Prinzipien und Tugenden in der Bioethik

Imago Hominis (2000); 7(1): 17-33
Ana Marta González

Zusammenfassung

Was die Sachprobleme betrifft, steht die Bioethik an erster Stelle in der gegenwärtigen ethischen Forschung. Hinsichtlich ihrer Grundlagen aber sind die Hauptdebatten, die die Spezialisten bis jetzt beschäftigt haben, nichts anderes als ein Spiegelbild der allgemeinen Diskussionen, die in den letzten Jahren in der philosophisch-ethischen Forschung stattgefunden haben. Im vorliegenden Beitrag geht es um eine dieser Debatten: um die Kontroverse zwischen der ”Bioethik der Prinzipien” und der ”Bioethik der Tugend”. Nach einer kurzen Einleitung und Kritik der Ansätze von Beauchamp und Childress sowie insbesondere ihres Tugendbegriffes, wird die Bedeutung desselben auf der Grundlage des aristotelischen Denkens analysiert. Auf dieser Analyse beruhend wird dann der Einwand untersucht, der - aus der Perspektive des Prinzipialismus - gegen die Ethik der Tugend meist vorgebracht wird, nämlich dass die reine Berufung auf die Tugend nicht ausreichend sei, wenn man die Sittlichkeit der Handlungstypen bestimmen will, die in der Anwendung der neuen Technologien auf die biomedizinischen Wissenschaften ihren Ursprung haben. Ausgehend von der Analyse dieses Einwands wird schließlich auch der Zusammenhang zwischen Ethik und Recht beleuchtet.

Schlüsselwörter: ethisch an sich unzulässige Handlungen, philosophische Ethik, Natur, Normen, Prinzipialismus, Vernunft, Tugend, Recht, verfahrensethischer Ansatz, Gemeinwohl

Abstract

The practical problems are number one in the present ethical research. Regarding the foundations of the main debates carried out by the specialists, we find that they are a reflection of the general discussions which have been going on in the philosophical-ethical research for the past years. This article is about one of these debates: on the controversy between “Principles of Bioethics” and “Virtues of Bioethics”. After a short introduction and a critique of Beauchamp and Childress and especially their definition of virtue, we shall analyse their meaning based on Aristotelian thought. Based on this analysis we shall then investigate the usual objections made by the Principalists against the Ethics of Virtue, and that is that just pure appealing to the Virtues is not sufficient when decering the morality of a type of action used in technologies originating in Biomedical Science. Starting with the analysis of these objections, we shall then investigate the connections between Ethics and Law.

Keywords: Actions (ethically not permitable), Philosophical Ethics, Nature, Norms, Principialism, Reason, Virtue, Law, Ethical Process in Assessment, Common Good


1. Status quaestionis

Die Bioethik entstand in den 70er Jahren zu einer Zeit, in der sich die Moralphilosophie in einer Sackgasse befand. Die Krise der Moralphilosophie rührte daher, dass sie im Rahmen der metaethischen Forschung über Wege der linguistischen Analyse geführt und so von den wesentlichen Problemen, die im Leben wurzeln, abgekoppelt worden war. Das Aufkommen der Bioethik zu jenem Zeitpunkt stand aber unter einem anderen Zeichen. Ihre Entstehung war unmittelbare Folge der Auseinandersetzung mit den neuen Problemen, mit denen man sich in den 70er Jahren auf den Gebieten der medizinischen sowie der wissenschaftlichen Praxis aufgrund der Einführung der neuen Technologien konfrontiert sah. Die damals ins Leben gerufene Bioethik erinnerte daran, dass die Ethik eine wesentliche Dimension jeder menschlichen Handlung ist, waren es doch die Wissenschaftler und Ärzte selbst, die im Rahmen ihrer Alltagsbeschäftigung und angesichts dieser Probleme die Notwendigkeit aufzeigten, die ethischen Implikationen ihrer fachlichen Arbeit zu erforschen.

Die erwähnten Neuerungen haben auf dem Gebiet der Wissenschaft und in der Praxis Eingang gefunden – und sind meist als eine nicht verneinbare Tatsache akzeptiert worden, auch wenn es von Anfang an nicht an Stellungnahmen fehlte, die dem Ansatz des Ökologismus folgten und so die technologischen Eingriffe in die Natur mehr oder weniger pauschal ablehnten. Die neuen Technologien können bekanntlich sowohl zum Guten wie zum Schlechten gebraucht werden. Die Kriterien nun festzulegen, mit deren Hilfe ein ethisch zulässiger von einem nicht zulässigen Gebrauch unterschieden werden kann, ist stets das Ziel der ethischen Theorien gewesen, die sich seitdem mit diesen Fragestellungen befasst haben.

Von da ausgehend hat sich die bioethische Reflexion in der Folgezeit dennoch hauptsächlich auf zwei Fragen konzentriert, die ein Spiegelbild der Debatten darstellen, die auf einer allgemeineren Ebene die praktische Philosophie unserer heutigen Zeit beschäftigen: auf der einen Seite die Kontroverse zwischen dem Prinzipialismus und der Ethik der Tugend; auf der anderen die Debatte um den Pluralismus. Obwohl beide Polemiken miteinander verbunden sind, will ich auf den folgenden Seiten die erste der beiden erörtern.

Zu diesem Zweck habe ich mich auf eines der repräsentativsten Werke der prinzipialistischen Strömung konzentriert:1 das Buch Principles of Biomedical Ethics, von Beauchamp und Childress, das zum ersten Mal 1977 herausgegeben wurde und seitdem mehrmals erschienen ist. Es handelt sich, wie man weiss, um eines der Pionierwerke auf diesem Gebiet, das dazu beigetragen hat, in entscheidendem Maße die Begriffe der Debatte in der Bioethik zu definieren. Deshalb ist es ein obligatorischer Referenzpunkt.

Auf der anderen Seite geht die Einführung der Tugend in die bioethische Diskussion hauptsächlich auf zwei Autoren zurück: David C. Thomasma und Edmund Pellegrino. Beide Autoren veröffentlichten 1981 ein Buch unter dem Titel A philosophical Basis of Medical Practice. Toward a Philosphy and Ethic of the Healing Professions, in dem sie – inspiriert durch die Ethik der Tugend – die Grundlagen einer medizinischen Philosophie bzw. einer medizinischen Ethik festzulegen versuchten.2 Die biomedizinische Reflexion war so ein Echo der philosophischen Rehabilitierung der Ethik der Tugend, ausgehend vom Werk von MacIntyre.

Damit begann die eigentliche Polemik zwischen der Bioethik der Prinzipien und der Bioethik der Tugend, als ein Spiegelbild der philosophischen Diskussion jener Zeit.3 Seitdem und besonders nach der Veröffentlichung des Werks von Engelhardt4, in dem das Prinzip der Autonomie zum Hauptprinzip wird, hat sich die betreffende Debatte auf die Dialektik Autonomie-Paternalismus konzentriert, die in vielen Fällen die Problematik verdunkelt, anstatt sie zu klären.5

Ohne auf diese Fragestellung jetzt eingehen zu wollen, ist gewiss, dass im Laufe dieser Polemik die einen wie die anderen sich darum bemüht haben, das einzubeziehen, was sie als Beiträge ihrer Kontrahenten betrachteten, ohne jedoch zu einer für alle befriedigenden Lösung zu gelangen. In diesem Sinne haben Beauchamp und Childress versucht, in ihre Überlegungen ein bestimmtes Konzept der Tugend einzuschließen, obwohl sie nicht zum tiefen Sinn gelangten, den diese Begriffe in der klassischen Philosophie hatten. Pellegrino und Thomasma haben ihrerseits mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Berufung auf die Ethik der Tugend nicht dazu führt, auf eine minimalistische, auf Rechte bzw. Pflichten gründende Ethik zu verzichten6, sondern nur anzuerkennen, dass die moralische Effizienz der Rechte und der Pflichten von den Einstellungen und der Bereitschaft der Menschen abhängen, was auf dem Gebiet der Medizinethik eine besondere Anwendung findet.7 Im Zusammenhang damit bestand der Beitrag dieser Autoren darin, eine Theorie der Beziehung zwischen Arzt und Patient zu entwickeln, eine Theorie des Patientengutes und eine Theorie der Tugend, die es erlaubt, dem Ethos des medizinischen Berufs eine einheitliche begriffliche Struktur zu verleihen.8

Aber trotz dieses Versuchs einer gegenseitigen Annäherung, was die äußere Form betrifft, gehen die Divergenzen im Grunde genommen, wie es auch nicht anders sein konnte, weiter. Es besteht kein Zweifel, dass zum Beispiel eine Theorie wie die von Pellegrino und Thomasma, in der die moralische Tugend die Hauptrolle innehat, die Auffassung vertritt, dass die moralischen Normen auf der Ebene der Praxis zwar unverzichtbar, aber letztlich nur sekundär sind.9

Zugleich jedoch ist es notwendig, den Haupteinwand zu betrachten, den die moralischen normativen Systeme gewöhnlich gegen die Ethik der Tugend anführen, und zwar: dass diese Ethik unzureichend ist, wenn es unser Ziel ist, ein Kriterium festzulegen, mit dessen Hilfe die moralische Qualität von Handlungstypen bestimmt werden kann.10 Diesen Autoren zufolge müsste die Bestimmung des moralischen Kriteriums einer Ethik der Normen vorbehalten bleiben.

