, löschten eine ganze Fischpopulation aus.19 Ist also der Verwender von EE2 verantwortlich für die Fruchtbarkeitsstörungen bei Tier und Mensch?
Gerne würden wir doch eine Tat oder einen Täter für schuldig erklären und unter unsere Kontrolle bringen. Allerdings können wir im Falle der EDCs die einzelnen Ursachen nicht mehr voneinander lösen. Denn diese potenzieren sich im Netzwerk ihrer Auswirkungen. Bereits Hans Jonas hat den „kumulativen Charakter“ der modernen Technik als neue Herausforderung der Ethik gesehen: „…ihre Wirkungen addieren sich, so dass die Lage für späteres Handeln und Sein nicht mehr dieselbe ist wie für den anfänglich Handelnden, sondern zunehmend davon verschieden und immer mehr ein Ergebnis dessen, was schon getan ward. Alle herkömmliche Ethik rechnete nur mit nicht-kumulativem Verhalten. Die Grundsituation von Mensch zu Mensch, …, bleibt stets dieselbe und mit ihr fängt jede Tat von neuem an“.20 Es genügt also nicht mehr, nur die je eigene Perspektive und Ausgangslage sowie die Konsequenzen meiner eigenen Verwendung von EDCs zu verantworten, sondern ich muss daran denken, dass mein geringer Beitrag durch einen unverhältnismäßig großen Effekt zusammen mit dem Cocktail anderer EDCs möglicherweise nicht nur mein Leben und die direkt mich umgebende Umwelt, sondern auch die Lebenssituation anderer Menschen, zukünftiger Generationen und anderer Spezien verändert. Diese Effekte sind z. T. unumkehrbar und verlangen von meiner Umwelt, durch immer neue Entscheidungen mit immer neuen bisher nicht erfahrenen Situationen fertig zu werden.
Und Jonas fährt fort: „Aber die kumulative Selbstfortpflanzung technologischer Veränderung der Welt überholt fortwährend die Bedingungen jedes ihrer beitragenden Akte und verläuft durch lauter präzedenzlose Situationen, für die die Lehren der Erfahrung ohnmächtig sind“.21 Um also verantwortlich mit EDCs umgehen zu können, müssten wir jedes Mal mitbedenken, was der weggeworfene Plastiksack, die Einnahme von Hormonen, das Wegwerfen von Textilien und Metallen nicht nur für mich und meine nächste Umgebung, sondern auch global und für die Zukunft bedeuten könnte. Eine Frau, die Kontrazeptiva mit EE2 einnimmt, trägt mit ihrer Einnahme möglicherweise nicht nur zu ihrer eigenen Unfruchtbarkeit, sondern zur unerwünschten Kinderlosigkeit vieler Paare sowie zu unerwünschten Effekten ihrer und vieler Kinder und Enkel bei. Nur: Wie kann ich für etwas verantwortlich sein, das ich nicht sicher weiß? Jonas spricht in diesem Zusammenhang von der „Anerkennung der Unwissenheit“ als einem Teil der Ethik.22 Derzeit vorherrschende Ethikperspektiven wie der Utilitarismus bedingen starre Regeln und gehen von zu berechnenden, quantifizierbaren Konsequenzen aus der Perspektive der 3. Person aus. Im Fall der EDCs ist der Einzelne je aus seiner Perspektive (erste Person) gefragt, aus dem „hier und jetzt“ ohne berechnende Gewissheit der Konsequenzen umwelt- und kontextgemäß zu handeln. Und dies nicht nur in Relation zum Menschen, sondern auch zum Tier und zur Umwelt allgemein. Ich muss davon ausgehen, dass meine auch noch so unbedeutende Handlung einem kleinen Schneeball gleicht, für den es immerzu möglich sein kann, zusammen mit anderen Handlungen eine Lawine auszulösen. Das derzeit ungenügende Wissen um die Folgen sowie den möglichen Beitrag des Einzelnen zur Gefährdung der Umwelt und damit auch zur gesundheitlichen Gefährdung der Menschen erfordern gesetzliche Vorsichtsmaßnahmen. Vor allem aber wird uns unsere derzeitige Unwissenheit bewusst, wenn es um die Bestimmung einer Wirkschwelle geht, unter der eine Substanz gesundheitlich unbedenklich ist.
