Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Thema „Stammzellforschung“ am 9. Mai 2007
Forschungsschwerpunkt meiner Arbeitsgruppe ist die Herstellung und Analyse von transgenen Tiermodellen zur Erforschung der Ursache und möglicher neue Therapieformen von Krebs und anderen genetisch determinierten chronischen Erkrankungen. Eine wesentliche Ursache der Krebsentstehung sind Veränderungen von regulatorischen Molekülen wie zB der AP-1 Signal-Moleküle, die auch wichtige Onkogene sind.
Embryonale Stammzellen der Maus bilden den Ausgangspunkt dieser Modellsysteme. Diese werden durch Injektion komplexer genetischer Konstrukte (wie „multihit“ targeting-Konstrukte zur konditionalen Aktivierung/Inaktivierung von Onkognen/Tumorsuppressorgenen) in embryonale Stammzellen mittels homologer Rekombination hergestellt, die eine physiologische Steuerung dieser Konstrukte von aussen am lebenden Organismus (in vivo) ermöglichen. Neu ist bei unserem Modellsystem die Möglichkeit einer evolutionären Steuerung durch gleichzeitiges Ein- und/oder Ausschalten multipler Onkogene oder Tumorsupressor-Gene. Auf Basis unserer transgenen Modellsysteme konnten wir bereits Ergebnisse zu Osteoporose, Psoriasis, B-Zell-Leukämie, Leberkarzinom und Hauttumoren publizieren.
1. Welches sind die wesentlichen neuen Ergebnisse auf dem Gebiet der Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen (hESZ) der letzten 3 – 5 Jahre?
Die Arbeit mit hESZ befindet sich im Stadium der Grundlagenforschung. In der Vielzahl publizierter Ergebnisse der letzten Jahre sind zahlreiche Arbeiten, die neue Probleme (z. B. hinsichtlich genetischer Stabilität, Problematik der Dediffierenzierung, Beherrschbarkeit der Tumorigenität) aufwerfen.
a) Es wurden erste Zellkulturverfahren für hESZ beschrieben, die auf (tierische) Nährrasen verzichten können. Obwohl ein xeno-freies Kultur-Medium das undifferenzierte Wachstum von hESC aufrechterhalten kann,1 zeigen jedoch neueste Arbeiten, dass hESZ, die in xeno-freien Medien kultiviert werden, nicht das undifferenzierte Wachstum von undifferenzierten Stammzellen zeigen und eine deutlich verminderte Proliferationsrate haben.2 Es zeigt sich offensichtlich, dass noch viele Fragen beantwortet werden müssen, bis ein effektives und passendes Medium für hESZ gefunden wird, das eine therapeutische Verwendung denkbar erscheinen lässt.3
b) Es wurden neue Verfahren zur genetischen Modifizierung gefunden, bis hin zu homologer Rekombination in hESZ4 (virale Vektoren, stabile Transgenexpression, siehe auch bei Frage 3). Für eine Therapie durch Stammzelltransplantation sind jedoch wesentliche Probleme das Entstehen von Tumoren,5 die Abstoßung der transplantierten Zellen sowie die Koordination und Kontrolle der Integration der transplantierten Zellen in den Empfänger.6 Für eine gezielte Therapie mit Stammzellen wird es primär wesentlich sein, ein besseres Verständnis der Pathogenese genetisch bedingter Erkrankungen zu bekommen.7
c) Der Stammzellbiologie ist ein deutlicher Fortschritt in der Analyse der genetischen Profile auf mRNA-Protein- und auf regulatorischer Ebene gelungen. Allerdings konnten aufgrund technischer Limitierungen bis jetzt auch mit den umfassendsten globalen Proteomanalysen einer bestimmten Stammzelle nur bis zu 2000 Proteine analysiert werden.8 Weiterführende Untersuchungen sind notwendig, um das funktionelle Verständnis und das Verständnis der Entwicklung der Kandidatengeneexpression zu verbessern.9
Es kann beispielhaft auf die Darstellung durch das „Kompetenz-Netzwerk Stammzellenforschung NRW“ (in dem prominente Stammzellforscher wie Oliver Brüstle, Jürgen Hescheler und Hans Schöler mitwirken) hingewiesen werden, das den Sachstand zur „Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen“ (Stand: Februar 2007) so darstellt:
„(…) Seit der Gewinnung der ersten humanen ES-Zelllinien im Jahr 1998 ist die Forschung in diesem Bereich eher langsam vorangekommen. Dennoch liegen erste Ergebnisse zur In-vitro-Differenzierung von humanen embryonalen Stammzellen vor. Es ist bis jetzt gelungen, Vorläuferzellen von Nervenzellen (siehe Modul 6), Herzmuskelzellen (siehe Modul 7), Blutgefäßzellen, Blutzellen (siehe Modul 8), Bauchspeicheldrüsenzellen, Leberzellen und Trophoblastenzellen (siehe Modul 9) aus humanen embryonalen Stammzellen zu generieren. Die Zuordnung der Vorläuferzellen zu einer dieser Gewebegruppen erfolgte dabei meist nicht durch den Nachweis ihrer Funktionalität, sondern aufgrund der von den Zellen gebildeten Oberflächenmoleküle. Nur in einigen Fällen wurden die aus humanen ES-Zellen gewonnenen Vorläuferzellen in Modellorganismen, z. B. Mäuse und Hühner, transplantiert, in keinem Fall aber wurde eine funktionale Beteiligung der Zellen an einem Gewebeverband beschrieben. (…) Alle bisher unternommenen Experimente muss man dem Bereich der Grundlagenforschung zurechnen. Sie lassen weder von ihrer Anlage noch von ihren Ergebnissen eine Aussicht auf eine konkrete, klinische Anwendbarkeit von humanen ES-Zellen zu. Andererseits lassen die durchgeführten Experimente es auch nicht zu, eine mögliche klinische Anwendung von humanen ES-Zellen auszuschließen. (…)“10
Dabei ist es wichtig zu sehen, dass der Nachweis der korrekten funktionalen Beteiligung der Zellen an einem Gewebeverband erbracht werden muss, um tatsächlich von vollständiger Differenzierung zu gewebespezifischen Zellen aus hESZ sprechen zu können. Eine ES-Zelle sollte sich in alle Zellen eines erwachsenen Organismus differenzieren können. Diese Differenzierung sollte in vitro und in vivo stattfinden können, in Tumoren und in Chimären. Weiters sollten ES Zellen in den Chimären zu Gameten differenzieren können, aus denen sich wiederum normale adulte Organismen entwickeln sollten.
Bis jetzt erfüllen nur ES-Zellen der Maus diese Kriterien.11 Wie Solter feststellt, fehlen eben bis heute sowohl der stringente Nachweis der Pluripotenz menschlicher embryonaler Stammzellen, als auch der Nachweis der funktionalen Integration von hESZ in humane Blastozysten in vivo.12
2. Gibt es Bereiche, in denen Sie therapeutische Anwendungen unter Verwendung von hESZ in den nächsten Jahren erwarten? Wie ist Ihre Prognose, in welchem Zeitrahmen damit zu rechnen sein könnte?
Zur einleitenden Frage: Nein, dies ist in den nächsten Jahren mit großer Sicherheit nicht zu erwarten.
a) Tumorrisiko
Therapeutischen Anwendungen im Sinne einer Transplantation von Zellen, die in vitro aus hESZ differenziert wurden, steht in erster Linie das enorme Tumorrisiko embryonaler Stammzellen entgegen, eine Tumor-Häufigkeit von 86% bei homologer Transplantation von aus embryonalen Stammzellen prädifferenzierten Zellen wurde beschrieben.13 ESZ haben sehr ähnliche Eigenschaften wie Embryonale Karzinom Zellen (ECZ) aus einem Teratokarzinom. Sie werden, außerhalb des Uterus verpflanzt, zu Tumorzellen.14 Umgekehrt können ECZ, wenn sie in eine Blastozyste injiziert werden, ähnlich ES-Zellen einen hohen Beitrag (Chimerismus) an den verschiedenen Organen des Embryos leisten.15 Deshalb sind ES-Zellen außerhalb ihrer „natürlichen Umgebung“ des Embryos Tumorzellen (weiteres siehe Antwort zu Frage 4).
