Psychische Gesundheit österreichischer Arbeitnehmer

Imago Hominis (2014); 21(2): 99-109
Rudolf Müller

Zusammenfassung

Psychiatrische Erkrankungen sind nach wie vor die Nummer 1 bei Neuzuerkennungen von Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspensionen, wenn auch mit leicht fallender Tendenz seit 2010. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer, das Durchschnittsalter bei Zuerkennung beträgt bei Frauen 47,6 Jahre und bei Männern 48,8 Jahre. Bei den Neuzugängen zeigen sich Unterschiede je Bundesland, besonders deutlich betrifft dies das Burgenland und die Steiermark. Der medizinische Rehabilitationsbedarf ist in der Indikation „Psychiatrische Erkrankungen“ gegeben, ausreichende stationäre und insbesondere ambulante Strukturen sind noch nicht vorhanden. Ein weiterer Bedarf an entsprechenden ambulanten Rehabilitationsplätzen ist gegeben. Die Nachhaltigkeit hat sich indikationsbezogen im psychiatrischen Bereich verbessert, aber es sind noch weitere Anstrengungen zu unternehmen, um ein optimales Setting anzubieten, das einen hohen Rückkehrungsgrad in das Berufsleben gewährleistet.

Schlüsselwörter: Psychische Krankheiten, Arbeitsunfähigkeit, Berufsunfähigkeit, Invalidität, medizinische Rehabilitation

Abstract

Mental disorders continue to be the single most important factor accounting for the grant of disability and invalidity pensions, even though a slight downward trend has been observed since 2010. Women are affected significantly more often than men. On the average, women are granted a pension at the mean age of 47.6 years, men at the age of 48.8 years. There are regional differences in the number of new pensions granted, with Burgenland and Styria standing out among all Austrian Provinces. People diagnosed with mental disorders require medical rehabilitation, but there is a lack of sufficient in-patient and, above all, out-patient facilities. There is further demand for out-patient rehabilitation units. The sustainability of rehabilitation of patients with mental disorders has improved, but further efforts have to be made to provide an ideal setting that ensures a high rate of return to working life.

Keywords: Mental Diseases, Disability, Invalidity, Medical Rehabilitation


Einleitung

Eine Erhebung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger in Kooperation mit der Salzburger Gebietskrankenkasse führte zu dem Ergebnis, dass 900.000 ÖsterreicherInnen 2009 das Gesundheitssystem wegen psychischer Erkrankungen in Anspruch nahmen.

840.000 ÖsterreicherInnen bekamen Psychopharmaka, wobei in 70% die Erstverschreibung beim niedergelassenen Allgemeinmediziner erfolgte. Dadurch wurden Kosten von ca. 120 Millionen Euro pro Jahr verursacht. Erwähnenswert ist auch der Umstand, dass 4% der Alterskategorie <19 Jahre angehören. Mit einem Anteil von ca. 66% rangiert die Verschreibung von Antidepressiva an erster Stelle.1

130.000 ÖsterreicherInnen befanden sich in Psychotherapie, ca. 78.000 im Krankenstand, und es gab 87.000 Spitalsentlassungen wegen psychischer Erkrankungen bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 15,1 Tagen/Fall, was mehr als das Doppelte des Durchschnitts aller Krankenhausaufenthalte von 6,7 Tagen/Fall bedeutet. Alleine die Kosten für die Krankenbehandlung im Bereich der psychischen Erkrankungen betrugen 2009 ca. 750 Millionen Euro.

Epidemiologie der Depression

Nach Schätzungen der WHO leiden weltweit ca. 450 Millionen Menschen unter psychischen Erkrankungen. Für Westeuropa errechneten Experten, dass jeder vierte Erwachsene in seinem Leben an einer psychischen Störung erkrankt. In Österreich leidet jeder Fünfte einmal in seinem Leben an einer Depression und jeder Sechste an einer Angststörung. Bei der Angststörung kann bei bis zu 80% der PatientInnen zusätzlich eine weitere psychiatrische Diagnose, meist die einer Depression bzw. einer Erkrankung aus dem Spektrum der Angsterkrankungen, gestellt werden.2

Weltweit haben ca. 16 – 20% der Menschen einmal im Leben eine klinisch relevante depressive Störung (Langzeitprävalenz), zum momentanen Zeitpunkt sind ca. 6 – 10% der Gesamtbevölkerung erkrankt (Punktprävalenz).

