Transparenz und Ethik in der pharmazeutischen Industrie

Imago Hominis (2016); 23(2/3): 074-078
Enrique H. Prat

Am 30. Juni 2016 haben die pharmazeutischen Industrieunternehmen Europas zum ersten Mal sämtliche geldwerten Leistungen des Vorjahres (2015), die mit Arzneien in Zusammenhang stehen, offengelegt. Es handelt sich um Zahlungen einerseits an Angehörige der Fachkreise (AFK) wie Ärzte, Apotheker, Zahnärzte, Dentisten, Hebammen, Krankenpflegepersonal und ähnliche, und anderseits an Institutionen der Fachkreise (IFK) wie etwa Krankenhäuser, die sich überwiegend aus Angehörigen der Fachkreise zusammensetzen.

Die Initiative geht vom Europäischen Verband der pharmazeutischen Unternehmungen (EFPIA – European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations) aus. Alle Mitglieder in 33 Ländern des Dachverbands haben sich freiwillig zu einem Verhaltenskodex (EFPIA Disclosure Code) verpflichtet, der ab 2016 jeweils am 30. Juni eines jeden Jahres die Offenlegung im Internet der oben erwähnten Leistungen vorsieht.

Im Kodex wird eine individuelle Offenlegung angestrebt: Sowohl AFK, z. B. Ärzte, wie auch IFK, d.h. Institutionen, scheinen namentlich entweder auf der Webseite der Pharmafirma (so in Österreich, Deutschland und den meisten europäischen Ländern) oder wie in einigen wenigen Ländern (etwa Frankreich, Dänemark und Portugal) auf einer zentralen Webseite auf. Genannt wird neben dem Empfänger die Höhe des Betrags sowie die erbrachte Leistung. Eine individuelle Offenlegung kollidiert jedoch in den meisten Ländern, wie z. B. auch in Österreich und Deutschland, mit den jeweiligen Datenschutzgesetzen. Hier müssen die betroffenen AFK oder IFK eine ausdrückliche Zustimmung zur namentlichen Veröffentlichung geben. Erfolgt diese nicht, muss die Offenlegung in aggregierter, also in einer gesammelten Form erfolgen. Neben der individuellen Offenlegung jener, die zugestimmt haben, stehen nun online die agregierten Summen der Zahlungen an alle, die nicht zugestimmt haben.

Die Offenlegung in Österreich

In Österreich haben sich die Pharmig (Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs) und die Österreichische Ärztekammer in einer gemeinsamen Erklärung1 zur individuellen Offenlegung bekannt: „Grundsätzlich ist die individuelle Offenlegung von geldwerten Leistungen, die aus dieser Zusammenarbeit entstehen, anzustreben. Für eine individuelle Offenlegung ist vorab das Einverständnis des Arztes einzuholen. Dabei sind die geltenden Datenschutzbestimmungen einzuhalten.“ Von wirklicher Transparenz kann man nur bei einer individuellen Offenlegung sprechen.

2015 flossen in Österreich laut Angaben der Pharmig rund 101 Millionen Euro an AFK und IFK. 54 Millionen gingen an Ärzte, Spitäler und Organisationen für Forschung und Entwicklung, z.B. klinische Studien, Anwendungsstudien und dergleichen. Weitere 27 Millionen Euro erhielten IFK an Sponsorgeldern für Veranstaltungen und Kongresse. 20 Millionen flossen schließlich an Ärzte für Fortbildung, Vorträge und Beratungsleistungen.

Das Verhältnis von individueller und aggregierter Form ist je nach Pharmafirma ganz verschieden. GlaxoSmithKline weist als einzige eine zu 100 Prozent individuelle Offenlegung aus. Der Grundsatz „no consent, no contract“ (ohne Offenlegungszustimmung kommt kein Vertrag mit AFK oder IFK zustande) gehört zur Transparenzstrategie dieser Firma. Tabelle 1 zeigt, dass andere Firmen unterschiedliche Zustimmungsquoten für die Offenlegung erhalten haben. Tendenziell haben die Institutionen eine höhere Bereitschaft zur Offenlegung als Individuen gezeigt. Die großen Unterschiede in den Zustimmungsquoten sind wohl auch auf den bisher unterschiedlichen Einsatz der einzelnen Unternehmen für den Erhalt der Zustimmung zurückzuführen.