Im Weiteren geht es darum, beide Forderungen zu untersuchen. Deshalb beginne ich damit, den Haupteinwand aufzuzeigen, den die Ethik der Tugend meiner Meinung nach dem Prinzipialismus macht, um danach den Haupteinwand zu behandeln, den die prinzipialistische Ethik der Ethik der Tugend macht, nämlich, dass sie keine genauen normativen Kriterien biete.

2. Die Composite Theory von Beauchamp und Childress

In ihrem bereits zitierten Werk Principles of Biomedical Ethics, setzen sich Beauchamp und Childress als Ziel, die Festlegung eines moralischen Rahmens11, der die Verpflichtungen zu bestimmen und die möglichen moralischen Konflikte des Agierenden zu lösen erlaubt. Der betreffende Rahmen wird durch vier Prinzipien bestimmt12 – Achtung vor der Autonomie, Nicht-Schaden, Wohlwollen und Gerechtigkeit13 – die dazu dienen sollen, zu identifizieren, zu analysieren und die moralischen Probleme zu lösen, die auf dem biomedizinischen Gebiet gestellt werden.14

Ihrem Ansatz nach fällt die Verteidigung solcher Prinzipien unter die Zuständigkeit einer theoretischen Ethik.15 In einem allgemeinen Ton des Ekklektizismus beginnen Beauchamp und Childress damit, die verfügbaren ethischen Theorien zu untersuchen, um von ihnen jene auszusuchen, die am meisten mit den vorher definierten Kriterien übereinstimmen.16 Die Theorien, auf die sie ihre Analyse konzentrieren, der Utilitarismus und der Deontologismus, sind diejenigen, die – ausgehend von den Moraltheorien der Aufklärung – einen großen Teil der ethischen Debatte bis hin zum Entstehen der Ethik der Tugend in den 80er Jahren beherrscht haben.17

Nachdem sie zwischen verschiedenen Formen des Utilitarismus und Deontologismus treffend unterscheiden – wobei sich übrigens zeigt, dass beide Autoren zu unterschiedlichen Lösungen neigen18 – ziehen sie den Schluss, dass der Unterschied zwischen einem „Utilitarismus der Regel“ und einem „Deontologismus der Regel“ in der Praxis minimal ist19 und kommen so zu einer Kompromisslösung: zu einer rule governed morality, also einer Moral der Normen20, die sie selbst im Sinne eines Gegensatzes zur act governed morality – schliesslich zu einer Situationsmoral hin – definieren.21 Das Charakteristische an der Situationsmoral ist, wie sie erklären, moralische Normen als einfache orientierende Regeln (rules of thumb) zu betrachten, die eingeklammert werden können. Gleichzeitig aber meinen Beauchamp und Childress, dass eine absolute Beobachtung der Normen (robust conception of the principles22) nicht vertretbar ist, entweder wegen der Entfernung von allgemeinen Moralauffassungen oder wegen der Verbindung zu deduktiven Modellen moralischer Rechtfertigung.23 Deshalb schlagen sie, in Anlehnung an den Vorschlag von W.D. Ross über die prima facie principles einen Zwischenweg vor: nämlich anzunehmen, dass diese Normen bindend sind, aber nicht absolut.24 Damit behaupten sie, dass solche Normen einer abstrakten Betrachtung nach verpflichten, in der Praxis aber nicht, wenn sie nämlich mit wichtigeren Pflichten in Kollision treten.25 Diesen Ansatz bezeichen sie als composite theory.26

Jedoch bleibt der durch die composite theory erreichte Kompromiss nicht ohne seinen Preis, da mit dieser Theorie der Unterschied zwischen der normativen Ethik und der Situationsethik verwischt wird. Die Autoren selbst haben nichts dagegen, dies anzuerkennen: in der Praxis können die Unterschiede zwischen einer rule-governed morality und einer act-governed morality minimal sein. Trotz allem bestehen sie darauf, dass die theoretische Differenz wichtig ist, weil die Situationsethik ihrer Auffassung nach keine Pflichtenkollision zulässt27: das, was die Situation erfordere, sei eine konkrete Handlung; damit gebe es keinen Raum für einen Konflikt, der nur dann entstehen könnte, wenn mehrere Prinzipien zusammenstoßen würden.

3. Die Hauptschwierigkeit des Prinzipialismus

Die moralischen Fragen unter dem Gesichtspunkt von Konflikten anzugehen, stellt in der normativen Ethik eine häufige Vorgangsweise dar, die eine gewisse Unterstützung in der menschlichen Erfahrung der Ratlosigkeit in moralischen Fragen findet: was tun, wenn scheinbar alle möglichen Handlungswege ernste moralische Hindernisse bieten – wie soll man in so einer Situation handeln? Auf diese Frage zu antworten, erscheint besonders dringend in unserer Situation, da die neuen Technologien bisher nicht dagewesene Handlungsmöglichkeiten bringen, die die Situationen moralischer Ratlosigkeit vervielfachen könnten.

Trotz allem wäre es falsch anzunehmen, dass die Ratlosigkeit unser normaler moralischer Zustand sei. Gewöhnlich wissen wir, was wir machen sollen und was wir vermeiden sollen, und wir wissen es, weil unsere Vernunft auf natürliche Weise die erforderlichen Vorgehensweisen erkennt, jene Handlungsmuster nämlich, die nicht so sehr von der Situation, sondern eigentlich im Hinblick auf unsere moralische Integrität in der betreffenden Situation gefordert sind. Die Situationen moralischer Ratlosigkeit im Alltagsleben bieten sich uns sehr selten. Für diese Situationen kann es keine andere Empfehlung geben, als durch ein genaues Untersuchen des Problems sowie durch den Erwerb der erforderlichen Kriterien den Ausweg aus der Ratlosigkeit zu finden.28 Dabei hilft uns die ethische Reflexion in dem Maße, als sie uns erlaubt, die moralische Qualität bestimmter Vorgehensweisen zu determinieren.

Trotzdem besteht dann immer noch eine Schwierigkeit: Wie kann man wissen, dass eine konkrete Handlung wirklich ein Fall des bestimmten Handlungstypus ist, den mir die ethische Reflexion als gut oder schlecht zeigt? Hier stoßen wir auf eine wesentliche Begrenzung aller normativen Ethik, eine Begrenzung übrigens, die Beauchamp und Childress ohne weiteres anerkennen: die Schwierigkeit, festzulegen, wann ein Fall unter eine bestimmte Regel fällt.29 Es ist nämlich so, dass es keine Norm gibt, die uns erlaubt festzustellen, ob eine Handlung durch eine bestimmte Norm, oder nicht eher durch eine andere reguliert werden muss.

In Wirklichkeit ist dies eine Einschränkung, die mit dem bereits oben skizzierten Problem in Verbindung steht, nämlich mit dem praktischen Kapitulieren der Moral der Normen angesichts einer konkreten Situation: mit der Auflösung der Ethik der Normen in die Situationsethik. In beiden Fällen haben wir es mit dem Unterschied zu tun, der prinzipiell zwischen der Universalität der Norm und der Partikularität der Handlung besteht.30 Es war eben diese Distanz, welche seinerzeit die Reaktion der Situationsethik gegenüber der abstrakten normativen Ethik hervorrief, eine dialektische, vom Existentialismus inspirierte Reaktion. Eine derartige Dialektik befindet sich im Wesen der Ethik der Moderne und erweist sich als unüberwindbar, solange wir nicht das Konzept der Klugheit aus der Klassik wiedererlangen.

In diesem Punkt trifft deswegen auch der Einwand gegen den Ansatz von Beauchamp und Childress zu, der gegenüber jede Ethik der Normen vorzubringen ist: es ist gut von Normen und Prinzipien zu sprechen, aber darüberhinaus ist es notwendig, sie anwenden zu können. In der Ethik von Aristoteles wurde dieses „Prinzip des Anwendenkönnens“ als Sache der ‘Klugheit’ angesehen.31 Dies bedeutet in keiner Weise weder in eine Situationsethik zu verfallen, noch die Lösung der moralischen Konflikte einfach den vererbten Verhaltensweisen32 zuzuschreiben, denn, nach dem Konzept von Aristoteles ist die Klugheit eine intellektuelle Tugend, die ohne die moralische Tugend nicht gegeben sein kann, und mit der moralischen Tugend ist das Wesen der menschlichen Natur selbst betroffen.

