Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation für die Glaubenslehre
Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt, liebe und treue Mitarbeiter!
Die Begegnung mit euch anlässlich eurer Vollversammlung ist für mich ein Grund zu großer Freude. So kann ich euch die Gefühle tiefer Dankbarkeit und herzlicher Wertschätzung für die Arbeit mitteilen, die euer Dikasterium im Dienst an der Einheit erfüllt, der in besonderer Weise dem Römischen Papst anvertraut ist. Es ist ein Dienst, der hauptsächlich in der Funktion der Wahrung der Einheit des Glaubens zum Ausdruck kommt, die sich auf das „sacrum depositum“ [das der Kirche anvertraute Glaubensgut] stützt, dessen erster Hüter und Verteidiger der Nachfolger Petri ist.1 Ich danke Herrn Kardinal William Levada für die Grußworte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat, und für die Erwähnung der Themen, die in den letzten Jahren Gegenstand einiger Dokumente eures Dikasteriums gewesen sind, und der Themenkreise, mit deren Untersuchung sich das Dikasterium derzeit befasst.
Die Kongregation für die Glaubenslehre hat im vergangenen Jahr insbesondere zwei wichtige Dokumente veröffentlicht, die einige lehrmäßige Klarstellungen zu wesentlichen Aspekten der Lehre über die Kirche und über die Evangelisierung geboten haben. Es handelt sich um Klarstellungen, die für die korrekte Durchführung des ökumenischen Dialogs und des Dialogs mit den Religionen und Kulturen der Welt notwendig sind. Das erste Dokument trägt den Titel „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“2 und vermittelt auch in den Formulierungen und in der Sprache die Lehre des II. Vatikanischen Konzils in voller Kontinuität mit der Lehre der katholischen Tradition. So wird bekräftigt, dass die eine und einzige Kirche Christi ihre Subsistenz, Permanenz und Stabilität in der katholischen Kirche hat und dass daher die Einheit, Unteilbarkeit und Unzerstörbarkeit der Kirche Christi durch die Trennungen und Spaltungen der Christen nicht zunichte gemacht werden. Neben dieser grundlegenden lehrmäßigen Klarstellung bietet das Dokument den korrekten Sprachgebrauch gewisser ekklesiologischer Ausdrücke, die Gefahr laufen, missverstanden zu werden, und weist zu diesem Zweck auf den Unterschied hin, der bezüglich des Verständnisses des Kircheseins im eigentlich theologischen Sinn zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen weiterhin bestehen bleibt. Das soll keine Behinderung des echten ökumenischen Engagements, sondern vielmehr ein Ansporn dafür sein, dass die Auseinandersetzung über die Lehrfragen immer mit Realismus und im vollen Bewusstsein der Aspekte stattfindet, die die christlichen Konfessionen noch trennen, aber zudem auch in froher Anerkennung der gemeinsam bekannten Glaubenswahrheiten und der Notwendigkeit, unablässig für einen entschlosseneren Weg zu einer tieferen und schließlich vollen Einheit der Christen zu beten. Eine theologische Sichtweise zu pflegen, die die Einheit und Identität der Kirche als ihre „in Christus verborgenen“ Gaben betrachtet – mit der Folge, dass die Kirche geschichtlich de facto in vielfältigen kirchlichen Ausprägungen existieren würde, die sich nur in eschatologischer Hinsicht versöhnen lassen –, könnte nur eine Verlangsamung und letzten Endes die Lähmung des Ökumenismus selbst hervorrufen.
Die Aussage des II. Vatikanischen Konzils, dass die wahre Kirche Christi „in der katholischen Kirche verwirklicht ist“3, betrifft nicht nur die Beziehung zu den christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, sondern gilt auch für die Bestimmung des Verhältnisses zu den Religionen und Kulturen der Welt. In der Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae4 schreibt das II. Vatikanische Konzil, dass „diese einzige wahre Religion in der katholischen Kirche verwirklicht ist, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten" (Nr. 1). Das zweite von eurer Kongregation im Dezember 2007 veröffentlichte Dokument „Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung“5 bekräftigt angesichts der Gefahr eines anhaltenden religiösen und kulturellen Relativismus, dass sich in der Zeit des Dialogs zwischen den Religionen und Kulturen der Welt die Kirche der Notwendigkeit der Evangelisierung und Missionstätigkeit bei den Völkern nicht entziehen und nicht aufhören darf, die Menschen zu bitten, das allen Völkern angebotene Heil anzunehmen. Die Anerkennung von Elementen der Wahrheit und des Guten in den Weltreligionen und der Ernsthaftigkeit ihrer religiösen Bemühungen, ebenso das Gespräch und der Geist der Zusammenarbeit mit ihnen zur Verteidigung und Förderung der Würde des Menschen und der allgemeingültigen sittlichen Werte dürfen nicht als eine Beschränkung der missionarischen Aufgabe der Kirche verstanden werden, die sie dazu verpflichtet, unablässig Christus als den Weg, die Wahrheit und das Leben zu verkünden (vgl. Joh 14,6).
