Das ärztliche Gespräch und seine Dynamik
Zusammenfassung
Ärztliche Gespräche mit Patienten finden in bestimmten Kontexten (Arztpraxis, Krankenhaus) statt, Rahmenbedingungen also, die sich günstig oder ungünstig auf die Gesprächsqualität auswirken können. Solche Gespräche sind nicht nur notwendige diagnostische und therapievorbereitende Instrumente, sondern können tragfähige soziale Beziehungen schaffen, auf deren Grundlage Vertrauen und Adhärenz entstehen. Dies gelingt jedoch nur, wenn auch die Erwartungen und Krankheitsvorstellungen des Patienten in die Gespräche einbezogen werden und wenn Patienten sich ausreichend und nicht einseitig informiert fühlen. Im positiven Fall gelangen Ärzte und Patienten dann zu gemeinsamen Entscheidungen, die von den Patienten mitgetragen werden.
Schlüsselwörter: Arzt-Patient-Kommunikation, Gesundheits- und Krankheitsüberzeugungen, gemeinsame Entscheidungsfindung
Abstract
Medical talks with patients take place in a certain environment (doctor‘s office, hospital), that can be beneficial or adverse for the quality of conversation. These conversations are not only essential diagnostic and therapy relevant tools, they can also create sustainable social relations that are the basis for trust and adherence. However, this can only be successful if the patient‘s expectations and health or illness beliefs are included and the patient feels sufficiently informed. The most positive outcome would be a shared decision making between doctor and patient.
Keywords: Doctor-Patient Communication, Health Beliefs, Shared Decision Making
Vorbemerkung
Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf zwei zentrale Phasen im Gespräch zwischen Ärzten und ihren Patienten, nämlich auf die Phase der Anamnese bzw. Diagnose sowie auf die Phase der Erläuterung einer Diagnose bzw. der Erklärung von medizinischen Sachverhalten. In beiden Phasen sollten Ärzte zum Teil unterschiedliche Gesprächsprinzipien beachten und ihr Kommunikationsverhalten steuern, um zu einvernehmlichen Entscheidungen über das weitere therapeutische Vorgehen zu gelangen. In dem Maße, in dem sich Patienten sich in ihrer Krankheitssicht verstanden fühlen und den Arzt als Partner auf ihrem Wege erleben, sind sie auch bereit, ärztlichen Ratschlägen zu folgen.
1. Gesprächskontexte
Die Qualität von Arzt-Patient-Gesprächen hängt nicht nur von den beteiligten Personen ab, sondern auch von den jeweiligen – mehr oder weniger gestaltbaren – Gesprächskontexten.
- So finden beispielsweise im Krankenhaus bedingt durch die Bettposition des Patienten Gespräche direkt am Krankenbett (gelegentlich mit einem auf dem Krankenbett sitzenden Arzt) statt. Dies verkürzt zwar die Gesprächsdistanz und erleichtert für den Patienten den Stimmaufwand, schafft aber eine oft nicht gewollte Intimität zwischen den Gesprächspartnern. Im Gegensatz dazu werden häufig bei Mehr-Personen-Visiten aus Demonstrationsgründen Gespräche mit dem Kranken – dazu noch aus einer Oben-Unten-Position – initiiert, bei denen man kaum eine Offenheit des Patienten erwarten darf. Ähnlich verhält es sich, wenn Gespräche in Gegenwart von Mitpatienten im Krankenzimmer begonnen werden. Dazu kommt, dass die Gesprächspartner – bedingt durch Schichtdienst und Abkömmlichkeit – häufiger wechseln als in einer Arztpraxis und sich auf diese Weise schwerer eine Arzt-Patient-Beziehung aufbauen lässt.1
- In der Arztpraxis sind die Gesprächsbedingungen im Hinblick auf optimale Distanzen und Intimität vergleichsweise günstiger. Hier ist Intimität prinzipiell möglich, obwohl durch die Gegenwart von Personal diese nicht immer hergestellt wird oder – aus forensischen Gründen – auch nicht hergestellt werden soll. Auch lässt sich eine optimale Gesprächsdistanz in gleichberechtigter Position durch das Gespräch am Schreibtisch schaffen. Diese Gesprächskonstellation eignet sich vor allem dann, wenn sehr persönliche Themen angesprochen werden sollen; ungeeignet ist die Ansprache persönlicher Themen während einer körperlichen Untersuchung.