4. Tugend und Natur

Es lässt sich also folgern: Das, was die Ethik der Tugend von den aufklärerischen Vorstellungen der Moral völlig unterscheidet, ist, dass bei ihr nicht aus den Augen verloren wird, welche Rolle die Natur im Bereich des Moralischen spielt, und zwar in ihrem ursprünglichen Sinne als Ôrexis, das heisst, Verlangen, Neigung, Streben. Von einer solchen Natur als Basis ausgehend, kann der Mensch die moralische Tugend erwerben, indem er „dem Streben mit Vernunft begegnet“, d.h. mit ihm vernünftig umgeht. So hat z.B. die Mäßigkeit ihren Ursprung darin, dass wir mit Vernunft der Anziehungskraft begegnen, die von den sinnlich-wahrnehmbaren Dingen ausgeht. Stärke bzw. Starkmut entsteht, wenn wir den Trieben, mit denen wir nach schwierigen Dingen streben, mit Vernunft begegnen. Gerechtigkeit kommt zustande, wenn wir unserem Willen mit Vernunft begegnen, sodass wir auch das Wohl der Mitmenschen und nicht nur das Eigene anstreben.33 In jedem Fall geht es darum, unsere Natur so effizient zu „regeln“, dass wir mit der für die Tugend charakteristischen Natürlichkeit das Gute tun, eine Natürlichkeit, die viel der Rationalität schuldet.

Die Tugend ist daher eine praxisbezogene Wirklichkeit, eine Frucht des „Dialogs“ zwischen Natur und Vernunft. Daraus ist im Übrigen auch der Unterschied zu ersehen, der zwischen Tugenden und Werten besteht: wenn wir von Werten sprechen, beziehen wir uns einzig und allein auf objektive, auf intellektuelle Inhalte. Diese intellektuellen, als wertvoll anerkannten Inhalte können sicherlich unseren Willen anregen. Dennoch sind die Werte als solche keine Handlungstypen bzw. -Dispositionen, keine Bestandteile unserer Natur im Sinne einer stabilen Veranlagung, nach einer bestimmten Art und Weise zu handeln. In diesem Sinn macht es die voreilige Gleichsetzung des Moralischen mit den Werten unmöglich, das Wesen der Moral zu verstehen: als eine zwischen dem Physischen und dem Metaphysischen liegende, praxisbezogene Wirklichkeit, die in der Einigung zwischen Natur und Verstand ihren Ursprung hat.

Aus den bisherigen Darstellungen lässt sich folgern, dass die moralische Tugend bei weitem mehr ist als ein bloßes Charaktermerkmal: sie ist eine stabile Veranlagung des Strebevermögens, auf die eine oder andere Weise in der Praxis das Gute zu tun. Es scheint mir wichtig, diesen Punkt hervorzuheben, weil Beauchamp und Childress in einem ansonsten lobenswerten Versuch, die Ethik der Tugenden in ihre prinzipialistischen Vorstellungen zu integrieren, zu verstehen geben, dass sich die moralische Tugend auf ein reines Charaktermerkmal reduziert34, wobei sie zu dem Schluss kommen, dass es über die moralischen Tugenden hinaus ausserdem nicht moralische und sogar unmoralische Tugenden gibt.35

Auch wenn es richtig ist, dass die von ihnen genannten nicht moralischen Tugenden eine gewisse Ähnlichkeit mit dem haben, was Aristoteles – im Gegensatz zu den moralischen Tugenden36 – als natürliche bzw. unvollkommmene Tugenden bezeichnete, so ist die Idee einer unmoralischen Tugend nach den Vorstellungen der Klassik völlig undenkbar. Nicht völlig undenkbar hingegen ist sie nach dem Konzept von Beauchamp und Childress, weil nach ihnen das Moralische schlicht durch die Vereinbarkeit mit einer Regel definiert wird. Dennoch ist diese Annäherung an das Moralische gerade das, was umstritten ist.

Andererseits geben Beauchamp und Childress zu verstehen, dass die moralische Tugend von der Anzahl der natürlichen Tugenden, welche eine Person effektiv besitzt, abhängt.37 Nun gut, dies entspricht ebenfalls nicht den Vorstellungen von Aristoteles. Der fragliche Punkt ist wichtig, da von ihm abhängt, ob die intrinsische Normativität der Tugend verstanden wird oder nicht. In diesem Sinne ist als erstes festzustellen, dass der Unterschied zwischen moralischen und ‘natürlichen’ Tugenden nicht graduell bzw. numerisch ist. Was Aristoteles natürliche Tugend nennt, bezeichnet vielmehr eine natürliche Veranlagung zu bestimmten Arten von guten Handlungen, – hingegen zu anderen nicht. Im Gegensatz dazu bezeichnet die moralische Tugend mehr, nämlich die radikale Grundeinstellung, welche den Menschen gut macht.38 Diese steht nicht nur, sagt Aristoteles, in Übereinstimmung mit der rechten Vernunft, sondern sie wird von ihr gleichsam hervorgebracht39; sie ist nicht zu trennen von der Klugheit, d.h. vom vernünftig-praxisbezogenen habitus, durch welchen wir die der konkreten Situation angemessene Handlung herausfinden und anordnen können.40

Im Gegensatz dazu muss gesagt werden: Wenn die moralische Tugend fehlt, kann nicht von Klugheit gesprochen werden. Im Hinblick auf diesen Aspekt macht Aristoteles die Bemerkung, dass es wesentlich zur moralischen Tugend gehört, für die Rechtheit des Zieles41 sowie der Rechtheit der Wahl42 zu sorgen. Ohne diese Richtigkeit liegt keine Klugheit vor.43 Tatsächlich versteht man, dass, um ein richtiges Urteil in praktischen Belangen sicherzustellen, die Tugend des Maßhaltens notwendig ist, welche uns vor Verwirrungen im Urteil schützt, die ihren Ursprung im Wunsch nach Vergnügen44 haben; aber auch Stärke ist nötig, welche uns vor Verwirrungen im Urteil schützt, die aus der Angst herrühren. Ebenso wird die Gerechtigkeit benötigt, durch welche unser Wille daran gewöhnt wird, das Richtige (das ‘Gerechte’) zu wollen, ohne sich von der ungeordneten Anhänglichkeit am eigenen Interesse beeinflussen zu lassen. Im Allgemeinen, wie bereits gesagt wurde, besteht die spezielle Aufgabe der moralischen Tugend darin, dem Streben mit der Vernunft zu begegnen, sodass es ihrem Einfluss untergeordnet bleibt.

Wenn folglich nicht erst die verschiedenen Tugenden in ihrer vollendeten Form ausbleiben, sondern einfach das moralische Bestreben fehlt, diese zu erwerben, werden wir schwerlich von moralischer Klugheit sprechen können, denn es wird jene Richtigkeit der inneren Einstellung fehlen, die für ein ausgeglichenes moralisches Urteil grundlegend ist. Man wird höchstens von Klugheit im weiteren Sinne sprechen können: eine Art und Weise der Gedankenführung, welche, anstatt dem Guten im Allgemeinen, dem partikulären, nur mehr oder weniger relevantem Gutem dient.45 Das bedeutet nun: Unter diesen Voraussetzungen können wir auch nicht beurteilen, welche Norm es ist, die in dieser Situation angewandt werden soll. Das Wissen darüber, welche Norm in welcher Situation anzuwenden ist, kann niemals bloß durch die Berücksichtigung einer weiteren Norm erworben werden. Die von Beauchamp und Childress genannten Prinzipien – Autonomie, Wohltätigkeit, Nicht-Schaden und Gerechtigkeit – sind auch zu abstrakt, um sich als praxisbezogene Richtlinien zu erweisen.

In diesem Sinne muss hervorgehoben werden, dass die einzige wirklich praxisbezogene Richtlinie für die konkrete Handlung die Klugheit ist. Es ist wahr, dass Beauchamp und Childress, zumindest dem ersten Anschein nach, in ihrem Buch46 diesen Einwand vertreten haben, es ist jedoch weniger deutlich, dass sie im Grunde die existierende Verbindung zwischen Klugheit und moralischer Tugend, wie sie Aristoteles dargestellt hat, übernommen haben.47 Dies entnimmt man wenigstens der Anekdote, die sie erzählen, um zu zeigen, dass die Tugend nicht ausreicht, wenn es darum geht, Ratlosigkeit oder den moralischen Konflikt in extremen Situationen zu vermeiden: Ein Arzt, der sich in einem von der SS kontrollierten jüdischen Ghetto vor dem moralischen Konflikt gestellt sieht, seinen vier bewegungsunfähigen Patienten Zyanid zu injizieren oder sie besser dem Handeln des Spezialkommandos zu überlassen.48 Wenn die beschriebene Situation auch sicher kompliziert ist, ist es doch sicher, dass der tugendhafte Mensch nicht einmal an die erste der Alternativen gedacht hätte. Um das zu durchschauen, ist es notwendig, den existierenden Widerspruch zwischen moralischer Tugend und dem, was traditionsgemäss als in sich böse Handlung bezeichnet wird, zu verstehen.