Außerdem, liebe Freunde, fordere ich euch dazu auf, mit besonderer Aufmerksamkeit die schwierigen und komplexen Probleme der Bio-ethik zu verfolgen. Die neuen biomedizinischen Technologien interessieren nicht nur einige Ärzte und darauf spezialisierte Forscher, sondern werden durch die modernen Medien verbreitet und rufen in immer weiteren Kreisen der Gesellschaft Erwartungen und Fragen hervor. Das Lehramt der Kirche kann und darf gewiss nicht bei jeder Neuheit der Wissenschaft eingreifen, es hat aber die Aufgabe, die auf dem Spiel stehenden hohen Werte herauszustellen und den Gläubigen und allen Menschen guten Willens ethisch-moralische Prinzipien und Orientierungen für die neuen wichtigen Fragen anzubieten. Die beiden fundamentalen Kriterien für die moralische Unterscheidung in diesem Bereich sind a) die unbedingte Achtung des Menschen als Person von seiner Empfängnis bis zum natürlichen Tod, b) die Achtung der Eigentümlichkeit der Weitergabe des menschlichen Lebens durch die den Eheleuten eigenen Akte. Nach der Veröffentlichung der Instruktion Donum vitae6 im Jahr 1987, die diese Kriterien formuliert hatte, haben viele das Lehramt der Kirche kritisiert und es angeprangert, als wäre es ein Hindernis für die Wissenschaft und für den wahren Fortschritt der Menschheit. Doch die neuen Probleme, die zum Beispiel mit dem Einfrieren von menschlichen Embryonen, mit der Embryonen-Selektion, mit der Präimplantationsdiagnostik, mit der embryonalen Stammzellenforschung und mit den Klon-Versuchen von Menschen verbunden sind, zeigen deutlich, wie mit der künstlichen Befruchtung außerhalb des menschlichen Körpers die zum Schutz der menschlichen Würde errichtete Barriere niedergerissen worden ist. Wenn menschliche Wesen im schwächsten und wehrlosesten Zustand ihrer Existenz selektiert, aufgegeben, getötet oder gar als „biologisches Material“ verwendet werden, wie ließe sich dann leugnen, dass sie nicht mehr als ein »Jemand«, sondern als ein „Etwas“ behandelt werden, wodurch der Begriff der Menschenwürde selbst in Frage gestellt wird?
Gewiss schätzt und ermutigt die Kirche den Fortschritt der biomedizinischen Wissenschaften, die bislang unbekannte therapeutische Perspektiven eröffnen, zum Beispiel durch die Verwendung der somatischen Stammzellen oder durch die Therapien zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit oder zur Behandlung genetischer Krankheiten. Gleichzeitig aber fühlt sie sich verpflichtet, die Gewissen aller zu erleuchten, damit der wissenschaftliche Fortschritt wirklich jedes menschliche Wesen respektiere, dem die Würde der Person zuerkannt werden muss, da es nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Die eingehende Untersuchung dieser Themenbereiche, die eure Vollversammlung in diesen Tagen in besonderer Weise beschäftigt hat, wird sicher zur Förderung der Gewissensbildung vieler unserer Brüder beitragen, entsprechend der Aussage des II. Vatikanischen Konzils in der Erklärung Dignitatis humanae: „Bei ihrer Gewissensbildung müssen jedoch die Christgläubigen die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit; ihre Aufgabe ist es, die Wahrheit, die Christus ist, zu verkündigen und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen“ (Nr. 14).
Während ich euch ermutige, eure anspruchsvolle und wichtige Arbeit fortzusetzen, drücke ich euch auch bei diesem Anlass meine geistliche Nähe aus und erteile euch allen als Unterpfand der Liebe und Dankbarkeit von Herzen den Apostolischen Segen.
Rom, 31. Januar 2008
Referenzen
- vgl. Apostolische Konstitution Pastor bonus, 1
- http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20070629_responsa-quaestiones_ge.html
- Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 8 (http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19641121_lumen-gentium_ge.html)
- http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_19651207_dignitatis-humanae_ge.html
- http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20071203_nota-evangelizzazione_ge.html
- http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_19870222_respect-for%20human-life_ge.html