Der Verlust der Wirkschwelle
Seit Paracelsus gilt, dass allein die Dosis das Gift macht. Toxikologische Studien in Tieren, die von internationalen Guidelines für Chemikalien und Pharmazeutika zur Ermittlung des Risikos für den Menschen vorgeschrieben werden,23 ermitteln einen sogenannten „no observed-adverse effect level“ (NOAEL), bei dem keine schädliche Wirkungen im Tier beobachtet werden. Dieser Wert wird dann mittels eines Faktors, der die äquivalente Dosis der jeweiligen Spezies berücksichtigt, auf Mensch und wildlebende Tierwelt extrapoliert. Dabei wird ein Schwellenwert angenommen, unter dem die Dosis eines Stoffes als sicher gilt. Zusätzlich wird mit einem linearen Dosis-Wirkungsverlauf gerechnet.
EDCs haben allerdings nach neuen Studien keinen Schwellenwert, sondern Effekte bereits in niedrigen Dosen, die nicht durch Effekte in höheren Dosen vorhersagbar sind, da die Dosis-Wirkungskurven nicht linear sind. Von epidemiologischen Studien weiß man, dass Effekte bei Mensch und Tier auch bei kleinsten Dosen von EDCs auftreten. Ein Review der Tufts Universität beinhaltet ca. 30 verschiedene EDCs wie Bisphenol A (BPA), das Herbizid Atrazin und das Desinfektions- und Konservierungsmittel Triclosan, deren Niedrigdosiseffekte sich signifikant von ihren Wirkungen in höheren Dosen unterscheiden.24 Niedrige Dosen von BPA, das in unzähligen Produkten vorkommt und unter normalen Bedingungen sich aus diesen löst und damit in Lebensmittel und Getränke gelangt und dessen Metaboliten sich im Harn eines Großteils der Bevölkerung der Industrienationen finden, führen in Nagerstudien zu schädigenden Wirkungen an der Prostata. Wenn das BPA in den ersten Entwicklungsphasen der Nager gegeben wurde, führte dies bei den geschlechtsreifen Tieren zu gehäuftem Prostatakrebs.25 BPA führt in niedrigen Dosen zu Brustkrebs, Verhaltensänderungen und Wirkungen auf das Gehirn, wenn die Nager bereits als Föten oder in frühen postnatalen Entwicklungsstadien der Chemikalie ausgesetzt waren.26 Atrazin, ein Pestizid, das am häufigsten im Grund- und Trinkwasser gefunden wird, zeigt Niedrigdosiseffekte in Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetieren sowie menschlichen Zelllinien.27 Dazu gehören die Verweiblichung männlicher Tiere, ein Anstieg der Umwandlung von Testosteron zu Östrogen, ein Abfall von Androgensynthese und – aktivität, antiöstrogene Wirkung, erhöhte Glucocorticoidausschüttung sowie Wirkungen auf das Immunsystem und die Schilddrüsenhormone.28 Die geringste Dosis an EDCs erzeugt also schon signifikante negative Effekte.