Vor jedem therapeutischen Einsatz müsste dieses Tumorrisiko tierexperimentell nicht nur reduziert, sondern praktisch zu 100 Prozent eliminiert werden. Zudem müsste insbesondere der sichere tierexperimentelle Nachweis geführt sein, dass ein Tumorrisiko nicht nur in einer relativ kurzen Studie, sondern gerade auch langfristig ausgeschlossen werden kann. Die erforderliche Sicherheit könnte selbst dann noch nicht gegeben sein, wenn man keine undifferenzierten ES mehr nachweisen kann: „Absence of evidence is not evidence of absence“.
Hierzu bedürfte es nicht nur reproduzierbarer Protokolle zur Aufreinigung der (prä-)differenzierten Zellen, sondern auch deren langfristiger Erprobung in Tierstudien. Die Nicht-Beobachtung von Tumorbildung im Mausmodell über wenige Wochen gewährleistet nicht die für eine klinische Studie notwendige Sicherheit. Eine solche Evidenz, die unabdingbare Voraussetzung klinischer Studien am Menschen wäre, ist nicht vorhanden.
b) Funktionale Integration
Zum zweiten müsste vor jeder klinischen Studie am Menschen die funktionale Integration von aus embryonalen Stammzellen gewonnenen Zellen nach Transplantation im Tiermodell nachgewiesen sein (vgl. Antwort zu Frage 1). Nur Aufgrund der Expression gewisser typischer Oberflächenmoleküle kann keineswegs mit einer für klinische Anwendungen ausreichenden Sicherheit auf einen gewünschten Zelltyp geschlossen werden.
c) Immunverträglichkeit
Zum dritten sind im Allgemeinen bei Transplantation von aus embryonalen Stammzellen gewonnenen Zellen Immunreaktionen zu erwarten, da diese dem Empfänger körperfremd sind. Dies wirft das Problem der Notwendigkeit von Immunsuppression auf. Aus der Organtransplantation sind gravierende Nebenwirkungen der Immunsuppression bekannt, darunter ein Tumorrisiko von 2,6%.16 Noch dazu ist die Produktion von CD34+/CD45+ aus hESZ viel zu gering, da von diesen nur weniger als 0,165% in der Lage waren, sich in haematopoetische Zellen zu entwickeln.17 Dieses Verhalten wäre aber unbedingt notwendig, um eine Immuntoleranz von seiten der übertragenen hESZ zu induzieren.18
Klinische Anwendung für hESZ ist abhängig von ihrer Kompatibilität für Transplantationszwecke. Da sie von Embryos mit deren charakteristischem genomischem und Histokompatibilitätsprofil stammen, kann auf eine Übereinstimmung dieser Profile mit dem Spender nicht verzichtet werden – auch um mit den hASZ vergleichbare Eigenschaften zu bekommen.
d) Genetische und epigenetische Veränderungen von ESZ
Langzeitstudien von in vitro kultivierten und manipulierten ESZ können deren genetische und epigenetische Integrität beeinflussen, vor allem des Karyotyps,19 des Methylierungsprofiles und der Expression von „imprinted genes“,20 wobei v. a. das epigenetische Profil der ESZ extrem instabil ist.21 Diese Veränderungen steigern die Bedenken gegenüber Zellersatz-Therapien mit ESZ. Das Aufkommen epigenetischer Veränderungen hängt auch damit zusammen, dass die Embryos in vitro durch ART hergestellt werden.22
e) Klonen
Zur Vermeidung der Immunabstoßung von aus hESZ gewonnenen Transplantaten wird in der Laienwelt immer noch das sogenannte „therapeutische Klonen“ genannt: Ein somatischer Zellkern des Patienten wird in eine enukleierte Eizelle transferiert (Klonen nach dem sogenannten „Dolly-Verfahren“). Der so entstandene Klon-Embryo wird bis zum Blastozystenstadium kultiviert, um ihm dann (unter Zerstörung des Embryos) embryonale Stammzellen (ntES) zu entnehmen.23 Allerdings tragen die meisten so im Tierversuch erzeugten geborenen Nachkommen Defekte,24 was an einer defekten epigenetischen Reprogrammierung liegen dürfte, wie auch die Hannoveraner Arbeitsgruppe um Heiner Niemann25 und die Münchner Gruppe um Eckhard Wolf beschrieben haben.26 Klinische Anwendungen vor einer Aufklärung des komplexen Mechanismus des Reprogrammierens wären jedenfalls schwer zu verantworten.
Allerdings konnte die Erwartung, dass diese ntES sich aufgrund ihrer weitgehenden (bis auf die mitochondriale DNA) genetischen Identität zu transplantablen Zellen differenzieren lassen, die keine Immunabstoßung durch den Zellkernspender (Patienten) erfahren, bisher tierexperimentell nicht bestätigt werden. Bislang wurde nur eine einzige tierexperimentelle Studie publiziert, die das gesamte Verfahren des „therapeutischen Klonens“ exemplarisch demonstrieren wollte.27 Allerdings wurde in dieser Studie – überraschenderweise – eine Immunabstoßung der aus den ntES differenzierten hämatopoetischen Zellen durch den Zellkernspender (Modell-Patient) beobachtet, für die die Autoren zwar als mögliche Ursache Besonderheiten der ntES-Differenzierung in diesem speziellen System diskutierten, aber keinen abschließenden Nachweis für diese Vermutung lieferten. Andere Autoren diskutieren hinsichtlich dieses misslungenen Nachweises der Hypothese des immunkompatiblen „therapeutischen Klonens“ andere, v. a. epigenetische Schwierigkeiten.28
Insbesondere ist jedoch bemerkenswert, dass seit dieser ersten Studie in den seither vergangenen über fünf Jahren keine einzige weitere Studie – auch nicht von den Autoren der ersten Studie – publiziert wurde, die den tierexperimentellen Nachweis der Kernhypothese der Machbarkeit des immunverträglichen „therapeutischen Klonens“ erbracht hätte, die etwa die bei Rideout et al.29 beobachtete Hürde der Immunabstoßung umgangen, die verwendeten Protokolle verbessert hätte oder sich auf andere Tiermodelle menschlicher Krankheiten gerichtet hätte.
Aus Sicht der Wissenschaft ist das jahrelange Fehlen weiterer Arbeiten auf diesem Gebiet mangels veröffentlichter Studien sehr auffällig und deutet darauf hin, dass dieser Ansatz aufgegeben wurde. Veröffentlichungen der Gruppe um Woo-suk Hwang, die zunächst als Nachweis der Möglichkeit der Herstellung humaner ntES erschienen, stellten sich vor einem Jahr als Fälschungen heraus.30 Erstaunlich erscheint, dass offenbar die öffentliche Wahrnehmung des „therapeutischen Klonens“ teilweise immer noch im Gegensatz zur wissenschaftlichen Sicht steht. Besonders erstaunlich ist, wenn trotz der vernichtenden wissenschaftlichen tierexperimentellen Befunde hin und wieder immer noch (auch politisch) das experimentelle Klonen menschlicher Embryonen zur Entwicklung des „therapeutischen Klonens“ gefordert wird.
Zusammenfassend
Weder hinsichtlich des Tumorrisikos noch hinsichtlich der funktionalen Integration noch hinsichtlich der Immunverträglichkeit sind bisher valide Grundlagen einer Humanapplikation einer hESZ-basierten Therapie gegeben. Daher sind in den nächsten Jahren keinerlei therapeutische Anwendungen unter Verwendung von hESZ zu erwarten.
f) Wie ist Ihre Prognose, in welchem Zeitrahmen damit (therapeutische Anwendungen unter Verwendung von hESZ) zu rechnen sein könnte?
Ihre auf die Naherwartung immunverträglicher hESZ-basierter therapeutischer Anwendungen zielende Frage hat Davor Solter (Max Planck Institut für Immunbiologie, Freiburg) voriges Jahr fast schon beantwortet.31 Solter kritisiert die Veröffentlichung wissenschaftlich mangelhaft abgestützter und völlig übertriebener Behauptungen, ihre Verbreitung via Pressemitteilungen oder Pressekonferenzen etc, als etwas, das mit seriöser wissenschaftlicher Praxis kaum in Übereinstimmung stehe.
