Europa auf dem Weg zu einem einheitlichen Transplantationsrecht?
Zusammenfassung
Der Autor geht der Frage nach, ob auf Grund der zunehmenden Verflechtungen und Rechtsvereinheitlichung in Europa auch das Transplantationsrecht eine Regelung erfährt. Insbesondere wird geprüft, ob bei Transplantationen von Organen Verstorbener die Notstands-, Widerspruchs- oder Zustimmungslösung als Grundlage für gesetzliche Bestimmungen dient. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß diesbezügliche internationale Vertragswerke selten und unvollständig sind. Es läßt sich jedoch konstatieren, daß in den meisten europäischen Staaten das Widerspruchsmodell praktiziert wird. Inwieweit dies mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht vereinbar ist, wäre noch zu untersuchen.
Schlüsselwörter: Organtransplantation, Konvention über Menschenrechte und Biomedizin, EG-Vertrag, postmortales Persönlichkeitsrecht, Widerspruchslösung, Zustimmungslösung/Informationslösung
Abstract
The author investigates the question whether due to the increasing interconnection and harmonizing of the European Legal Systems the rules dealing with the transplantation of vital organs have also been regulated. Especially the question of when transplanting organs from the dead if the emergency, contradictory or consent solutions are taken into account when laws are legislated. It can go on record that international agreements in this sense are few and far between or if so then incomplete. However, one notices that in the most European countries the contradictory model is practiced. How far this practice can be reconcoled with postmortum personal rights will have to be investigated.
Keywords: transplantation of vital organs, convention on human rights and biomedicine, EU-contracts, postmortum personal rights, contradictory solution, consent solution/informative solution
I. Einleitung1
Sowohl die jüngst vom Europarat verabschiedete „Konvention über Menschenrechte und Biomedizin“ als auch die in der Europäischen Union stetig voranschreitende Integration lassen die Frage gerechtfertigt erscheinen, ob bereits von der Existenz eines einheitlichen europäischen Transplantationsrechts auszugehen ist. Die folgenden Überlegungen beleuchten auch, unter welchen Voraussetzungen in internationalen und nationalen Regelungswerken die Organentnahme bei Verstorbenen für zulässig erklärt wird. Dabei steht der Gesetzgeber grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis: Einerseits hat er das über den Zeitpunkt des Todes hinausreichende sog. „postmortale Persönlichkeitsrecht2 zu achten, andererseits scheint er verhindern zu wollen, daß die – unter anderem durch den weltweiten Mangel an Spenderorganen3 verursachte – unbefriedigende Situation verschärft wird. Je nach dem, ob dem Gesetzgeber die Interessenslage der Spender oder der Empfänger berücksichtigungswürdiger erscheint, wird er bei Organentnahmen ex mortuo entweder das Notstands-, das Widerspruchs- oder das Zustimmungsmodell seinen Regelungen zu Grunde legen.
Beim Notstandsmodell fällt die Interessensabwägung zu Gunsten des Organempfängers aus: Falls sein Leben oder seine Gesundheit gerettet bzw. verbessert werden, ist eine Organentnahme sogar gegen den früher geäußerten Willen des Verstorbenen zulässig.
Dem Widerspruchsmodell zufolge ist eine Organentnahme grundsätzlich zulässig, es sei denn, der Spender hat schon zu Lebzeiten widersprochen. Im Rahmen dieses Modells werden an die Formerfordernisse des rechtsgültig erklärten Widerspruchs unterschiedliche Anforderungen gestellt: So kennt etwa das französische Transplantationsrecht eine Eintragung in das „registre de refus“.4
Das Zustimmungsmodell (Einwilligungsmodell) verlangt, daß für eine Organentnahme ex mortuo die ausdrückliche Zustimmung seitens des Organspenders vorliegen muß. Ist eine solche nicht vorhanden, muß eine Organtransplantation unterbleiben. In Deutschland, wo die Diskussion über ein Transplantationsgesetz schon beinahe seit zwei Jahrzehnten im Gang ist, wird zur Zeit die sog. Informationslösung diskutiert. Demnach ist die Organentnahme dann erlaubt, wenn entweder der Verstorbene zugestimmt hat oder die Angehörigen nach erfolgter Information nicht widersprechen. Gegen die zuletzt genannte Form der Fremdbestimmung bestehen jedoch Bedenken.5
II. Die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin
Am 19. November 1996 hat das Ministerkomitee des Europarates die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin mit 35 Stimmen – darunter diejenige Österreichs – angenommen.6 Gegenstimme wurde keine abgegeben; Belgien, Deutschland und Polen zogen es vor, sich der Stimme zu enthalten.
