Lebensstiloptimierung als Maßnahme der Gesundheitsförderung und der Präventivmedizin

Imago Hominis (2004); 11(2): 105-110
Thomas Dorner und Anita Rieder

Zusammenfassung

Durch Optimierung des Lebensstils, vor allem der Faktoren Rauchstatus, Ernährungsgewohnheiten, körperliche Aktivität und Normalgewicht, kann nicht nur die Morbidität mit den damit verbundenen Kosten und die vorzeitige Mortalität gesenkt werden. Optimierung des Lebensstils führt auch zur Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens und der Lebensqualität. Psychosoziale Lebensstilfaktoren sind besonders für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Dabei muss der individuelle Lebensstil im kulturellen und sozioökonomischen Kontext gesehen, verstanden und optimiert werden.

Schlüsselwörter: Lebensstil, Risikofaktoren, Präventivmedizin, sozioökonomischer Kontext, Lebensqualität

Abstract

Lifestyle optimization, especially the factors smoking, nutrition, exercise and body weight does not only reduce total morbidity with its associated costs and early mortality, lifestyle optimization also leads to increased subjective well being and quality of life. Psycho-social lifestyle factors are particularly examined for the development of cardiovascular disease. Individual lifestyle has to be seen, understood and optimized in the cultural and socio-economic context.

Keywords: Lifestyle, Risk Factors, Preventive Medicine, Socioeconomic Context, Quality of Life


Lebensstil bedeutet ursprünglich persönliches Verhalten, das direkten Einfluss auf unsere individuelle Gesundheit und unser Wohlbefinden hat. Lebensstil umfasst aber auch Wissen, Glauben und Einstellung, sowie ökonomische und kulturelle Umstände. Rauchstatus, Ernährung, Bewegung, Alkoholkonsum, und das Benutzen von Gesundheitseinrichtungen sind sehr gut untersuchte Parameter des Lebensstils, sexuelles Verhalten und Umweltthemen weniger.1

Lebensstil wird meistens im Zusammenhang mit Konsum-, Freizeit- und Sozialverhalten von Individuen und Gruppen gesehen. Darüber hinaus bezeichnet jedoch Lebensstil ein Muster zur Alltagsorganisation im Rahmen gegebener Lebenslagen, verfügbarer Handlungsspielräume und eines geplanten Lebensentwurfs, wobei die persönliche Identifikation eine wichtige Funktion einnimmt. Danach definiert sich Lebensstil als eine Vergesellschaftung von Konsumgewohnheiten, Einstellungen und Verhaltensweisen. Jedoch ist Lebensstil nicht mit Güterkonsum ident, sondern beinhaltet ökonomische und kulturelle Aspekte. So nimmt mit dem Umfang des gesellschaftlichen und materiellen Wohlstandes die Wahlfreiheit für einen Lebensstil zu. Lebensstil beschreibt die Art und Weise, wie Menschen leben, ihre Zeit verbringen und ihr Geld ausgeben.2

Die Sozialwissenschaften beschreiben vier Dimensionen, die den Rahmen des Lebensstilkonzepts vorgeben:

  1. das expressive Verhalten (Freizeitaktivitäten, Konsummuster)
  2. das interaktive Verhalten (Formen der Geselligkeit, Heiratsverhalten, Mediennutzung)
  3. das evaluierte Verhalten (Wertorientierung, Einstellungen, Religiosität, Wahlverhalten)
  4. das kognitive Verhalten (Selbstidentifikation, Zugehörigkeit, Wahrnehmung der sozialen Welt2)

Alfred Adler hat den Begriff Lebensstil in besonderer Weise geprägt. Er geht davon aus, dass ein Mensch nicht ein ausschließliches Produkt seiner ererbten Eigenschaften und seiner Umwelt sei, sondern er postuliert in seiner Individualpsychologie die Ausstattung des Individuums mit einem kreativen Selbst, das die ererbten Fähigkeiten sinnvoll einsetzt und die Umweltimpulse schöpferisch interpretiert. So entsteht ein der jeweiligen Persönlichkeit entsprechender individueller Lebensstil. Danach ist Lebensstil die Gesamtheit der individuellen Reaktionen, mit denen ein Mensch von klein auf kunstvoll aktive und passive Wesenszüge zum Schutz seiner Persönlichkeit aufbaut.3

Lebensstilfaktoren und Gesundheitsrisiko

Lebensstilfaktoren wie Konsumverhalten (Ernährung, Alkohol, Zigarettenrauchen), Bewegungsverhalten, aber auch kulturelle, psychosoziale und sozioökonomische Lebensstilfaktoren üben eine wechselseitige Beziehung zu Gesundheit und Krankheit aus. Bei Herz- Kreislauferkrankungen sind Lebensstilfaktoren, die zu Risikofaktoren werden können, besonders gut untersucht.