Das Verhältnis Frauen zu Männern beträgt in allen Altersgruppen 2:1, ca. jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Depression.4

Arbeitsunfähigkeit/Krankenstände

Die Zahl der Krankenstände wegen psychischer Erkrankungen nimmt kontinuierlich zu, besonders seit dem Jahr 2005 ist ein steiler Anstieg zu beobachten – dies ganz im Gegensatz zu den somatischen Erkrankungen, wo die Krankenstände sogar leicht rückgängig sind.

Die Krankenstandstage wegen psychischer Erkrankungen betrugen 1999 noch 1,3 Millionen Tage, 2009 waren es 2,4 Millionen Tage und 2012 bereits 3,4 Millionen Tage. Dies bedeutet eine Zunahme um das 2,5-fache in einem Zeitraum von 13 Jahren. Insgesamt stehen bei den Krankenstandstagen die Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates an erster Stelle, gefolgt von den Atemwegserkrankungen und bereits an dritter Stelle die psychischen Erkrankungen.5

Waren im Jahr 2009 ca. 78.000 ÖsterreicherInnen im Krankenstand, so erhöhte sich diese Zahl 2012 auf ca. 87.300 von insgesamt 3,7 Millionen; die durchschnittliche Krankenstandsdauer betrug im gleichen Jahr bei den somatischen Erkrankungen 11 Tage und bei den psychischen Erkrankungen 40 Tage – also knapp das Vierfache.6 Einen ähnlichen Verlauf zeigen auch die Fehltage der „Deutschen Angestellten Krankenkasse“. Die somatischen Erkrankungen zeigen in der Zeitachse von 1997 bis 2012 einen relativ konstanten Verlauf bzw. eine leichte Zunahme von 18%, während im Vergleichszeitraum die psychischen Erkrankungen als Ursache für Fehltage um 165% des Ausgangswertes zugenommen haben.7

Die deutlich verlängerte durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitsdauer bei den psychischen Erkrankungen wird in erster Linie durch die F2-Diagnosen (Schizophrenie, wahnhafte Störungen) mit ca. 53 Tagen bedingt, gefolgt von den Z73- und Z76-Diagnosen, worunter sich auch das Burnout befindet, das im eigentlichen Sinne entsprechend dem ICD-10-Code keine eigene psychische Erkrankung darstellt.

Eine überdurchschnittlich lange Arbeitsunfähigkeitsdauer findet sich auch bei den F3- und F5-Diagnosen. Den Hauptanteil aller Arbeitsunfähigkeitsdiagnosen bei den Krankenständen haben mit 53,1% die F3-Diagnosen (Affektive Störungen), gefolgt von den F4-Diagnosen mit 27,4% (Neurotische Störungen). Die F1-Diagnosen (Psychotrope Substanzen) liegen mit 10,2% an dritter Stelle.8

Entsprechend dem Österreichischen Patientenbericht „Angststörung und Depression 2009“ haben auf die Fragestellung „Wie oft pro Jahr erleben Sie Ihre Erkrankung? – Angststörung – Depression – Beides“ 65% der Befragten (n = 624) angegeben, eine Angststörung und beides öfter als 2x pro Jahr zu erleben, 63% erlebten eine Depression sowie auch eine Angststörung öfter als 2x pro Jahr. 1-2x pro Jahr werden Angststörungen mit ca. 9% angegeben, Depressionen mit 18%.9

Pensionen krankheitshalber wegen psychischer Erkrankungen

In der Pensionsversicherungsanstalt wurden 2012 insgesamt 22.433 Neuzugänge im Bereich der Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionen zuerkannt, davon 63% männlich und 37% weiblich.

