AIDS in Afrika

Imago Hominis (2000), 7(3): 182-186

Seit der Ausbreitung von AIDS vor fast 20 Jahren sind nach Angaben von UNAIDS weltweit mind. 18,8 Millionen  daran gestorben. Heute sind weltweit 34,3 Millionen Menschen HIV-positiv, doch nur 5% der HIV-Infizierten können sich eine Therapie leisten (Kosten der Tritherapie pro Jahr und Person belaufen sich auf rund 6000 DM im Jahr). Erschreckende Zahlen, die auf eine notwendige Auseinandersetzung mit dem Thema hinweisen.

Aufgrund der hohen Zahl an Infizierten allein in Afrika (24,5 Millionen, das sind 70%) fand vom 9. bis 14. Juli in Durban (Südafrika) die 13. Internationale AIDS-Konferenz statt, zu der rund 12.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt angereist sind. „In den nächsten zehn Jahren wird AIDS in Schwarzafrika mehr Menschen töten als alle Kriege des 20. Jahrhunderts“, erklärte Peter Walker, Leiter der Seuchenbekämpfung  beim Internationalen Komi- tee vom Roten Kreuz.

Bei der Konferenz wurde die Anti-AIDS-Politik in Südafrika kritisiert. Es fehlt sowohl  an wirksamen landesweiten Aufklärungskampagnen als auch an Medikamenten, u.a. dem Mittel AZT, das die Übertragung des HIV von Schwangeren auf ihre Neugeborenen verhindert.

Nelson Mandela, der Ex-Präsident von Südafrika erklärte, dass das erschreckendste an AIDS die Tatsache sei, dass die Infektionen verhindert hätten werden können. Scharfe Initiativen zur Vorbeugung neuer Infektionen unter den Jugendlichen, landesweite Aktionen, die die Übertragung des HIV von Schwangeren auf ihre Kinder verhindern, aber auch die weitere Forschung für einen geeigneten Impfstoff sind nach Mandela die wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen AIDS. Weiters wies er in seiner Rede darauf hin, dass es aber nicht nur darum geht, einen Impfstoff gegen AIDS zu finden, sondern sich den an AIDS Sterbenden vor allem mit Liebe, Fürsorge und tröstenden Worten zuzuwenden.

Diesem Appell folgt die Katholische Kirche schon seit einigen Jahren. Auch sie hat die Dringlichkeit erkannt, den Kampf gegen AIDS aufzunehmen.

Die Ausbreitung von AIDS in Afrika südlich der  Sahara zeigt jetzt, dass sich die bisher verfolgte Vorsorgepolitik als unwirksam erwiesen hat. Im Allgemeinen beschränkte sie sich darauf, den Gebrauch des Präservativs zu fördern, ohne eine Änderung der Verhaltensweisen vorzuschlagen. Mitunter wird die katholische Kirche beschuldigt, die Bemühungen zur AIDS-Vorsorge zu stören, weil sie sich  der Politik, die auf das Präservativ zentriert ist, entgegenstellt.

In der Folge wird ausgeführt, was gerade die Kirche in Afrika unternommen hat und welche Beweggründe sie für diese Vorgangsweise hat.

Initiativen und Kritikpunkte

Die Katholische Kirche steht dieser Situation nicht gleichgültig gegenüber. Im Gegenteil, von Beginn der Epidemie an war die Kirche mit ihren Spitälern und sanitären Einrichtungen, den Pfarren und durch die Dienste der Ordensleute, etc. immer präsent. Die Kirche in Afrika war im Kampf gegen AIDS an vorderster Front stests aktiv.

Die Mitglieder des Päpstlichen Rates für die Familie in Zusammenarbeit mit verschiedenen Bischofskonferenzen haben zahlreiche Versammlungen von Ärzten und einschlägigem Pflegepersonal organisiert, um das Problem zu studieren und  Lösungen vorzuschlagen. Die meisten Treffen wurden in den betroffenen Ländern (Uganda, Kenia, Tansania, Ghana, Elfenbeinküste, Benin, in der Zentralafrikanischen Republik und in Burkina-Faso)  selbst veranstaltet. Es ist nötig, insbesondere die bewundernswerte Hingabe und die einzigartige Großzügigkeit von so vielen Personen anzuerkennen, welche die Kranken in ihren Häusern versorgen. Sie besteht in einer menschlichen Unterstützung, in medizinischer Hilfe und oft in der Ernährung und Beherbergung (AIDS-Waisenhäuser).

Man muss dabei berücksichtigen, dass in den meisten Fällen nur wenig öffentliche Hilfe dafür bereit gestellt wurde und von den internationalen Organisationen noch weniger zu erwarten war.