Obwohl es sich um einen umstrittenen Ausdruck handelt, der als solcher nicht bei Thomas von Aquin zu finden ist, kann er uns dazu dienen, jene Handlungen zu bezeichnen, die wegen des Handlungsobjektes schlecht sind, d.h. deren eigene Zielsetzung schon einen direkten Widerspruch zu den Zielen der Tugenden beinhaltet. Wie bereits gesagt wurde, kann jede Tugend als eine Form von ‘Dialog’ zwischen Vernunft und Natur verstanden werden. Unter den Tugenden gibt es einige49, welche direkt in der Natur verwurzelt sind, nicht nur auf Grund der individuellen Veranlagungen eines konkreten Menschen zu bestimmten Typen von guten Handlungen, sondern auf Grund der spezifischen Neigungen, welche im Allgemeinen die Seinsweise des Menschen bestimmen: der Neigung zum Leben, der Neigung zur Fortpflanzung, jener, die theoretische und praktische Wahrheit zu suchen, welche wiederum die Neigung zum Zusammenleben und zur Sprache umfasst.50

In dem Maße, in dem jede dieser Neigungen etwas Gutes anstrebt, das im Wesentlichen zur Integrität der menschlichen Natur gehört, kann gesagt werden, dass jede Form von Handlung, welche sich gegen die guten Seiten dieser Veranlagungen beim Handelnden richtet, nicht mit dem wirklichen Wohl des handelnden Menschen vereinbar ist. Das würde eine freiwillige Zerstörung der moralischen Veranlagung, d.h. seiner Fähigkeit tugendhafte Handlungen zu verwirklichen, selbst voraussetzen, welche sich negativ auf die Verwirklichung seiner persönlichen Würde auswirkt. Denn es steht fest, dass die persönliche Würde darauf beruht, „mehr als Natur“ zu sein, genauso wie sich die moralische Würde vor allem in der Art und Weise zeigt, damit umzugehen.

Gerade der letzte Punkt lädt dazu ein, die Rolle der Natur in den praxisbezogenen Überlegungen anzuerkennen. Dies ist implizit bereits geschehen, als die Funktion der Natur in der Tugend betont und die Verbindung zwischen ‘Klugheit’ und moralischer Tugend genannt wurde. Außerdem gibt Aristoteles selbst einen Hinweis zum Thema, nachdem er die Tugend als gewissen Mittelweg zwischen zwei extremen Lastern definiert hat; er gibt zu verstehen, dass nicht jede Handlung und nicht jede Leidenschaft den Mittelweg zulässt, denn es gibt welche, bei denen allein der Name schon Bosheit impliziert.51

Am Rande der Kontroversen, welche mit der Interpretation dieser Passage verbunden sind, bin ich sicher, dass der Sinn der Worte von Aristoteles deutlich genug ist, wenn man von einer gründlichen Analyse seines Konzeptes von Tugend ausgeht, denn, wie schon gesagt wurde, ist nach diesem Konzept die Natur Ôrexis, d.h. Streben; die Fähigkeit, dem Verstand zu folgen: Die Tugenden entstehen weder durch die Natur, noch gegen die Natur, sondern durch den Besitz der natürlichen Fähigkeit, sie mittels Gewöhnung zu erwerben und zu vervollkommnen.52 Die natürliche Fähigkeit, dem Verstand zu gehorchen, kann nicht einfach mit der Spontaneität der Neigung gleichgesetzt werden, welche eventuell auf Abwege geraten kann. In den Überlegungen von Aristoteles liegt noch etwas Tiefgreifenderes: Das, was manchmal abwertend als metaphysische Biologie von Aristoteles bezeichnet worden ist. Davon ausgehend, dass die Tugenden nicht im Gegensatz zur Natur entstehen, nimmt er unter anderem an, dass sie sich auf der Basis von jenen natürlichen Veranlagungen aufbauen und niemals absichtlich gegen diese gerichtet sind.

Obwohl dieser Punkt sicherlich eine detailliertere Argumentation erfordert, sind die Voraussetzungen der besagten Darlegung einfach: 1. Das moralisch Gute lässt sich nicht durch Kriterien definieren, die außerhalb des Handelnden liegen: Moralisch gut sind solche Handlungen, durch die der Mensch selbst gut wird. 2. Der handelnde Mensch ist nun niemals reine Vernunft (im transzendentalen oder instrumentellen Sinne), sondern darüberhinaus Natur. 3. Obwohl das Gutsein des Menschen im Gutsein seines Willens besteht (d.h. darin, seinen Willen gut zu machen), ist es dennoch zu berücksichtigen, dass dieser kein losgelöster Wille ist, sodass die Berichtigung des Willens davon abhängt, in welchem Maße Vernünftigkeit in das sinnliche Streben eingebracht werden kann, wobei für deren Integration gesorgt werden muss. 4. Obwohl die Integration Aufgabe eines jeden Individuums ist – denn es ist der Einzelne, welcher Ordnung durch seinen Verstand schafft – sorgen die erwähnten Veranlagungen für eine spezifische Linie, in dem Maße, in dem sie sich durch jenes Streben nach dem Gut auszeichnen, das für die menschliche Natur charakteristisch ist. 5. Die Integration des besagten Strebens setzt folglich als ersten Schritt voraus, die Rationalität der natürlichen Veranlagungen frei anzunehmen. Das bedeutet, die an sich bösen Handlungen, wie wir sie vorher definiert haben, auszuschließen. Im positiven Sinne bedeutet das, von hier ausgehend, die unterschiedlichen Tugenden zu entwickeln.

5. Tugend und moralische Normen

Mit den bisherigen Darstellungen wurde, glaube ich, ausreichend nachgewiesen, dass das Konzept der moralischen Tugend von sich aus bestimmte Handlungstypen ausschließt. Damit ist ebenfalls ein möglicher Weg gezeigt worden, den Vorrang der Tugend gegenüber den Normen begreiflich zu machen, und zwar nicht nur aus praktischer Sicht -wobei an den Moment der Anwendung der besagten Norm gedacht wird – sondern auch aus theoretischer Sicht. Bevor ich diesen Punkt weiterverfolge, möchte ich jedoch klarstellen, dass ich es persönlich für unabdingbar halte, die Tugend in einen rechtlich-normativen Rahmen hineinzustellen. Die Einbeziehung eines positiv-rechtlichen Rahmens ist nämlich ein Erfordernis der gemeinschaftsbezogenen Natur des Menschen, ja sogar der Tugend der Gerechtigkeit. Davon wird später noch gesprochen werden.

Es ist jedoch etwas anderes, ob die Notwendigkeit eines rechtlich-normativen Rahmens behauptet, oder ob der absolute Vorrang der Normen im spezifisch moralischen Bereich festgesetzt wird. Letzteres würde es nämlich erfordern, zu zeigen, dass die Normen an erster Stelle stehen und dass sich die Tugenden in Übereinstimmung mit den Normen definieren lassen. Nun ist aber eher das Gegenteil der Fall: Die moralischen Normen erhalten ihre Bezeichnung moralisch insofern sie einen Bezug auf die Tugend aufweisen; es ist Sache der Tugend, den Menschen und seine Handlung ‘gut’ zu machen.53 In diesem Sinne erscheint es mir, in Übereinstimmung mit Pellegrino hinsichtlich der Zweitrangigkeit, welche in der Praxis den Pflichten und Normen im Verhältnis zu den Tugenden zukommt, angebracht hervorzuheben, dass Pflichten und Normen ebenfalls in einem noch grundlegenderen Sinn zweitrangig sind, weil nämlich die Normen und Pflichten nur in dem Maße moralisch genannt werden können, in dem sie sich auf die Tugend beziehen.54

Um dies zu verstehen, kann es hilfreich sein, die mögliche Antwort auf die folgende Frage zu betrachten: Welchen Zweck haben die moralischen Normen?, oder: Was ist es, was diese in ihrer Eigenschaft als moralische Normen rechtfertigt? Diese Frage kann grundsätzlich auf drei Arten beantwortet werden: a) die Normen rechtfertigen sich durch sich selbst, b) die Normen rechtfertigen sich durch ihre Fähigkeit, den Zustand der Dinge der Welt zu verbessern, c) die Normen rechtfertigen sich dadurch, dass sie die Verbesserung des handelnden Subjektes fördern.

Je nachdem, wo wir den Schwerpunkt setzen, nähern wir uns mehr den deontologischen, den utilitaristischen Vorstellungen oder der Ethik der Tugend. Sicher behaupten die Deontologen wie die Utilitaristen, dass ihre Vorstellung diejenige ist, die am besten das Gute des handelnden Subjektes umschreibt. Mit anderen Worten: dass sich das moralisch Gute des handelnden Subjekts bereits durch die Unterordnung gegenüber bestimmten Normen ergibt (Deontologismus), bzw. bereits durch die Unterordung gegenüber Normen, soweit diese sich als angemessen erweisen, das höchste Glück der größtmöglichen Anzahl von Menschen zu fördern (Utilitarismus). In beiden Fällen wird vorausgesetzt, dass das Gute des handelnden Subjekts mittels einer einfachen rationalen Überlegung bestimmt werden kann: sei es durch die Universalisierung der Maxime oder durch die Bilanz der positiven und negativen Konsequenzen der eigenen Handlungen.