Ziel und Zweck des Vertrages über Menschenrechte und Biomedizin ist es, daß jede Vertragspartei die Würde und Identität aller menschlichen Lebewesen gewährleisten soll (Art. 1 der genannten Konvention7). Die weiteren allgemeinen Bestimmungen der Konvention sehen vor, daß den Interessen und dem Wohlergehen des Menschen der Vorrang gegenüber den Interessen der Gesellschaft und der Wissenschaft einzuräumen ist (Art. 2). Darüber hinaus postuliert Art. 4, daß jede „Intervention“ auf dem Gebiet der Gesundheit, einschließlich der Forschung, mit den entsprechenden Berufsbestimmungen und Standards übereinstimmen muß. Folgt man den Erläuterungen zur Konvention über Menschenrechte und Biomedizin8, so ist der Begriff „Intervention“ weit auszulegen: Er umfaßt alle medizinischen Handlungen, einerlei ob zu präventiven Zwecken, ob im Rahmen der Diagnose, der Behandlung, der Rehabilitation oder der Forschung.9
Der internationale Vertrag behandelt in Kapitel VI die Organ- und Gewebsentnahme von lebenden Spendern zu Zwecken der Transplantation. Im Vordergrund steht dabei die Überlegung, daß rechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz lebender Spender zu schaffen seien. Als allgemeine Regel legt Art. 19 Abs. 1 fest:
„Removal of organs or tissue from a living person for transplantation purposes may be carried out solely for the therapeutic benefit of the recipient and where there is no suitable organ or tissue available from a deceased person and no alternative therapeutic method of comparable effectiveness.“10
Damit wird die Zulässigkeit von Organ- oder Gewebsentnahmen (mit Ausnahme der Spende von Keimzellen und der Bluttransfusion11) kumulativ an eine positive und zwei negative Voraussetzungen geknüpft. Erstens darf die Entnahme bei Lebenden nur dann vorgenommen werden, wenn sie ausschließlich dem therapeutischen Nutzen des Organ- bzw. Gewebsempfängers dient; zweitens darf kein entsprechendes Organ von einer verstorbenen Person zur Verfügung stehen12; drittens darf keine andere therapeutische Methode ebenso erfolgversprechend sein wie eine Transplantation.13
In Art. 19 Abs. 2 wird statuiert, daß eine Organ- bzw. Gewebsentnahme nur dann gestattet ist, wenn der Spender ihr ausdrücklich zugestimmt hat und diese Zustimmung entweder in schriftlicher Form vorliegt oder vor einer amtlichen Stelle (zB einem Gericht oder Notar14) abgegeben wurde. Durch diese Norm wird das in Art. 5 für sämtliche Interventionen auf dem Gebiet der Gesundheit verlangte Einverständnis15 besonderen Formvorschriften unterworfen. Besonders geschützt werden Personen, die nicht fähig sind, ihr Einverständnis zu geben: Ihnen dürfen grundsätzlich keine Organe entnommen werden (Art. 20 Abs. 1); Ausnahmen bestehen nur in engen Grenzen und lediglich für die Entnahme von regenerativem Gewebe.16
Die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin enthält des weiteren eine Bestimmung, wonach der menschliche Körper und seine Teile als solche nicht Quelle finanziellen Gewinns sein dürfen (Art. 21). Außerdem ist es unzulässig, einen entnommenen Teil eines Körpers für einen anderen Zweck zu verwenden als für den vorgesehenen, es sei denn, der Spender willigt nach entsprechender Information ein (Art. 22).
Will man die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin aus österreichischer Sicht würdigen, so ist nicht zu übersehen, daß „das österreichische Recht in manchen Punkten weit über die Konvention hinausgehenden Schutz vorsieht“ und es „aus Gründen der Menschlichkeit“ zu bedauern ist, „daß der in der Konvention vorgesehene Schutz nicht nur hinter den Erwartungen Österreichs, sondern auch vieler Menschen in Europa zurückbleibt“.17 Nimmt man ferner zur Kenntnis, daß die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin über die Zulässigkeit von Organentnahmen bei Verstorbenen überhaupt keine Aussagen trifft, so erscheint es im Hinblick auf die genannte Konvention vorerst nicht gerechtfertigt, von einem einheitlichen europäischen Transplantationsrecht auszugehen.