Angesichts der Anstrengungen dieser Personen, die täglich und im Stillen im Kampf gegen diese Epidemie tätig sind, überraschen einige Erklärungen, die kürzlich anlässlich einer Reise in afrikanische Länder abgegeben wurden. Immer wieder gibt es Leute, die die Katholische Kirche der „Indifferenz“ beschuldigen. Es ist verständlich, dass jemand, der zum ersten Mal nach Afrika reist und mit eigenen Augen die Realität des Problems sieht, einen Schock erleidet und mit Abscheu reagiert. Es ist aber nicht logisch, auf der Suche nach den Verantwortlichen für die Situation genau jene zu beschuldigen, die sich vielleicht unvollkommen aber doch in sehr konkreter Weise dafür einsetzten, Abhilfe zu schaffen. Noch weniger logisch ist es, dass die Kritiker mit der leichtfertigen Haltung der simplen Beschuldigung vorgehen.

Die Katholische Kirche wurde der Verantwortungslosigkeit gegenüber der AIDS-Epidemie in Afrika beschuldigt und zwar wegen ihrer Haltung zur Prävention sexueller Ansteckung. Der Päpstliche Rat für die Familie hat stets die Botschaft der Katholischen Kirche hinsichtlich der schwierigen Frage der Prävention von AIDS in Erinnerung gerufen und dies immer wieder bei den verschiedenen Zusammenkünften mit Freiwilligen getan. Diese Botschaft basiert auf dem  Konzept der Würde des Menschen. Es geht um die Vision des Mannes und der Frau und ihrem besonderen Wert als Personen, vor allem was die Sexualität betrifft.1 Dort wo es eine wahre Erziehung zu den Werten der Familie gibt (zur Treue und zur Enthaltsamkeit der Eheleute, im wahren Sinn der gegenseitigen Hingabe), dort gelingt es, Formen der Promiskuität zu überwinden (was ebenso im Interesse der Staaten ist), dort erringen die Personen einen menschlichen Sieg, auch gegenüber diesem  schrecklichen Phänomen.

Vorbeugen oder eindämmen?

Bei der Prävention einer Epidemie kann man zwischen eigentlichen Vorbeugungsmaßnahmen und „Eindämmungs“-maßnahmen unterscheiden. Bei der Malaria z.B., die auf Grund ihrer Häufigkeit in der afrikanischen Bevölkerung und der Zahl der durch sie verursachten Toten, eine ähnliche Erkrankung wie AIDS ist, sind die bisher zur Vorbeugung entwickelten Mittel eher Mittel der „Eindämmung“, d.h.  sie bekämpfen nicht die Wurzel der Krankheit. In der Praxis haben sich diese Mittel als wenig wirksam erwiesen, weil es unmöglich war, die Larven der Anophelesmücke zu  töten oder zu erreichen, dass die Bevölkerung die offenen Wasserreserven  meidet. Ein gegenteiliges Beispiel wäre die Typhuserkrankung, weil erreicht wurde, dass mehr auf die Wasserquellen geachtet wurde und dadurch die Zahl der Krankheitsfälle eingeschränkt werden konnte. Das war eine tatsächliche Maßnahme der „Vorbeugung“ und so konnte der verantwortungsvolle Umgang mit einer Ansteckungsquelle korrigiert werden.

Will eine tatsächliche Vorbeugung von AIDS angestrebt werden, dann ist es nötig, dass die Menschen ihr Sexualverhalten ändern. Hier liegt die hauptsächliche Ursache für die Ausbreitung der Krankheit. Solange diesbezüglich keine Anstrengung unternommen wird, kann eine tatsächliche Vorbeugungs-Kampagne nicht realisiert werden. Teil der Vorbeugung ist die sexuelle „Enthaltsamkeit“. Die ganze Welt weiß, wie gut dieses Mittel zur „Begrenzung“ der Ansteckung ist, und wie schwierig es ist, dies der Bevölkerung eines Landes klar zu machen. In der Regel wird der leichtere Weg gegangen und das Präservativ propagiert. Abgesehen von der Möglichkeit eines Materialfehlers (Riss) ist es klar, dass ein Kondom nur dann wirksam ist, „wenn es korrekt benutzt wird“,2 d.h. unter optimalen Bedingungen. Die Praxis zeigt, dass es  einen weiten Raum für falsche Anwendungen gibt.3 Diesbezüglich gibt es eine Reihe von Studien, die zahlreiche Fälle des Versagens der Präservative im Detail beschreiben.4 Doch eigenartiger Weise wird weiterhin „Vorbeugung“ mit „gutem Gebrauch des Präservativs“ gleichgesetzt, ohne dass seine fehlende Wirksamkeit bei der Ausbreitung der Epidemie berücksichtigt wird.