FirmaIndividuelle Offenlegung in % der Gesamtzahlungen
an AFK (Ärzte u.a.)an IFK (Institutionen)
GlaxoSmithKline
100
100
AstraZeneca
47
64
Novartis
40
39
Abbvie
32
53
Bayer Austria
18
62
Janssen-Cilag
11
20
Tab. 1: Offenlegung ausgewählter Pharmafirmen in Österreich2

Das Ergebnis ist nicht sehr zufriedenstellend, jedoch ist es ein erster Schritt zur Transparenz. Die Zusammenarbeit zwischen Pharmaindustrie und Ärzteschaft muss noch gestärkt werden, denn halbe Transparenz ist noch keine Transparenz.

Transparenz schafft Vertrauen

Mit diesem Motto wirbt die Pharmig für die Offenlegung. Die Pharmaindustrie und die Österreichische Ärztekammer befürworten sie, aber viele Ärzte sind nicht dazu bereit. Ihnen wird nun der Schwarze Peter zugeschoben.

Warum wollen viele Ärzte nicht öffentlich genannt werden? Viele betrachten ihr Verhältnis zur Pharmaindustrie als eine schutzwürdige, private Angelegenheit. Auch wenn sie nichts Unsauberes oder gar Verwerfliches getan haben, scheuen sie sich, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Es geht vor allem um die Frage eines kulturellen Wandels, der sicher nicht von heute auf morgen stattfinden wird, aber nötig ist. Hier geht es also um eine Frage der Zeit.

Die Pharmafirmen könnten auf die Ärzte Druck machen und sie vor die Alternative stellen: Entweder Offenlegung oder kein Vertrag mit der Pharmaindustrie. Der Konzern GlaxoSmithKline verfolgt diese Strategie bereits seit 2015. Viele Pharmafirmen wollen jedoch keine radikale Strategie fahren, zum Teil aus Gründen der Loyalität gegenüber AFK und IFK: Nachdem sie so viele Jahre gut zusammengearbeitet haben, ziehen sie es vor, durch Überzeugungsarbeit ohne Druckmittel den Kulturwandel zu fördern.

Mit diesem Transparenzvorstoß demonstriert die Pharmaindustrie jedenfalls, dass sie Ethik ernst nimmt und sich nicht mit ihrem schlechten Ruf abfinden will. Es ist eine Tatsache, dass es um den Ruf der Pharmaindustrie nicht zum Besten bestellt ist und dass er sich in den letzten Jahren eher verschlechtert hat. Im Zeitalter der Skandale ist auch das Gesundheitswesen nicht davor verschont geblieben. Die Pharmaindustrie hat aber einen Lernprozess durchgemacht und offensichtlich verstanden, dass sie nur so lange marktwirtschaftlich erfolgreich operieren kann, als sie jene Verantwortung wahrnimmt, die den Respekt vor den Menschen, denen sie dienen soll, erfordert. Sie weiß auch sehr gut, dass durch vergangene Verfehlungen einzelner Firmen staatlicher Handlungsbedarf entsteht, was zu Eingriffen im marktwirtschaftlichen Freiraum führen könnte.

Die Pharmaindustrie hat sich freiwillig verpflichtet, strenge ethische Verhaltenskodizes einzuhalten. Freiwillige Ethikkodizes sind in erster Linie Mahnmale für die Firmen der Branche selbst, um sie an das Damoklesschwert gesetzlicher Regulierungen zu erinnern. Über die Wirksamkeit solcher Kodizes bestehen begründete Zweifel. Die Pharmaindustrie muss daher vor allem das Vertrauen der Partner im Gesundheitswesen gewinnen. Dazu wird dieser Transparenzvorstoß der Anfang sein, dem weitere öffentlichkeitswirksame Maßnahmen folgen sollten.

Das Reputationsmanagement3 der pharmazeutischen Industrie

Der schlechte Ruf der Pharmaindustrie ist auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Stakeholder des Gesundheitswesens – Patienten, Ärzte und verpflichtende Krankenversicherung –, d. h. der Bürger und der Gesundheitsinstitutionen zurückzuführen. Bei aller Verschiedenheit der Wahrnehmungen und Perspektiven stimmen die Stakeholder überein, dass Pharmafirmen die Maximierung des Gewinnes vor das Gemeinwohl stellen.

Die Beziehung der Patienten zu den Arzneimitteln ist per se ambivalent. Aus seiner Perspektive muss der Patient das Medikament konsumieren, ein Vertrauensverhältnis zur Pharmaindustrie ist dafür überflüssig: Ein Patient muss nur seinem Arzt vertrauen, er hat ohnehin keine andere Wahl, als das vom Vertrauensarzt vorgeschriebene Medikament zu nehmen, so die Perspektive des Patienten. Seiner Ansicht nach nützt die Pharmaindustrie seine Not und seine Ängste aus, weil sie – wie er aus den Medien erfährt – höhere Gewinne als alle anderen Industriebranchen einfährt.