Nach der ersten Publikation über hESZ32 anfänglich vorhandene Erwartungen, innerhalb eines Zeitrahmens von fünf bis zehn Jahren therapeutische Anwendungen unter Verwendung von hESZ zu sehen, haben sich nicht bewahrheitet. Vielmehr wurde der Zeithorizont für den ersten Schritt einer therapeutischen Anwendung, der Beginn klinischer Studien, immer wieder verschoben, was das viel zitierte Beispiel der Firma GERON beispielhaft beleuchtet:
Die DFG-Stellungnahme vom November 2006 benennt als Indikator dafür, dass „der Einstieg in klinische Studien … eine Möglichkeit geworden ist“, die Firma Geron habe „für 2006 den Einsatz von hES-Zellen in klinischen Studien angekündigt…“33
GERON hatte in den letzten Jahren immer wieder eine klinische Studie mit hES-Zellen bei Rückenmarksverletzungen angekündigt. Die erste dieser von der DFG zitierten Ankündigungen datiert von 2004 und kündigt den FDA-Antrag für Ende 2005 an,34 die zweite kündigte dies im Juni 2006 für 2007 an.35 Noch Ende Januar 2007 hatte GERON auf seiner Homepage die klinische Studie für 2007 angekündigt,36 heute gibt GERON auf seiner Homepage kein Datum für den Start dieser klinischen Studie mehr an.37
Aufgrund der von GERON durchgeführten Tierstudien ist die ihnen beigemessene Aufmerksamkeit überraschend, wenn man bedenkt, dass andere Gruppen für die gleiche Indikation im Tierversuch mit autologen adulten Stammzellen (ASZ) deutlich bessere Erfolge publiziert haben:38 ASZ-Therapie gibt rückenmarksverletzten Ratten die Benutzung der Vorderpfote wieder.
In einer Anhörung des Ausschusses für Forschung und Technologie des britischen House of Commons im Februar 2007 antwortete der Vorsitzende des Medical Research Council, Colin Blakemore, auf die Frage, wann klinisch anwendbare hESZ-basierte Therapien zu erwarten seien, er erwarte keine wirklich signifikanten Entwicklungen vor Ablauf von zehn Jahren.39
Einen noch größeren Zeitrahmen von 20 Jahren für hESZ-basierte Therapien nimmt Anne McLaren an.40
Ich halte am ehesten ein Szenario für wahrscheinlich, in dem embryonale Stammzellen – nicht nur wegen ihrer inhärenten Risiken und Probleme – keine therapeutische Relevanz im Sinne einer Zellersatztherapie haben werden:
- weil Therapien auf Basis adulter Stammzellen (siehe Antworten zu Fragen 5 und 6) einschließlich Nabelschnurblut bereits eingesetzt werden (Nabelschnurbank Jose Carreras, 2007)41 und in einer Vielzahl klinischer Studien aktuell erforscht werden,
- weil es offenbar pluripotente adulte Stammzellen gibt
– im Fruchtwasser,42
– im Nabelschnurblut,43
– aus Hoden,44 - und weil es im August 2006 publizierte Daten gibt, die die Möglichkeit der „Reprogrammierung“ patienteneigener somatischer Zellen in ein pluripotentes, ESZ-ähnliches Stadium („induced pluripotent stem“ cells – iPS-Zellen) durch Zugabe von nur vier Faktoren zeigen.45
Voraussichtlich wird sich für viele Indikationen der Ansatz von Zellersatztherapien weg- und zur Stimulation endogener (im Körper vorhandener) Stammzellen hinbewegen. Viele Arbeiten belegen die Sinnhaftigkeit dieses Weges.46 Im August 2006 veröffentlichte die Gruppe um Ronald McKay Ergebnisse, von denen sie die Möglichkeit regenerativer Ansätze durch Aktivierung endogener neuraler Stammzellen erwartet.47
Häufig werden aber auch völlig unrealistische therapeutische Erwartungen geäußert, wie etwa hinsichtlich hESZ-basierter Therapien gegen Alzheimer. Der Stammzellforscher Ronald McKay hat solche Behauptungen als „Märchen“ bezeichnet: „Maybe that‘s unfair, but they need a story line that‘s relatively simple to understand.“ said Ronald D. G. McKay, a stem cell researcher at the National Institute of Neurological Disorders and Stroke.48
Der Präsident der „British Association for the Advancement of Science“, Professor Lord Robert Winston, hatte im September 2005 gewarnt: „I was concerned that parliamentarians – particularly in the House of Commons – have been convinced that it was just a matter of a few years before we would be able to transplant stem cells and cure a lot of neurological disorders, like Alzheimer‘s disease, for which I think it is going to be a hugely difficult problem and probably completely insoluble by stem cells.“49
3. Wie schätzen Sie das aktuelle Potenzial von hESZ in der Medikamentenentwicklung (Wirkstoff-Screening), der Herstellung von Diagnosewerkzeugen oder Researchtools sowie sonstigen Anwendungen ein?
a) Grundsätzlich sind in vitro Zellkultursysteme als screening-Modell für Studien zu umweltbedingter Mutagenese geeignet. In vitro Kulturen verlieren häufig, v. a. wenn sie lange Zeit in Kultur gehalten werden und sie nicht transformiert sind, ihre Proliferations- und Lebensfähigkeit wie auch ihre spezifischen Gewebseigenschaften. Stammzellen haben den Vorteil, dass sie unbegrenzte proliferative Eigenschaften haben, wenn sie der Mutagenese ausgesetzt sind, sowie auch die Möglichkeit, sich in verschiedene Gewebsarten zu differenzieren.
In vitro-Modelle, seien sie Primär-Kulturen oder etablierte Zelllinien, haben natürlich nicht die funktionalen Eigenschaften von spezialisierten somatischen Zellen in einem Zellverband in vivo. Wesentliche Voraussetzung solcher Anwendungen wäre aber der Nachweis der tatsächlichen Funktionalität solcher Zellen (funktionale Integration im Tiermodell), damit diese als realistisches Modell der im Organismus vorhandenen Zellen betrachtet werden können.
Gerade die Kanzerogenese ist aber ein komplizierter, multiple Stufen durchlaufender Prozess,50 der viele verschiedene Gewebstypen betrifft (Epithelzellen, Bindegewebszellen, Blut- und Lymphgefäße, Nervengewebe sowie das Immunsystem), sodass ein in vitro System zur Beurteilung von karzinogenen Substanzen denkbar ungünstig erscheint. Meiner Meinung nach sind daher Tierversuche in vivo den in vitro Systemen (auch Stammzellen) überlegen.
b) Für therapeutische wie auch für reproduktive Zwecke51 wird die genetische Modifikation von hESZ angestrebt, welche sich allein auf den Bericht von Thomas Zwaka und James Thomson über eine erfolgreiche homologe Rekombination bei hESZ stützt.52 Dabei ist allerdings festzuhalten, dass die maximale homologe Rekombinationsrate in dieser Studie bestenfalls 40% betrug, was darauf hindeutet, dass die Mehrzahl der festgestellten Integrationsvorgänge nach Zufallskriterien folgte.
Darüber hinaus wurde nicht direkt gezeigt, ob zusätzliche zufällige Integrationsvorgänge (die durch negative Selektion mit Gancyclovir nicht erkannt werden können) auch in denselben Zellen erfolgt waren, in denen eine Integration durch homologe Rekombination stattgefunden hatte. Um dies zu klären, hätten Southern Blots mit internen Sonden durchgeführt werden können, doch solche Ergebnisse wurden in dem Artikel nicht vorgestellt. Dennoch erscheint die Möglichkeit zusätzlicher zufälliger Integrationsvorgänge als überaus wahrscheinlich, da 86% der Klone, die gegenüber beiden auswählbaren Markern der homologen Rekombination Resistenz zeigten, für eine HPRT1-Genaktivität (für die ein Knockout versucht wurde) immer noch positiv waren. Es hat also den Anschein, dass sogar in dieser Studie eine große Zahl zufälliger Insertionen (mit potenziellen pathologischen Folgen) stattgefunden haben kann, jedoch nicht entdeckt wurde. An anderer Stelle wird auf der Grundlage der Daten dieses Artikels der Schluss gezogen, dass „es … wenig wahrscheinlich (ist), dass ein Gen an die falsche Stelle gelangt und Probleme verursacht“.53 Andererseits ist bei adulten menschlichen Stammzellen aus dem Mesenchym ein effizienteres Gen-Targeting beschrieben worden, bei dem bis zu 90% der Zellen den Angaben zufolge eine homologe Rekombination erfuhren, aber anscheinend im Hinblick auf zufällige Integrationsvorgänge negativ waren, während Zwaka und Thompson anschließend bei der Verwendung embryonaler Stammzellen angesichts ihrer Beobachtungen bei aneuploiden Zellen in Kultur54 zur Vorsicht rieten. Neuere Arbeiten öffnen auch Ausblicke auf eine Korrektur von Gendefekten bei anderen Zelltypen durch homologiegestützte Reparatur nach gezielter Nuclease-Aktivität.55 Damit stellt sich weiterhin die Frage, weshalb jemand die Verwendung von hESZ als bevorzugten Weg zur Gentherapie vorschlagen sollte.