Als Hauptursache waren die psychischen Erkrankungen zu finden, mit einem Anteil von 35,1% gesamt, davon 27,3% bei den Männern, bei den Frauen jedoch von 48,3%, gefolgt von den Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates mit 26,7% gesamt. Hier liegen die Männer mit 31% deutlich vor den Frauen mit 19,3%. An dritter Stelle lagen die onkologischen Erkrankungen mit 9,7%, gefolgt von den Herzkreislauferkrankungen mit 7,4% (siehe Abb. 2).10

Noch vor mehr als 20 Jahren lagen die Herzkreislauferkrankungen an erster Stelle, mit einem nicht ganz so hohen Prozentanteil wie heute die psychiatrischen Erkrankungen und wurden in weiterer Folge von den Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates und schlussendlich im letzten Jahrzehnt von den psychiatrischen Erkrankungen abgelöst.

Betrachtet man die Neuzugänge bei Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionen der Pensionsversicherungsanstalt über den Zeitraum von 2004 bis 2012 (siehe Abb. 3), kann eine Abnahme der absoluten Zahlen an Zuerkennungen in diesem Zeitraum von 28.323 im Jahr 2004 auf 22.433 im Jahr 2012 festgestellt werden. Der Anteil bei Männern hat im gleichen Zeitraum von 69 auf 63% abgenommen und jener der Frauen von 31 auf 37% zugenommen.

Betrug der Anteil aller psychiatrischen Erkrankungen von den Neuzugängen im Jahr 2004 noch 25,6%, so war er mit 35,9% im Jahr 2011 am höchsten und 2012 bei 35,1%, also leicht sinkend.

Die Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates nahmen im gleichen Zeitraum von 33,9 auf 26,7% ab, wobei der Prozentanteil seit 2007 relativ konstant ist.

Die onkologischen Erkrankungen nahmen im Vergleichszeitraum von 7,4 auf 9,7% zu, während die Herzkreislauferkrankungen von 9,4 auf 7,4% abnahmen, womit eine Umkehr der Häufigkeit bei diesen beiden Krankheitsbildern eingetreten ist.

Die neurologischen Erkrankungen als Ursache für Neuzugänge zur Alterspension krankheitshalber liegen konstant bei etwas über 4%, die pulmologischen Erkrankungen bei ca. 3,3% und die cerebrovaskulären Erkrankungen bei ca. 2,6%.12

Die geschlechtsspezifische Verteilung zeigt bei den angestellten Frauen das Auftreten von psychischen Erkrankungen als häufigste Ursache für Neuzugänge zu einer Berufsunfähigkeitspension (Angestellte) mit 51,2% im Jahr 2012. Ein leichter Rückgang gegenüber 2010, wo dieser Anteil noch 51,9% betrug, ist zu beobachten.

Bei den angestellten Männern beträgt der Anteil 36,3%.

Bei den Invaliditätspensionen (ArbeiterInnen) betrug der Frauenanteil 2012 45,9%, auch leicht rückläufig gegenüber 2010, und der Männeranteil 24,8%, also knapp unter der Hälfte jener der Frauen.

Bei Angestellten und Arbeitern gesamt beträgt der Frauenanteil 48,3%, während der Männeranteil 27,3% aller Neuzugänge ausmacht.14

Die Gesamtzuerkennungen Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionen bei psychiatrischen Erkrankungen haben in absoluten Zahlen im Jahr 2010 mit 8.569 den Gipfel erreicht und sind in den folgenden Jahren leicht sinkend, zuletzt etwas stärker im Jahr 2012 mit 7.866 Neuzuerkennungen. Auch die Zuerkennungen wegen einer Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates bzw. der Herzkreislauferkrankungen sind leicht abnehmend.

