Stammzellenforschung: Ethisch sauber forscht es sich am besten

Imago Hominis (2009), 16: 6-7
Susanne Kummer

Das Timing war nicht zufällig…

Eine Woche nachdem US-Präsident Obama am 9. März verkündete, mehr öffentliche Gelder als sein Vorgänger Bush in die Stammzellforschung zu stecken, meldete sich die Österreichische Bioethikkommission zu Wort: 17 der 25 Mitglieder befürworten in einer Empfehlung an den Bundeskanzler, den letzten Rest an Rechtsschutz des Embryos in Österreich zugunsten der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen aufzugeben. Länder wie Deutschland und die Schweiz sollen offenbar links überholt werden. Fünf Mitglieder der Bioethikkommission legten in einem Kontra-Entwurf klar, dass es auch anders geht.

Derzeit ist die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus Embryonen, die nach einer künstlichen Befruchtung „übrig bleiben“, in Österreich durch das Fortpflanzungsmedizingesetz untersagt. Nicht verboten ist die Forschung mit bestehenden, im Ausland hergestellten menschlichen embryonalen Zelllinien.

Dolly-Schöpfer enttäuscht. Geht es nach zwei Drittel der Bioethikkommissionsmitglieder, soll das nun in einem eigenen „Stammzellforschungsgesetz“ anders werden. Sie plädieren für: 1. die komplette Freigabe der sogenannten „überzähligen Embryonen“ für Forschungszwecke und die Herstellung von eigenen Stammzelllinien in Österreich, 2. die legale Herstellung von „therapeutischen“ Klonembryonen sowie von Mensch-Tier-Chimären und 3. die Ermöglichung von Eizellenspenden durch Frauen.

Mit der Forderung nach Mensch-Tier-Chimären haben sich die Proponenten als nicht am letzten Stand der Wissenschaft geoutet. Erst im Februar hatte ein Studie des US-Stammzellpioniers Robert Lanza ernüchternd gezeigt, dass die so hergestellten Mix-Embryonen aus der Reihe tanzten: Wichtige Steuergene blieben abgeschaltet, sodass sich keine embryonalen Stammzellen entwickeln konnten. Und Dolly-Schöpfer Ian Wilmut nahm enttäuscht zur Kenntnis, „dass die Erzeugung von patientenspezifischen Stammzellen auf diesem Weg nicht machbar“ sei (Cloning and Stem Cells, 2/2009).

Sicherheitshalber nennt der Vorschlag Gesundheit als oberste Maxime, dieser Zweck heiligt eben alle Mittel. Auch ist von der „gesundheitsbezogenen wissenschaftlichen Forschung an embryonalen Stammzellen“ die Rede. Gesundheitsbezogen? Fragt sich nur, für wen. Biopolitik ist ohne Sprachpolitik nicht möglich. Das Pro-Positionspapier gibt ein aufschlussreiches Lehrstück dafür.

Kein Wunder, dass die Wogen hochgehen: Kein deutschsprachiges Land hat sich in der Stammzellforschung bis jetzt so weit aus dem Fenster gelehnt. In Deutschland gilt seit 2002 die sogenannte Stichtagsregelung. In der Schweiz hat sich keine Stichtagsregelung durchgesetzt. Seit 2005 können dort auch IVF-überzählige Embryonen, die vor dem Jahr 2001 eingelagert wurden, zu Forschungszwecken verbraucht werden. Wohl aber gibt es ein klares Verbot zur Herstellung von Klonembryonen zu Forschungszwecken, von Mensch-Tier-Embryonen ganz zu schweigen. Und selbst US-Präsident Obama ist strikter als die Schweiz! Öffentliche Gelder gibt es nur für die Forschung an bereits bestehenden (rund 500) Stammzelllinien.

Was bringt es, angesichts von 260 in Europa bereits bestehenden Stammzelllinien, sein eigenes Süppchen zu kochen? In der Schweiz, die Kommissionsvorsitzende Druml als Vorbild bezeichnet, wurde inzwischen Kritik nach Aufwand und Ziel der Herstellung eigener ES-Linien laut. Die erste langlebige Population von menschlichen embryonalen Stammzellen „Made in Switzerland“ präsentierte man vergangenen Juli – und sie ist die bisher einzige: eine magere Ausbeute nach zig Jahren intensiver Arbeit, viel Geld und durch Verwendung von insgesamt 199 (!) eingefrorenen menschlichen Embryonen. Noch dazu war das Ergebnis medizinisch nicht wirklich brauchbar, da die Stammzelllinie von einem Embryo mit 61 Chromosomen pro Zelle statt normalerweise 46 stammte.

Der japanische Nobelpreiskandidat Shinya Yamanaka, Entdecker der induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS) betonte im Forum Alpbach 2008, dass es nicht notwendig sei, neue Stammzelllinien für Forschungszwecke herzustellen: Für Vergleichsstudien zu den verjüngten adulten Zellen, die in einen quasiembryonalen Zustand zurückprogrammiert werden können, reichten die vorhandenen embryonalen Stammzelllinien völlig aus. Er selbst hatte bei seiner bahnbrechenden Arbeit die weltälteste, seit 1998 in den USA registrierte menschliche embryonale Stammzelllinie verwendet. Und die deutschen Kollegen greifen still und heimlich auch auf diese alten, angeblich so verschmutzten Linien zurück, wenn sie auf Nummer sicher gehen wollen. Obwohl sie inzwischen legalen Zugang zu „jüngeren“ Stammzelllinien hätten.

Embryonen nicht verzwecken. Die multitalentierten IPS-Zellen sind als der ethisch saubere Weg in aller Munde. Freilich, man muss am Boden der Tatsachen bleiben, die Technologie darf weder über- noch unterbewertet werden, ausgereifte Therapien sind noch lange nicht in Sicht. Doch eines ist klar: Wissenschaftlich gesehen gibt es keinen Grund, noch mehr Embryonen zu vernichten. Und: Aus ethischer Perspektive gilt, dass prinzipiell Embryonen nicht zu Rohmaterial verzweckt und instrumentalisiert werden dürfen.

Fazit: Humane embryonale Stammzellen sind für Therapien ungeeignet, weil sie unkontrolliert wuchern und Krebs hervorrufen. Es gibt mit den IPS-Zellen ein ethisch akzeptables Verfahren zur Herstellung von Alleskönnerstammzellen. Es gibt bestehende Stammzelllinien, woraus ein politischer Kompromiss geschmiedet werden könnte (Stichtagsregelung). Warum aber erneut viele menschliche Embryonen, Zeit und Tausende von Euro für die Herstellung einer Stammzelllinie „Made in Austria“ ver(sch)wenden – außer aus ideologischen Gründen?

Es gibt Alternativen. Dieses Signal kann Österreich setzen: Ethisch sauber forscht es sich am besten. Yes, we can!

Erschienen in der Tageszeitung „Die Presse am Sonntag“ am 22. März 2009. Mit freundlicher Genehmigung.

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Mag. Susanne Kummer, IMABE
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Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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