Ist somit auch jede meiner Handlungen, mit der ich zur weiteren Verbreitung der EDCs beitrage, eine ethisch unrechte Handlung? Ethisches Handeln hat mit freiem Willen und mit meiner inneren Absicht zu tun. In unserem täglichen Leben erfahren wir uns als Gefangene im globalen Experiment der EDCs, bei dem wir gezwungenermaßen mitmachen müssen. Hans Jonas bezeichnet dies als „enorme Entmündigung des Einzelnen durch den – faktischen und psychologischen Massenzwang der technologischen Ordnung“.29 Unsere Zwangslage ergibt sich daraus, dass bloße Mittel zum Ziel unseres Lebens geworden sind und uns eine Utopie der Freiheit vorgaukeln. Plastik ist mit dem Ziel der Bequemlichkeit, Pestizide mit dem Ziel der Produktionssteigerung und EE2 mit dem Ziel flexibler Fertilität und Lusterfüllung auf das engste verknüpft. In der „Eroberung der Natur“ ist nun allerdings der Mensch und mit ihm zuerst auch die Tierwelt zum bloßen Mittel geworden.30 Aber nicht nur unser Wollen unterliegt einer psychologischen Zwangsjacke. Die Spezialisierung des Wissens macht uns höchstens zu Zuschauern des Wissens und schließt Laien von jeder Kontrolle und Voraussicht aus.31 Ist dann der Versuch der Vermeidung von EDCs völlig sinnlos? Obwohl Hans Jonas eindringlich die Ohnmacht des Menschen gegenüber dem technischen Fortschritt beschreibt, sieht er die Chance im Mut zur Verantwortung, die sowohl von Hoffnung als auch Furcht getragen ist. So schreibt Hans Jonas: „Als Potential aber steckt die Furcht schon in der ursprünglichen Frage, mit der man sich jede aktive Verantwortung beginnend vorstellen kann: was wird ihm zustoßen, wenn ich mich seiner nicht annehme? Je dunkler die Antwort, desto heller gezeichnet die Verantwortung. Und je weiter noch in der Zukunft, je entfernter vom eigenen Wohl und Wehe und je unvertrauter in seiner Art das zu Fürchtende ist, desto mehr müssen Hellsicht der Einbildungskraft und Empfindlichkeit des Gefühls geflissentlich dafür mobilisiert werden.“32 Konkret heißt dies für die Politik, dass allein der Verdacht der Schädlichkeit von EDCs für die Umwelt und für kommende Generationen genügen muss, um deren Einsatz zu verbieten. Mit Furcht meint Hans Jonas nicht Ängstlichkeit, die allen Gefahren aus dem Weg geht, sondern das aufmerksame Leben in Ehrfurcht vor dem Menschen, seiner Zukunft und dem aller Lebewesen. Und damit beginnt das ethische Leben im bewussten Verzicht und der Vermeidung einiger Bequemlichkeiten wie in Plastik verpackte Lebensmittel, der bewussten Vermeidung von mit Pestiziden behandelten Lebensmitteln, der überlegten Verschreibung und Einnahme von Arzneimitteln. Aus dieser einfachen Übung wird mein Denken und Wollen geformt. Wenn sich dieser einfachen Übung viele anschließen, wird daraus ein Prozess, der das Experiment mit den EDCs stoppt. Dies ist eine Ethik der geduldigen, kleinen Schritte, die auch mein Denken und Wollen umformt.
Es ist möglicherweise ein Verzicht, ohne den Erfolg selbst noch zu erleben. Neben dem Mut zum Maß ist ein Respekt und eine Hoffnung gefragt, die räumlich und zeitlich über mich zum ganz Anderen hinausreichen: räumlich, weil es außer dem Menschen auch Tier und Umwelt betrifft, zeitlich, weil es auch und vor allem die Nachkommen betrifft. E. Levinas drückt dies so aus: „Wer darauf verzichtet, den Erfolg seines Werks zu erleben, hat diesen Sieg in einer Zeit ohne das Ich; er zielt ab auf diese Welt ohne Ich, er intendiert eine Zeit jenseits des Horizontes seiner Zeit. Eschatologie ohne Hoffnung für sich oder Befreiung von meiner Zeit (…) Daß die Zukunft und die entferntesten Dinge die Regel seien für alle gegenwärtigen Tage“. Dies ist kein banaler Gedanke, …, sondern Übergang zur Zeit des Anderen … Sein-zum-Tode, um zu sein für-das-was-nach-mir-ist“.33 Levinas Aussage mag uns als zu radikales Plädoyer gegen Autonomie und Selbstsorge erscheinen. Sieht man sich jedoch die möglichen Auswirkungen der EDCs auf unsere Nachkommen an, ist der Ruf nach dem Loslassen des Ich um der Zukunft des Menschen und des Planeten willen mehr als gerechtfertigt.