Betrachtet man die Neuzuerkennungen nach Bundesländern im Verlauf von 2006 über 2010 bis 2012 (siehe Abb. 4), so sind die geringsten prozentuellen Zuerkennungen im Burgenland mit ca. 15 – 20% bei den Männern und 30% bei den Frauen sowie die höchsten Zuerkennungen in der Steiermark mit ca. 37% bei den Männern und ca. 60% bei den Frauen. Während bei den Männern der Kurvenverlauf über diese 3 Jahre annähernd auf gleichem Niveau blieb, kam es bei den Frauen in allen Bundesländern zu einer prozentuellen Zunahme an Neuzuerkennungen.15

Ein Vergleich aller Pensionsversicherungsträger der Unselbständigen mit jenen der Selbständigen (SV der gewerblichen Wirtschaft und SV der Bauern) im Langzeitverlauf zeigt, dass bei den Unselbständigen die psychiatrischen Krankheiten schon 1991 mit 12,3% Anteil bei den Neuzugängen an Pensionen gegenüber den Selbständigen mit 3,7% das 3,3-fache ausgemacht haben. Dieses Verhältnis schwächt sich in der weiteren Entwicklung etwas ab, so betrug der Prozentsatz 2003 24,7% bei den Unselbständigen und 10,0% bei den Selbständigen und zuletzt 2012 35% bei den Unselbständigen und 13,2% bei den Selbständigen. Hinsichtlich der Geschlechtsverteilung zeigt sich bei den Selbständigen im Gegensatz zu den Unselbständigen ein Überhang bei den Männern.16

Welche psychischen Erkrankungen spielen die wichtigste Rolle bei den Neuzugängen für Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionen (BU/IV)?

Diagnosen nach ICD-10

F1: Psychotrope Substanzen (Alkohol, Drogen usw.)
F2: Schizophrenie
F3: Affektive Störungen (Manisch, Depression, Bipolar)
F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
F5: Verhaltensstörungen, Essstörungen

Die prozentuelle Verteilung der F-Diagnosen der Neuzugänge zu Berufsunfähigkeitspensionen wegen psychiatrischen Erkrankungen sind im Zeitraum 2004 im Vergleich zu 2010 in etwa unverändert geblieben (siehe Abb. 5). Bei den Frauen stehen die affektiven Störungen mit über 50% im Vordergrund, gefolgt von den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen sowie der Schizophrenie. Ein gleiches Bild zeigt sich bei den Männern, wobei die neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen etwas häufiger auftreten und die affektiven Störungen etwas seltener im Vergleich zu den Frauen.

Frauen   Männer
  2004 2010   2004 2010
F3 52,5 53,2 F3 43,7 45,7
F4 18,8 23,3 F4 21,1 23,5
F2 14,5 9,4 F2 13,2 10,3
F1 5,2 3,9 F1 10,5 10,8

Abb. 5: PVA/Neuzugänge BU 2004/2010 PSY. 18 F-Diagnosen (Angaben in %)

Bei den Neuzugängen zu den Invaliditätspensionen im gleichen Zeitraum zeigt sich bei den Frauen ein vergleichbares Bild wie bei den Berufsunfähigkeitspensionen, jedoch bei den Männern ein gänzlich anderes Bild (siehe Abb. 6). Hier betragen die affektiven Störungen nur etwas mehr als ein Viertel der Neuzuerkennungen, deutlich höher sind an 2. Stelle die Zuerkennungen wegen psychotroper Substanzen (Alkohol, Drogen usw.), gefolgt von Schizophrenie und neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen.19

Frauen   Männer
  2004 2010   2004 2010
F3 48,7 53,6 F3 26,2 36,1
F4 16,8 21,2 F1 25,3 20,0
F2 16,5 9,2 F4 10,7 14,9
F1 6,2 5,0 F2 18,9 12,4

Abb. 6: PVA/Neuzugänge IV 2004/2010 PSY.20 F-Diagnosen (Angaben in %)

Das Durchschnittsalter der Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionsneuzugänge beträgt bei den Frauen 49,1 Jahre und bei den Männern 53,2 Jahre, der Alterspension-Pensionsneuzugänge 59,2 bzw. 62,9 Jahre. Bei den Pensionsneuzugängen wegen psychiatrischer Erkrankungen findet sich bei den Frauen ein etwas geringeres Durchschnittsalter von 47,4 Jahren bei den Berufsunfähigkeitspensionen und von 47,7 bei den Invaliditätspensionen gegenüber 48,3 und 49,8 Jahren bei allen Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionen. Hingegen findet sich bei den Männern ein deutlich herabgesetztes Durchschnittsalter bei den Invaliditätspensionen, nämlich 48,1 versus 53,3 Jahre und bei den Berufsunfähigkeitspensionen 50,5 versus 52,9 Jahre.