III. Der EG-Vertrag
Die Europäische Gemeinschaft (EG) hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion unter anderem die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität zu fördern.18 Daher will die EG auch „einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus“ leisten.19 Bedeutet das nun, daß die EG im Rahmen ihrer Kompetenz ermächtigt ist, Regelungen über ein europäisches Transplantationsrecht zu erlassen? Der EGV äußerst sich dazu nicht unmittelbar:
„Die Tätigkeit der Gemeinschaft ist auf die Verhütung von Krankheiten, insbesondere der weitverbreiteten schwerwiegenden Krankheiten einschließlich der Drogenabhängigkeit, gerichtet; dabei werden die Erforschung der Ursachen und der Übertragung dieser Krankheiten sowie die Gesundheitsinformation und -erziehung gefördert.“20
Schon der Wortlaut der angeführten Bestimmung erscheint nicht dazu geeignet, der EG eine Zuständigkeit im Hinblick auf Regelungen zur Organtransplantation einzuräumen: eine Subsumption von transplantativen Maßnahmen unter „Verhütung von Krankheiten“ strapaziert den letztgenannten Begriff über Gebühr. Auch legt die (demonstrative) Erwähnung von „weitverbreiteten schwerwiegenden Krankheiten“ die Auslegung nahe, daß sich die Tätigkeit der EG auf die Verhütung infektiöser Krankheiten (unter Einschluß der Drogenabhängigkeit) beschränken solle.
Selbst wenn dem eben dargelegten Ergebnis der Interpretation von Art. 129 Abs. 1 EGV nicht gefolgt und eine Organtransplantation als „Verhütung von Krankheiten“ aufgefaßt wird, so ist Art. 129 Abs. 4 EGV zu beachten. Dort wird normiert, daß der Rat zur Verwirklichung der Ziele im Bereich des Gesundheitswesens sowohl Fördermaßnahmen „unter Ausschluß jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“21 (nach Anhörung von Ausschüssen) als auch (auf Vorschlag der Kommission) Empfehlungen22 erlassen kann. Daraus wird deutlich, daß die EG nicht ermächtigt ist, auf dem Gebiet des Transplantationswesens rechtsverbindliche Maßnahmen anzuordnen.23,24
Soweit ersichtlich, hat der Rat bisher noch keine Fördermaßnahmen oder Empfehlungen im Hinblick auf Organtransplantationen erlassen. Derzeit sind auch keine entsprechenden Vorhaben bekannt.
IV. Die Rechtslage in Österreich25
Das Krankenanstaltengesetz (KAG)26 enthielt bis Anfang der 80er Jahre keine ausdrücklichen Bestimmungen in bezug auf Organtransplantationen.27 Erst mit Bundesgesetz vom 1. Juni 198228 wurde die „Entnahme von Organen oder Organteilen Verstorbener zu Zwecken der Transplantation“29 einer gesetzlichen Regelung unterworfen. Dabei legt § 62a Abs. 1 KAG fest:
„Es ist zulässig, Verstorbenen einzelne Organe oder Organteile zu entnehmen, um durch deren Transplantation das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wiederherzustellen. Die Entnahme ist unzulässig, wenn den Ärzten eine Erklärung vorliegt, mit der der Verstorbene oder, vor dessen Tod, sein gesetzlicher Vertreter eine Organspende ausdrücklich abgelehnt hat. Die Entnahme darf nicht zu einer die Pietät verletzenden Verunstaltung der Leiche führen.“
In § 62a Abs. 1 Satz 2 KAG hat sich der österreichische Gesetzgeber somit für die sogenannte Widerspruchslösung entschieden: Die Organentnahme ist zulässig, wenn keine ausdrückliche Ablehnung vorliegt.30 So prägnant die Formulierung der Widerspruchslösung in § 62a Abs. 1 Satz 2 KAG auch sein mag, sie wirft, worauf Kopetzki eindrucksvoll hingewiesen hat, einige Fragen auf.31
Mit BGBl. Nr. 801/1993 wurde das KAG dahingehend novelliert, daß nun allfällige Widersprüche zu einer Organtransplantation im Rahmen der Krankengeschichte zu dokumentieren sind (§ 10 Abs. 1 Z 8 KAG).32 Diese Bestimmung soll § 62a Abs. 1 KAG „unterstützen“.33
V. Die Rechtslage in anderen europäischen Staaten
In Frankreich wurde im Juli 1994 ein Gesetz verabschiedet, das im Hinblick auf seinen Regelungsinhalt durchaus als „Bioethikgesetz“ bezeichnet werden kann.34 Im Rahmen dieses Gesetzes ist die Organentnahme von Verstorbenen grundsätzlich nur dann zulässig, wenn sie unentgeltlich, anonym und ohne Werbung für eine bestimmte (natürliche oder juristische) Person durchgeführt wird. Im übrigen wird – wie schon im Gesetz zur Zulässigkeit der Transplantationsmedizin aus dem Jahr 1976 festgelegt wurde35 – die Widerspruchslösung anerkannt, die als „Prinzip der vermuteten Einwilligung“36 bezeichnet wird.