Die Auswirkung auf die Nachkommen
Die letzten zehn Jahre haben mehr und mehr verdeutlicht, dass eine EDC-Exposition während der Entwicklungsperiode des Fötus und während der Pubertät zu einem verstärkten Auftreten von Fertilitätsstörungen, Krebserkrankungen hormonaler Ursache, Verhaltens- und Lernproblemen (wie ADHD), Infektionserkrankungen, Asthma und möglicherweise Diabetes führt.34 Während beim Erwachsenen die Auswirkungen der EDCs nur spürbar sind, solange diese einer EDC Quelle ausgesetzt sind, kann eine Exposition während der Entwicklungsphase (im Mutterleib, in früher Kindheit und Pubertät) zu anhaltender Schädigung führen. Diese gesundheitsschädlichen Wirkungen machen sich erst Jahrzehnte später bemerkbar.
Warum dies so ist, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschungen. Beispielsweise werden Imidazole und Triazole weltweit als Fungizide in der Landwirtschaft und medikamentös zur Behandlung von Pilzerkrankungen verwendet.35 Der Wirkmechanismus basiert auf der Hemmung des Enzyms CYP51, das Lanosterol in Ergosterol in den Zellmembranen der Pilze umwandelt. Leider ist die Wirkung nicht auf Pilzenzyme beschränkt, sondern diese Verbindungen können auch andere Cytochrom P450 Enzyme in Mensch und Tier beeinflussen, die in die Biosynthese und in den Metabolismus der Steroidhormone involviert sind. Dieses Wissen hat allerdings bisher zu keinen praktischen Konsequenzen geführt: Obwohl Prochloraz in Nagerstudien eine Verweiblichung und Fehlbildungen der Sexualorgane beim männlichen Nachwuchs nach Exposition des trächtigen Muttertieres gezeigt hat, ist diese Verbindung weiterhin zum Einsatz in der Landwirtschaft in der EU zugelassen.36
Manche EDCs zeigen aber auch einen längerfristigen, irreversiblen Effekt über mehrere Generationen: Das heißt, dass die EDC-Exposition während der Schwangerschaft sich nicht nur auf die direkten Nachkommen auswirken kann, sondern auch auf den Nachwuchs dieser Nachkommen. Die Zunahme an EDC bedingten Erkrankungen heute könnte also zum Teil durch die EDC-Exposition unserer Großeltern verursacht worden sein.37 Dieser Mechanismus wird auch als epigenetischer Transgenerationeneffekt bezeichnet, der durch Änderungen der DNA Methylierung in der Keimbahn hervorgerufen wird.38 Auslöser dieses Phänomens sind z. B. die Pharmazeutika Diethylstilbestrol und Flutamide, aber auch das Fungizid Vinclozolin, das eine antiandrogene Wirkung besitzt. Wird einer trächtigen Ratte dieses landwirtschaftliche Pestizid zugeführt, zeigen sich Defekte der Spermatogenese über 4 Generationen, vermehrtes Auftreten von Tumoren, Erkrankungen der Prostata und Niere, Störungen des Immunsystems und Veränderungen im Verhalten.39
Diese Auswirkungen auf die 4. Generation – werden sie unser kurzfristiges Denken und Planen in Politik und Gesellschaft langfristig ändern? Die Idee der Reziprozität von Rechten und Pflichten, auf denen bisher unser gesellschaftliches Leben gründete, hilft uns in diesem Fall nicht mehr weiter. Denn der Anspruch auf ein Recht und ein gesundes Dasein beginnt erst mit dem Beginn des Lebens. Um es mit E. Levinas zu sagen, verlangt heutiges verantwortliches Handeln den Verzicht darauf, noch in meinem Leben den Erfolg meines Einsatzes zu sehen. Dies scheint etwas ganz Neues für eine dem Diktat des raschen Erfolgs und Gewinns ausgerichtete Gesellschaft zu sein. Oder vielleicht doch nicht?