Die durchschnittliche Bezugsdauer beträgt bei Frauen bei Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspensionen 22,7 und bei Männern 16,8 Jahre. Bei Frauen mit psychiatrischen Krankheiten jedoch 20,7 und bei Männern mit psychiatrischen Krankheiten 14,3 Jahre. Die Lebenszeitverkürzung beträgt generell bei BezieherInnen einer Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspension gegenüber einer Alterspension bei Frauen 11,1 Jahre, bei psychischen Erkrankungen jedoch 14,6 Jahre, und somit ergibt sich eine verkürzte Lebenserwartung von 3,5 Jahren. Bei Männern beträgt die generelle Lebenszeitverkürzung 11,2 Jahre, bei psychischen Erkrankungen jedoch 18,1 Jahre und somit eine verkürzte Lebenserwartung von 6,9 Jahren.21

Medizinische Rehabilitation

Die stationären Aufenthalte in Sonderkrankenanstalten für Rehabilitation nach Indikationsgruppen im Zeitraum 1992 bis 2011 sind in nachfolgender Abbildung 7 wiedergegeben.

Es zeigt sich insbesondere ein kontinuierlicher Anstieg bei den Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, gefolgt von den Herzkreislauferkrankungen und den neurologischen Krankheiten. Betrachtet man die durchgeführten Rehabilitationsaufenthalte nach Indikationen ausschließlich für Versicherte der Pensionsversicherungsanstalt, also Arbeiter und Angestellte, so zeigt sich ein ähnliches Bild; hervorzuheben ist jedoch der starke Anstieg der psychiatrischen Rehabilitationsfälle in den letzten Jahren, welcher zuletzt im Jahr 2012 5.932 Fälle erreicht hat und damit an zweiter Stelle steht. 2012 wurden insgesamt 84.945 Rehabilitationsaufenthalte in eigenen und Vertragseinrichtungen durchgeführt, davon waren 7,8% wegen psychiatrischen Krankheiten. 2010 betrug dieser Prozentsatz noch 4,6%.23

Nach Diagnosegruppen stehen bei den psychiatrischen Rehabilitationsheilverfahren im Vordergrund die affektiven Störungen (F3) mit 72% Anteil, gefolgt von den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen mit 25%, wobei 2012 bereits 10% aller Heilverfahren auch ambulant durchgeführt wurden. Der Anteil Frauen zu Männern beträgt 2:1. Werden die Indikationsgruppen weiter aufgeschlüsselt, so findet man bei den affektiven Störungen (F3) einen Anteil von 70% mit depressiven Erkrankungen und 25% mit rezidivierenden depressiven Störungen, auch hier beträgt das Verhältnis Frauen zu Männer 2:1. Bei den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4) sind 40% Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen zu finden sowie 32% andere Angststörungen, auch hier beträgt das Verhältnis Frau zu Mann 2:1.

Evaluationsergebnisse der medizinischen Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen

Eine katamnestische Studie von Haberfellner untersuchte PatientInnen, welche 2003 das Rehabilitationszentrum in Bad Hall aufsuchten. Insgesamt waren dies 355 PatientInnen, davon 65% weiblich. Das Durchschnittsalter betrug 41 Jahre und die berufliche Situation bei Aufnahme zeigte, dass ein gutes Drittel berufstätig war, ein weiteres Drittel arbeitslos. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Besserung der subjektiven Symptombelastung und der Lebensqualität, die Krankenstandsdauer konnte von 20,5 auf 6,5 Wochen, verglichen ein Jahr vor und ein Jahr nach der Rehabilitation, gesenkt werden, ebenso die Krankenhausaufenthalte für den gleichen Zeitraum von 3 auf 1,5 Wochen. Zirka 2/3 der Berufstätigen bei Aufnahme wurden auch nach Absolvierung des Heilverfahrens wieder beruflich integriert.24