4. Inwieweit sind Studien bekannt, die einen kausalen Zusammenhang zwischen der Tumorbildung und der Anwendung von adulten sowie embryonalen Stammzellen belegen?
a) Tumorbildung und embryonale Stammzellen
Die tumorigene Eigenschaft von hESZ ist seit ihrer ersten Beschreibung56 gut dokumentiert. Trotz zahlreicher Ankündigungen der baldigen Verwendung von hESZ zu therapeutischen Zwecken müssen vor einer möglichen Anwendung noch viele offene Fragen geklärt werden. Die Kultur embryonaler Stammzellen hat ein grosses Proliferations- und Entwicklungspotenzial, dies ist jedoch mit dem hohen Risiko der Tumorbildung verknüpft.
Eine wichtige Studie des Kölner Max-Planck-Instituts fand eine Tumor-Häufigkeit von 86% bei homologer Transplantation von aus embryonalen Stammzellen prädifferenzierten Zellen.57 Zunächst wurden ESZ der Maus vordifferenziert und in die Gehirne von Ratten transplantiert (Xenotransplantation), wobei ein geringes Tumorrisko beobachtet wurde. Doch die homologe Transplantation dieser Zellen in Gehirne von Mäusen wies ein enormes Tumorrisko auf. Die Studie belegt insbesondere, dass eine sichere Beurteilung des Tumorrisikos von aus menschlichen ES differenzierten Zellen durch Transplantation in Tiere (Xenotransplantation) nicht möglich ist.
Bereits ein äußerst geringer Anteil undifferenzierter ESZ scheint für die Tumorbildung zu genügen. So fanden Nishimura und Yoshikawa et al.58 nach Transplantation von (nach einem 5-stufigen Differenzierungsmodus in Neuronen) vordifferenzierten Zellen in das Gehirn von Parkinson-Mäusen, dass eine von 5 Mäusen an einem Teratom starb. Die Zahl undifferenzierter ES-Zellen war derart gering, dass diese erst nach wiederholten Versuchen entdeckt werden konnten.
Eine Tierstudie zur Therapie von Diabetes Typ I mit Insulin produzierenden Zellen, die aus embryonalen Stammzellen differenziert wurden, zeigte einen kurzfristigen therapeutischen benefit, der aber durch Entstehen von Teratomen bei 60% der Versuchstiere zunichte gemacht wurde.59 Die Untersuchung der Teratome zeigte Zellen, die die für ES typischen Marker SSEA-1 und Oct-4 exprimierten, obwohl diese vor der Transplantation nicht entdeckt worden waren. Eine mögliche Erklärung wäre eine Dedifferenzierung der transplantierten Zellen.
Eine deutsche Studie fand bei Transplantation von aus ES Zellen bis zum „stage 4“-Stadium vordifferenzierten Zellen eine Tumorhäufigkeit von 70%, bei bis zum „stage 5“-Stadium vordifferenzierten Zellen eine Tumorhäufigkeit von 17%. Dafür genügten nur 5 undifferenzierte Zellen in 100.000 Zellen. Nach weiterer Differenzierung in „SENAs“ (substrate-adherent ES cell-derived neural aggregates) wurde zwar keine Tumorbildung beobachtet, allerdings berichten die Autoren auch keinen therapeutischen Benefit.60
Die in vitro-Kultur embryonaler Stammzellen ist häufig mit einer erhöhten epigenetischen Instabilität und Aberrationen der Genpromoter-Methylierung verbunden.61 In letzter Zeit konnte außerdem gezeigt werden, dass in den meisten „Latepassage“-Kulturen menschlicher embryonaler Stammzellen Genomveränderungen vorkommen, die häufig in Karzinomen des Menschen beobachtet werden.62 Epigenetische Veränderungen können auch zu einer erhöhten Tumorneigung führen.63 Auch kommt es in embryonalen Stammzellen zu einer Selektion aneuploider Zellen mit chromosomaler Instabilität z. B. mit 17q und 12,64 was die Wahrscheinlichkeit einer Tumorentstehung deutlich erhöht.
Eine wichtige neuere Arbeit zeigt, dass hESZ bei in vivo Applikation zu Instabilität und undifferenzierter Vermehrung neigen.65
Selbst wenn es für ES Differenzierungs- und Aufreinigungsmethoden gäbe, mit denen sich 100%ige Reinheit erzielen ließe, wäre das Risiko für den zu behandelnden Patienten auf Grund der oben erwähnten genetischen und epigenetischen Modifikationen sehr hoch.
b) Tumorbildung und adulte Stammzellen
Das Tumorrisiko adulter Stammzellen liegt um Größenordnungen unter dem embryonaler Stammzellen. In allen gängigen therapeutischen Anwendungen werden ASZ nicht lange kultiviert, sondern nach Aufbereitung rasch transplantiert. Für therapeutische Anwendungen am Menschen ist daher die Langzeit-in-vitro-Kultur von hASZ nicht relevant, für die eine erhöhte Tumorigenität beschrieben ist.66 Die Studie zeigt, dass frisch isolierte mesenchymale Stammzellen keine Tumore auslösten. Doch nach Langzeit-in-vitro-Kultur (4 bis 5 Monate) wurden spontane Transformationen beobachtet. Die Autoren heben jedoch hervor, dass ihre Arbeit „der erste Bericht über spontane Transformation menschlicher adulter Stammzellen“ ist, was angesichts des jahrzehntelangen therapeutischen Einsatzes adulter Stammzellen ohne derartige Beobachtungen interessant ist.
Eine andere Arbeit berichtet, dass adulte Stammzellen des Knochenmarks bei chronischer Infektion des Magens mit helicobacter felis – bekanntermaßen ein bakterieller Auslöser von Tumoren – an entstehenden Tumoren beteiligt sind.67 Hier ist jedoch hervorzuheben, dass eine chronische helicobacter-felis-Infektion keine intrinsische Eigenschaft adulter Stammzellen ist.
Multipotente Gewebestammzellen aus dem Knochenmark können sich in Kultur ohne erkennbare Alterung oder Verlust des Differenzierungspotenzials, jedoch auch ohne Erzeugung von Teratomen in vivo deutlich vermehren.68 Nur mutierte adulte Stammzellen bilden Tumore. Mutationen werden etwa durch chemische Karzinogene, Infektionen oder Bestrahlung ausgelöst. Unter bestimmten Bedingungen (wie lange Kultivierung) bekommt man bei praktisch allen Zellen irgendwann Tumore – und eben auch bei adulten Stammzellen.
Die im Januar 2007 erstmals beschriebenen, zumindest multipotenten Stammzellen des Fruchtwassers (AFS) konnten in Kultur ohne Tumorigenität über mehr als 250 Passagen vermehrt werden. Sie behielten lange Telomere und normalen Karyotyp, exprimierten Marker sowohl embryonaler als auch adulter Stammzellen und konnten zu Zellen aller Keimblätter differenziert werden, darunter Fett-, Knochen-, Muskel-, Gefäss-, Leber- und Nervengewebe.69
Würden jedoch adulte Stammzellen auch nur einen Bruchteil des bei embryonalen Stammzellen nachgewiesenen Tumorrisikos besitzen, so wäre ihr täglicher Einsatz in etablierten Therapien (hASZ des Knochenmarks, des peripheren Blutes, des Nabelschnurblutes) und die Vielzahl klinischer Studien mit hASZ unverantwortbar.
Während die Tumorbildung für ESZ charakteristisch ist, verursachen ASZ typischerweise keine Tumore. Die nach Organtransplantation vom Spenderorgan ausgehenden Tumore liegen bei großen Studien (> 100.000 Organempfänger/Patienten) bei 0,01%.70 Offenbar verursachen die in der transplantierten Organen vorhandenen körperfremden adulten Stammzellen trotz Immunsuppression keine Tumore im Empfänger. Dennoch können aufgrund der Immunsuppression in den eigenen Organen des Empfängers Tumore entstehen.71
5. Was sind die wesentlichen Ergebnisse auf dem Gebiet der Forschung mit humanen adulten Stammzellen der letzten 3 – 5 Jahre? Wie hat sich die therapeutische Anwendung in dem Zeitraum entwickelt?