Die äußere Form des Widerspruches wird durch das Gesetz nicht vorgeschrieben. Allerdings ist es dem Widersprechenden möglich, seinen Willen im sog. „registre de refus“ dokumentieren zu lassen, wobei die nähere organisatorische Ausgestaltung und die Registerführung in einem (vom Conseil d‘Etat) zu erlassenden Dekret zu bestimmen ist.
Jung weist darauf hin, daß während des parlamentarischen Verfahrens die Einführung des Registers auf heftige Kritik stieß:37 Die geringe Zahl derer, die sich in das „registre de refus“ eintragen lassen wollen, stehe in Mißverhältnis zum erforderlichen Aufwand der Registerführung. Außerdem könne die Existenz eines solchen Registers als Werbung für die Ablehnung einer Organtransplantation ex mortuo gewertet werden. Daher sei vielmehr ein Zustimmungsregister einzurichten. Dagegen wurde hauptsächlich eingewandt, daß das Register sowohl für Personen, die ihren Widerspruch äußern, als auch für Ärzte, die eine Transplantation durchführen wollen, die größtmögliche Form der Sicherheit biete. Letztendlich hat sich das französische Parlament jedoch dafür entschieden, die „Unannehmlichkeit der Eintragung“ in ein Register dem Widersprechenden aufzubürden.
Für den Fall, daß der Arzt keine Kenntnis vom Willen des Verstorbenen erlangt hat, ist er verpflichtet, das Zeungis der Familie einzuholen. Damit wird dem Arzt eine Nachforschungspflicht auferlegt, wobei klargestellt ist, daß die Angehörigen kein Entscheidungsrecht innehaben, sondern bloß als Auskunftspersonen zur Erforschung des wahren Willens des Verstorbenen heranzuziehen sind. Ungeregelt bleibt im französischen Bioethikgesetz, mit welcher Intensität der Arzt bemüht sein muß, das Zeugnis der Familie einzuholen. Auch über den Begriff „Familie“ gibt es im Hinblick auf den außerehelichen Lebenspartner Unklarheiten.38
Im Oktober 1995 hat das polnische Parlament ein Gesetz über die Transplantation von Zellen, Geweben und Organen beschlossen. Dieses Gesetz regelt – mit Ausnahme der Entnahme und Übertragung von Fortpflanzungszellen sowie der Entnahme, Aufbewahrung und Verteilung von Blutspenden – Ex- und Implantationen sowohl ex vivo als auch ex mortuo.39
Das derzeitige polnische Gesetz hält bei der Organtransplantation von Verstorbenen an dem bereits durch ein Gesetz aus dem Jahr 1991 eingeschlagenen rechtlichen Weg der Widerspruchslösung fest, wobei jedoch Rechtsunsicherheiten beseitigt wurden. Art. 5 Abs. 1 des nunmehrigen Regelungswerkes nennt drei unterschiedliche Möglichkeiten, mit denen ein Widerspruch rechtsgültig dokumentiert werden kann: Eintragung in ein Register für Widersprüche; schriftliche Erklärung mit eigenhändiger Unterschrift; mündliche Erklärung in Gegenwart von mindestens zwei Zeugen zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus oder später. Der Widerspruch bei Minderjährigen durch den gesetzlichen Vertreter hat strengeren Anforderungen zu genügen.40 Des weiteren ist der Erlaß von Durchführungsverordnungen bezüglich der Registrierung der Widersprüche vorgesehen. Ärzte sind verpflichtet, vor jeder Explantation Informationen über das mögliche Vorliegen eines Widerspruches einzuholen.
Bei den Bestimmungen über die Organentnahme von Toten fällt außerdem auf, daß eine solche nicht nur zu Heil- oder Diagnosezwecken, sondern auch zu wissenschaftlichen oder didaktischen Zwecken zulässig ist.