Die Haltung der Ethik der Tugend ist jedoch eine andere. Die Ethik der Tugend geht davon aus, dass der handelnde Mensch nicht reine, intuitive oder kalkulierende Vernunft und seine Handlung ebensowenig rein formelle Rationalität ist, die einen von aussen kommenden Inhalt erst aufnehmen müsste, der durch die Kultur oder die jeweilige Situation vermittelt würde. Die Ethik der Tugend sieht hingegen, dass die menschliche Handlung an sich einige Voraussetzungen hat, die wir natürlich nennen und die nicht übergangen werden können, ohne dem Menschen selbst großen Schaden zuzufügen. Unter Berücksichtigung dieser natürlichen Voraussetzungen haben wir bereits vorher die wichtigsten Tugenden (Kardinaltugenden) definiert. Diese können in der Tat nicht einfach als Fähigkeit, sich Normen unterzuordnen, verstanden werden, sondern vielmehr als Handlungsweisen, die dadurch entstehen, dass dem menschlichen Dynamismus des Strebens mit Rationalität begegnet wird, die letztendlich in die Verinnerlichung des handelnden Menschen einmündet. Es ergibt sich also daraus, dass sich die Tugenden in der Berücksichtigung des Guten für den Menschen rechtfertigen, und zwar in einer Weise, die sich von den Vorgaben des Deontologismus bzw. des Utilitarismus deutlich unterscheidet.

Von diesem Punkt ausgehend ist das, was vorher gesagt wurde, zu verstehen: Die Normen sind in dem Maße moralisch, in dem sie mit der Tugend im Einklang stehen, denn nur auf diese Weise dienen sie effektiv dem Guten des Menschen. Sicherlich können die Normen niemals die vollständige Verantwortung für die Befolgung der Tugend tragen, da diese sich niemals auf die rein äußerliche Befolgung einer Regel55 reduzieren lässt. Trotzdem können Normen bei der Realisierung der Tugend orientieren, sowie anzeigen, welche Art von Handlung mit der Tugend absolut unvereinbar ist.

Dennoch könnte man einwenden, dass dies immer noch wenig präzise ist: Indem wir unterstrichen haben, dass die Normen unter Berücksichtigung der Tugenden formuliert werden sollten, haben wir noch kein Kriterium angeboten, welches mit dem vom Deontologismus und Utilitarismus Angestrebten vergleichbar wäre: ein rationales Kriterium, welches uns hilft, die Moralität der Handlung, soweit wie möglich unabhängig von unseren persönlichen mehr oder weniger tugendhaften Einstellungen zu überprüfen. Mit anderen Worten: Auch wenn zugestanden wird, dass in der Praxis die Klugheit notwendig ist (und daher also die Tugend) – auf welche Weise ist die Tugend operativ, wenn das, was wir wissen möchten, sich darauf bezieht, wann ein konkreter Handlungstyp moralisch korrekt oder inkorrekt ist?

6. Die Lehre von den Quellen der Sittlichkeit

Im Zusammenhang mit der ‘Weisheit’ unterscheidet Thomas von Aquin zwei Arten des Urteilens: das Urteil ‘per modum inclinationis’ (infolge einer bestimmten Neigung) und das Urteil ‘per modum cognitionis’ (gestützt auf ein durch Studium erworbenes Wissen). Der tugendhafte Mensch, erläutert er, weiss recht zu urteilen über die Handlungen, die der Tugend gemäß sind, auf natürliche Art und Weise, insofern er nämlich eine auf diese Handlungen hin zielende Neigung aufweist. Der Fachmann der Moralwissenschaft hingegen, der ebenfalls über die Akte der Tugenden zu urteilen weiss, tut dies unabhängig davon, ob er die betreffenden Tugenden hat56, denn sein Urteil rührt daher, dass er im Besitz der begrifflichen Mittel zur Untersuchung der Tugend ist. Diese begrifflichen Mittel entstammen der Lehre von den Quellen der Sittlichkeit57, eine Theorie der Tugend, welche durch die Theologen des Mittelalters gerade im Hinblick auf die Analyse der Sittlichkeit der menschlichen Handlungen entworfen wurde.58 Nach dieser Lehre erscheint die tugendhafte Handlung als ein Akt, der (a) von einem ‘Stoff’ oder ‘Inhalt’ handelt, der häufig als ‘Objekt’ bezeichnet wird und ‘gut’ oder zumindest ‘moralisch undeterminiert’ zu sein hat, (b) der im Hinblick auf ein gutes Ziel verwirklicht wird, und (c) dem die reifliche Überlegung hinsichtlich der ‘Umstände’ vorausgeht.

Wie schon angedeutet, ist für die Bestimmung einer Handlung als tugendhaft die Überlegung hinsichtlich der Umstände entscheidend. Diese Überlegung ist Sache der Klugheit und hängt damit von der Erfahrung ab. Wir werden uns wohl für gewöhnlich eher einem erfahrenen Arzt als einem Neuling anvertrauen, auch wenn letzterer ein noch so glänzendes akademisches Currikulum aufweist. So kann auch keine ethische Theorie ersetzen, was nur durch die Erfahrung erlangt werden kann. Was aber die ethische Theorie sehr wohl aufklären helfen kann, ist, den sittlich erlaubten bzw. nicht erlaubten Charakter mancher ‘Objekte’ zu bestimmen, insofern deren grundlegende Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit mit der Tugend festgestellt wird. Wohl kommt dann auch noch das Erfordernis hinzu, dass das letzte Ziel, das der Handelnde im Blick hat, gut sein muss; doch dieser Punkt weist in der Regel kaum Schwierigkeiten auf. Das richtige Verständnis des Verhältnisses, in welchem ‘Objekt’ und ‘Ziel’ zueinander stehen, ist schwieriger. Bei manchen Autoren stellt man nämlich fest, dass sie, von dem Wunsch geleitet, die Bedeutung der Absicht des Handelnden im Hinblick auf die Bestimmung des sittlichen Charakters der Handlung hervorzuheben, soweit gehen, das ‘Objekt’ nur noch als ein Mittel zur Verwirklichung solcher Ziele zu betrachten; dabei übersehen sie aber, dass das ‘Objekt’ selbst das Ziel eines Willensaktes (nämlich der Wahl) ist.

Die sittliche Relevanz des ‘Objekts’ tritt in Erscheinung, wenn man bedenkt, dass der Inhalt des Begriffs ‘Objekt’ auch durch den Ausdruck ‘Handlungstypus’ bzw. ‘Handlungsart’59 wiedergegeben werden kann. Es ist zwar richtig, dass nach einer abstrakten Betrachtungsweise sittlich neutrale Akte angenommen werden könnten (Thomas von Aquin führt so häufig „das Aufheben eines Strohhalmes“60 als Beispiel an); in Wirklichkeit und in der Praxis handelt es sich aber dabei (nämlich bei freiwilligen Handlungen61) immer um den Akt einer bestimmten Tugend bzw. eines bestimmten Lasters, der dann wiederum auf das eine oder andere Ziel hingeordnet werden kann.62 Handeln hat in der Tat etwas damit zu tun, Objekte (Handlungstypen) im Hinblick auf bestimmte Ziele auszuwählen. Die gewählten Objekte können zwar als Mittel zu jenen Zielen betrachtet werden, aber sie sind keinesfalls bloße Mittel: in der Praxis sind sie – wie schon erwähnt – selbst die Anwendung einer bestimmten Tugend bzw. eines bestimmten Lasters. So ist – nach dem Beispiel des Aristoteles, das Thomas von Aquin häufig anführt – „derjenige der raubt, um Ehebruch zu begehen, zweifellos eher ein Ehebrecher als ein Räuber“63, aber er ist auch ein Räuber.

Wichtig ist es festzuhalten, dass die Beurteilung der Sittlichkeit der menschlichen Handlungen von etwas mehr abhängt, als bloß von den ‘Absichten’ und den ‘Umständen’. Die Handlungen haben darüber hinaus ein ‘Objekt’, deren Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmung der Sittlichkeit eines Aktes unübersehbar ist.64 Die Sittlichkeit einer Handlung hängt nicht allein von der Absicht ab, ausser in jenen Fällen, die nach einer abstrakten Betrachtungsweise als indifferent angesehen werden, wie „das Aufheben eines Strohhalmes“, die aber in der Praxis, gerade mit Rücksicht auf ihr Ziel, Akte einer Tugend bzw. eines Lasters darstellen können (so z.B. die Handlung des Aufhebens eines Strohhalmes in der Absicht, damit etwa aus Rachsucht jemanden ins Auge zu stechen).

Auch nicht von den ‘Umständen der Handlung’ hängt die Bestimmung der Sittlichkeit ausschließlich ab. Zwar sind wir beim Urteil über die Sittlichkeit einer Handlung darauf angewiesen, das ‘Objekt’ der Handlung anhand mancher ‘Umstände’ derselben auszumachen; aber es verhält sich so, dass diese bestimmten Umstände (durch die wir das Objekt der Handlung erst erkennen können) eigentlich nicht zu den ‘Umständen der Handlung’ gezählt werden sollten, da sie vielmehr zur Definition des ‘Handlungsobjekts’ gehören.65 So liegt zum Beispiel ein Unterschied darin, „etwas Fremdes zu nehmen“ oder „etwas Rotes zu nehmen“. Das Fremdsein ist nicht bloß ein ‘Umstand der Handlung’ sondern jener Faktor, durch welche die Handlung erst als Diebstahl zu bestimmen ist. Insofern gehört es vom Anfang an zum ‘Objekt’ der Handlung.