In der Grundlagenforschung hat es große Fortschritte bezüglich der Plasitizität, Multi- und Pluripotenz von adulten Stammzellen gegeben. So konnten etwa aus dem Knochenmark bei Menschen sogenannte MIAMI Zellen (human marrow-isolated adult multilineage inducible cells) isoliert werden, die pluripotenten Charakter zeigen.72 Weitere gegebenenfalls Therapie-relevante humane pluripotente Stammzellen wurden kürzlich aus dem Fruchtwasser isoliert.73
In den letzten Jahren werden zunehmend patienteneigene (autologe) olfactory mucosa (olfaktorische Schleimhaut) Stammzellen für neurologische Indikationen (z. B. Schlaganfall, Rückenmarksverletzungen) untersucht, auch in erfolgversprechenden klinischen Studien.74
Bei Diabetes vom Typ I konnte die Autoimmun-Zerstörung von beta-Zellen mit Immunosuppressiva gestoppt und das Immunsystem durch autologe adulte Stammzellen wiederhergestellt werden.75
Neben den schon seit vielen Jahren erfolgreich praktizierten Knochenmarkstransplantationen, deren therapeutische Anwendungen in zahlreichen klinischen Studien ständig erweitert werden, sind auch Stammzellen aus dem Nabelschnurblut in den vergangenen Jahren immer mehr in den Vordergrund gerückt.
Britische Wissenschaftler um Colin McGuckin (Newcastle) haben im Nabelschnurblut Stammzellen mit „embryonalen“ Eigenschaften nachgewiesen: „cord-blood-derived embryonic-like stem cells“ (CBEs), die jedoch offenbar das für hESZ typische Tumorrisiko nicht in sich tragen.76
Heute gibt es weltweit einige hunderttausende in öffentlichen Banken eingelagerter Nabelschnurblut-Einheiten, und es haben über 6000 allogene Transplantationen bei 45 verschiedenen Krankheiten stattgefunden.77 Nabelschnurblut-Transplantationen verursachen weniger Komplikationen bei einem niedrigeren Abstoßungsrisiko via graft-versus-host-Reaktion als herkömmliche Knochenmarkstransplantate. Menschliches Nabelschnurblut ist daher heute eine international zunehmend genutzte wertvolle Quelle adulter Stammzellen für die Therapie.
Zu den wesentlichen Ergebnissen der Forschung mit humanen adulten Stammzellen sind insbesondere auch publizierte (klinische) Studien zu rechnen, die patienteneigene (endogene) Stammzellen stimulieren, etwa durch Gabe von G-CSF (granulocyte colonystimulating factor) bei Schlaganfällen. Es ist hervorzuheben, dass diese Ansätze auf die Transplantation (allogener oder autologer) Stammzellen verzichten und stattdessen die Regenerationseigenschaften im Körper des Patienten vorhandener adulter Stammzellen stimulieren (siehe auch Antwort zu Frage 6). Dies könnte ein durch pharmazeutische Herstellung der stimulierenden Faktoren auch in der Breite gangbarer Weg werden, der zudem für die pharmazeutische Industrie interessant sein könnte.
Sehr erfolgversprechend sind Ergebnisse, die zeigen, dass durch nur vier Faktoren embryonale oder adulte Fibroblasten der Maus zur Bildung pluripotenter Stammzellen induziert werden können. Diese iPS (induced pluripotent stem) Zellen zeigen eine embryonalen Stammzellen vergleichbare Morphologie und Wachstumseigenschaften.78 Auf diese Weise könnten ethisch völlig unbedenklich „hESZ“-ähnliche Stammzellen hergestellt werden, die genetisch mit dem Spender übereinstimmen. Sie könnten auch in der Grundlagenforschung, z. B. beim Studium von Zelldifferenzierung in vitro an genetisch defekten Zellen, oder im Wirkstoff-screening Einsatz finden (mit den in Frage 3 genannten Eischränkungen).
6. Wie viele klinische Studien und klinische Anwendungen mit humanen Stammzellen wurden durchgeführt bzw. werden entwickelt? Für welche konkreten Krankheitsbilder werden Therapiemöglichkeiten auf der Basis der Forschung mit hESZ, mit adulten Stammzellen sowie mit Stammzellen aus Nabelschnurblut erwartet?
Adulte Stammzellen
Das von der US-Behörde National Institutes of Health geführte Register klinischer Studien nennt aktuell 1443 Studien mit menschlichen adulten Stammzellen (einschließlich der Studien, für die keine Patienten mehr rekrutiert werden).79
Einen ähnlichen Befund ergab eine 2007 veröffentlichte Datenbank- und Literaturrecherche der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, wo exemplarisch eine Reihe von Indikationen angegeben werden.80
Es muss davon ausgegangen werden, dass klinische Studien mit Stammzellen ganz überwiegend keine kommerziellen Studien (also ohne industriellen Sponsor), sondern nichtkommerzielle Studien (investigator-initiated trials, sog. „IITs“) sind. Diese therapieorientierten Studien sind in besonderem Maße auf Förderung durch die öffentliche Hand angewiesen.
Hier sind beispielhaft nur einige Publikationen über klinische Studien konkreter Krankheitsbilder herausgegriffen: Koronare Herzkrankheit (KHK)81, Rückenmarksveletzungen82, Schlaganfall83; Multiple Sklerose84,85.
Nabelschnurblutstammzellen
Die Düsseldorfer José Carreras Stammzellbank gibt an, dass „von den ca. 200.000 Nabelschnurbluttransplantaten, die weltweit in knapp 40 öffentlichen Nabelschnurblutbanken lagern, bereits 6000 allogen bei Patienten angewandt werden“ konnten.86
hESZ
Klinische Studien gibt es nicht.
7. Inwieweit haben Ergebnisse aus der Forschung mit hESZ die Entwicklung der Forschung im Bereich der adulten Stammzellforschung beeinflusst? Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen beiden Forschungsgebieten, etwa im Hinblick auf den Prozess der Dedifferenzierung bzw. Reprogrammierung von adulten Stammzellen? Könnte die adulte Stammzellforschung auf die Ergebnisse aus der hESZ-Forschung verzichten? Können die Erkenntnisse über hESZ möglicherweise das Wissen über adulte Stammzellen soweit erweitern, dass auf die Verwendung von hESZ langfristig ein Stück weit verzichtet werden kann?
Es gibt nicht viele Studien, die Ihre Frage beantworten lassen. Eine Studie87 wendet mit embryonalen Stammzellen der Maus gewonnene Erkenntnisse zur in vitro Entwicklung neuronaler Stammzellen auf hESZ an, aber auch auf adulte Stammzellen aus dem Gehirn von Föten der Maus und des Menschen. Die Ergebnisse sind auf neuronale Stammzellkulturen anwendbar, die sowohl auf ESZ als auch auf ASZ basieren können. Insbesondere ist aus der Studie nicht abzuleiten, dass die Verwendung von hESZ unverzichtbar gewesen wäre.
Eine andere Studie88 fand an adulten Stammzellen aus Maus-Embryonen einen Mechanismus zur Steuerung der Entwicklung von Stammzellen, der dann auch an hESZ überprüft wurde. Wesentliches Ergebnis der Arbeit ist aber, dass die Wirksamkeit dieses Steurungsmechanismus an erwachsenen Ratten in vivo gezeigt werden konnte, was auf die Möglichkeit einer medikamentös steuerbaren Regeneration hinweist. Diese – in Hinsicht auf therapeutische Ansätze – wichtige Erkenntnis hätte jedoch auch ohne Verwendung von hESZ gewonnen werden können.
Zur letzten Frage müssen die durch nur vier Faktoren aus Fibroblasten induzierbaren pluripotenten Stammzellen (iPS) erwähnt werden. Diese iPS (induced pluripotent stem) Zellen zeigen eine embryonalen Stammzellen vergleichbare Morphologie und Wachstumseigenschaften.89 Auf diese Weise könnten ethisch völlig unbedenklich „hESZ“-ähnliche Stammzellen hergestellt werden, die genetisch mit dem Spender übereinstimmen. Diese Zellen könnten hESZ (auch geklonte) ersetzen und in der Grundlagenforschung eine wichtige Rolle spielen.
8. Kann die Erforschung alternativer Methoden zur Gewinnung pluripotenter Stammzellen mittelfristig eine wettbewerbsfähige Alternative (mit therapeutischer Perspektive) zur Forschung mit hESZ bieten? Inwieweit können für die Weiterentwicklung auf diesem Gebiet die Ergebnisse aus der hESZForschung genutzt werden?