Lebensstil und Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen

Herz-Kreislauferkrankungen stellen die führende Todesursache in der Westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten dar. Im Jahr 2002 sind in Österreich 36.906 Personen an Herz-Kreislauferkrankungen verstorben, und zwar 39,7% aller verstorbenen Männer und 53,3% aller verstorbenen Frauen.4 Die Risikofaktoren, die zur Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen führen, sind zum großen Teil veränderbar, durch einen bestimmten Lebensstil bedingt, und somit der Lebensstilmedizin zugänglich.

Unveränderbare Risikofaktoren sind:

  • Geschlecht
  • Alter
  • Genetische Disposition

Die klassischen Risikofaktoren sind:

  • Rauchen
  • Bluthochdruck
  • Übergewicht/Adipositas
  • Bewegungsmangel
  • Diabetes mellitus
  • Erhöhtes LDL-Cholesterin
  • Erniedrigtes HDL-Cholesterin5

Dazu kommen psychosoziale Risikofaktoren:

  • ökonomischer Status (aktueller und in früher Kindheit)
  • Bildung, Berufsausbildung, Einkommen, Kinderzahl, etc.
  • Berufliche Position (objektive, strukturelle und psychische Belastungsfaktoren)
  • Wohnregion
  • Psychische Konstellation (Kontrollambitionen, psychoökonomische Funktion der Arbeit, Typ-A-Verhalten, Aggressionsregulation)
  • Familiäre Situation
  • Soziales Netz, soziale Unterstützung6

Die Kombination aus diesen verschiedenen Risikofaktoren führt zur Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen. Durch Optimierung des Lebensstils kann man das Risiko für diese entscheidend vermindern. Die empfohlenen Lebensstiloptimierungen zur Verringerung des Risikos sind:

  • mindestens 30 Minuten Bewegung/Tag
  • 5 Portionen (400 g) Obst und Gemüse/Tag
  • 2 – 4 fettarme Milchprodukte/Tag
  • max. 25% – 35% Fettanteil täglich
  • max. 10% – 7% gesättigte Fettsäuren
  • max. 200 mg – 300mg Cholesterin/Tag
  • mindestens 2 Portionen Fisch/Woche
  • bis 5 Portionen Getreideprodukte/Tag
  • Nichtrauchen!
  • 1 – 2 Gläschen Alkohol/Tag
  • geeignete Stressbewältigungsmechanismen

Die „Magischen 4" der Lebensstilmedizin

Durch nur 4 Lebensstilmaßnahmen kann man die Risikofaktoren für viele chronische und degenerative Erkrankungen verhindern. Darunter fallen nicht nur Herz-Kreislauferkrankungen mit deren Folgen Herzinfarkt und Schlaganfall, sondern auch bestimmte Krebserkrankungen, Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Gicht), Adipositas und deren Folgeerkrankungen, Osteoporose, Hypertonie und Depression.

Diese magischen 4 sind:

  • Nichtrauchen
  • Richtige Ernährung
  • Körperliche Aktivität
  • Normalgewicht

Nichtrauchen

Durchschnittlich verlieren Raucher 3 Lebensjahre. Rauchen verdoppelt das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und verursacht 30% der Sterberate bei KHK. Rauchen erhöht das Risiko für Schlaganfälle um das 2- bis 3-fache verglichen mit Nichtrauchern.7 Zigarettenrauchen ist die wesentlichste Ursache von Krebs der Lunge, der Mundhöhle, des Ösophagus, des Magens, des Pankreas, des Larynx, der Harnblase, des Anus, der Vulva, des Penis, des Gebärmutterhalses, der Nieren und von Leukämien (vor allem der akuten myeloischen Leukämie). 30% aller Krebstodesfälle sind auf Tabakkonsum zurückzuführen, im Vergleich dazu 35% auf Ernährung und 3% auf Alkoholkonsum. Rauchen verursacht außerdem chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen, Aortenaneurysma, respiratorisch bedingte Herzerkrankungen, erhöht das relative Risiko für Pneumonie, Leberzirrhose und Leberkrebs. Weiters zählen zu den tabakassoziierten Erkrankungen die peripheren Gefäßerkrankungen, Morbus Crohn, Magen- und Duodenalulcus, Osteoporose, Peridontitis und Katarakt.8