Für die Widerspruchslösung bei Organtransplantationen ex mortuo haben sich – einer Untersuchung von Wolfslast folgend41 – auch die Gesetzgeber in Belgien42, Dänemark, Griechenland, Italien, Norwegen, Schweden und Spanien43 entschieden. Ebenso wird in Finnland dieser Weg beschritten.44
In Deutschland wird bereits seit fast 20 Jahren an einer gesetzlichen Regelung des Transplantationswesens gearbeitet.45 Dabei scheint der Konflikt zwischen den Anhängern der Zustimmungslösung einerseits und dem Widerspruchsmodell andererseits unüberbrückbar zu sein. Daher darf auch jenes Kuriosum nicht verwundern, dem zufolge das Transplantationsgesetz für das Land Rheinland-Pfalz im Juni 1994 verabschiedet, jedoch vier Monate später noch vor seinem Inkrafttreten einstimmig wieder aufgehoben wurde.46
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß sich als Kompromiß die sog. Informationslösung herauszubilden scheint. Ein entsprechender Vorschlag wurde unter anderem von der Deutschen Stiftung Organtransplantation und der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Transplantationszentren unterbreitet. Die einschlägige Bestimmung lautet:
§ 2 Entnahme bei Verstorbenen
„Die Entnahme von Organen, Organteilen oder Geweben bei einem Verstorbenen zur Übertragung auf einen anderen Menschen ist zulässig, wenn
- 1. der Tod zweifelsfrei festgestellt ist und
- a) der Verstorbene zu Lebzeiten schriftlich oder in anderer Form eingewilligt hat oder
b) bei fehlender Erklärung des Verstorbenen, und wenn keine Umstände, z. B. religiöser oder weltanschaulicher Art, ersichtlich sind, die einen entgegenstehenden Willen des Verstorbenen erkennen lassen, die nächsten Angehörigen über die Absicht der Entnahme in geeigneter Form und mit angemessener Bedenkzeit unter Hinweis auf die Möglichkeit des Widerspruchs informiert sind und nicht widersprochen haben. Nächste Angehörige sind der Ehegatte oder die Person, mit der der Verstorbene in enger Lebensgemeinschaft gelebt hat, die volljährigen Kinder, die Eltern und die volljährigen Geschwister. In der Regel ist ein Angehöriger entsprechend der vorstehenden Reihenfolge zu informieren und zu einer Erklärung befugt.“47
Während Z 2 lit. a von der Einwilligunglösung ausgeht, bedeutet lit. b, daß den Angehörigen ein Widerspruchsrecht eingeräumt wird. Treffen sie keine ausdrückliche Entscheidung, „so können sie doch gewiß sein, daß mit dem Verstorbenen etwas geschieht, das von der Rechtsordnung nicht nur gebilligt, sondern gutgeheißen wird, daß sie sich also auch in ihrem Schweigen in Übereinstimmung mit dem Recht befinden“.48
Mittlerweile ist die Diskussion in Deutschland um eine Facette reicher: Im Rahmen der Transplantationsgesetzgebung wird die international anerkannte Hirntodkonzeption immer mehr angezweifelt49, wobei behauptet wird, daß ein Hirntoter nicht einem Leichnam gleichzusetzen sei und daher noch lebe50, sodaß eine Transplantation jedenfalls eine ausdrückliche Einwilligung erfordere.
In der Türkei und in Großbritannien hat man sich für das Zustimmungsmodell entschieden.51 Das bedeutet, daß Aufklärungskampagnen erforderlich sind, um eine ausreichende Zahl an potentiellen Spendern davon zu überzeugen, ihre Zustimmung für eine postmortale Organtransplantation zu erteilen. Praktiker weisen auf die Problematik dieser Bestimmung hin.52
VI. Conclusio
Aus dem oben Dargelegten ergibt sich, daß von einem einheitlichen europäischen Transplantationsrecht nicht die Rede sein kann. Internationale Vertragswerke – so vorhanden – bleiben lückenhaft und regeln bei weitem nicht alle Aspekte auf dem Gebiet des Transplantationswesens. Aktuelle Probleme, wie etwa die Organverteilung53 oder der sprunghaft ansteigende Organhandel54, bleiben großteils sowohl international als auch national ungeregelt.
Auf der anderen Seite ist erwiesen, daß in den meisten europäischen Transplantations-Rechtsordnungen im Hinblick auf Organentnahmen ex mortuo das Widerspruchsmodell – in durchaus unterschiedlichen Erscheinungsformen – als vorherrschend bezeichnet werden kann. Dabei gehen die Gesetzgeber von der Überlegung aus, daß jeder Mensch grundsätzlich mit einer Organentnahme nach seinem Tod einverstanden ist. Der Mangel an Spenderorganen soll dadurch entschärft werden, indem sowohl der „Aufwand" für die Erhebung eines Widerspruches dem Spendeunwilligen aufgebürdet wird (und die Äußerung des Widerspruches womöglich deshalb unterbleibt) als auch die teilweise sicherlich bestehende Uninformiertheit der Bevölkerung „ausgenützt“ wird, von einer Erhebung eines Widerspruches Abstand zu nehmen.