Eine pluripotente Stammzelle sollte sich in Abkömmlinge aller drei Keimblätter entwickeln können, wie man sie auch in einem erwachsenen Organismus findet. Die embryonale Stammzelle (allerdings nur bei murinen ES nachgewiesen) ist ein typisches Beispiel einer pluripotenten Stammzelle, doch wurden auch in fetalen und adulten Organen pluripotente Stammzellen mit ähnlichem Potential gefunden.90 Hinsichtlich der bei Frage 4 diskutierten Probleme müssten hESZ absolut sicher sein, um in einer potentiellen Therapie Verwendung zu finden. Wie Davor Solter91 feststellt, sind bereits die obligaten Kriterien der Pluripotenz, nämlich die Fähigkeit, Keimbahn-Chimären zu bilden, für hESZ nicht erwiesen, da dies „offensichtlich“ nicht getestet werden könne. Daher seien die einzig wirklich pluripotenten ESZ-Linien die aus der Maus isolierten Zelllinien. In einer Publikation des selben Jahres92 wird jedoch der Versuch beschrieben, Pluripotenz durch Chimärenbildung von Maus-Mensch zu testen, allerdings waren die meisten dieser chimären Lebewesen morphologisch abnormal und zeigten nur eine sehr geringe Beteiligung von hESZ und der Chimärenbildung.
Die bedeutendste Arbeit zur Alternative zu solchen Experimenten und zur Bejahung Ihrer ersten Frage wurde von Takahashi und Yamanaka im August 2006 publiziert. Ihnen gelang es, pluripotente Stammzellen aus Zellen des erwachsenen Körpers durch Zugabe von nur vier Faktoren (Oct3/4, Sox2, c-Myc, und Klf4) „induced pluripotent stem“ (iPS) Zellen herzustellen.
Die im Januar 2007 publizierte Gewinnung pluripotenter menschlicher Stammzellen aus dem Fruchtwasser (AFS),93 wie auch die aus Nabelschnurblut isolierten pluripotenten menschlichen Stammzellen (CBE)94 sowie Stammzellen aus dem Knochenmark,95 bieten ähnliche Alternativen.
Der altered nuclear transfer (ANT)96 stellt keine valide Alternative im Sinne Ihrer Fragestellung dar. Es gibt eine publizierte Arbeit, die solch ein Verfahren experimentell darstellt.97 Hier kumulieren jedoch die bereits diskutierten inhärenten Probleme von ES sowie die Probleme des Klonens durch Zellkerntransfer (SCNT) zusätzlich mit den schwer überschaubaren Problemen eines künstlich erzeugten genetischen Defekts, die nicht nur einen hypothetischen therapeutischen Einsatz, sondern bereits die Tauglichkeit dieser Zellen für reine Forschungszwecke in Frage stellen.
9. Inwieweit können tierische embryonale Stammzellen, z. B. aus Primaten, als Ersatz für hESZ im Bereich der Grundlagenforschung eingesetzt werden? Wie viele Projekte hat es bisher gegeben?
a) Bis zum heutigen Tag arbeiten zahlreiche Arbeitsgruppen in der Grundlagenforschung mit murinen ES-Zellen. Meine eigene Arbeitsgruppe am LBI untersucht Fragestellungen zur Pathogenese von Krebs und chronischen Erkrankungen im Mausmodell, wobei murine ES Zellen für uns ein Instrument zur Gewinnung transgener mouse strains über die Herstellung chimärer Blastozysten durch Injektion transgener muriner ES darstellen.98 Wir arbeiten mit dem Mausmodell, weil damit Grundlagen-Erkenntnisse gewonnen werden, die auf den Menschen übertragbar sein können.
Der Nutzen embryonaler Stammzellen von Mäusen als Modellsystem geht sowohl aus dem Umstand hervor, dass so viele veröffentlichte Differenzierungsprotokolle für menschliche embryonale Stammzellen auf Vorarbeiten mit Mäusestammzellen beruhen,99 wie auch aus dem Potenzial, Differenzierungsprotokolle durch Transplantation von Zellen in ausgereifte Tiere zu validieren100 oder die Eingliederung solcher Zellen bei sich entwickelnden Nagerembryonen zu untersuchen.101
Es konnte weiters gezeigt werden, dass die Gesamtexpression von Markern des pluripotenten Zustands bei embryonalen Stammzelllinien der Maus und des Menschen im Wesentlichen ähnlich ist.102 Die erfolgreiche Nutzung ähnlicher Kulturbedingungen für die anfängliche Erhaltung humaner103 und muriner104 embryonaler Stammzellen scheint darauf hinzudeuten, dass diese Unterschiede möglicherweise relativ gering sind. Erweisen sich Mäusestammzellen jedoch aus einem bestimmten Grund als ungeeignet, ist die mögliche Nutzung embryonaler Stammzellen anderer Säugerspezies, wie z. B. andere Primatenmodelle, ein wertvoller Ersatz für hESZ.105 Vor diesem Hintergrund ist es wichtig festzuhalten, dass bisher anscheinend noch in keiner Studie die Fähigkeit embryonaler Primatenstammzellen untersucht worden ist, nach Injektion in verwandte Blastozysten an einer Chimärenbildung teilzunehmen, sodass jede aktuelle Bewertung ihrer Entwicklungsfähigkeit sich weit gehend auf ihre bekannte Fähigkeit beschränkt, nach Xenotransplantation bei immundefizienten Mäusen Teratome zu bilden.106
Da embryonale Stammzellen der Maus ein bequemes Modell für die Untersuchung der Differenzierungsanforderungen abgeben,107 sollten wir der ersten Motivation für jede scheinbare Dringlichkeit, geklonte menschliche Embryonen für Grundlagenforschung und zur Suche nach Therapien zu verwenden, kritisch gegenüberstehen. Das gilt gerade auch im Lichte der kaum erörterten Erscheinung der wirtsabhängigen Tumorbildung nach Transplantation embryonaler Stammzellen, das klar machen sollte, dass die Sicherheit von aus menschlichen Embryonen gewonnenen Stammzellen sich durch eine Xenotransplantation in Tiere nicht ermitteln lässt.108 Es ist bedauerlich, dass solche Erkenntnisse keine breitere Öffentlichkeit finden, was allerdings bei negativen Ergebnissen oft der Fall ist.
b) hESZ werden in der Regel aus menschlichen Embryonen gewonnen, die im Rahmen der medizinisch unterstützten Fortpflanzung (ART) wie z. B. der in vitro Fertilisation erzeugt worden sind. ART führt aber bekanntermassen zu einer Verdoppelung der Prävalenz von Fehlbildungen (Malformationen),109 mit zum Teil epigenetischen110 und genetischen Ursachen.
Zur Gewinnung von hESZ-Linien werden überzählige Embryonen aus der ART verwendet111, die jedoch häufig morphologische Abnormalitäten, Entwicklungsstillstand, Apoptosen (Zelltod), Aneuploidien und Mosaizismen112 zeigen.
Studien mit Mäusen und Hamstern haben gezeigt, dass die zur Gewinnung von Eizellen notwendige Superovulation die Lebensfähigkeit der Embryonen reduziert.113 Auch kann die Verwendung von unterschiedlichen Kulturbedingungen und Nährmedien die Expression und das Imprinting von verschiedenen Genen verändern und zu einer defekten Entwicklung führen.114
Da es keine aus in-vivo-Embryonen produzierten hESZ Linien gibt, die Vergleichsstudien mit sicher „gesunden“ hESZ erlauben würden, wären Versuche mit nahen Verwandten der Spezies Mensch (Primaten) sicher vorteilhaft. Solche Studien würden auch einen besseren Vergleich mit den in vivo isolierten hASZ ermöglichen.
Ein solches Vorgehen würde die Möglichkeit bieten, nicht nur direkt Informationen über das Verhalten von „normalen“ hESZ sowie hASZ zu erhalten, sondern auch sichere und funktionale Ersatztherapien zu entwickeln, die der Situation am Menschen nahe kommen.115
Vor jeder Anwendung von riskanten und neuen Therapiemethoden wie z. B. mit hESZ am Menschen wären ohnehin Großtiermodelle, an denen dann auch transplantierte Gewebe morphologisch untersucht werden könnten, erforderlich.
10. Wie sind die Vor- und Nachteile einer hohen Plastizität embryonaler Stammzellen hinsichtlich einer möglichen therapeutischen Anwendung zu bewerten? Bei welchen Krankheitsbildern ist eine hohe und bei welchen eine niedrige Plastizität von Stammzellen vielversprechender?