H. Jonas weist darauf hin, dass es auch in der derzeitigen Ethik „einen Fall elementarer nicht-reziproker Verantwortung und Pflicht“ gibt, nämlich die gegenüber unseren Kindern.40 Dieses völlig spontane, selbstlose Verhalten ist uns von der Natur her gegeben. „Hier ist der Archetyp alles verantwortlichen Handelns, der zum Glück keiner Deduktion aus einem Prinzip bedarf, sondern uns (oder wenigstens dem gebärenden Teil der Menschheit) von der Natur mächtig eingepflanzt ist“.41 Diese Erinnerung an den Ursprung verantwortlichen Denkens stimmt gerade im Zusammenhang mit den EDCs nachdenklich. Denn Mütter sind nicht nur oft die einzigen, die völlig selbstlos ihr Leben den Kindern widmen, sie prägen auch das Verhalten der Nachkommen nachhaltig im Konsum und Umgang mit Lebensmitteln. Ein Umstand ist allerdings nicht zu übersehen: Mütter (und Väter) werden nicht nur zahlenmäßig in Europa immer geringer, auch die Zeit, die sie den Kleinen widmen, nimmt immer mehr ab. Ihre Zeit gehört mehr und mehr dem Beruf und nicht dem Nachwuchs. Statt bewusstem Nahrungsmitteleinkauf und liebevoller, bewusster Zubereitung des Essens wird das mit Lebensmittelzusatzstoffen und Pestiziden in Plastik verpackte Fertigessen unserem Nachwuchs vorgesetzt. In den gesellschaftlichen Leitbildern ist jedenfalls maskuline Selbstbestimmung mehr gefragt als selbstlose Mütterlichkeit. Wollen wir aber unseren Nachkommen eine Zukunft ohne die Konsequenzen der EDCs geben, müssen wir mehr dem Anderen gehören, nämlich den Kindern und Kindeskindern. Im Sinne von Levinas heißt dies: „Die einzig legitime Form des Ich wird nunmehr das mit dem anderen trächtige Ich-maskuline Mündigkeit hat sich zu verlieren in die unmündige Weiblichkeit und Verletzlichkeit des Ich, in die vom anderen diktierte Weise des Seins“.42
Aber ist nicht die Pflicht gegenüber den eigenen Kindern etwas anderes als die gegenüber späteren Generationen? Und hat diese Pflicht nicht der Staat oder die Staatengemeinschaften zu leisten? Tatsächlich nimmt uns das Kind durch sein Dasein und unsere direkte Verantwortung als Eltern in die Pflicht. Ein Recht der Menschheit auf ein späteres Dasein unter zumutbaren Bedingungen ist etwas anderes. Dieses Recht übersteigt die Verantwortung des einzelnen, die herkömmliche Auffassung von Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft als Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben (Rechten und Pflichten), aber vor allem verlangt es ein Bewusstsein der Transzendenz. Wir sollen durch Vermeidung der EDCs den Menschen und der Umwelt eine Zukunft geben. Dieses Geben aber ist ein Geschenk an unsere Nachkommen, das wir selbst niemals zurückerhalten werden. Levinas benennt diese „Bewegung zum Anderen ohne Rückkehr“ mit dem Terminus „Liturgie“.43 Er stellt dem Bedürfnis in der Sorge um sich selbst das Begehren des Anderen gegenüber, „das von einem schon erfüllten und unabhängigen Seienden ausgeht und das nichts für sich selbst verlangt“.44 Dieser erfüllte Seiende aber ist ein Mensch, der sich einem Schöpfer verdankt.