Gerade weil die Sittlichkeit der Handlung nicht ohne weiteres von der ‘Absicht’ bzw. von den ‘Umständen’ abhängig ist, ist es möglich, von ‘in sich schlechten Handlungen’ zu sprechen, d.h. von Handlungen, die gerade aufgrund ihres ‘Objekts’ schlecht sind – wie der Diebstahl, der Mord, der Ehebruch: Handlungen, von denen Aristoteles sagte, dass sie „kein Mittleres zulassen“. Hier gilt es, die sittlich schlechte Qualität des Objekts ohne den Einschluss von Werturteilen festzustellen: So ist etwa der Diebstahl nicht durch das „ungerechte Entwenden einer Sache“, sondern einfach durch das „Entwenden einer fremden Sache“ definiert. Analog dazu ist der Ehebruch nicht das Unterhalten „illegitimer sexueller Beziehungen“ sondern das Unterhalten „sexueller Beziehungen mit jemandes Frau/Mann“, und der Mord nicht ein „ungerechtes Töten“ sondern das „Töten eines Unschuldigen“.. Durch die Einbeziehung von Werturteilen in die Definition des ‘Handlungsobjekts’ wird die Bestimmung der Sittlichkeit auf eine andere Instanz verlegt, entweder in die ‘Absicht’, oder in die Abwägung bezüglich vermeintlicher „vormoralischer“ Güter.66 In beiden Fällen geht das eigentliche Handlungsobjekt verloren67, und wir haben es entweder mit einer Ethik der Absicht oder mit einer konsequenzialistischen Ethik – oder mit einer mehr oder weniger eklektischen Verbindung beider Ansätze (so etwa im Proportionalismus) zu tun.

Jedenfalls ist die Wahl von Handlungen bzw. Handlungsobjekten, die gut sind (oder zumindest sittlich indifferent), die erste – wenngleich nicht die einzige – Bedingung zur Entfaltung der Tugenden. Und umgekehrt: die Betrachtung der Tugend auf einer natürlichen Grundlage führt dazu, bestimmte ‘Handlungsobjekte’ als von sich aus mit der Tugend unvereinbar zu bestimmen. Zu ihnen zählen zuerst einmal jene, die der von den moralischen Tugenden vorausgesetzten „natürlichen Grundlage“ widersprechen, die nicht bloß animalisch ist, da unsere Natur ja eine rationale Natur ist. Insofern bringt die Ethik der Tugenden zunächst einmal auch eine negative Deontologie mit sich, durch welche allgemein jegliche der Natur widersprechende Handlung verboten wird.68 Handlungen dieser Art widersprechen wesentlich dem Wohl des Menschen, des Seienden, das „um seinetwillen geliebt wird“69. Der Natur widersprechen – wie schon oben erwähnt – jene Handlungen, deren Struktur im Widerspruch zu den eigentümlichen Zielen der natürlichen Neigungen stehen. Diese stellen nämlich noch bevor sie selbst zu Tugenden werden die Materie zur Entfaltung tugendhafter Handlungen dar.

Distanziert sich nun also einerseits die Lehre von den Quellen der Sittlichkeit dadurch von den rein normativen Ethik-Theorien, indem sie die Bedeutung der ‘Umstände’ für die sittliche Qualität der Handlung berücksichtigt, so hebt sie sich andererseits von den Situations-Ethiken insofern ab, als sie die Existenz von Handlungen unterstreicht, die auf Grund ihres Handlungsobjekts böse sind. Die Lehre von den Quellen der Sittlichkeit stellt einen Mittelweg dar zwischen den Kriterien, welche Deontologisten und Utilitaristen zur Beurteilung der sittlichen Qualität der Handlungen vorschlagen.70 Während nämlich das Kriterium des Deontologismus einerseits – die Universalisierung der Maxime – zur Betonung der Rolle der ‘Absicht’ führt, und das Kriterium des Utilitarismus andererseits – die Förderung des größtmöglichen Glücks einer größtmöglichen Anzahl von Personen – zur Betonung der Folgen der Handlung führt, versucht die Lehre von den Quellen der Sittlichkeit auf beide Dimensionen Rücksicht zu nehmen: auf die Absicht als eine der unmittelbaren Quellen der Sittlichkeit der Handlung, und auf die Folge, insofern sie einen Bezug zum Handlungsobjekt aufweist, wenn sie (a) vorausgesehen wurde und deshalb Teil dessen ist, was der Handelnde will, und wenn sie (b) zwar nicht im voraus erwogen wurde, aber doch Folge ist, wie das meistens der Fall ist (sie sind dann nämlich Teil des Handlungsobjekts).71

Als Theorie über die Tugend ist die Lehre von den Quellen der Sittlichkeit dazu geeignet, ein Kriterium zur Bestimmung der Sittlichkeit der Handlungen anzubieten. So ist die Ethik der Tugend also imstande, den Vorwurf abzuwehren, der ihr seitens der normativen Ethik gemacht worden ist. Die Relevanz der Tugend zu unterstreichen legitimiert nun aber nicht dazu, von einem rechtlich-normativen Rahmen abzusehen. Die Behandlung dieser rechtlichen Dimension ist deshalb auch ein wichtiger Aspekt der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Beziehung zwischen den Tugenden und den Normen.

7. Moral und Recht

Bekanntlich ist die Beziehung zwischen Moral und Recht eine Schlüsselfrage, die einem beträchtlichen Teil der Grundprobleme der gegenwärtigen Bioethik zugrunde liegt. Im Folgenden skizziere ich eine mögliche Art und Weise, die Frage nach der Beziehung zwischen beiden Bereichen ausgehend von der Ethik der Tugend zu behandeln. Meiner Ansicht nach erlaubt die Ethik der Tugend, die Unterscheidung von Moral und Recht aufrechtzuerhalten, und zwar ohne ungebührende Vermischungen bzw. Trennungen, denn bei ihr wird nämlich einerseits bestimmt, in welchem Sinn die Moral das Recht braucht, andererseits aber auch die Art und Weise geklärt, nach welcher das Recht von der Warte der Moral einer Kritik unterzogen werden kann.

Die Abhängigkeit der Tugend vom Recht kommt schon in der Definition selbst der Gerechtigkeit zum Vorschein: Sie ist der beständige Wille, jedem das Seine, d.i. sein Recht zu geben. Diese an sich durchsichtige Definition birgt die Schwierigkeit in sich, zu bestimmen, worin ‘das Seine’, d.i. das Gerechte, das Recht besteht. Moderne und antike Autoren weichen in ihren diesbezüglichen Auffassungen auseinander. Die moderne Auffassung hat den Anspruch erhoben, eine für alle menschlichen Gesellschaften allgemeingültige, endgültige Definition des ‘Gerechten’ vorzulegen. Dies war aber nicht die Auffassung der klassischen Autoren, die vielmehr auch die Unzulänglichkeit und Verschiedenheit der menschlichen Natur in Betracht zogen.72

Für Aristoteles etwa bestand das Gerechte bzw. das Recht zuerst einmal in „einem bestimmten Gleichheitsverhältnis“.73 Seiner politischen Theorie gemäß hängt dieses bestimmte Verhältnis vom Gesetz ab, und dieses wiederum von der Staats- und Regierungsform (demokratisch, aristokratisch, oligarchisch, tyrannisch, monarchistisch, republikanisch, vermischt), die je nach Verfassung vollkommener bzw. weniger vollkommen sein kann. Nach Aristoteles sind aber vollkommene und unvollkommene oder gerechte und ungerechte Regierungen nicht dasselbe. Ob eine Regierung gerecht oder ungerecht ist, hängt davon ab, ob sie das Allgemeinwohl oder aber im Gegenteil ein partikuläres Interesse anstrebt. In Übereinstimmung damit sind die Gesetze immer dann gerecht, wenn sie das Allgemeinwohl anstreben, unabhängig von den spezifischen Verfahrenssystemen, nach denen sie in der jeweiligen Staats- und Regierungsform zustande gekommen sind. In diesem Sinn und unabhängig vom Verfahrensmodus verstehen wir auch, dass etwa ein Gesetz zum Zweck des Umweltschutzes gerecht ist, auch wenn es zu Beginn bestimmte wirtschaftliche Nachteile für manche Unternehmen bringt. Das Gesetz ist gerecht, weil die Bewahrung der Umwelt ein allgemeines Gut darstellt, das allen und jedem einzelnen gehört74, einschließlich dem Unternehmer; da es sich um etwas handelt, das förderlich im Hinblick auf die Entfaltung jedes menschlichen Wesens ist.

