Warum Menschen klonen?
Der sogenannte „Human Fertilisation and Embryology Act“, der in Großbritannien die künstliche Befruchtung regelt und die Experimente mit Embryonen bis zum 14. Lebenstag zulässt, soll nun auf Vorschlag der Regierung dahingehend abgeändert werden, dass auch die Klonung von Menschen zu Forschungszwecken erlaubt werden soll.
Die „Human Genetics Advisory Commision“ und die „Human Fertilisation and Embryology Authority“ hatten im Dezember 1998 einen Bericht veröffentlicht: „Cloning issues in reproduction, science and medicine“, in dem sie für die Zulassung der sogenannten therapeutischen Klonung (Klonung zu Forschungszwecken) eintraten. Die Regierung setzte daraufhin eine offizielle Expertengruppe unter der Leitung des „Chief Medical Officer“ ein, welche diese Frage eingehend studieren und eine Empfehlung abgeben sollte. Die Gruppe stellte den Bericht im Juni fertig. Er wurde dann am 16. August 2000 unter dem Titel „Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility“ („Stammzellenbericht“) veröffentlicht1.
Die therapeutischen Möglichkeiten jener Zellen (Stammzellen), die noch undifferenziert sind und sich zu verschiedenen Gewebetypen entwickeln können, wurden in den letzten Jahren entdeckt und mit dem Fortschritt der Gentechnik als sehr hoch eingeschätzt. Wie ursprünglich angenommen, besteht theoretisch die Möglichkeit diese Zellen einem Menschen zu entnehmen, sie im geeigneten Kulturmedium zu züchten, um dann erkrankte Organe durch genetisch idente Zellen zu ersetzen. Zukünftige Anwendungsbereiche der Stammzellentherapie werden für unterschiedliche Erkrankungen erwartet: z.B. gegen die Parkinson-Krankheit, gegen Multiple Sklerose, Alzheimer, Diabetes, Polyarthritis, Osteoporose, gegen verschiedene Krebsarten, Hepatitis, Leberzirrhose u.a.m.
Von einer tatsächlichen Therapie mit Stammzellen ist die Forschung aber noch sehr weit entfernt. Dies wird im „Stammzellenbericht“ der britischen Wissenschaftlergruppe bei der Aufzählung der Bedingungen, die noch offen sind2, zugegeben. Das Ziel wird man erst erreicht haben, wenn:Gleichzeitig kündigte die Regierung an, die Empfehlungen umsetzen zu wollen.
a) die Stammzellen erfolgreich isoliert und im Labor gezüchtet werden können;
b) es gelingt diese Zellen in vitro in spezifische Gewebszellen zu verwandeln;
c) eine Technik entwickelt werden kann, zerstörtes Gewebe durch das im Labor hergestellte zu ersetzen;
d) das neue Gewebe sich im Körper ohne andere Risiken für den Patienten normal entwickelt.
Das sind lauter Ungewissheiten, die erst die Forschung klären muss. Ob überhaupt jemals das Ziel erreicht werden kann, wagt niemand zu behaupten. Aber man kann darauf hoffen. Das Ziel ist jedenfalls erstrebenswert.
Vom ethischen Standpunkt aus ist zu begrüßen, dass man ernsthaft beabsichtigt, die Geheimnisse der Stammzellen zu erforschen. Positive Ergebnisse können viel Segen für den Menschen und eine weitere Revolution für die Medizin bringen. Die heikle Frage, von der Ethik her gesehen, liegt in der Gewinnung der Stammzellen. Im Bericht werden alle sechs möglichen Quellen aufgezählt:
1) frühe Embryonen, die durch „In-vitro-Fertilisierung“ geschaffen werden: entweder solche, die nicht mehr implantiert werden (die sogenannten überzähligen Embryonen) oder jene, die extra für Forschungszwecke erzeugt werden;
2) durch Klonung erzeugter Embryonen;
3) von Keimzellen oder Organen abgetriebener Föten;
4) Nabelschnurblut zum Zeitpunkt der Geburt;
5) manche Gewebearten von Erwachsenen (z.B. aus dem Knochenmark);
6) reife Gewebszellen von Erwachsenen, die auf Stammzellen „umprogrammiert“ wurden (theoretisch)3.