Aus Perspektive der Ärzte scheint die Pharmaindustrie als jener Partner, der sich mit seinen Verschreibungen stark bereichert. Die Pharmaindustrie buhlt um sein Vertrauen: An ihn richtet die Pharmabranche ihr Angebot, informiert ihn und versucht, ihn von den Vorteilen ihrer Produkte zu überzeugen. Der Arzt lässt sich oft durch die Angebote der Pharmaindustrie verlocken und hat dabei kein schlechtes Gewissen. Schließlich, so die Position, habe er das Recht, sich auch ein wenig mit zu bereichern. So nutzen Ärzte manchmal auch ihre starke Position aus.

Die Sozialversicherung hat eine Steuerungsfunktion am Arzneimittelmarkt: Sie verhandelt mit der Pharmaindustrie und entscheidet, welche Medikamente von den Krankenkassen übernommen werden. Noch im Juni dieses Jahres hat Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger, einen Artikel veröffentlicht, der die Perspektive der sozialen Krankenversicherung wiedergibt: Die Pharmabranche sei die profitableste Branche weltweit. Sie mache „hohe Gewinne auf Kosten der Gesellschaft“. Sie nutze die öffentliche Hand aus: Ihre „Forschung wird durch öffentliche Gelder und Stiftungen finanziert“. Die Preispolitik der Branche wird dabei scharf kritisiert, ja als unmoralisch hingestellt. Die Pharmaindustrie verfolge eine verantwortungslose Umgehung des Patentrechts („Evergreening-Strategien“, „Pay für Delay“ und dgl.). Propst fordert in diesem Sinne eine Änderung des Patentrechts für Medikamente.4

Die Perspektive der Patienten, der Ärzte und der Krankenversicherung wird durch die Berichterstattung der Medien bestätigt und unterstützt. Damit wird die Reputation der Branche ziemlich ruiniert. Die Medien berichten vor allem über Errungenschaften in der Bekämpfung vieler Krankheiten, über neue Therapien im Stadium der klinischen Versuche usw., meistens aber ohne Forschungslabors der Pharmakonzerne, sondern Universitäts-Kliniken zu erwähnen. Berichtet wird auch von Konflikten der Pharmabranche mit staatlichen Zulassungsbehörden und mit Krankenkassen. Was die Medien vor allem interessiert, sind die überhöhten Gewinne der großen Pharmamultis sowie Flops und Pannen, die breitgetreten werden. Fast alle großen Konzerne waren in den letzten 20 Jahren zumindest in einen großen Skandal verwickelt.

Die Selbsteinschätzung der Pharmaindustrie steht verständlicherweise im krassen Kontrast zur Fremdeinschätzung der Stakeholder des Gesundheitswesen: Sie ist sich ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst und versucht durch Investitionen in Forschung, Innovation und Marketing (Information und Bildung) ihren Beitrag zum Gemeinwohl, d. h. zur Gesundheit der Patienten, zu leisten, so der Standpunkt. Das Management betont, dass die Firmen überdies aber auch Verantwortung gegenüber den Kapitalgebern haben, die die Forschung und Entwicklung finanzieren, was auch für jeden anderen Industriezweig in der freien Marktwirtschaft gilt. Man sei gezwungen, sich an die Regeln der Finanzmärkte zu halten. Auch davon würden schließlich die Patienten profitieren.

Im Spannungsfeld zwischen diesen zwei Verantwortungsbereichen entstehen für die Pharmafirmen ethische Fragen, die in der Öffentlichkeit oft diskutiert werden. In dieser Debatte stehen in der Regel die hochwertigen Leistungen der Branche, ihre kreative und innovative Kraft außer Streit. Ihre großen Dienste und Verdienste werden anerkannt, aber im Schatten der hohen Gewinne und der kolportierten Skandale gelingt es dennoch nicht, die Branche in ein besseres, positives Licht zu rücken.

Für das Reputationsmanagement gilt allgemein der Grundsatz, dass bei der gelungenen, institutionellen Kommunikation drei Reputationsfaktoren übereinstimmen sollen: die reale Identität der Institution, das Bild, das sie nach außen vermitteln will, und das Bild, das von der Außenwelt rezipiert wird. Solange diese Übereinstimmung nicht gegeben ist, werden ein eventuell vorhandener guter Ruf nicht zu halten und ein schlechter Ruf nicht zu verbessern sein. Aus den oben skizzierten, stark divergierenden Wahrnehmungen der Stakeholder von der Pharmabranche geht klar hervor, dass sie ihr Reputationsmanagement verbessern soll und stark daran arbeiten muss, diese drei Elemente der Reputation zur Übereinstimmung zu bringen.