Gesprächskontexte unterscheiden sich somit vor allem hinsichtlich der jeweils hergestellten Distanzen zwischen den Gesprächspartnern: Bei zu großer Distanz ist die Bereitschaft des Patienten zur Selbstoffenbarung eher gering, bei zu geringer Distanz wird diese als Eingriff in die Intimsphäre erlebt. Daneben erfordert das jeweilige Thema eine angemessene körperliche Distanz: Sehr private, mitunter „heikle“ Themen erfordern mehr Distanz (und die Abwesenheit von Dritten) als schlichte „technische“ Abfragen. Gespräche am Schreibtisch unterstreichen die Ernsthaftigkeit der ärztlichen Bemühungen und würdigen die Gesamtperson des Patienten, während Gespräche im Stehen oder auf der Bettkante häufig improvisiert und unverbindlich wirken.
2. Gespräche als Aushandlung sozialer Beziehungen
Die Arzt-Patient-Beziehung verlangt im Gegensatz zu einer Begegnung zwischen bisher miteinander fremden Personen normalerweise keine aufwändige wechselseitige Rollendefinition oder Erkundung der jeweiligen Gesprächsabsichten, weil die jeweiligen Rollen eingeübt und gesellschaftlich anerkannt sind. Probleme auf der einen oder anderen Seite können dann entstehen, wenn
- Patienten (z. B. bei Themen, für die sie sich kompetenter halten) die Führungsrolle des Arztes in Zweifel ziehen;
- Patienten durch ihre Persönlichkeit oder durch eine geschilderte Symptomatik, die in die Kategorie der psychosomatischen oder „medizinisch unerklärbaren Symptome“ eingeordnet wird, den Arzt in seiner fachlichen Kompetenz überfordern und verunsichern;2
- Ärzte sich in Bezug auf Therapieempfehlungen rigide und so dominant verhalten, dass Patienten sich in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeengt fühlen und allein deshalb schon Widerstand („Reaktanz“) zeigen, und zwar ungeachtet der Qualität und Umsetzbarkeit der Therapieempfehlungen;
- Ärzte aus dem Bemühen heraus, eine möglichst zwanglose Atmosphäre zu schaffen, sich so leger und informell geben, dass Patienten Zweifel an der Professionalität entwickeln;
- medizinisch Unbeteiligte (in der Regel Angehörige und Pflegepersonen, im Krankenhaus manchmal auch vorgesetzte Ärzte) anwesend sind, die man als gesprächsführender Arzt nicht abweisen kann, aber die eigene Rollensicherheit untergraben.
In der aktuellen Kommunikation zwischen Arzt und Patient finden also wechselseitige Anpassungsprozesse statt, welche die eigentliche Gesprächsdynamik begründen. Die folgende Tabelle zeigt unterschiedliche Stadien der wechselseitigen Anpassung, bei denen die Fähigkeit und Bereitschaft konstitutiv ist, sich in die Lage des Gegenübers hineinzuversetzen.
Anpassung | Arzt | Patient |
---|---|---|
maximal | Arzt hält Patienten für einen „Experten in eigener Sache“, betrachtet Krankheitserleben als Bestandteil des Krankheitsbildes und bezieht dieses in seine Diagnose mit ein. | Patient traut dem Arzt zu, die für eine Diagnose wichtigen Informationen herauszuhören oder berücksichtigt das knappe Zeitbudget und beschränkt sich auf die medizinisch vermutlich relevanten Informationen. |
tendenziell | Arzt toleriert persönliche Themen, greift sie jedoch nicht auf und integriert sie nicht in seine Diagnose. | Patient lässt in Nebenbemerkungen erkennen, was ihn bewegt, öffnet sich aber nicht weiter, weil er der Meinung ist, dass dies nicht interessiert. |
minimal | Arzt hält Patienten medizinisch für inkompetent, folgt einem festen Diagnoseschema, interessiert sich nicht für Persönliches. | Patient betrachtet Arzt als Ansprechpartner für alle Probleme, ignoriert den zeitlichen und organisatorischen Rahmen, redet „drauflos“. |
In gewisser Weise „belohnen“ sich die Gesprächspartner für ihre erbrachte Anpassungsleistung: Ärzte, die unter Zeitdruck stehen, sind dankbar für Patienten, die sich auf den (medizinischen) Gesprächszweck beschränken, auf alle Fragen des Arztes eingehen, das Gespräch strukturieren helfen und knappe, diagnostisch aussagekräftige Informationen liefern. Patienten sind dankbar, wenn sie nicht nach „heiklen“ Themen ihrer Lebensführung (z. B. Genussgewohnheiten) gefragt werden und ihnen der Arzt ein hohes Maß an gesundheitlichem Selbstmanagement zutraut. In solchen Fällen bescheinigen sie sich gegenseitig, „kooperativ“ bzw. „verständnisvoll“ gewesen zu sein. In gegenteiligen Fällen, in denen eine mühsame Rollenaushandlung mit der Bestimmung jeweiliger Kompetenzen oder der Gesprächsführung stattfinden müssen, bestimmte Antworten vom Patienten verweigert werden oder der Patient unrealistische und unerfüllbare Erwartungen formuliert oder gar die Kompetenz des Arztes in Frage stellt, wächst zumindest die ärztliche Unzufriedenheit, welche sich in einer eingeschränkteren Kommunikation und einer möglichst schnellen Verabschiedung bemerkbar macht. Für den unzufriedenen Patienten einer Arztpraxis bleibt oft nur der Weg, den Therapieempfehlungen nicht zu folgen („non-compliance“) oder die Arztpraxis nicht wieder aufzusuchen.