Die Autoren des Berichtes erwarten sich offensichtlich von den zwei ersten Quellen die besseren Forschungsergebnisse, ganz einfach „weil Stammzellen, die aus embryonalem Gewebe gewonnen werden, theoretisch das größte Potential haben, sich in die meisten Zellenarten zu entwickeln“. Diese Hypothese klingt zwar plausibel, dürfte aber keine größere Plausibilität als die bereits vorhandene, im Bericht auch zitierte Erkenntnis haben, wonach es bereits gelungen ist, aus Stammzellen des menschlichen Knochenmarks eine Vielzahl anderer Zellarten wie etwa Blut, Muskeln oder Knochen zu gewinnen.4 Es wird im Bericht sogar zugegeben, dass Stammzellen aus dem Gewebe von Erwachsenen langfristig das gleiche oder sogar mehr Fähigkeiten haben werden als die embryonalen Zellen5. Aber die Experten halten es trotzdem für notwendig, Forschung mit embryonalen Zellen zu betreiben, weil sie ihrer Einschätzung nach die Grundlagen zur Verwendung der Zellen von Erwachsenen bilden werden.
Die vierzehn Experten empfehlen daher, diese Forschung zu erleichtern, indem die dafür notwendige Klonung erlaubt wird. Die Regierung akzeptierte bereits die Empfehlung und kündigte an, dem Parlament eine entsprechende Ergänzung zum Gesetz von 1990 vorzulegen. Diese Gesetzesänderung wird bedeuten, dass in den kommenden Jahren viele Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken produziert werden und dass wahrscheinlich – quasi als Nebenprodukt – nach einer gewissen Zeit auch die Technik des menschlichen Klonens, der Schaffung von identen Menschen zur Verfügung stehen wird. Das eigentlich entscheidende Urteil des ganzen Berichtes lautet, dass die ethischen Bedenken, die wegen des Verbrauchs von Embryonen und wegen der sonstigen Risiken vorgebracht werden, durch den zu erwartenden zukünftigen Nutzen aufgewogen werden6. Ohne diese Aussage wäre die Empfehlung wertlos. Dieses Urteil verlangt einen vierfachen Kommentar:
1) Es handelt sich um ein rein ethisches Urteil, das zwölf sehr kompetente Mediziner oder Biologen gemeinsam mit nur einem Ethiker und einem Juristen gefällt haben. Etwas verwunderlich ist, dass die Regierung bei einer so heiklen Frage nicht mehr ethische Kompetenz gesucht hat. Der Verdacht, dass es sich um ein Gefälligkeitsurteil handelt, liegt daher nahe. Jeder würde wahrscheinlich im entgegengesetzten Fall der Ansicht sein, dass es bei der Erhebung eines rein medizinischen Befundes kaum vernünftig ist, ein Consilium von 13 Ethikern und Juristen und nur einem Mediziner zu bestellen. Die medizinische Fachkompetenz der Expertengruppe ist nicht anzuzweifeln, wohl aber ihre ethische.
Dieser Mangel geht schon daraus hervor, dass sie sich nicht einmal um eine ethische Argumentation bemüht haben und sich mit einer formalrechtlichen Begründung des Urteils begnügen. So wird betont, dass die ethischen Bedenken, die gegen die vorgeschlagene therapeutische Klonung bestehen, gleichermaßen für das bestehende Gesetz von 1990 geltend gemacht werden7. Das Gesetz 1990 habe die Forschung mit Embryonen bis zum 14. Lebenstag erlaubt und die Schaffung von Embryonen exklusiv zu Forschungszwecken nicht ausdrücklich verboten. Der Gesetzgeber habe fast alle Empfehlungen des Warnock Committees angenommen, das 1984 einen Bericht darüber veröffentlichte (Report of the Committee of Inquiry into Human Fertilisation and Embryology, auch bekannt einfach als „Warnock-Report“).