Embryonale Stammzellen besitzen das Potential, sich in jeden Zelltyp des Körpers zu entwickeln (nachgewiesen bisher nur für ES der Maus, siehe bei Frage 1). Dies macht sie für Zwecke der Grundlagenforschung im Labor interessant. Dieses hohe Maß an Plastizität birgt auch das Risiko , Ursache einer Fehlentwicklung vor allem in vivo zu sein.
1. Falls hESZ vor der Transplantation in vitro nicht vollständig differenziert vorliegen, kann sich in vivo zu jeder Zeit ein aggressiver Tumor aus ebenfalls verschiedensten Zellarten bilden.
Deswegen ist es notwendig, aus ESZ vordifferenzierte Zellen in vitro zu 100% von allen noch nicht differenzierten ESZ zu reinigen.116
2. Die Differenzierung von ESZ muss vor der Transplantation zudem stabil sein, ansonsten könnten sich später durch sogenannte Dedifferenzierung der Zellen des Transplantats unerwünschte Proliferationen von undifferenzierten Zellen bis hin zu Tumoren bilden. Ein Beispiel solch einer Dedifferenzierung ist im Tiermodell für Morbus Parkinson beschrieben,117 wo hochreine Nervenzellen mit zunächst gutem funktionalen Erfolg implantiert wurden. Allerdings zeigte sich nach 10 Wochen:
a. ein deutlicher Verlust dopaminproduzierender, funktionaler Zellen
b. sich vermehrende undifferenzierte Zellen
c. eine phänotypische Veränderung des Transplantats.
3. a) Weiters stellt sich auch die Frage, inwieweit Ergebnisse von Studien mit ESZ gut reproduzierbar sind. Es gibt Beispiele, an denen genau dieser Punkt nicht gezeigt werden konnte. Lumelsky und Blondel et al.118 publizierten eine Strategie zur Erzeugung von Insulin produzierenden beta-ähnlichen Zellen aus ESZ, die nach Implantation in vivo keine Tumorbildung zeigten. Diese Methode verwendete ein aufwendiges, 5-stufiges Protokoll zur Selektion von Vorläuferzellen aus embryoid bodies (EBs). Ein Versuch, dieses Protokoll zu reproduzieren, zeigte lediglich, dass diese Zellen zwar Insulin positiv waren, aber keine RNA für Insulin mehr produzierten und eigentlich apoptotisch waren,119 also wahrscheinlich Insulin aus dem Medium aufnahmen. Eine andere Arbeitsgruppe120 bestätigte diese Ergebnisse, zeigte aber noch zusätzlich deutliche Tumorbildung. In einem modifizierten Protokoll von Lumelsky und Blondel et al.121 schließlich konnten funktionale Insulin produzierende Zellen differenziert werden, allerdings fand auch die Arbeitsgruppe von Anna Wobus hier schon nach kurzer Zeit in einigen Versuchstieren Tumore.122
b) Auf der anderen Seite ist es allgemein anerkannt, dass adulte Knochenmarkstammzellen eine ideale Quelle für die Herstellung von pankreatischen Zellen sind.123 Experimente haben gezeigt, dass Stammzellen des Knochenmarks die Fähigkeit haben, in vivo in pankreatische Zellen zu differenzieren.124 Die Transplantation von c-Kit+ Knochenmarkszellen in diabetische Mäuse zeigte, dass diese sich zu duktalen und Inselstrukturen differenzierten, was vor allem die endogene Neubildung von insulinproduzierenden Zellen in den Empfängermäusen anregte.125 Dies führte zu einer deutlichen funktionellen Verbesserung.
Generell ist zu sagen, dass es für eine Transplantation erforderlich ist, dass die gewünschten Zellen stabil sind (also eine geringe Plastizität zeigen) und nicht durch Zellen mit hoher Plastizität wie ESZ verunreinigt sein dürfen. In dieser Hinsicht sind ESZ gerade wegen ihrer hohen Plastizität den ASZ unterlegen.
11. Wie bewerten Sie die Möglichkeiten einer langfristig wirksamen und immunverträglichen Zellersatztherapie auf Basis von hESZ bei solchen Krankheiten, deren Ursachen man nicht genau kennt und deren pathophysiologische Mechanismen man nicht unterbrechen kann?
Bei Krankheiten, deren Pathogenese nicht bekannt ist, wäre es nicht ratsam, längerfristige und unter Umständen nicht reversible oder riskante Zellersatztherapien einzusetzen. Es wäre auch unverantwortlich, vorschnell Hoffnungen auf (risikoreiche) Zellersatz-Therapien zu lenken, nur weil derzeit verfügbare Therapien die Krankheiten nicht kausal angehen können. Eine langfristig wirksame Therapie verlangt einen Ansatz, der nicht nur temporär die untergegangenen Zellen ersetzt, sondern die Ursache des Untergangs der Zellen behebt. Ohne hinreichende Kenntnis der Krankheitsmechanismen ist eine solche langfristige Therapie durch keine Art von Stammzellen-Therapie zu gewährleisten.
Um eine Immunverträglichkeit hESZ zu ermöglichen, also „patient-matched“ embryonale Stammzellen herzustellen, wird die Hypothese des „therapeutischen Klonens“ diskutiert. Zwar ist die in den Medien zunächst verbreitete Erwartung von Therapiemöglichkeiten mittlerweile durch Betrugsskandale ernsthaft untergraben worden,126 doch könnte es trotz aller Schwierigkeiten grundsätzlich möglich sein, das reproduktive Klonen beim Menschen durchzuführen. Forderungen, das „therapeutische Klonen“ am Menschen statt im Tiermodell durchzuführen, stützen sich vor allem auf die Ergebnisse von lediglich zwei Artikeln127:
Bei genauerer Durchsicht des so genannten „Proof-of-Principle“-Artikels von Rideout et al.128 waren die Autoren nicht in der Lage, die Defekte der durch das Fehlen eines für das Immunsystem essentiellen Gens (Rag2) durch gentechnische Korrekturen an embryonalen Stammzellen der Originalmäuse und nachfolgender „therapeutischer“ Klonung zu heilen. Rag2 defiziente Mäuse können keine weißen Blutkörperchen vom Typ der Lymphozyten produzieren. Es mussten erst „reproduktive“ Klone hergestellt werden, denen dann adulte Knochenmarksstammzellen entnommen wurden, die dann zur Heilung der Rag2-defizienten Mäuse führten. Paradoxerweise wurden die kranken Mäuse mit der ursprünglichen Störung daher durch „adulte“ Stammzellen (AS-Zellen) ihrer geborenen Klone geheilt und nicht mit Hilfe von durch Kerntransfer gewonnenen ES-Zellen. Die Ursache des Therapieversagens der durch Kerntransfer gewonnenen ES-Zellen war bei den Empfängermäusen das Auftreten von so genannten natürlichen Killerzellen (NK), die zur Abstoßung der aus ntES-Zellen gewonnenen Zellen führten. Dazu kam es anscheinend, weil die aus den geklonten Embryonen gewonnenen Stammzellen zu niedrige Konzentrationen von MHC-Klasse I-Moleküle aufwiesen, Proteine, die das Immunsystem zur Selbsterkennung benötigt. Um doch noch einen beschränkten „Erfolg“ zu erzielen, wurde die Therapie an anderen mutierten Rag2-defizienten Mäusen durchgeführt, die keine NK-Zellen produzieren können. Diese Mäuse waren jedoch nicht die Zellkernspender für das „therapeutische Klonen".
In dem zweiten Artikel zeigen Barberi et al.129 die erfolgreiche Implantation dopaminerger Neuronen aus ntES-Zellen in Parkinson-Mäusen. Diese ntES-Zellen waren von anderen Mäusen gewonnen worden, insofern wurde kein „therapeutisches Klonen“ (isogene Transplantate) durchgeführt. Mit Neuronen aus normalen embryonalen Stammzellen aus ivf-Mäuseembryonen konnte jedoch in derselben Studie eine ebenso erfolgreiche Implantation erreicht werden. Diese Tatsache liegt vermutlich daran, dass das Gehirn ein immunprivilegiertes Organ ist.130 Dazu kommt noch, dass die Gewinnung der wenigen embryonalen Stammzelllinien durch Kerntransfer, die in dieser Studie verwendet worden waren, überaus ineffizient war.131 Noch dazu war die Studie zu kurz (wenige Wochen), um eine mögliche Teratomentstehung sicher auszuschließen.132 Die beim Klonen gehäuft auftretenden epigenetischen Modifikationen führen zu vermehrtem Risiko einer Tumorentstehung.133
12. Wie schätzen Sie bei unverändertem Stammzellgesetz die Perspektiven für die Stammzellenforschung in Deutschland ein – bezüglich der Forschung mit hESZ und mit adulten Stammzellen?