Inwieweit eine solche Regelung mit dem über den Zeitpunkt des Todes hinausreichenden Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen kollidiert, ist – so weit ersichtlich – zumindest für das österreichische Recht noch nicht hinreichend untersucht worden. Insoweit erscheinen weiterführende Überlegungen angezeigt.
Referenzen
- Häufig verwendete Abkürzungen:
BlgNR: Beilage zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates
EGV: EG-Vertrag
GP: Gesetzgebungsperiode
MedR: (Zeitschrift für) Medizinrecht
NJW: Neue Juristische Wochenschrift
ZRP: Zeitschrift für Rechtspolitik
Das Manuskript wurde im Mai 1997 abgeschlossen - Zu seiner Existenz (nunmehr bejahend) Aicher in Rummel, Kommentar zum ABGB, § 16 Rz 28 f, 1. Band, Wien 1990, 2. Aufl.
- Vgl. Salzburger Nachrichten vom 4.12.1996, 17, Bruno Reichert zitierend, wonach jeder dritte Patient, der auf der Warteliste für eine Organtransplantation steht, mangels Spenderorgan sterbe. In Deutschland warten nach Angaben der deutschen Bundesärztekammer 13.000 kranke Menschen auf die Transplantation eines Organs, derzeit stehe jedoch nur etwa die Hälfte an Organen zur Verfügung. The Economist vom 25.1.1997, 17, vermeldet, daß im täglichen Durchschnitt 10 Amerikaner sterben, während sie auf ein Organtransplantat warten.
- Dazu unten, V.
- Bernd-Rüdiger Kern, Fremdbestimmung bei der Einwilligung in ärztliche Eingriffe, NJW 1994, 753 ff (758, 759); Adolf Laufs, Arzt und Recht im Umbruch der Zeit, NJW 1995, 1590 ff (1593).
- Convention for the protection of human rights and dignity of the human being with regard to the application of biology and medicine: Convention on human rights and biomedicine. Zur Entstehungsgeschichte und einem ersten Vergleich mit dem deutschen Recht Richard Giesen, Internationale Maßstäbe für die Zulässigkeit medizinischer Heil- und Forschungseingriffe, MedR 1995, 353 ff.
- Artikelbezeichnungen ohne Angabe beziehen sich auf die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin.
- Explanatory report to the Convention for the protection of human rights and dignity of the human being with regard to the application of biology and medicine: Convention on human rights and biomedicine. Dokument CM(96)175 final.
- Abs. 29 des Explantatory Report (ExpRep).
- Gemäß der Schlußklausel der Konvention sind nur der englische und der französische Text authentisch, sodaß der deutsche Text als völkerrechtlich unverbindliche Übersetzung anzusehen ist.
- Abs. 117 ExpRep.
- Abs. 119 ExpRep begründet dies damit, daß jede Organ- bzw. Gewebsentnahme für den Spender ein gewisses Risiko bedeute.
- In einer früheren Fassung des ExpRep wird vorgeschlagen, daß – falls medizinisch möglich – tierisches Gewebe anstelle von menschlichem zu verweden sei.
- Abs. 120 ExpRep.
- Dabei handelt es sich freilich um informiertes Einverständnis: „This person shall beforehand be given appropriate information as to the purpose and nature of the intervention as well as on its consequences and risks“ (Art. 5 zweiter Satz). Das Einverständnis gemäß Art. 5 kann – eben anders als nach Art. 19 Abs. 2 – auch stillschweigend gegeben sein (vgl. Abs. 37 ExpRep).
- Vgl. im einzelnen Art. 20 Abs. 2. Eine Gewebespende ist nur für Geschwister zulässig und die Spende muß für den Empfänger lebensrettend sein können. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ist erforderlich. Dem potentiellen Spender bleibt jedenfalls ein Widerspruchsrecht.
- Aus der Erklärung, die der Vertreter Österreichs anläßlich der Annahme der Konvention im Ministerkomitee des Europarates abgegeben hat.
- Art. 2 EGV.
- Art. 3 lit. o EGV. Vgl. auch Art. 129 Abs. 1 EGV.
- Art. 129 Abs. 1 zweiter Unterabs. EGV.
- Art. 129 Abs. 4 erster Spiegelstrich EGV.