Der Bericht setzte sich tatsächlich sehr stark mit den ethischen Implikationen auseinander und stand einige Jahre weltweit zur Diskussion. Vor allem wurde massiv die Schlüsselthese kritisiert, an die sich heute kaum jemand mehr erinnert und die weitgehend verlassen wurde: das Recht auf Lebensschutz soll erst mit dem 14. Tag beginnen. Dieser Ansicht haben sich viele Institutionen, z.B. auch die Deutsche Ärztekammer (1985) und die Österreichische Rektorenkonferenz (1986) angeschlossen. Welche Gründe konnten sie dafür ins Treffen führen? Im Wesentlichen ein zweifaches Argument: Auf der naturwissenschaftlichen Seite wurde argumentiert, dass ca. am 15. Tag das Zentralnervensystem entsteht und ab dem 14. Tag der Embryo die Fähigkeit verliert, sich in Zwillinge (natürliche Klonung) zu teilen. Damit ist der Zeitpunkt des Beginns seiner individualen Entwicklung markiert, d.h. er wird zum Individuum. Letzteres entspricht dem philosophischen Aspekt des Argumentes. Damit könnte heute kaum mehr der präembryonale Status begründet werden. Jeder ehrliche Wissenschaftler muss zugeben, dass die Bildung des Primitivstreifens des Zentralnervensystems nur ein willkürlich gewählter Zeitpunkt sein kann: vorher ist der Embryo nicht weniger Mensch als nachher. Nicht viel anders ist das Schicksal des philosophischen Teils der Argumentation. Die Festlegung der Individualität ab dem 14.Tag konnte schon damals nur von wenigen Philosophen getragen werden. Heute steht die Klonung als Möglichkeit unmittelbar bevor. Es wäre nur ein geschmackloser Witz, sollte jemand die Individualität eines Erwachsenen deshalb leugnen, weil noch eine Kopie von ihm hergestellt werden könnte. Auch dieses Argument ist endgültig vom Tisch. Das war der Etikettenschwindel des Warnock-Reports und des britischen Gesetzes von 1990: eine 14-Tagegrenze anzunehmen, um den Embryo in einen Präembryo umzutaufen. Erstaunlich ist, dass die Expertengruppe, die mehr als fünfzehn Jahre später die Materie der Klonung ethisch zu beurteilen hatte, trotz alledem zur Ansicht kam, dass die moralischen Kriterien des Warnock-Reports auch jetzt gelten und daher die therapeutische Klonung erlaubt werden müsse. Die damaligen Kriterien und Argumente werden deshalb nicht einmal erwähnt.
2) Ethisch gesehen muss aber festgehalten werden, dass eine Güterabwägung, die das menschliche Leben zur Disposition stellt, auf jeden Fall gegen die Würde des Menschen verstößt und immer im kategorischen Widerspruch zum Recht auf den Schutz menschlichen Lebens steht.
3) Offensichtlich wollten die Experten, aus welchen Gründen auch immer, von diesem klaren ethischen Grundsatz, der bei der Konvention des Europarates zur Biomedizin (Art. 18,2.) zum Forschungsverbot mit Embryonen geführt hat, absehen. In ihrem Fall muss man entgegenhalten, dass kein kompetenter Ethiker, der von der Würde des Menschen nur ein wenig hält, eine Güterabwägung nachvollziehen kann, die das reale Gut menschlichen, konkreten und entwicklungsfähigen Lebens auf Kosten von Handlungen und Vorgängen opfert, die direkt kein menschliches Leben retten und nur möglicherweise (hypothetisch) in einer nicht absehbaren Zukunft Menschenleben retten können.