Die Entscheidung, die Anwendung  des Präservativs zu fördern, wurde nicht aus wissenschaftlichen Gründen gefällt, sondern aus „Prinzip“. Seit einiger Zeit weiß man, dass das Präservativ auch bei der Empfängnisverhütung nur eine relative Wirksamkeit hat.5 Die Statistik zeigt eine ca. 15% Fehlerquote auf. Da will man glaubhaft machen, dass der HIV-Virus, der 450 mal kleiner ist als eine Samenzelle,  durch eine Barriere aus Latex ausgesperrt werden kann.

Die einzige verlässliche statistische Studie bezüglich der Wirksamkeit im vorbeugenden Kampf gegen HIV wurde von der Groupe d’Études Européen6 durchgeführt. Diese Studie untersucht den Fall von fixen Partnerschaften, von denen nur ein Partner HIV-seropositiv ist7. Sie spiegelt nur die europäische Situation wieder, wo wiederum die sexuelle Übertragung des Virus eine andere Dimension hat. Andere Statistiken, die mit Vorsicht zu interpretieren sind, zeigen eine Fehlerquote von  wenigstens 10%.8

Kürzlich haben einige Forscher der College Medical School in London9 aufgezeigt, dass die allgemeine Meinung über das Präservativ im Kampf gegen AIDS zu einem gegenteiligen Effekt, als dem gewünschten, führen kann. Das falsche Gefühl der Sicherheit, das in der Bevölkerung entsteht, führt zu einem risikoreichen Sexualverhalten. Man kann nicht auf eine Eindämmung von AIDS durch das Präservativ hoffen, ebenso wie man einen Fluss nicht durch Sandsäcke an einer Überschwemmung hindern kann, sobald die Hauptdeiche geborsten sind. Insgesamt bleibt nur eine Eindämmung zu erwarten.

Die Wurzel des Problems suchen

Die Kirche hat nicht die Absicht die Angelegenheit auf technisch-sanitärer Ebene zu diskutieren, sondern wünscht die Aufmerksamkeit auf die menschliche Wurzel des Problems zu lenken, d.h. auf den Respekt der menschlichen Sexualität und auf die Werte, welche die Vermehrung der Personen definieren. Wenn die Epidemie einen großen Anteil in Afrika südlich der Sahara erreicht hat, dann liegt der Grund darin,  weil sie dort günstige Bedingungen vorgefunden hat: Arbeitslosigkeit, Bürgerkriege, Vertreibung der Flüchtlinge, Konzentrationen der städtischen Armut, Entwicklung der Prostitution, usw.

Will man darüber hinaus erklären, warum die Frauen von dieser Infektion stärker betroffen sind (13 Frauen je 10 Männer)10, dann ist den erwähnten Gründen die Armut  hinzuzufügen: die Unterwerfung der Frau unter den Ehemann und die große Verbreitung der Geschlechtskrankheiten, die die AIDS-Infektion im Organismus der Frau begünstigen.11 Untersuchungen, die in Tansania und Uganda durchgeführt wurden, haben gezeigt, wie die Ansteckung mit AIDS kontrolliert und vorgebeugt werden kann, nämlich durch eine Behandlung der Geschlechtskrankheiten ohne zusätzliche Mittel gegen AIDS.12 Die AIDS-Vorbeugung muss an der Wurzel erfolgen, d.h. zum sozialen Umfeld und den Werten vorstoßen, wenn sie wirksam sein soll.

Die Rolle, welche die Katholische Kirche bei der AIDS-Vorbeugung in Afrika südlich der Sahara eingenommen hat, ist bedeutend. In Uganda, Tansania und Nigeria bildeten sich Gruppen von Jugendlichen, geführt von Ordensgeistlichen und katholischen Laien, die sich dem Kampf gegen AIDS widmen.13 Einige dieser Gruppen führen den  bezeichnenden Namen wie Youth Alive oder Youth for Life und ihre Jugendlichen widmen sich dem Kampf gegen AIDS, wobei sie bei sich selbst beginnen und einen Anhänger unter ihren Schulkameraden suchen, um die sexuelle Enthaltsamkeit bis zur Heirat zu propagieren.

