Editorial
Es ist hinlänglich bekannt, daß die Knappheit der Organe das große Problem der Transplantationsmedizin darstellt. Die Operationstechnik wurde sehr schnell perfektioniert, das rebellische Immunsystem wird zunehmend unter Kontrolle gebracht und von organisatorischer Seite das komplexe Zusammenspiel der kooperierenden Ärzteteams rationeller gestaltet, aber: Es gibt nach wie vor zu wenig Organe. Die Wartelisten für eine Transplantation werden von Jahr zu Jahr länger. Der psychische Druck, der in dieser bangen Zeit des Wartens für die Patienten entsteht, ist beachtlich. In den verschiedenen Transplantations-Statistiken werden zahlenmäßig immer auch jene Patienten angeführt, die kein Organ bekommen und während dieser Zeit verstorben sind. Es ist daher nur logisch, daß die Suche nach neuen „Organquellen“ sehr stark betrieben wird. Die Entwicklung künstlich hergestellter Organe scheint noch in weiter Ferne zu liegen, so daß eigentlich nur der Rückgriff auf die natürlichen Organe bleibt.
Die größte Gruppe der Organspender sind die Hirntoten. Zahlenmäßig machen sie den Hauptanteil der Spender aus. Mit Hilfe von Beatmungsgeräten und anderen intensivmedizinischen Maßnahmen kann bei Patienten, bei denen ein irreversibler Funktionsausfall des gesamten Gehirns eingetreten ist, die Kreislauffunktion aufrecht erhalten bleiben. Die Erklärung des Ad-hoc Harvard Komitees hat festgestellt, was ohnehin empirisch nachvollzogen werden kann: Bei irreversiblem Erlöschen der Hirnfunktionen ist keine Aussicht mehr auf ein Wiedererwachen gegeben. Alle intensivmedizinischen Maßnahmen sollen abgestellt werden. Daß sich die Transplantationsmedizin diese Tatsache zu eigen gemacht und Hirntote als bevorzugte Organspender gebraucht, hat ihr bis heute schwere Vorwürfe des Instrumentalisierens eingebracht. Auch die Debatte über den Status des Hirntoten ist noch nicht ausgefochten. Dennoch haben sich fast alle Industrienationen darauf geeinigt, die Organentnahme von Hirntoten für zulässig zu erklären. Das deutsche Transplantationsgesetz spricht zwar nicht ausdrücklich vom „Hirntod“, aber doch vom Organspender, bei dem ein „endgültiger, nicht behebbarer Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.“1 Auch Japan hat sich erst kürzlich zu einer Gesetzesregelung durchgerungen, wobei eine Organentnahme vom Hirntoten erlaubt ist, wenn dieser vorher schriftlich seine Einwilligung dazu gegeben hat2. Sehr unterschiedlich sind aber die Auffassungen, wie ausdrücklich die Willensbekundung des Spenders bei dieser Vorgangsweise sein muß. Vorweggenommen: Konsens herrscht darüber, daß eine Organentnahme nicht durchgeführt werden darf, wenn eine explizite Verweigerung dazu vorliegt. Hat sich der Betreffende zu Lebzeiten aber nicht geäußert, kann man in zweifacher Weise vorgehen. Entweder wird versucht, über die nächsten Angehörigen den mutmaßlichen Willen des Hirntoten in Erfahrung zu bringen (Zustimmungsregelung), oder aber seine Zustimmung wird fraglos angenommen, da ja kein Widerspruch vorliegt (Widerspruchslösung). Es bedarf nur geringen Hausverstandes um vorauszuahnen, welche der beiden gesetzlichen Regelungen das größere Organaufkommen zustande bringt.