Das Risiko reduziert sich auf jenes eines Nichtrauchers nach 2 – 4 Jahren Tabakabstinenz, unabhängig von der Zigarettenzahl. Eine Verbesserung der Lebenserwartung ist sogar bei Raucherentwöhnung nach dem 65. Lebensjahr nachgewiesen.7 In Österreich gibt es 2,3 Mio. RaucherInnen, 18% wollen damit aufhören und 37% wollen reduzieren.9 In Wien rauchen 39,8% der Männer und 29,4% der Frauen täglich. Mit steigendem Alter sinkt die Anzahl der RaucherInnen. Bei den 16- bis 24-jährigen rauchen 56,1 % der Männer und 51,6% der Frauen täglich. Mit zunehmend höherem Bildungsstatus nimmt der Anteil der RaucherInnen stark ab. Der Raucherstatus hängt auch von der Arbeitszufriedenheit ab. Je weniger Männer und Frauen mit der Arbeit zufrieden sind, desto höher der Raucheranteil. Ein sehr gutes soziales Netz geht mit geringerem Nikotinkonsum einher. Auch ist ein indirekter Zusammenhang der Raucherquote mit der Wohnzufriedenheit sowie ein direkter Zusammenhang mit finanziellen Nöten beschrieben.

Richtige Ernährung

Empfohlen wird eine abwechslungsreiche ausgewogene Ernährung, basierend auf der Ernährungpyramide, die als Basis Getreide- und Getreideprodukte,5 Portionen täglich (vorzugsweise Vollkorngetreide) beinhaltet. Weiters sollte man täglich 5 Portionen Obst und Gemüse (insgesamt 400 g) konsumieren. 5 mal täglich sollten fettarme Milch oder Milchprodukte auf dem Speiseplan stehen. Der Fettanteil der Nahrung sollte nur 25% – 35% betragen, wobei der Anteil der einfach ungesättigten Fettsäuren (Olivenöl, Rapsöl, Avocado, Walnüsse) bis zu 20% der täglichen Energiemenge und der Anteil der mehrfach ungesättigten Fettsäuren (Hering, Thunfisch, Sardinen, Kürbiskerne, Leinsamen) bis zu 10% der täglichen Energiemenge betragen sollte. In Wien konsumieren 26,1% der Männer und 11,2% der Frauen täglich Fleisch. 28,6% der Männer und 15,1% der Frauen konsumieren täglich Wurst bzw. Schinken. Hingegen konsumieren 20,0% der Männer und 36,4% der Frauen täglich gekochtes Gemüse, 27,9% der Männer und 44,5% der Frauen konsumieren täglich Rohkost, Salat bzw. rohes Gemüse und 45,6% der Männer und 64,5% der Frauen konsumieren täglich Obst. Mit steigender Bildung sinkt der Anteil derer, die täglich Fleisch, Wurst und Schinken konsumieren. Bei gekochtem Gemüse und Rohkost gibt es keine eindeutige Korrelation mit dem Bildungsgrad. Obst wird vor allem in mittleren Bildungsschichten häufiger konsumiert, weniger in niedrigen und hohen Bildungsschichten.3

Körperliche Aktivität

Körperliche Aktivität senkt die Gesamtsterblichkeit. Das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und Hypertonie wird gesenkt. Darüber hinaus senkt körperliche Aktivität das Risiko für Colonkarzinom, Depression und Angststörungen, hilft mit bei der Gewichtskontrolle, trägt zur Aufrechterhaltung der Knochen-, Muskel- und Gelenksfunktionen bei und ist ein wesentlicher Faktor in der Sturzprävention älterer Menschen. Ausserdem trägt körperliche Aktivität zum psychosozialen Wohlbefinden bei.10  Den größten gesundheitlichen Benefit haben die Personen, die ihre körperliche Aktivität von einem niedrigen zu einem moderaten Aktivitätslevel steigern. Moderate Aktivität kann ohne große Zeitaufwendungen ins tägliche Leben integriert werden mit Aktivitäten wie zügigem Gehen (mit ca. 5 km/h – 6 km/h), Gartenarbeit oder Tanzen. Personen, die an den meisten Tagen der Woche 30 Minuten moderate körperliche Aktivität in ihren individuellen Lebensstil integrierten, hatten in einer Studie einen ähnlichen gesundheitlichen Benefit, wie Personen, die an einem strukturierten, supervidierten, intensiven Bewegungsprogramm mit drei oder mehr Einheiten pro Woche teilnahmen.11,12 In Wien geben 18,2% der Männer und 13,2% der Frauen an, täglich durch körperliche Bewegung ins Schwitzen zu kommen; 29,4% der Männer und 23,8% der Frauen geben an, dies mehrmals in der Woche zu tun. Je höher der Bildungsstand bei den Frauen ist, desto häufiger ist ihre körperliche Aktivität, bei den Männern gibt es so einen Zusammenhang nicht. Die Häufigkeit der Bewegung steigt eindeutig mit der Stärke des sozialen Netzwerkes. Körperliche Aktivität korreliert mit dem subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand, wobei hier sicher das Alter als Confounder eine Rolle spielt, da sowohl die körperliche Aktivität als auch die subjektive Gesundheit mit steigendem Alter abnimmt.3