Eine weitere Untersuchung von Kollmann evaluierte die Ergebnisse der Rehabilitationseinrichtungen Bad Hall und Klagenfurt über den Zeitraum 2003 bis 2005. In die Studie wurden insgesamt 2.015 PatientInnen mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren und einem Frauenanteil von 63% bei einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von 7 bis 11 Jahre aufgenommen. Auch hier zeigten die Ergebnisse eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität sowie auch der Selbsteinschätzung der Arbeitsfähigkeit, diese nahm von 26% auf 54% zu. Vergleicht man wieder die Zeiträume ein Jahr vor und ein Jahr nach der Rehabilitation, so sanken die Krankenstände im Durchschnitt von 16 auf 7 Wochen und die Krankenhausaufenthalte von 3 bis 4,4 Wochen auf 1 Woche. Der Erhalt der Berufsfähigkeit konnte in etwas mehr als der Hälfte der Fälle erreicht werden.25

Eine Publikation von Lenz fasst die Evaluationsergebnisse der medizinischen Rehabilitation von vier Zentren, nämlich Bad Hall, Klagenfurt, Rust und Wien–Leopoldau zusammen. Es wurden insgesamt 2.567 PatientInnen ausgewertet, der Frauenanteil war mit ca. 2/3 Drittel gleich wie in den anderen Studien, bei einem Durchschnittsalter von ca. 42 Jahren. Die häufigsten Diagnosen in der stationären Rehabilitation sowie auch in der ambulanten Rehabilitation waren die F3 Diagnosen, also die affektiven Störungen, gefolgt von den F4 Diagnosen, den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen. Die Symptombelastung und die Lebensqualität konnte auch in dieser Untersuchung deutlich verbessert werden, mit einer Effektstärke vom mittleren bis höheren Bereich. Bezüglich der beruflichen Situation konnte trotz vorübergehender oder länger dauernder Beeinträchtigungen die Berufstätigkeit im Wesentlichen aufrecht erhalten werden, d. h. die Werte 12 Monate vor Rehabilitation lagen bei 32% und 12 Monate nach Rehabilitation bei 36 bis 42% Berufstätiger. Die Krankenstandsdauer konnte von 20,5 auf 6,5 Tage in Bad Hall und in Klagenfurt von 20 auf 14 Tage reduziert werden.26

Eine Evaluation der PatientInnen im Zentrum für Ambulante psychiatrische Rehabilitation Wien–Leopoldau im Zeitraum Oktober 2010 bis Ende Juni 2012 (n = 1.144 PatientInnen) mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren und 2/3 Frauenanteil führte auch bei allen Alters- und Diagnosengruppen zu einer signifikanten Verbesserung der Symptombelastung mit einer mittleren Effektstärke. Es zeigte sich, dass Frauen zu Rehabilitationsbeginn stärkere Belastungen angaben als Männer, aber auch stärkere Veränderungen im Laufe des Heilverfahrens als Männer erreichten. Insbesondere bei Berufstätigen konnte auch eine länger anhaltende Verbesserung bis zu 12 Monaten erreicht werden. Auch die globale Lebensqualität zeigt einen signifikanten Anstieg, der ebenfalls über 12 Monate erhalten bleibt. Die Krankenstandstage konnten im Jahresvergleich vor und nach Rehabilitation halbiert werden, ebenso die Krankenhaustage, dies stellt offensichtlich eine sehr positive gesundheitsökonomische Perspektive dar. Schon vor der Rehabilitation war ein sehr hoher Anteil, nämlich 85,6% in fachärztlicher Betreuung, dies blieb auch 6 Monate nach Rehabilitation aufrecht, während die psychotherapeutische Betreuung mit ca. 43% vor Rehabilitation bis 6 Monate nach Rehabilitation auf knapp 60% zugenommen hat.27