Uganda ist hier beispielhaft. Zwischen 1989 und 1995  ist die Ausdehnung dieser  Epidemie um 10% zurückgegangen.14 Die Untersuchung führt diese Tatsache auf den vermehrten Gebrauch des Präservativs zurück, aber auch auf einen anderen Faktor, der uns von noch größerer Bedeutung erscheint: Die Änderung in der Haltung von Jugendlichen, die begonnen haben, ihren ersten Sexualkontakt auf die Heirat aufzuschieben. 1989 haben 31% der männlichen Jugendlichen und 26% der weiblichen Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren erklärt, sich sexueller Beziehungen enthalten zu haben; 1995 waren es bereits 56% der männlichen Jugendlichen und 46% der weiblichen Jugendlichen.

Das ist die Botschaft der Kirche: Die radikalste und wirksamste AIDS-Vorbeugung ist die sexuelle Abstinenz vor der Ehe und die eheliche Treue. Das von der Kirche vorgelegte Modell ist sicherlich kein leichtes. Es ist jedoch vollständig menschlich und gründet sich auf den Glauben und die Hoffnung und nicht auf die Verteilung von Latex. Man kann die Motive verstehen, welche die Sanitätsbehörden dazu drängen, die Vorbeugung unter den Prostituierten  und ihren Kunden durch Präservative durchzuführen. Doch die AIDS-Vorbeugung muss weitergreifen, muss auf einer anderen Ebene stattfinden und an die tatsächlichen sozialen, wirtschaftlichen, politischen und moralischen Wurzeln der Epidemie gehen. Das ist nicht unmöglich: Man muss den Blick nur heben und einen größeren Respekt vor der menschlichen Person suchen.

Referenzen

  1. Pontificio Consejo para la Familia, Sexualidad humana: verdad y significado. Orientatciones educativas en familia, Rom (1995) (ver servicio 2/96)
  2. UNAIDS, Sexual behavioural change for HIV. Where have theories taken us?, UNAIDS Best Practice Collection, Juni 1999, S. 20
  3. Cates, W., Hinman, A.R., AIDS and absolutism. The demand for prevention in prevention, NEJM, 327: 492-494
  4. April, K., Koster, R., Fantacci, G. et al., Qual è il grado effetivo di protezione dall’HIV del presewrvativo?, Medicina e Morale (1999), 44: 903-905. Kirkman, R., Condom use and failure, The Lancet (1990), 336: 1009
  5. Grady, W.R., Hayward, M.D., Yagi, J., Contraceptive failure in the United States: estimates from 1982 National Survey of Family Growth, Family Planning Perspectives (1968), 18: 200-209
  6. De Vicenzi, I., Comparison of female to male and male to dfemale transmission of HIV in 563 stable couples, British Medical Journal (1992) 304: 341-346; A longitudinal Study of Human immunodeficiency virus transmission by heterosexual partners, NEJM (1994) 331: 341-346
  7. Padian, N., Marquis, L., Francis, D.P. et al., Male-to-Female Transmission of Human Inmunodeficiency Virus, Journal of the American Medical Association (1987) 258: 788-790
  8. Götzsche, P.C., Hörding, M., Condoms to Prevent Do Not Imply Truly Safe Sex, Scandinavian Journal of Infectious Diseases (1988) 20: 233-234; Hearst, H., Hulley, S., Preventing the heterosexual spread of AIDS. Are we giving our patients the best advice?, Journal of the American Medical Association (1988) 259: 2428-2432
  9. Richens, J., Inrie, J., Copas, A., Condoms and seat belts: the parallels and the lessons, The Lancet (2000) 355: 400-403
  10. UNAIDS, AIDS epidemic update, Dezember 1999, S. 16
  11. Cohen, M.S., Sexually transmitted diseases enhance HIV transmission: no longer hypothesis, The Lancet (1998) 351:5-7
  12. Grosskurth, H., Mosha, F., Todd, J., Impact of improved treatment of sexually transmitted diseases on HIV infection in rural Tanzania, The Lancet (1997) 346: 530-536, (1997) 350: 1805-1809; Waver, M.J., Sewankambo, N.K., Serwada, D. et al., Control of sexually transmitted diseases for AIDS prevention in Uganda: a randomized community trial, The Lancet (1999) 353: 515-535
  13. McSweeny, L., AIDS, your Responsibility, The Ambassador Publications (1991); McSweeny, L., Changing Behaviour. A Challenge to Love, The Ambassador Publications (1995)
  14. A measure of success in Uganda, UNAIDS Case Study (1998)

* Zusammenfassung durch die Redaktion von zwei Beiträgen aus:
Aceprensa, 60/00, 3.05.2000
Osservatore Romano, italienische Ausgabe 5.04.2000, Jacques Sandeou

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