Die pharmazeutische Industrie ist in ethischer Hinsicht bedeutend besser als ihr Ruf. Das war das Ergebnis einer Evaluierung des ethischen Verhaltens dieser Branche.5 Dieser Zweig hat auch, wie jeder andere Industriezweig, laufend ethische Probleme zu lösen. Im Vergleich zu anderen Zweigen hat die Pharmaindustrie den Nachteil, dass sie im Gesundheitsbereich, dem ethisch sensibelsten gesellschaftlichen Bereich, operieren muss. Dies haben die Firmen der Branche erkannt und versuchen, dieser Besonderheit durch verpflichtende ethische Verhaltenskodizes Rechnung zu tragen.

Rufverbesserungsstrategie: Es braucht Wahrhaftigkeit und Authentizität

Um die Reputation zu verbessern, müsste es der Pharmaindustrie auf jeden Fall besser gelingen, die drei erwähnten Reputationsfaktoren in Einklang zu bringen. Sie müsste die eigene Identität und/oder das Bild, das sie von sich vermittelt, ändern, damit sie übereinstimmen und dann darauf achten, dass dieses Image auch in der Außenwelt richtig rezipiert wird. Der jüngste Transparenzvorstoß der Pharmazeutischen Industrie ist sicher ein guter erster Schritt in diese Richtung.

Transparenz ist gewiss ein wichtiger ethischer Wert, aber einer neben anderen Werten. Die Transparenz kann mit den anderen Werten kollidieren, z. B. mit dem Recht auf Datenschutz. Man darf nicht vergessen, dass die Pharmabranche, wie jeder andere Industriezweig, keine monolithische Institution ist, sondern ein Sammelbegriff für autonom agierende, selbstverwaltete Institutionen, die miteinander in einem wirtschaftlich harten Konkurrenzkampf am Arzneimittelmarkt stehen. Von ihnen zu fordern, Prozesse der Forschung, der Produktion und des Marketings transparent zu machen, wäre so gut wie eine Absage an die Marktwirtschaft.

Transparenz und Offenlegung stehen im Dienste zweier ganz wichtiger Werte: Wahrhaftigkeit und Vertrauen. Der Pharmaindustrie müsste es gelingen, den Stakeholdern des Gesundheitssystems zu vermitteln, dass diese zwei Werte zu ihrer Identität gehören. Damit die Botschaft ankommt, sollte sie mit ihnen in einen offenen Diskurs nach der Regel der Diskurstheorie von Jürgen Habermas6 eintreten. Dazu eignet sich das Instrument der Diskursplattform, in der Vertreter aller Stakeholder in einer vertrauten Atmosphäre und nach den bewährten Regeln miteinander diskutieren.

Referenzen

  1. ÖÄK, Pharmig, Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und pharmazeutischer Industrie. Eine Information von Ärztekammer und Pharmig, www.pharmig.at/uploads/VHCBookletZusammenarbeitPIundrzte_11492_DE.pdf (letzter Zugriff am 1. August 2016)
  2. IMABE-Auswertung der jeweiligen Webseiten
  3. Reputationsmanagement ist ein neues bereits etabliertes Fach innerhalb der Kommunikationswissenschaften: Fleischer A., Reputation und Wahrnehmung. Wie Unternehmensreputation entsteht und wie sie sich beeinflussen läßt, Springer VS (2014); Ternès A., Reputationsmanagement: Manager und Führungskräfte, Springer/Gabler (2015); Fombrun Ch., van Riel C., Fame & Fortune. How successful companies build reputations, FT Prentice Hall (2004)
  4. Probst J., Dürfen lebenswichtige Medikamente so teuer sein? Soziale Sicherheit, Fachzeitschrift der Österreichischen Sozialversicherung, (2016); 6: 250-269
  5. Prat E. H., Das Image der Pharmaindustrie, Österreichische Ärztezeitung, 15. August 2009; Prat E. H., Ethische Probleme der pharmazeutischen Industrie, Imago Hominis (2005); 12(1): 19-37; Prat E. H., Ist die Pharmaindustrie wirklich so schlecht wie ihr Ruf? Wiener Medizinische Wochenschrift, November 2005
  6. Habermas J., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Suhrkamp, Frankfurt am Main (1996); Habermas J., Theorie des kommunikativen Handelns, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/Main (1997)

Anschrift des Autors:

Prof. Dr. Enrique H. Prat
IMABE
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