Am Hirntod versterben vergleichsweise nur sehr wenige Menschen. Der durchschnittliche Bürger stirbt am Herzversagen. Und wenn das Herz versagt, heißt das noch lange nicht, daß die anderen Organe auch versagen. Solche „Non-beating-hearts“ sind daher unter bestimmten Bedingungen mögliche Organspender3. Diese Praxis hat in einigen Ländern bereits Verbreitung gefunden, die Ergebnisse sprechen für sich. Die Problematik ist die kurze Zeitspanne, die zwischen Herzstillstand und Organentnahme liegt. Es darf nur sehr wenig Zeit verstreichen, da sonst Organe durch die Ischämie bereits irreversible Schädigungen erleiden und keine Transplantation mehr möglich ist. Es ist evident, welches Dilemma hier entsteht. Zum Wohle des Empfängers muß so schnell wie möglich agiert werden. Zu neu ist noch die Praxis, zu wenig Teams sind darauf eingespielt, als daß es eine einheitliche Vorgangsweise geben könnte. Wir haben im Rahmen der Tätigkeiten unseres Instituts eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gebildet, um die geschilderte Problematik zu erörtern. Frucht dieser wiederholten Gespräche ist ein Konsenspapiervorschlag, der sowohl von ethischer und rechtlicher, als auch von medizinisch-technischer Seite gerechtfertigt werden kann. Eine Garantie gegen jegliches mißbräuchliche Vorgehen kann damit aber nicht gegeben werden. Die Schwerpunkt-Beiträge dieser Ausgabe von Imago Hominis nehmen von verschiedenen Seiten her Stellung zur Organentnahme bei herztoten Spendern. Fest steht, daß, gleich wie bei den Hirntoten, vornehmlich den Spenderinteressen Rechnung getragen werden muß. Die Würde des Menschen erfordert besondere Sorgfalt im Umgang mit Sterbenden und eben Verstorbenen.
Weitere Möglichkeiten, das Spendeaufkommen zu vergrößern, liegen in der Organverpflanzung unter Lebenden. Deutschland sieht in seiner Regelung eine Zulässigkeit solchen Vorgehens nur, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: der Spender muß volljährig, einwilligungsfähig, aufgeklärt, medizinisch geeignet sein und darüber hinaus in einem Nahverhältnis zum Empfänger stehen. Außerdem darf kein entsprechendes Organ von einem Toten zur Verfügung stehen4. Die Vorgangsweise der Lebendspende ist in Österreich nicht geregelt. Organhandel ist verboten. Das Problem der länger werdenden Wartelisten wird damit nicht gelöst.
Seit längerer Zeit weiß man, daß die Forschung intensiv daran arbeitet, Schweine gentechnisch zu manipulieren, um deren Organe für die Transplantation verfügbar zu machen. Sensationsmeldungen landen in der Öffentlichkeit immer wieder große Erfolge, ernsthafte Wissenschaftler schieben den Termin für eine mögliche xenogene Transplantation jedoch immer wieder auf. Eine realistische Hoffnung für einen baldigen Einsatz von Schweineherzen gibt es nicht.
Damit ist die Liste der möglichen Spender fast erschöpft, sieht man von illegalen Vorgangsweisen einmal ab. Im Focusartikel von M.Habsburg-Lothringen et al. „Die Vermarktung von Organen“ wird dieses Thema dennoch vorsichtig aufgegriffen. Es wird kaum wundern, daß der Organmangel auch unlautere Machenschaften provoziert. Die Frage, wodurch die Differenz zwischen durchgeführten Tranplantationen und registrierten Spendern gedeckt wird, darf nicht unbeantwortet bleiben. Es ist Aufgabe internationaler Organisationen, diversen Anschuldigungen nachzugehen und Mißstände abzuschaffen.
Bei all diesen Überlegungen fällt auf, daß vornehmlich eine Mißachtung der Spenderinteressen auf dem Spiel steht. Diese müssen mit aller Kraft verteidigt und gewahrt werden. Das Leben ist ein kostbares Gut; der Lebensschutz stellt ein Grundrecht für alle dar, das Recht des Stärkeren darf hierbei nicht Fuß fassen. Hier sei auch daran erinnert, daß das Leben nicht das höchste Gut und überdies für jedermann zeitlich begrenzt ist. Diese unausweichliche Tatsache sollte all jenen in Erinnerung gerufen werden, denen angesichts der Organknappheit anscheinend alle Mittel recht sind, auch wenn sie einer ethischen Prüfung nicht mehr standhalten. Für einen gläubigen Menschen, gleich welcher Konfession, wird es ein Trost sein, daß der Tod nicht das Letzte ist, sondern der Übergang in ein anderes Dasein. Er wird daher gelassen hinnehmen können, wenn ihm die Möglichkeit einer Organtransplantation nicht mehr gegeben werden kann.
Die Herausgeber