Der Anspruch auf eine Zukunft der Menschheit übersteigt eine innerethische Begründung, denn hinter dem Anspruch auf Bedingungen, die den Menschen auch zukünftig gut leben lassen, steht die Frage, warum Menschen sein sollen, die Frage nach dem Sinn des Daseins. H. Jonas spricht in diesem Zusammenhang von der „Idee des Menschen“.45 „Es ist, …, eine ontologische Idee, …, die sagt, dass eine solche Anwesenheit sein soll, sie also uns, die wir sie gefährden können, zur Pflicht macht.“.46 Vielleicht tun wir uns deshalb mit dem Umweltschutz so schwer, weil wir nur für unser eigenes Bedürfnis leben, aber die Idee des Menschen, die über uns hinausweist, vergessen haben? Der Staat oder die Staatengemeinschaft wie die EU kann der „Idee des Menschen“ und der vorausschauenden Gerechtigkeit dienen, indem er Richtlinien zur Eindämmung von EDCs erlässt, wie dies hinsichtlich der Plastiksäcke im Gespräch ist. EU-Staaten sollen die Sackerl künftig verbieten dürfen.47 Allerdings geht es hier nicht nur um den Menschen, sondern auch um die Tierwelt. 95 % der Vögel an der Nordseeküste enthalten durchschnittlich 30 Kunststoffteile in ihrem Körper. Hunderttausende Meerestiere verenden jährlich aufgrund des Plastikmülls.
Das Verschwinden der Trennlinie zwischen Mensch und Tier
Ein Bericht des WWF aus dem Jahr 2011 fasst die bisher bekannten Wirkungen der EDCs auf das gesamte Ökosystem zusammen.48 Dabei wird in eindrucksvoller Weise klar, dass der Mensch nur gesund sein kann, wenn auch die ihn umgebenden Lebewesen sowie seine gesamte belebte und unbelebte Umwelt im Gleichgewicht sind. Von den Auswirkungen der EDCs sind alle 5 Klassen der Wirbeltiere betroffen wie Säugetiere, Reptilien, Amphibien, Vögel und Fische. Letztere sind nicht nur ein ideales Modell, um die Effekte der EDCs zu studieren, sondern auch ein Beispiel für das Netzwerk des Lebens, dem wir als Mensch angehören, denn Fische nehmen unsere Abwässer als Nahrung auf und sie dienen uns wiederum als Nahrung. 2010 meldete der Guardian, dass mehr als 80% des männlichen Barsches im größten Fluss von Washington DC weibliche Merkmale aufweisen und Eier produzieren. Als Verursacher steht ein Cocktail von Chemikalien aus menschlichen Abwässern unter Verdacht, bestehend aus der Antibabypille und anderen Arzneimitteln, Körperpflegemitteln (besonders jene mit Duftstoffen), Desinfektionsmitteln, Düngemitteln und Pestiziden.49 90% der Einwohner Washingtons beziehen ihr Trinkwasser aus dem untersuchten Fluss. Auch in Europa beobachtet man seit ca. 30 Jahren die Verweiblichung des männlichen Fisches und damit einen Rückgang der Fischpopulationen.
Unter dem Titel „The hidden Costs of flexible fertility“ verlangen R. Owen und S. Jobling in Nature dringend eine öffentliche Debatte, die Konzentration von EE2 im Wasser zu regulieren.50 Auf Betreiben Englands hat die Europäische Kommission Anfang 2012 beschlossen, in der Water Framework Directive EE2 zu regulieren. Bis 2021 soll die Konzentration des EE2 in Wasser auf höchstens 0.035 parts per trillion limitiert werden. Die Kosten für die Absorption durch Aktivkohle werden enorm sein (für eine Stadt mit 250.000 Einwohner 8 Millionen Euro Installationskosten plus 800.000 Euro laufende Kosten pro Jahr).