- Art. 129 Abs. 4 zweiter Spiegelstrich EGV.
- „Empfehlungen“ sind gemäß Art. 189 fünfter Unterabs. EGV „nicht verbindlich“.
- Freilich darf nicht übersehen werden, daß die Organtransplantation als operativer Eingriff den Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 ff EGV) unterliegt.
- Dazu einschlägig Christian Kopetzki, Organgewinnung zu Zwecken der Transplantation, Wien/New York 1988.
- BGBl. Nr. 1/1957, zuletzt geändert durch die KAG-Novelle 1996, BGBl. Nr. 751.
- Zur Rechtslage vor der KAG-Novelle 1982 vgl. unter anderen Kopetzki (FN 25), Organgewinnung, 13 ff, und (aus strafrechtlicher Sicht) Maria A. Rieder, Die strafrechtliche Beurteilung von Organtransplantationen de lege lata et ferenda, Österreichische Juristenzeitung 1978, 113 ff.
Im Vorblatt zu den Erläuterungen zur KAG-Novelle 1982 (969 BlgNR XV. GP, S. 2) wird die Ansicht geäußert, daß schon „nach der bisherigen Rechtslage die Entnahme von Organen bzw. Organteilen zu Heilzwecken zulässig ist“. Dies wird von Kopetzki (FN 25), Organgewinnung, 19, unter anderem unter Berufung auf den OGH, als „völlig unverständlich“ bezeichnet. - BGBl. Nr. 273/1982.
- Überschrift zum Hauptstück F.
- Anders noch 969 BlgNR XV. GP, 2: „Nach eingehender Prüfung . . . wurde jedoch davon Abstand genommen, eine Regelung im Sinne der sogenannten ‚Widerspruchslösung‘ bzw. ‚Zustimmungslösung‘ zu treffen. “ Diese Feststellung bezieht sich auf die Regierungsvorlage zur KAG-Novelle 1982, die sich tatsächlich weder auf die Widerspruchs- noch auf die Zustimmungslösung festlegen wollte. Die Entscheidung für die Widerspruchslösung geht auf einen Änderungsantrag des Ausschusses für Gesundheit und Umweltschutz zurück (1089 BlgNR XV. GP, 1).
- Ausführlich Kopetzki (FN 25), Organgewinnung, 220 ff.
- Dabei handlet es sich um eine Grundsatzbestimmung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Z 1 B-VG, sodaß sie von den Landesgesetzgebern in die Landes-KAG aufzunehmen und gegebenenfalls zu konkretisieren ist.
- 1080 BlgNR XVIII. GP, 19.
- Loi no 94-654 du 29 julliet 1994 relative au don et à l‘utilisation des éléments et produits du corps humain; à l‘assistance médicale à la procréation et au diagnostic prénatal. J. O. vom 30. Juli 1994. Zur Übersetzung „Bioethikgesetz“ und den folgenden Ausführungen Andrea Jung, Die französische Rechtslage auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin, MedR 1996, 355 ff.
- Vgl. dazu Jung (FN 34), MedR 1996, 356; Gabriele Wolfslast, Transplantationsrecht im europäischen Vergleich, Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1/1989, 43 ff. (45).
- Jung (FN 34), MedR 1996, 356 mit Anmerkung 12.
- Jung (FN 34), MedR 1996, 360 f.
- Jung (FN 34), MedR 1996, 361 mit Anmerkung 90.
- Dazu und im folgenden Ewa Weigend/Eleonora Zielinska, Das neue polnische Transplantationsgesetz, MedR 1996, 445 ff.
- Art. 5 Abs. 2 des polnischen Gesetzes 1995.
- Wolfslast (FN 35), Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1/1989, 43 ff.
- Dazu näher Wolfslast (FN 35), Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1/1989, 45.
- Dazu näher Wolfslast (FN 35), Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1/1989, 45.
- Weigend/Zielinska (FN 39), MedR 1996, 450 mit Anmerkung 40.