Hinsichtlich der Forschung mit adulten Stammzellen liegt Deutschland international in der Spitzengruppe.
Die Vorgaben des deutschen Gesetzes lenken Forschungsanstrengungen auf adulte Stammzellen und ESZ-Grundlagenforschung in Tiermodellen.
Wenn neue Therapien für Menschen mit bisher schwer oder nicht heilbaren Krankheiten das Ziel sind, dann dienen die Vorgaben des Stammzellgesetzes der Konzentration auf Erreichung dieses Ziels, das angesichts der dargestellten gravierenden Probleme bei hESZ am ehesten mit hASZ (allogene und autologe Transplantation, Stimulation endogener hASZ) zu erreichen sein wird. Diese Konzentration erscheint auch angesichts der Begrenztheit der Ressourcen sinnvoll.
Mit der Befürchtung, bei ESZ ins Hintertreffen zu geraten, steht Deutschland nicht allein. In den USA wird die Politik beschuldigt, durch Beschränkung der aus Bundesmitteln förderungsfähigen hESZ-Linien die Forschung zu blockieren. Tatsächlich aber wurden in den USA bei weitem die meisten Arbeiten über Stammzellen publiziert, 13663 in den Jahren 2000 bis 2004, entsprechend über 40% aller einschlägigen Artikel. Die USA blieben also die Nummer 1, speziell auch in Publikationen über hESZ. Deutschland ist schon die Nummer 2 mit 10% aller Publikationen über Stammzellen. Großbritannien liegt mit seiner freizügigen Gesetzgebung nach Japan abgeschlagen auf Rang 4. Über 85% aller publizierten Arbeiten mit hESZ basieren auf den vom NIH 2001 approbierten Ziellinien. Die renommierten US-Forscher Owen-Smith und McCormick erwähnen selbst, dass „nur 14,4% aller hESZ-Publikationen mit Zelllinien durchgeführt wurden, die nicht von NIH zugelassen sind“134. Jedoch konnte keine einzige Publikation eine hESZ-basierte Therapie mit Anwendung am Menschen zeigen.
13. Wie bewerten Sie die im Stammzellgesetz getroffene Entscheidung zum Umgang mit embryonalen Stammzellen in Deutschland auch im Hinblick auf die nationale und internationale Entwicklung? Trifft das Stammzellgesetz eine ethisch angemessene Entscheidung im Hinblick auf die betroffenen Positionen (Menschenwürde, Recht auf Leben, Ethik des Heilens, Forschungsfreiheit)?
Die deutsche Stichtagsregelung ist ein ethisches Minimum. Weil die in der Vergangenheit gewonnenen embryonalen Stammzellen bereits vorhanden waren, konnte man 2002 die einmalige gesetzgeberische Entscheidung ethisch vertreten, sie für einen sehr wichtigen Grund zu verwenden. Das ethische Unzulässige lag bereits in der Vergangenheit und war nicht mehr rückgängig zu machen. Wer das Menschenrecht auf Leben ernst nimmt und daher menschliches Leben als schutzwürdig respektiert, kann die embryonenverbrauchende Erzeugung von Stammzellen ethisch nicht legitimieren. Menschenrechte stehen nicht zur Disposition. Menschliche Embryonen sind Menschen in ihrem frühesten Entwicklungsstadium und haben einen unanfechtbaren Anspruch auf Lebensschutz. Auch aus der Perspektive der „Ethik des Heilens“ – die die spekulative Hoffnung auf zukünftige therapeutische Möglichkeiten gegen die konkrete Verletzung des Lebensrechts menschlicher Embryonen abwägt – lässt sich keine lebenszerstörende Handlung wie z. B. die Erzeugung und Vernichtung von Embryonen zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken legitimieren.
Angesichts der internationalen Entwicklung der Grundlagenforschung angeführte Gründe für Forderungen nach einer Gesetzesänderung können sich nicht auf eine neue Bewertung der ethischen Aspekte stützen. Die ethische Abwägung der betroffenen Positionen hat sich gegenüber 2002 nicht verändert.
14. Welchen ethischen Stellenwert messen Sie dabei jeweils den einzelnen Regelungskomponenten zu: Stichtagsregelung? Strafandrohung? Beschränkung der Einfuhr auf Forschungszwecke?
Die Stichtagsregelung ist wie gesagt ein ethisches Minimum, wobei die einmalige oder gar eine laufende Verschiebung des Stichtages die Regelung insgesamt ethisch unzulässig machen würde. Denn das Argument für diese Regelung war: Es dürfen keine Embryonen mehr für weitere in Deutschland nutzbare Stammzelllinien getötet – oder gar eigens für diesen Zweck geschaffen – werden. Eine Verschiebung des Stichtages oder ein gleitender, nachlaufender Stichtag wäre damit unvereinbar.
Würde der Gesetzgeber heute das Argument, die gegenwärtig aktuellen (nach dem deutschen Stichtag gewonnenen) Stammzelllinien müssten auch innerhalb Deutschlands nutzbar sein, zur Grundlage einer Änderung des Stichtages machen, so würde das gleiche Argument in der Zukunft (wenn weitere, wiederum aktuellere Stammzelllinien im Ausland existieren) jede weitere Änderung des Stichtages begründen.
Zur Strafandrohung: Angesichts des Ranges der betroffenen Rechtsgüter (Menschenwürde, Lebensschutz) erscheint eine strafrechtliche Absicherung grundsätzlich geboten. Allerdings trägt bereits die Einfuhr von embryonalen Stammzellen den Makel einer gewissen Doppelmoral: Sie stützt sich auf die im Ausland durchgeführte ethisch nicht akzeptable Gewinnung der Stammzelllinien durch Tötung menschlicher Embryonen.
15. Ist eine Änderung des Stammzellgesetzes aus ethischer Sicht für Sie notwendig bzw. haben sich seit der Verabschiedung des Stammzellgesetzes Gründe für eine Veränderung ergeben? Wenn ja, welche Änderungen wären für Sie ethisch vertretbar? (Abschaffung des Stichtags, Nachlaufender Stichtag, Verschiebung des Stichtags – Abschaffung der Strafandrohung; Begrenzung der Strafandrohung auf das Inland – Erweiterung des Einfuhrzwecks auf therapeutische, diagnostische Anwendungen)
Eine Änderung ist aus ethischer Sicht abzulehnen. Es gibt Alternativen für die Grundlagenforschung (siehe Antworten zu Fragen 8 und 9). Für therapeutische Anwendungen sind hESZ bereits aus den oben dargestellten Gründen (siehe Antworten zu Fragen 2, 4 und 5) weniger geeignet als andere Stammzellen. Insbesondere steht der Gesetzgeber nicht vor dem Dilemma, dass konkrete hESZ-basierte Therapien, für die es keine Alternativen gibt, konkreten Patienten vorenthalten würden.
16. Wie bewerten Sie aus ethischer Sicht die Perspektive der kommerziellen Nutzbarkeit der embryonalen Stammzellforschung?
Das Problem der kommerziellen Nutzbarkeit der embryonalen Stammzellenforschung stellt sich nicht in Hinsicht auf therapeutische Verwendungen, da diese absehbar nicht gegeben sind, ggf aber hinsichtlich der „material transfer aggreements“ (MTA) mancher Lieferanten von hESZ-Linien für Forschungszwecke.
Tatsächlich jedoch scheint embryonale Stammzellenforschung für öffentlichkeitswirksam publizierte angebliche Durchbrüche, die bei genauer Betrachtung nicht haltbar sind, kommerziellen benefit abzuwerfen.135
Aus medizinisch-ethischer Sicht sind auf kommerziellen benefit spekulierende, aber angesichts des Standes der Wissenschaft zu hESZ nicht validierte Heilungsversprechungen verwerflich, da sie die Hoffnungen von Patienten und ihren Angehörigen instrumentalisieren.
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ao. Univ.-Prof. Dr. Lukas Kenner
Klinisches Institut für Pathologie, Allgemeines Krankenhaus Wien
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Lukas.Kenner(at)meduniwien.ac.at