Die Effekte der EDCs beschränken sich aber nicht nur auf die Fortpflanzungsorgane der Tiere, sondern greifen auch in ihr Verhalten ein. Zum Beispiel können PCBs (Polychlorobiphenyl Verbindungen) das Fütterungsverhalten der Meeresvögel gegenüber ihrem Nachwuchs verändern. Weiters können EDCs die Effekte der Schilddrüsenhormone imitieren und insbesondere bei den Jungtieren die Entwicklung des Immunsystems beeinflussen. Nicht nur, dass ähnliche Effekte auch im Menschen beobachtet werden können, verbindet uns mit anderen Lebewesen. Auch die sogenannte Bioamplification durch die Nahrungskette illustriert die Interaktion zwischen Mensch und anderen Lebewesen. Manche Pestizide nehmen im Laufe der Nahrungskette stark an Konzentration zu. So akkumulieren Fisch- und Fleischfresser am Ende der Nahrungskette Pestizidkonzentrationen, die das 10.000fache verglichen mit dem ersten Glied der Nahrungskette, dem Zooplankton betragen.51
Wie bereits erwähnt sind die Auswirkungen der EDCs auf die Tierwelt schon seit Jahrzehnten bekannt. Aber erst jetzt, wo es vermehrt Hinweise gibt, dass die menschliche Gesundheit ernsthaft bedroht ist, werden Gesetze hinsichtlich der Einschränkung der EDCs diskutiert.
Es genügt also nicht, uns allein das zukünftige Dasein des Menschen zur Pflicht zu machen. Einer anthropozentrischen Ausschließlichkeit widerspricht die Eigenschaft von EDCs, in einem extrem weiten Spektrum an Lebewesen wirksam zu sein.52
In der thomistischen Ethik ist es die Klugheit, die uns die Wirklichkeit, so wie sie ist, erkennen und leben lässt. Tatsächlich sehen moderne Tierethiker, die eine Brücke zwischen Tier- und Umweltethik schlagen wollen, die Tugendethik als Weg der kleinen Schritte.53 Rosalind Hursthouse weist darauf hin, dass „der Stempel des moralischen Status“ der Utilitaristen völlig überflüssig wird, wenn wir uns auf das Eigentliche der Ethik, nämlich der menschlichen Handlung wieder besinnen, die nicht nur von den nicht immer berechenbaren Konsequenzen, sondern vor allem von den Umständen abhängt. Für die große Herausforderung der Umweltethik benötigen wir nicht nur eine Tugend des Mitleids und der Gerechtigkeit gegenüber Tieren, sondern alle Tugenden, also ebenso ein Maß in unserem Lebensstil und den Mut zu eigenen Entscheidungen. Denn ein „Konzept des moralischen Status“ gibt die Verantwortung an 3. Personen (z. B. Ethikkommissionen und Gesetze) ab und entzweit. Die Tugenden, weil sie in das tägliche Leben des Menschen eingebettet sind, lassen eine flexible Orientierung für den jeweiligen Kontext zu. Dies wird auch dem Verstehen einer ganzheitlich-leiblichen Konstitution des tierischen Anderen gerecht (so wie dies die Phänomenologie ausdrückt), die sich nicht berechnen und messen lässt.54
Es ist zu hoffen, dass die neuen Gesetzgebungen zur Eindämmung der EDCs auf letzteren philosophischen Erkenntnissen aufbauen werden, den Eigenwert eines jeden Lebewesen in seiner ökologischen Nische anerkennen ohne menschliche Fähigkeiten im Tier zu suchen.
Das endokrine System ist Mensch und Tier gemeinsam zur Aufrechterhaltung der inneren Stabilität. Das Tier hält instinktiv dieses hormonelle Gleichgewicht aufrecht; der Mensch aber nur, wenn er sich seiner inneren Freiheit und seiner Verantwortung gegenüber der schwächeren Natur bewusst ist.
Referenzen
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Mag. pharm. Dr. Margit Spatzenegger, Lic. bioethics
Scheibenbergstraße 38, Top 2/21, A-1180 Wien
Margit.Spatzenegger(at)gmx.net