3. Anamnese-Gespräche
Zu den häufigsten Gesprächsarten im medizinischen Alltag zählen Anamnese- oder Diagnostik-Gespräche. Für viele Ärzte erscheinen solche Gespräche unbequem, aber unumgänglich, weil bestimmte Informationen (Erstauftritt eines Symptoms, Schmerzbegleitung u. ä.) nicht durch die körperliche und technische Untersuchung ermittelt werden können. Andere Ärzte nutzen das anamnestische Gespräch, um einen Gesamteindruck von der Lebenslage, der grundsätzlichen subjektiven Befindlichkeit („Krank-Sein“, „Gesund-Sein“) zu erhalten, die persönlichen Ressourcen und die sonstigen Hilfsmöglichkeiten des Patienten zu erkunden, ehe sie sich auf die Ermittlung der spezifischen Symptomatik konzentrieren. Im Rahmen dieser allgemeinen Anamnese erscheinen besonders zwei Themen bedeutsam, deren Bedeutung oft erst im weiteren Verlauf der Behandlung deutlich wird, nämlich die „Krankheitstheorie“ des Patienten und die sich daraus ergebenden Erwartungen an den Krankheitsverlauf und dessen Behandlung.
Subjektive Krankheitstheorien
Subjektive Krankheitstheorien oder, einfacher ausgedrückt: Krankheitsvorstellungen, bezeichnen die Annahmen des Patienten
- über die Art der Symptomatik (im einfachen Fall Anzeichen einer Verletzung, einer Vergiftung oder einer Infektion, im schweren Fall Anzeichen einer chronischen oder lebensbedrohlichen Erkrankung wie Krebs);
- über vermutliche Ursachen (äußere Einwirkungen bis hin zu genetischen Defiziten, gelegentlich auch einem gesundheitsabträglichen Lebenswandel mit ungünstiger Ernährung, mangelnder Bewegung und schlechter Stressbewältigung);
- über den wahrscheinlichen Verlauf einer Krankheit (von einer kurzfristigen Krise bis hin zu einer beginnenden lebenslangen Chronizität oder einem erhöhten Mortalitätsrisiko)
- über die Heilbarkeit oder Therapierbarkeit einer Krankheit (von einer einmaligen, eher technischen oder pharmakologischen Intervention bis hin zu einer notwendigen Dauertherapie bei der Annahme von Chronizität, eventuell auch bis hin zur Annahme, dass massive Interventionen wie Operationen oder bei Krebsverdacht Radio- und Chemotherapie notwendig werden);
- über die Krankheitsfolgen (von keinen oder geringfügigen Folgen bis hin zur Einschränkung der Lebensqualität, dem Verlust des Arbeitsplatzes und der Beeinträchtigung sozialer Beziehungen).
Derartige Krankheitsvorstellungen steuern die Selbstwahrnehmung und werden nicht selten begleitet von Ängsten oder auch Hoffnungen. Aus ärztlicher Sicht erscheinen sie manchmal wenig fundiert und kontrastieren – nach entsprechender technischer Diagnose und Befragung des Patienten – mit der „objektiven“ Einschätzung des Arztes, so dass aus seiner Sicht entweder eine Korrektur der Krankheitsvorstellungen notwendig erscheint oder aber – bei einer Konvergenz der jeweiligen Vorstellungen – eine gute Grundlage für die Verständigung und die weitere Therapie geschaffen wird.4 Bei völlig divergenten Vorstellungen kann der Patient jedoch auch zum „schwierigen“ Patienten in der ärztlichen Wahrnehmung werden.5
Patienten-Erwartungen
Patienten haben recht unterschiedliche Erwartungen an eine Behandlung bzw. an die Kommunikation mit dem behandelnden Arzt. Diese reichen von einer „universalistischen“ Erwartungshaltung, bei der nicht nur Gesundheitsprobleme, sondern alle Lebensprobleme zur Sprache kommen können und der Arzt zum allgemeinen „Lebenshelfer“ stilisiert wird, bis zu einer „funktionalistischen“ Erwartungshaltung, bei der ein Arzt wie ein Techniker oder Handwerker ein spezifisches, meist lokales Gesundheitsproblem lösen soll.