Diese Bemerkung bringt auch zum Ausdruck, dass das politische Gemeinwohl von sich aus instrumenteller Natur ist: es dient dem Wohl jedes Menschen, was nichts anderes ist als seiner eigenen Tugend – letztlich auch seiner Gerechtigkeit: darin wird die praktische Zirkularität ersichtlich. Jedenfalls bahnt hier der Bezug auf die Tugend den Weg für eine moralische Kritik des Rechts. Diese Kritik ist bereits bei Aristoteles implizit enthalten. Gegenüber dem platonischen Kommunismus formuliert er – abgesehen von anderen eher politischen Argumenten – folgenden im strengen Sinn moralischen Einwand: Die Frauen- und Gütergemeinschaft, die Plato in seiner Republik vorsieht, würde den Einzelnen daran hindern, die Keuschheit und die Großzügigkeit – zwei konkrete Tugenden – zu entfalten.75 Das Überraschende des Arguments soll nicht vom Grundgedanken, der darin enthalten ist, ablenken: die Möglichkeit, bestimmte Tugenden entfalten zu können oder nicht, ist schon ein Kriterium, um die Utopie Platos abzulehnen. Ohne Zweifel hatte Plato seine Republik sorgfältig mit dem Blick auf das Allgemeinwohl entworfen. Doch diesmal geht konkret das Anstreben des Allgemeinwohls auf Kosten des Wohls der Einzelnen. Das Allgemeinwohl hingegen, auf das sich Aristoteles bezieht, weist eine andere Verfasstheit auf: es ist nicht eine Idee, sondern praktische Wirklichkeit. Das heisst, es gründet im gemeinsamen Handeln der Bürger und findet in ihm sein Ziel: als das, was das gute Leben ermöglicht, das Leben gemäß der Tugend.

Der gegenseitige Bezug von Wohl des Einzelnen und Allgemeinwohl begründet auch das gegenseitige Zugewiesensein von Moral und Politik (bzw. Recht). Dies hebt aber nicht den Unterschied zwischen den beiden Bereichen auf, da es sich ja dabei um zwei verschiedene Perspektiven oder Betrachtungsebenen handelt. So gehört es aus dem Blickwinkel der Moral zum Wohl der Einzelnen, dass er es lernt, das Allgemeinwohl als das auch eigene Wohl anzusehen; aus dem Blickwinkel der Politik gehört es zum politischen Wohl, dass die Einzelnen ihr moralisches Wohl entfalten können.

Die politische Theorie des Aristoteles wird häufig als ‘perfektionistisch’ bezeichnet, aufgrund ihrer Orientierung an der Tugend als Ziel. Im Gegensatz dazu stehen die liberalen und „verfahrens-orientierten“ Ansätze. Diese legen bei der Bestimmung der Gerechtigkeit des Gesetzes die Betonung nicht so sehr auf das Gute als auf die Freiheit, nicht so sehr auf das Ziel als auf die Verfahrensweise und gehen von dem Gedanken aus, dass der gegenwärtige moralische Pluralismus eine Vielzahl unvereinbarer „Auffassungen vom Guten“ mit sich bringt, sodass es nicht mehr möglich erscheint, dass sich die Regierenden mit einer konkreten Auffassung identifizieren. Dieser Ansatz übersieht aber, dass zum Aufbau einer politischen Gemeinschaft nicht so sehr das platonische ‘Teilen der selben Idee des Guten’, sondern vielmehr ein ‘Gemeinsames Vorhaben’ (Aristoteles) erforderlich ist.

Im Gegensatz zur klassischen Auffassung wird in dem verfahrens-orientierten Ansatz Habermas’ die These vertreten, dass die Bestimmung des Gerechten in der modernen demokratischen Gesellschaft davon abhängt, ob allen Menschen, die von den möglicherweise schlechten Auswirkungen einer bestimmten Maßnahme betroffen sind, in dem bezüglichen gesetzgeberischen Verfahren ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird, entweder durch sie selbst, oder durch ihre Vertreter. Es wird also hier mit anderen Worten erwartet, dass aus dem Verfahren selbst die Gerechtigkeit des Gesetzes hervorgehen soll. Aus der Sicht der klassischen Ethik ist aber daran zu erinnern, dass das Verfahren bloss dazu dient, eine Staats- bzw. Regierungsform von einer anderen zu unterscheiden (so z.B. eine demokratische von einer monarchistischen oder aristokratischen), nicht aber unbedingt dazu, deren Gerechtigkeit zu garantieren; diese ist nur dann gesichert, wenn die Gesetze auf das Allgemeinwohl hingeordnet sind, und nicht auf ein (auch noch so verbreitetes) partikuläres Interesse.

Zweifelsohne kann eine Vorgehensweise, in der allen möglichen Betroffenen ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird, in der Praxis dazu beitragen, die Gerechtigkeit zu fördern. Der Grund dafür ist aber darin zu suchen, dass die am Verfahren Beteiligten von vornherein eine bestimmte Vorstellung von der Gerechtigkeit bzw. vom Allgemeinwohl besitzen, denn an sich garantiert das Verfahren weder Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit. So können z.B. auch nicht dem Verfahren die Vorentscheidungen angelastet werden, durch welche – gänzlich ohne Grund – eine Vielzahl von menschlichen Lebewesen von der Diskussion über das Gerechte und das Ungerechte ausgeschlossen werden.76

Es ist zwar richtig, dass das menschliche Zusammenleben eine Übereinkunft über das Gerechte und das Ungerechte erforderlich erscheinen lässt, und zwar nicht im allgemeinen, sondern in einer konkreten Regierung: Ist die Übereinkunft nicht gegeben, kommt es bald zu Konflikten. Das Ziel der Moral besteht aber nicht ausschließlich darin, soziale Konflikte zu vermeiden. Gelegentlich ist es sogar die Moral selbst, die den Konflikt provoziert, insofern sie die Legitimität mancher Beschlüsse in Frage stellt: besonders jener, bei denen im Voraus bestimmte menschliche Lebewesen als mögliche Gesprächspartner ausgeschaltet werden. Dies geschieht in der Abtreibungsdebatte, wenn der Embryo nicht als Unsersgleichen anerkannt wird. Ein legitimes Übereinkommen hat zur Voraussetzung, dass der andere als möglicher Gesprächspartner anerkannt wird, auch wenn er sich noch nicht wirksam am Dialog beteiligen kann. Bei diesem Anerkennen vereinigen sich Ethik und Metaphysik.77 Von vornherein diese Dimension zurückzuweisen, und sei es unter dem Vorwand, dass das Unsere ein „Zeitalter des postmetaphysischen Denkens“ ist, ist höchstens eine Art, dem Problem auszuweichen.

***

Die Bioethik stellt sich heute als ein konfliktbeladener Bereich dar. Eine Vielzahl ihrer Konflikte geht gerade auf die mangelhafte rechtliche Anerkennung des menschlichen Embryos zurück. Andere stehen im Zusammenhang mit den gesetzlichen Lücken bezüglich Fragen, die dadurch dem Urteil der Einzelnen anheim gestellt sind. In ihren Entscheidungen haben sie sich dann mangels einer entsprechenden Richtlinie von ihrem natürlichen Gerechtigkeitssinn leiten zu lassen. Andere Konflikte schließlich rühren vom entgegengesetzten Grund her: vom Übermaß an Legalismus, der das erforderliche wechselseitige Vertrauen des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu ersticken droht.

Während es sich bei der erstgenannten Gruppe von Konflikten um solche handelt, die von sich aus eine metaphysische Vertiefung des Verständnisses der ‘Anerkennung’ erforderlich machen, weisen die anderen Konflikte eher den Weg in Richtung einer Zusammenarbeit von Moral und Recht. Sowohl durch den Rückgriff auf unseren „natürlichen Gerechtigkeitssinn“ als auch von seiten der Überwindung des erwähnten Legalismus wird die Notwendigkeit angesprochen, die Moral mit anderen Mitteln als der reinen Rationalität zu fördern, einer Rationalität, die die aufgeklärten moralischen Ansätze (die deontologischen wie die utilitaristischen) bereits zur Genüge als Ausweg gesucht haben. Hier wird die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die Tugenden mit ihrem Bezug auf die Natur offenkundig.