Normalgewicht

Eine Zunahme des Body Mass Index (BMI) führt zu erhöhter Morbidität und Mortalität. Der BMI ist mit hohem Blutdruck, hohem Blutzucker, hohem Gesamtcholesterin (hohen VLDL und LDL, niedrigem HDL) assoziiert.13 Die Nurses’ Health Study zeigte eine Zunahme der Gesamtmortalität mit zunehmendem Body Mass Index.14 In der Europäischen Union ist Adipositas mit 5% aller Krebsfälle (3% bei Männern und 6% bei Frauen) assoziiert. Vor allem Nieren-, Endometrium-, Kolon-, Prostata-, Gallenblasen- und Brustkrebs wird mit Adipositas in Zusammenhang gebracht.15 Unabhängig von Folgeerkrankungen sind Übergewicht und Adipositas mit selbstangegebenem Gesundheitsstatus als Indikator von physischem, mentalem und psychosozialem Wohlbefinden assoziiert.16 In Wien sind 48,9% der Männer übergewichtig und 11,4% adipös, bei den Frauen sind 36,9% übergewichtig und 12,3% adipös. Mit höherer Bildung tritt Übergewicht und Adipositas bei Männern und noch deutlicher bei Frauen seltener auf. Mit steigendem Einkommen nimmt der BMI bei Frauen ab. Bei den Männern nimmt der BMI mit steigendem Einkommen vorerst zu und erst in der höchsten Einkommensklasse leicht ab. Ein ausgeprägter linearer Zusammenhang ist zwischen dem BMI und dem subjektiven Gesundheitszustand zu vermerken: je kleiner der BMI, desto größer die subjektive Gesundheit.3 Bauern und Bäuerinnen sind eine Berufsgruppe in Österreich, in der Übergewicht und Adipositas ganz besonders prävalent sind. Bei den Bauern sind 47,9% übergewichtig und 15,1% adipös, bei den Bäuerinnen sind 39,8% übergewichtig und 15,4% adipös.17 Auch Arbeiter und Arbeiterinnen in Wien leiden häufiger an Übergewicht und Adipositas, verglichen mit der Allgemeinbevölkerung. Hier waren in einer kürzlich durchgeführten Studie von den Männern 49,6% übergewichtig und 14,7% adipös. Von den Frauen waren 33,3% übergewichtig und 23,7% adipös. Besonders ausgeprägt war auch der Anteil der ArbeiterInnen mit abdomineller Adipositas. Von den Männern hatten 22,8% einen Taillenumfang über 102 cm und von den Frauen 43,0% über 88 cm. Bei den Arbeitern zeigten sich auch ausgeprägte Unterschiede zwischen Fach- und Hilfsarbeitern. Bei den Hilfsarbeitern war Übergewicht und Adipositas und vor allem abdominelle Adipositas wesentlich häufiger prävalent.18

Zusammenfassung

Lebensstil, als Vergesellschaftung von Konsumgewohnheiten, Einstellungen und Verhaltensweisen im kulturellen und sozioökonomischen Kontext, übt einen großen Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden aus. Aber auch Gesundheit und Krankheit werden durch Lebensstilfaktoren beeinflusst. Unter ungünstigen Bedingungen können Lebensstilfaktoren zu Risikofaktoren für eine Reihe von Krankheiten werden. Dementsprechend ist auch eine Optimierung des Lebensstils, vor allem der Faktoren Rauchstatus, Ernährungsgewohnheiten, körperliche Aktivität und Normalgewicht, wichtiger Bestandteil in der Prävention von Krankheiten. Jedoch nicht nur die Verminderung der Morbidität, der damit verbundenen Kosten und der frühzeitigen Mortalität können durch Lebensstiloptimierungen erreicht werden, sondern auch eine Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens und somit der Lebensqualität.

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Anschrift der Autoren:

Dr. Thomas Dorner, Univ.-Prof. Dr. Anita Rieder
Institut für Sozialmedizin, Medizinische Universität Wien
Rooseveltplatz 3, A-1090 Wien

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