Daneben können solche Erwartungen als mehr oder weniger „naiv“ bezeichnet werden. So erwarten manche (naive) Patienten, dass
- ein gesundheitliches Problem stets endgültig und abschließend gelöst werden kann;
- das Problem fokal begrenzt ist (ähnlich wie bei einer Hautverletzung) und eine Komorbidität auszuschließen ist;
- das Gesundheitsproblem stets von außen und mit technischen oder pharmakologischen Hilfsmitteln, aber ohne eigene Mitwirkung (z. B. Veränderung der Ernährung und des Bewegungsverhaltens) lösbar ist;
- bei einem durchaus wirksamen Medikament nicht mit irgendwelchen Nebenwirkungen gerechnet werden muss.
Bereits während der Anamnese, aber auch im weiteren Verlauf der Behandlung kann ein Arzt solche Erwartungen gezielt ansprechen und gegebenenfalls korrigieren, insbesondere dann, wenn er den Eindruck hat, diese Erwartungen seien unerfüllbar. Denn unerfüllbare Erwartungen führen zwangsläufig zu Enttäuschung und Unzufriedenheit, welche einerseits zu mangelnder Compliance oder Adhärenz und andererseits zu häufigerem Arztwechsel bzw. einer stärkeren Inanspruchnahme des Gesundheitssystems beitragen.
Frageverhalten des Arztes
Ärzte neigen auf Grund ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung dazu, eine anamnestische Situation so schnell und so weit wie möglich zu objektivieren. Sofern dies allein mit einer körperlichen Untersuchung nicht gelingt, bevorzugen sie dann Faktenfragen (Wann, Wo, Wie usw.). Mit Hilfe derartiger Fragen gelingt es jedoch nicht, die oben erwähnten Krankheitsvorstellungen und Erwartungen oder auch eigene Ideen des Patienten zu erkunden, welche im Sinne einer Selbsthilfe oder Ressourcenmobilisierung nützlich sein könnten. Die folgende Übersicht (Tabelle 2) soll deshalb Anregungen geben, die eigene bevorzugte Fragetypologie des Arztes zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern.
Fragetypen | ||
---|---|---|
Fragetyp | Charakteristik | Vor- und Nachteile |
offene Frage | Lässt viele Antwortmöglichkeiten offen:
„Was alles fällt Ihnen zu … ein?“ „Welche Beschwerden hatten Sie in den letzten Jahren?“ | Geeignet für die Eröffnung eines Gesprächs oder eines neuen Themas. Problem, die eventuell sehr vielen Informationen zu ordnen und darauf einzugehen. |
geschlossene Frage | Zielt ab auf eine bestimmte Information, lässt nur geringen Spielraum:
„Wann/Wo war das?“ „Wollen Sie … oder nicht ?“ | Geeignet zur schnellen Erlangung von Information bzw. zur Präzisierung von Antworten. Gesprächspartner hat keinen Raum für Hintergrundinformationen und Erläuterungen. |
Impulsfrage | Soll den Gesprächspartner zur Fortsetzung seiner Ausführungen anregen:
„Und da gab es sicher noch etwas …?“ „Das muss schmerzhaft gewesen sein …?“ | Geeignet für die Erkundung weiterer Umstände einer Situation, der beteiligten Gefühle und Gedanken. Fördert manchmal Informationen zutage, die vom Thema ablenken. |
Suggestivfrage | Soll den Gesprächspartner auf eine bestimmte erwünschte Antwort festlegen:
„Sie wollen doch sicher, dass …? | Geeignet, wenn ein Gesprächspartner noch zögerlich ist, aber bereits eine Antworttendenz erkennen lässt. Kann dazu führen, dass er sich „überrumpelt“ fühlt und nachträglich die Antwort bereut. |
Rhetorische Frage | Zielt nicht auf eine Antwort ab, sondern soll den eigenen Gesprächsfluss aufrecht erhalten:
„Helfen tatsächlich keine meiner Medikamente? Nein, das muss daran liegen, dass …“ | Geeignet als rhetorisches Element, irritiert jedoch Gesprächspartner, die eine echte Frage vermuten. Bei der nächsten echten Frage werden sie unter Umständen auf eine Antwort verzichten. |
Invertierte Frage | Stellt das eigentliche Frageobjekt an das Satzende:
„Wenn ich Ihren Hausarzt fragen würde, was … dann würde er mir vermutlich was erzählen?“ | Ungeeignet, weil die Aufmerksamkeits- spanne sehr gedehnt wird und das eigentliche Frageobjekt aus dem Blick geraten kann. |
Doppelfrage | Besteht aus mehreren Fragen, die oft wegen des Zeitdrucks gleichzeitig gestellt werden: „Wann wurde … wo war das und wer hat das veranlasst …? | Ungeeignet, weil der Gesprächspartner oft nicht alle Fragen speichert und nicht weiß, auf welche Teilfrage er zuerst eingehen soll. |
Den in Tabelle 2 genannten Fragetypen ist gemeinsam, dass sie – wenn auch zum Teil ungeeignet – auf bestimmte Antworten oder Informationen abzielen, die einem sachlichen Gesprächsziel dienlich sind. Daneben werden aber in manchen Gesprächen auch Fragen gestellt, die etwas anderes bezwecken:
- Manche Fragen werden nur gestellt, um erkennen zu lassen, welche eigene Position man hat oder über welches Hintergrundwissen man verfügt. Sie sind eher eine Form des Selbstausdrucks als ein Instrument zur Ermittlung von Informationen.