- Zum Stand der Diskussion während der letzten Jahre: Michael Lemke, Stand der Diskussion zum Entwurf eines Transplantationsgesetzes – Eine rechtspolitische Bestandsaufnahme, MedR 1991, 281 ff; Hans-Ludwig Schreiber/Gabriele Wolfslast, Ein Entwurf für ein Transplantationsgesetz, MedR 1992, 189 ff; Adolf Laufs, Die Entwicklung des Arztrechts 1991/92, NJW 1992, 1529 ff (1537); Adolf Laufs, Die Entwicklung des Arztrechts 1992/93, NJW 1993, 1497 ff (1500 f); Bernd-Rüdiger Kern, Zum Entwurf eines Transplantationsgesetzes (der Länder?), MedR 1994, 389 ff (vgl. dazu Friedrich-Wilhelm Eigler, Kommentar, MedR 1994, 393 und Hans Wolfgang Opderbecke, Stellungnahme, MedR 1995, 152); Joachim Weber/Stefanie Lejeune, Rechtliche Probleme des rheinland-pfälzischen Transplantationsgesetzes, NJW 1994, 2392 ff; Laufs (FN 5), NJW 1995, 1593 f; Lars Christoph Nickel, Verfassungsrechtliche Probleme der Transplantationsgesetzgebung am Beispiel des Gesetzesbeschlusses des rheinland-pfälzischen Landtags, MedR 1995, 139 ff; Adolf Laufs, Medzinrecht im Wandel, NJW 1996, 1571 ff (1579).
- Nickel (FN 45), MedR 1995, 139. Das rheinland-pfälzische Gesetz sah in § 2 Abs. 1 Z 2 die Widerspruchslösung vor. Zu dieser kritisch Weber/Lejeune (FN 45), NJW 1994, 2395 ff; Nickel (FN 45), MedR 1995, 142 ff; befürwortend Kern (FN 45), MedR 1994, 392.
- Schreiber/Wolfslast (FN 45), MedR 1992, 191. Im Kern ähnlich § 3 des Mustergesetzentwurfes, den die Gesundheitsministerkonferenz der (deutschen) Länder im November 1992 angenommen hat. Dazu Laufs (FN 45), NJW 1993, 1501.
- Schreiber/Wolfslast (FN 45), MedR 1992, 191.
- Laufs (FN 5), NJW 1995, 1594; Hans Grewel, Zwischen Lebensrettung und Euthanasie – das tödliche Dilemma der Transplantationsmedizin, ZRP 1995, 217 ff; Wolfram Höfling, Hirntodkonzeption und Transplantationsgesetzgebung, MedR 1996, 6 ff. Für den Hirntod als maßgebende Zäsur zwischen Leben und Tod: Kopetzki (FN 25), Organgewinnung, 183 ff; Dieter Birnbacher, Hirntodkriterium: Anthropologisch-ethische Aspekte, MedR 1994, 469 ff; Werner Heun, Der Hirntod als Kriterium des Todes des Menschen – Verfassungsrechtliche Grundlagen und Konsequenzen, (deutsche) Juristenzeitung 1996, 213 ff. Differenzierend Stephan Rixen, Todesbegriff, Lebensgrundrecht und Transplantationsgesetz, ZRP 1995, 461 ff.
- Grewel (FN 49), ZRP 1995, 218: „Organentnahmen von hirntoten Menschen sind damit grundsätzlich als Tötungshandlungen zu betrachten. Diese Menschen sterben im Vollzug der Explantation“.
- Wolfslast (FN 35), Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1/1989, 44.
- So etwa J. Pinto da Costa, Organ Transplantations: The Rights of Donors, (US-Zeitschrift für) Medicine and Law (1989) 8, 11 ff. (13) für das portugiesische Recht. Da der tatsächliche Wortlaut des portugiesischen Gesetzes dem Verfasser nicht zugänglich war, kann nicht überprüft werden, ob in Portugal, wie Pinto de Costa behauptet, die „informierte Zustimmungslösung“ gilt, oder, wie offenbar Wolfslast (FN 35), Zeitschrift für Transplantationsmedizin 1/1989, 44 anzudeuten scheint, das Widerspruchsmodell zur Anwendung gelangt.
- Dazu einführend Christoph Conrads, Eurotransplant und UNOS – Modelle der Organallokation?, MedR 1996, 300 ff. Bemerkenswert auch Jack Kevorkian, A Controlled Auction Market is a Practical Solution to the Shortage of Transplantable Organs, Medicine and Law (1992) 11, 47 ff, der eine kontrollierte Versteigerung für verfügbare Organe vorschlägt.
- Zur Diskussion in Deutschland Wolfgang Lührs, Überlegungen zur einheitlichen Kodifizierung des Transplantationswesens, ZRP 1992, 302 ff; Erwin Deutsch, Zum geplanten strafrechtlichen Verbot des Organhandels, ZRP 1994, 179 ff; Ralf Sasse, Zivil- und strafrechtliche Aspekte der Veräußerung von Organen Verstorbener und Lebender, Frankfurt/Main (u. a. ) 1996.
Mag Dr. iur. Wolfgang Feiel
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A-1014 Wien