4) Sogar für den moralischen Relativisten, für den alles zur Disposition steht, wäre in dem Fall diese Güterabwägung unmoralisch, weil auch für ihn gelten müsste, dass bei gleichen oder ungewissen Erfolgsaussichten jene Variante vorzuziehen ist, die ethisch das geringere Übel darstellt. Die Experten selbst gaben andeutungsweise zu, was viele andere Wissenschaftler in den letzten Wochen weltweit bestätigt haben, dass die Verwendung embryonaler Zellen nämlich größere Erfolgschancen hätte, kein gesichertes Wissen darstellt und dass es überhaupt noch viele andere mögliche Wege gäbe, die für alle vom ethischen Standpunkt aus annehmbar wären.
Hinzu kommt noch etwas: Am Tag nach der Veröffentlichung des Stammzellenberichts, d.h. am 17. August 2000 wies der Londoner „Daily Telegraph“ auf einen neuen Etikettenschwindel hin. Der Bericht plädiert für die Zulassung einer therapeutischen Klonung (gentechnische Herstellung von Geweben und Organen zu Transplantations- oder Heilszwecken) unter Beibehaltung des Verbotes der reproduktiven Klonung (gentechnische Schaffung von identen Individuen). Dazu der Daily Telegraph: „Die therapeutische Klonung existiert nicht. Anders gesagt, würde morgen die Forschung mit geklonten Embryonen erlaubt werden, dann könnte man damit keine einzige Diabetes, keine Herzinsuffizienz oder sonst eine Krankheit heilen. Kein menschliches Leiden könnte dadurch gelindert werden“. Tatsächlich wäre die richtige Bezeichnung: reproduktive Klonung für Forschungszwecke.
Gleich am Beginn des dritten Jahrtausends wird also der vierte Akt der Tragödie des Abbaus der rechtlichen Grundlagen des Lebensschutzes inszeniert, die im 20. Jahrhundert mit der gesetzlichen Zulassung der Abtreibung (erster Akt), der Legitimierung der künstlichen Befruchtung (zweiter Akt) und der Straffreiheit der Euthanasie in Holland (dritter Akt) eingeleitet wurde. Die reproduktive Klonung lässt sich schon als fünfter Akt voraussehen. Wer wird sie verhindern können, wenn die Technik einmal für Forschungszwecke völlig entwickelt wurde? Welche weiteren Akte werden noch hinzugefügt werden? Es ist zu hoffen, dass diese Tragödie spätestens dann gestoppt wird, wenn die Bürger endlich verstehen, dass ab dem Zeitpunkt, ab dem man es gesetzlich zulässt, die Menschen in zwei Klassen eingeteilt werden, in jene mit und in jene ohne Recht auf Lebensschutz. Niemand würde dann mehr sicher sein können, dass er nicht sich selbst irgendwann einmal in der zweiten Klasse vorfindet.
Referenzen
- Department of Health (DH), Stem Cell Research: Medical Progress with Responsibility, www.doh.gov.uk/cegc/stemcellreport.htm
- DH, Stem Cell Research..., 3
- DH, Stem Cell Research..., 4
- DH, Stem Cell Research..., 2.13; Vescovi, A.L. et al., Turning Brain into Blood: A Hematopoietic Fate Adopted by Adult Neural Stem Cells in Vitro, Science, 283(1999): 534-537; Pittenger, M.F. et al., Multineage Potential of Adult Mesenchymal Stem Cells, Science, 284(1999): 143-147; Sanchez-Ramos, J. et al., Adult Bone Marrow Stromal Cells Differentiate into Neural Cells in Vitro, Experimental Neurology, 164 (2000): 247-256
- DH, Stem Cell Research..., 2.13
- DH, Stem Cell Research..., 4.26
- DH, Stem Cell Research..., 4.25
Prof. Dr. Enrique H. Prat
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