- Manche Fragen werden in der Überzeugung gestellt, dass es dem Anderen ähnlich geht wie einem selbst bzw. dass auch er die gleiche Antwort gibt wie man sie selbst geben würde. Solche Fragen schaffen ein Gefühl von Gemeinsamkeit und gleichartiger Betroffenheit.
- Manche Fragen werden nicht primär deshalb gestellt, weil man an den Antworten interessiert ist, sondern eher daran, dass sich der Andere an der gestellten Frage „abarbeitet“ und damit einen indirekten Beweis für die Wertschätzung des Fragers erbringt. Insbesondere bei provokanten Fragen kann der Frager sicher sein, eine – womöglich gefühlsgeladene – Reaktion zu erhalten.
- Manche Fragen zielen darauf ab, den Gesprächspartner „aus der Reserve zu locken“. Diese Versuchung besteht vor allem dann, wenn sich der Gesprächspartner betont rational und reserviert verhält. Häufig versuchen dies Patienten, indem sie Fragen nach dem Privatleben des Arztes stellen.
- Manche Fragen haben den Zweck, dem Anderen zu schmeicheln und zu zeigen, dass man am Anderen Interesse hat. Besonders geeignet sind Fragen, die ein – bereits bekanntes – Hobby, eine weltanschauliche Position oder ein Vergangenheitsereignis zum Gegenstand haben.
- Fragen können auch verwendet werden, um eine Gesprächsbeziehung zu dominieren. Solange jemand fragt, befindet sich der Andere in einer Abhängigkeitsposition, – muss nachdenken, begründen oder sich eventuell rechtfertigen.
Das Stellen von Fragen erfordert zunächst eine nach innen gerichtete Aufmerksamkeit. Sobald die Frage den Gesprächspartner erreicht hat, bedarf es seitens des Fragenden einer nach außen gerichteten Aufmerksamkeit, um feststellen zu können, ob die Frage akustisch und inhaltlich verstanden worden ist, weiterhin, welche nicht-verbalen Reaktionen (Zögern, Stirnrunzeln, Erröten, Veränderung der Körperhaltung usw.) die Frage ausgelöst hat. Und schließlich muss die Aufmerksamkeit wieder der Speicherung und inhaltlichen Interpretation der Antwort gelten. Dabei muss der Fragende unterscheiden zwischen den mitgeteilten Informationen und den subverbalen „Tönungen“ des Gesagten, welche die Antwort unterschiedlich interpretierbar machen. Ein typischer Anfängerfehler in der Diagnostik besteht darin, die Fragen nach einem bestimmten Schema zu stellen (eventuell noch mit dem Blick auf eine Check-Liste) und bei den Antworten unaufmerksam zu werden, weil sich die Konzentration bereits auf die demnächst zu stellende Frage richtet.