Die größte Studie – Metaanalyse der Effekte der stationären psychosomatischen Rehabilitation in Deutschland (MESTA-Studie) – beinhaltet die Auswertung von 56 Studien, wo Aufnahme gegenüber Entlassung verglichen wurde und bei 46 Studien auch noch die Katamnese nach 12 Monaten erfasst werden konnte. Inkludiert wurden knapp 30.000 PatientInnen mit einem Durchschnittsalter von 41,8 Jahren mit einen 64%igen Frauenanteil. Auch hier sind die F4 und die F3 Diagnosen am häufigsten vertreten. Es konnte ein mittlerer Behandlungseffekt über alle Studien nachgewiesen werden, wobei der höchste Effekt bei den depressiven PatientInnen (F3) sowie auch bei den AngstpatientInnen festgestellt wurde, etwas schlechtere Ergebnisse fanden sich bei den somatoformen Störungen. Es zeigte sich auch eine klare Korrelation mit der Behandlungsdauer in der Rehabilitationseinrichtung. Von 71,7% Berufstätigen verblieben nach 12 Monaten 67,4% im Berufsleben. Die Krankenstandstage konnten auch signifikant von 47,2 auf 31,9 Tage reduziert werden, ebenso die Krankenhausaufenthalte von 7,0 auf 3,6 Tage.28

Ein wichtiges Thema bei medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen ist immer die Frage der Nachhaltigkeit. Aus diesem Grunde wurden in der PVA sowohl 2006 als auch 2010 die wichtigsten drei Indikationen, wie Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, Herzkreislauferkrankungen und psychiatrischen Erkrankungen, dahingehend evaluiert, wie viele PatientInnen 2 Jahre später in Pension sind (siehe Abb. 8). Von den PatientInnen, die 2006 ein Heilverfahren in der Indikation Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates durchgeführt haben, waren zum 31. 12. 2008 15% gesamt in Pension, 10% aus der gleichen Indikation. Bei den Herzkreislauferkrankungen zum gleichen Zeitpunkt 22% insgesamt in Pension und 16% aus der gleichen Indikation; bei den psychiatrischen Erkrankungen 33% gesamt in Pension und 30% aus der gleichen Indikation. Vier Jahre später, also die 2010 durchgeführten Rehabilitationsheilverfahren mit dem Messpunkt 31. 12. 2012, zeigten ein deutlich besseres Ergebnis. In der Indikation Stütz- und Bewegungsapparat waren nur 11% insgesamt in Pension und 8% aus der gleichen Indikation, bei den Herzkreislauferkrankungen 13% gesamt und 11% aus der gleichen Indikation, jedoch bei den psychiatrischen Erkrankungen insgesamt 41% gesamt in Pension und 24% aus der gleichen Indikation – hier zeigte sich also eine deutliche Zunahme bei den Gesamt-Pensionszuerkennungen gegenüber 2006. Zusammenfassend kann aber geschlossen werden, dass Rehabilitationsmaßnahmen in einem hohen Ausmaß den Eintritt von vorzeitigen Alterspensionen krankheitshalber verhindern können und die Ergebnisse von 2006 auf 2010 deutlich verbessert werden konnten, mit Einschränkungen im psychiatrischen Bereich, wo nur eine deutliche Verbesserung indikationsbezogen erreicht wurde.30

Referenzen

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  2. IPF – Institut für pharmaökonomische Forschung, Epidemiologie der Depression, Wien (2009)
  3. Leoni Th., Fehlzeitenreport 2012, Krankheits- und unfallbedingte Fehlzeiten in Österreich, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (Juli 2012)
  4. WHO, The Global Burden of Disease: 2004 Update (2008); Wittchen H.-U. et al., Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland - Erste Ergebnisse des bundesweiten Zusatzsurveys „Psychische Störungen“, in: Gesundheitswesen 61 (1999): Sonderheft 2, 216-222, www.thieme.de/statics/dokumente/thieme/final/de/dokumente/zw_das-gesundheitswesen/gesu-suppl_klein.pdf
  5. Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und GKK-Salzburg, siehe Ref. 1
  6. Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und GKK-Salzburg, siehe Ref. 1
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  29. PVA, Abt. Statistik u. Controlling, Okt. 2011
  30. PVA, siehe Ref. 19

Anschrift des Autors:

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