Fragende und Antwortende konditionieren sich gegenseitig im Gesprächsprozess. Wenn man sozial sensibel genug ist, wird man bemerken, dass bestimmte eigene Fragen eher Desinteresse, Ungeduld oder Unmut hervorrufen – und solche Fragen möglicherweise künftig nicht mehr oder seltener stellen. Umgekehrt kann man durch die Knappheit der Antworten oder durch nicht-verbale Signale zeigen, dass die Frage unerwünscht ist. Im positiven Fall, d. h. wenn die Reaktion auf eine Frage zeigt, dass die Frage offenbar sehr willkommen war, wird man als Frager dazu neigen, die Frage künftig häufiger zu stellen. Im beruflichen Zusammenhang kommt man jedoch nicht umhin, bestimmte Fragen, die dem Gesprächspartner wahrscheinlich unangenehm sind (z. B. Fragen nach Sexualität, Körperpflege oder Konsumgewohnheiten), dennoch zu stellen. Erfahrene Frager leiten deshalb solche Fragen oft mit der Bemerkung ein, die Frage, die sie gleich stellen wollen, sei dem Gesprächspartner wahrscheinlich unangenehm, würde ihn wahrscheinlich ärgern, würde ihn erstaunen, um die vermutliche Reaktion dadurch abzuschwächen. Es spricht auch nichts dagegen, die Gründe für die eigene Frage zumindest nachträglich zu erwähnen, um ein Höchstmaß an Transparenz in der Kommunikation herzustellen. Schließlich kann man als Arzt auch nachfragen, warum der Patient eine bestimmte Frage gestellt hat (die dahinterstehenden Motive können von einem allgemeinen Informationsbedürfnis bis hin zu spezifischen Vermutungen über seine Krankheit und den wahrscheinlichen Krankheitsverlauf reichen). Da derartige Vermutungen häufig von Ängsten oder Hoffnungen begleitet werden, kann sich die ärztliche Reaktion auf die Patientenfrage auf den Frageinhalt ebenso wie auf das zum Ausdruck kommende Gefühl beziehen.
4. Aufklärung des Patienten
Zumindest in Arztpraxen schließt sich an eine mündliche Befragung, eine körperliche Untersuchung und eventuell eine technische Diagnostik in der Regel eine Gesprächsphase vom Typ der Information (andere Begriffe sind Aufklärung oder Psychoedukation) an; in Krankenhäusern erfolgen solche Gespräche wegen des höheren diagnostischen Aufwandes und der Beteiligung mehrerer Spezialisten oft erst mit großem zeitlichen Abstand (und einer entsprechend langen Zeit der Unsicherheit bei Patienten und ihren Angehörigen).
Das für Patienten wichtigste Qualitätsmerkmal bei derartigen Aufklärungsgesprächen ist die Verständlichkeit. Verständlichkeit von gesprochenen oder schriftlichen Texten lässt sich nach vier Dimensionen beurteilen, die in der folgenden Tabelle in ihrer positiven und negativen Ausprägung zusammengefasst sind.
Dimension | Positive Ausprägung | Negative Ausprägung |
---|---|---|
Einfachheit |
|
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Gliederung - Ordnung |
|
|
Kürze - Prägnanz |
|
|
Zusätzliche Anregung |
|
|
Verständlichkeit speziell im medizinischen Kontext kann durch die Verwendung von medizinischen Fachbegriffen in den Augen des Arztes präzisiert, in den Augen des Patienten aber erschwert werden. Um auch aus rechtlichen Gründen sicher zu gehen, ist deshalb die Verwendung präziser Fachbegriffe mit anschließender Erläuterung in einer für den Patienten verständlichen Sprache zu empfehlen. Dabei sollten Ärzte sich nicht von der Annahme leiten lassen, dass Patienten mit einem höheren formalen Bildungsgrad gleichzeitig auch die medizinische Fachsprache besser verstehen. In Zweifelsfällen kann der Arzt sich auch durch einige Vorfragen einen Eindruck vom Wissensstand verschaffen, ehe er mit seinen Erklärungen beginnt. Weitere Anregungen zur Aufklärung und Information – insbesondere bei „ungünstigen“ Diagnosen („bad news“) – finden sich bei Kutscher & Seßler8 sowie Schweikhardt & Fritzsche.9
5. Metakommunikation
Unter „Metakommunikation“ versteht man die Kommunikation über die (gerade stattfindende) Kommunikation zwischen mindestens zwei Gesprächspartnern. Ziel der Metakommunikation ist es, auf Besonderheiten oder Störungen in der Kommunikation aufmerksam zu machen bzw. jene zu beseitigen. Metakommunikation durch den Arzt kann beispielsweise stattfinden, wenn
- ein Patient trotz vieler Fragen kaum Antworten und Informationen gibt
- ein Patient den Arzt bei seinen Erklärungen frühzeitig oder häufig unterbricht
- ein Patient nicht-verbale Zeichen von Ungeduld, Gereiztheit oder Ablehnung zeigt.
Selbstbewusstere Patienten sind ebenfalls in der Lage, entsprechende metakommunikative Bemerkungen zu machen, etwa dann, wenn sie den Eindruck haben, dass
- ihnen der Arzt nicht genügend zuhört;
- der Arzt sie zu einer bestimmten Therapie überreden möchte;
- der Arzt die eigenen Äußerungen falsch oder vorschnell interpretiert.
Metakommunikative Bemerkungen des Arztes können unterschiedliche Ziele verfolgen:
- Gesprächsstrukturierung (Arzt: „Ich stelle Ihnen jetzt ein paar Fragen, die Sie bitte kurz und knapp beantworten – danach können Sie gern ergänzen, wenn ich etwas Wichtiges übersehen habe.“)
- Aufmerksam machen auf kommunikative Akzentuierungen durch den Patienten (Arzt: „Mir fällt auf, dass Sie immer wieder auf das Thema … zurückkommen.“)
- Beseitigung von Störungen im Gesprächsverlauf (Arzt: „Sie stellen mir Fragen, auf die ich gern etwas später zurückkommen werde.“)
- Thematisierung von nicht ausgesprochenen Begleitemotionen im Gespräch (Arzt: „Ich habe den Eindruck, dass Ihnen das Thema … unangenehm ist.“).
Metakommunikation kann schließlich auch einen resümierenden Charakter haben, indem wie in einem Kurzprotokoll noch einmal der Gesprächsanlass, der Verlauf und gegebenenfalls die wichtigsten Vereinbarungen zusammengefasst werden.
6. Gemeinsame Entscheidungsbildung mit Patienten
Im Anschluss an die Mitteilung der Diagnose sowie der entsprechenden Hintergrundinformationen stehen Ärzte und Patienten vor der Frage, wie therapeutisch vorgegangen werden soll. Empirisch zeigt sich, dass Ärzte häufig sofort eine Empfehlung abgeben, ohne die Patienten vorher nach ihren eigenen Präferenzen und Ängsten befragt zu haben.10 Das Konzept der „partizipativen Entscheidungsfindung“ („shared decision making“) beinhaltet die Idealvorstellung einer gleichberechtigten Position zwischen Arzt und Patient bei der Entscheidung. Dazu bedarf es allerdings einer Bemühung des Arztes, die bis dahin vorherrschende Trennung in eine aktive Rolle (Arzt) und eine passive Rolle (Patient) aufzuheben und ihm deutlich zu machen, dass eine Entscheidung ohne seine aktive Mitwirkung ihn nicht befriedigen würde und auch nicht zu der erwünschten Compliance oder Adhärenz bei der Umsetzung der Therapieempfehlungen führen würde.11
Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht noch einmal die wichtigsten Entscheidungsschritte. Dabei steht die Findung und Gewichtung der Entscheidungskriterien am Anfang des Entscheidungsprozesses. Manche Patienten nennen hier Kriterien wie „Schmerzfreiheit“ oder „Therapie ohne Einschränkungen des bisherigen Lebensablaufs“, andere nehmen solche Einschränkungen und Belastungen gern in Kauf, wenn sie nur bald wieder gesundheitlich voll rehabilitiert sind. Daran schließt sich eine Erläuterung der Behandlungsalternativen mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen bzw. Nebenwirkungen an, bei der wieder eine aktive Rolle des Arztes (vor dem Hintergrund seiner eigenen professionellen Erfahrung sowie seiner Kenntnisse über die Evidenz-Basierung der einen oder anderen Alternative) gefordert ist. Aber auch der Patient kann zu diesem Zeitpunkt seine Vorstellungen einbringen, die er aus Gesprächen im Bekanntenkreis oder aus dem Internet gewonnen hat. Nicht selten werden hier auch Vorstellungen genannt, die von konventionell denkenden Ärzten dem Bereich der komplementär-alternativen Medizin zugeordnet oder als „medizinfremd“ angesehen werden, allerdings heute von zunehmend mehr Patienten in Betracht gezogen werden, weil sie als „natürlich“ und „nebenwirkungsarm“ gelten.12 Ärzte müssen hier sehr vorsichtig sein, die entsprechenden Vorstellungen nicht einfach abzuwerten, wenn sie diese für unrealistisch oder zu kostspielig halten, weil damit der Eindruck beim Patienten entstehen könnte, der Arzt wolle doch nur seine eigenen Vorstellungen durchsetzen. Das eben angedeutete Machtproblem stellt sich auch noch einmal bei der Frage der Umsetzung einer – auch vom Patienten favorisierten – Therapieempfehlung, weil hier z. B. ein Krankenhaus (chirurgischer Eingriff) oder ein Kollege mit einer anderen Fachrichtung einbezogen werden muss und der Patient zumindest vorübergehend sich nicht in der Kontrolle des behandelnden Arztes befindet.
Entscheidungsschritt | Leitfragen |
---|---|
Festlegung von Kriterien |
|
Behandlungsalternativen |
|
Wahl der Alternative |
|
Prüfung der Akzeptanz |
|
Vorbereitung der Entscheidung |
|
Oft wird auch zu wenig gesprochen über die Umsetzung einer einvernehmlich getroffenen Entscheidung. Sie bedarf manchmal nur kleiner Hilfestellungen (z. B. Einbettung eines Medikamentenregimes in die täglichen Lebensabläufe), oft aber auch größerer Hilfestellungen (z. B. Terminvereinbarungen mit anderen Ärzten oder einem Krankenhaus) sowie der Absicherung einer Unterstützung im jeweiligen sozialen oder beruflichen Umfeld des Patienten.
7. Abschließende Empfehlungen
Ärztliche Gespräche sind nicht einfach nur soziale Begleiterscheinungen einer Tätigkeit, in deren Mittelpunkt Diagnose und Therapie stehen, sondern professionelle Instrumente eigener Art, mit denen Diagnose und Therapie wesentlich verbessert (manchmal auch relativiert) werden können. In Tabelle 5 werden die wichtigsten Empfehlungen zum ärztlichen Gesprächsverhalten noch einmal zusammengefasst.
Verhaltensempfehlungen | |
---|---|
Äußere Situation |
|
Interesse und Aufmerksamkeit |
|
Sprache und Sprechen |
|
Interaktion |
|
Nicht-verbale Aspekte |
|
Ärzte sollten sich vor Augen halten, dass die besten Therapieempfehlungen nichts nützen, wenn sie vom Patienten nicht eingehalten werden. Das erste Zielkriterium ist daher die Herstellung von Einverständnis (Compliance) bzw. der Einsicht des Patienten, das Richtige gewählt zu haben (Adhärenz). Das zweite Zielkriterium ist die Zufriedenheit mit der Behandlung, welche vom Patienten nicht nur am Gesundungserfolg, sondern auch an der erlebten Qualität der Arzt-Patient-Interaktion beurteilt wird.
Referenzen
- vgl. Hoefert H.-W., Theoretische und pragmatische Grundlagen der Kommunikation, in: Hoefert H.-W., Hellmann W. (Hrsg.), Kommunikation als Erfolgsfaktor im Krankenhaus, Economica, Heidelberg (2008), S. 1-51
- im Überblick Hoefert H.-W., Härter M. (Hrsg.), Schwierige Patienten, Huber, Bern (2013)
- Hoefert H.-W., Psychologie in der Arztpraxis, Hogrefe, Göttingen (2010), S. 177
- im Überblick Hoefert H.-W., Brähler E. (Hrsg.), Krankheitsvorstellungen von Patienten – Herausforderung für Medizin und Psychotherapie, Pabst Science Publ., Lengerich (2013)
- vgl. Hoefert H.-W., Härter M. (Hrsg.), siehe Ref. 2
- Hoefert H.-W. (2010)., siehe Ref. 3, S. 191 f.
- nach Langer I., Schulz v. Thun F., Tausch R., Sich verständlich ausdrücken, 7. Aufl., Reinhardt, München (2002)
- Kutscher P. P., Seßler H., Kommunikation – Erfolgsfaktor in der Medizin, Springer, Heidelberg (2007)
- Schweikhardt A., Fritzsche K., Kursbuch ärztliche Kommunikation, Dt. Ärzteverlag, Köln (2007)
- Loh A., Simon D., Kriston L., Härter M., Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen, Dt Ärztebl (2007); 104(21): A1483-A1488.
- zur Problematik der Herstellung von Adhärenz vgl. Hoefert H.-W., Adhärenz als Gesundheitszwang, in: Hoefert H.-W., Klotter C. (Hrsg.), Gesundheitszwänge, Pabst Science Publ., Lengerich (2013), S. 153-188
- vgl. Hoefert H.-W., Klotter C. (Hrsg.), Wandel der Patientenrolle. Neue Interaktionsformen im Gesundheitswesen, Hogrefe, Göttingen (2011)
- Hoefert H.-W., Kommunikation mit Patienten, in: Hellmann W. (Hrsg.), Krankenhausmanagement für leitende Ärzte, Medhochzwei, Heidelberg (2014) (in Druck)
Univ.-Prof. Dr. Hans-Wolfgang Hoefert
Stormstraße 3, D-14050 Berlin
hwhoefert(at)t-online.de