Referenzen

  1. Laut Tom L. Beauchamp geht die Einführung der Sprache der Prinzipien in der Bioethik hauptsächlich auf zwei Gründe zurück: den Belmont Report der National Commission for the Protection of Human subjects, die den Auftrag hatte zu untersuchen, wie die Forschung in nordamerikanischen Institutionen betrieben wurde und die die Prinzipien zu formulieren hatte, um diese Aufgaben zu regulieren; und auf das Buch, herausgegeben von Beauchamp, zusammen mit James F. Childress. Vgl. Beauchamp, T.L., „Principles and ‘Principalism’“, in Le Radici della Bioetica, Vol. I, Hrsg. Elio Sgreccia & Gonzalo Miranda, Vita e pensiero, Milan 1998, Ss. 47-59, p.48.
  2. Vgl. auch Pellegrino & Thomasma, The Virtues in Medical Practice, New York, Oxford University Press, 1993, Ss. 84-91.
  3. Vgl. Palazzani, L., „Bioetica dei principi e bioetica delle virtú. Il dibatitto attuale negli Stati Uniti“, Medicina e Morale, 1992, 1, Ss. 59-86.
  4. Vgl. Engelhardt, H.T., The Foundations of Bioethics, New York, Oxford University Press, 1986.
  5. Pellegrino und Thomasma publizierten 1998 ein anderes Buch, For the Patient’s good, the restoration of Beneficence in health care (New York, Oxford Univeristy Press, 1988) als eine offenkundige Antwort auf das Buch von Engelhardt. Scheinbar die Begriffe akzeptierend, in denen seit Beauchamp und Childress die Debatte in der Bioethik dargelegt wurde, hatten Pellegrino und Thomsma das Ziel, mit diesem neuen Werk die Idee der Wohltätigkeit im Kontext der medizinischen Praxis neu zu definieren.
  6. Vgl. Pellegrino & Thomasma, For the Patients good, S. viii.
  7. Vgl. Pellegrino & Thomasma, For the Patients good, Ss. 111-124. Vgl. Pellegrino, E.D., „Der tugendhafte Arzt und die Ethik der Medizin“, in Medizin und Ethik, H. M., Sass (Hrsg.), Reclam, Stuttgart, 1994, Ss. 42-43.
  8. Vgl. auch Pellegrino, E.D., „The Recovery of Virtue in the Professional Ethics of Medicine“, in Le Radici della Bioetica, vol. I, Elio Sgreccia & Gonzalo Miranda (Hrsg.), Vita e pensiero, Milan, 1998, Ss. 62-83.
  9. „Virtue theory and the character of the agent is primus inter pares in relationship to principles, rules, duties, etc.“. Pellegrino, E.D., „The Recovery of Virtue in the Profesional Ethics of Medicine“, S. 61.
  10. Vgl. Lenk, H. & Ropohl, Technik und Ethik, Reclam, Stuttgart, 1987.
  11. Vgl. Beauchamp, T. & Childress, J., Principles of Biomedical Ethics, New York, Oxford University Press, 1989, 3. Ausg., S. 3. Es gibt eine neuere Ausgabe (Oxford Univeristy Press, New York, 1994), aber ich zitiere die 3.
  12. So definiert Beauchamp die Prinzipien: „A principle is a fundamental standard of conduct on which many other standards and judgments depend. A principle is an essential norm in a system of thought or belief, forming a basis of moral reasoning in that system. We expect all persons of good moral character to have learned principles and to have them firmly built into their belief structure and to reflect these beliefs in their patterns of moral thinking“. Beauchamp, T.L., „The Role of Princilpes in Practical Ethics“, in Philosophical Perspectives on Bioethics, Ausg. L.W. Summer & J. Boyle, University of Toronto Press, Toronto, Buffalo, London, 1996, S. 80.
  13. Für eine synthetische Darstellung dieser Prinzipien, Vgl. Tom L. Beauchamp & Le Roy Walters, Contemporary Issues in Bioethics, Wadsworth Publishing Company, Belmont, California, 1994 4. Ausg., Ss. 22-29.
  14. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 16. „Il punto di vista che Childress ed io abbiamo fin dalla composizione del nostro libro, a metà degli anni 70, é il seguente: le regole più specifiche per un ética attinente alla sanità e alla ricerca si possono formulare ai nostri quattro principi, ma né le regole né i guidizi possono essere direttamente dedotti dai principi“. Beauchamp, T.L., „La forza del paradigma dei principi in Bioetica“, in G. Russo (Hrsg.), Bilancio di 25 Anni di Bioetica. Un rapporto dai pioneri, Editrice elle di Ci, Torino, 1997, p. 100.
  15. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 9.
  16. Vgl. Beauchamp & Childress, oc., S. 15.
  17. Vgl. Pellegrino & Thomasma, For the patient’s good, S. 3.
  18. Vgl. Beauchamp & Childress, O.c. S. 44.
  19. Vgl. Beauchamp & Childress, O.c. S. 46.
  20. Obwohl sie selbst zugeben, dass diese Moral der Normen nicht alle vorher aufgestellten Kriterien völlig befriedigt, finden sie, dass sie diejenige ist, die ihnen am nächsten liegt. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 44.
  21. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 47.
  22. Laut dieser „starken“ Betrachtung der Prinzipien, ist X ein moralisches Prinzip dann und nur dann, wenn es die folgenden Bedingungen erfüllt: es ist allgemein, normativ, selbständig, lässt keine Ausnahme zu, hat einen Grundlagencharakter und steht schliesslich mit einer Theorie in Verbindung, die das besagte Prinzip zu begründen erlaubt. Vgl. Beauchamp, T. L., „The role of Principles in Practical Ethics“, S. 81.
  23. Vgl. Beauchamp, T.L., „The role of Principles in Practical Ethics“, Ss. 85.
  24. Nach diesem Konzept, damit X ein Prinzip ist, reicht es aus, wenn es allgemein, normativ, selbständig ist, Ausnahmen zulässt und nicht begründend ist; es ist nicht nötig, dass es eine moralische Theorie einbezieht oder voraussetzt, die diese oder mehr Prinzipien rechtfertigt. Vgl. Beauchamp, T., „The role of Principles in Practical Ethics“, S. 83. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 51.
  25. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 52.
  26. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 51.
  27. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 54.
  28. Vgl. Tomás de Aquino, De Veritate, q. 17, a. 4, ad 8.
  29. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 54-55.
  30. Vgl. Pellegrino, E.D.,o.c., S. 73.
  31. Vgl. Pellegrino, E.D., ebd. S.71.
  32. Wie Beauchamp vorschlägt in: The role of Principles in Practical Ethics, S. 92-93; vgl. Beauchamp, T.L. La forza da paradigma dei princìpe in bioetica, S. 100.
  33. Vgl. Tomás de Aquino, De Virt., q.un., a.5, sol.
  34. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 374-379.
  35. Vgl. Beauchamp & Childress; ebd., S. 375. „We will understand the term virtue in general to refer to a trait of character that is valued as a human quality. A moral virtue is trait of character that is morally valued. Virtues, then, can be nonmoral and even contramoral o immoral“.
  36. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 13, 1144 b, 16-17.
  37. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S.375: Another important distinction is between a virtuous trait of a person and a virtuous person. The latter refers to a person who has many virtues and thus is a person of high moral character. High indicates that there are degrees of being a virtuous person, in accordance with the number and degree of virtues possessed. Wenn es wahr ist, dass es Personen gibt, die mehr Tugenden als andere besitzen, hängt das Tugendhaftsein oder nicht dennoch nicht von der Anzahl der Tugenden ab.
  38. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 12, 1144 a 17; 13, 1144 b 7.
  39. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 13, 1144 b, 26-27.
  40. Vgl. González, A.M., Moral, Razón y Naturaleza, Eunsa, Pamplona, 1998, Kapitel III.
  41. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 12, 1144 a 8.
  42. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 12, 1144 a 20.
  43. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 12, 1144 a 30-35.
  44. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 5, 11.
  45. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 5, 1139 b 25-27.
  46. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S.376.
  47. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, VI, 13, 1144 b 30.
  48. Vgl. Beauchamp & Childress, o.c., S. 377 und S. 379.
  49. Vgl. Tomás de Aquino, S. Th.I-IIae, q. 94, a. 3, sol.
  50. Vgl. Tomás de Aquino, S. Th.I-IIae, q. 94, a. 2, sol.
  51. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, II, 6, 1107 a ss.
  52. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, II, 1, 1103 a 24-26.
  53. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, II, 6, 14-15.
  54. Ich sehe an dieser Stelle davon ab, auf die Synteresis als habitus der ersten praktischen Prinzipien Bezug zu nehmen. Die Synteresis ist tatsächlich das Erste und sie ist ein Gebot. Aber das, was sie vorschreibt ist eben gerade die Anwendung der Tugend, ohne weitere Festlegungen. (Tomás de Aquino nennt sie die Brutstätte der Tugenden.)
  55. Vgl. Aristoteles, Ética a Nicomáco, II, 4, 1105 a 28 - 1105 b 12.
  56. Vgl. Tomás de Aquino, S. Th. I, q. 1, a. 6, ad 3.
  57. Nach meinem Verständnis ist das in den abschließenden Überlegungen von Pellegrino, The Recovery of Virtue in the Ethics of Medicin, S. 72-75, enthalten.
  58. Vgl. González, A.M., Moral, Razón y Naturaleza, Kapitel V.; vgl. Rhonheimer, M., Praktische Vernunft und die Vernünftigkeit der Praxis. Handlungstheorie bei Thomas von Aquin in ihrer Entstehung aus dem Problemkontext der aristotelischen Ethik, Akademie Verlag, Berlin, 1994.
  59. Vgl Schönberger, R. & Spaemann, R., Thomas von Aquin. Über die Sittlichkeit der Handlung, S.Th. I-IIae q. 18-21. V.C.H. Acta Humaniora, 1990. In der Einleitung weist Spaemann auf die Bedeutung der „Handlungsarten“ hin.
  60. Vgl S. Th. I-IIae, q. 18, a. 8, sol.
  61. Vgl S. Th. I-IIae, q. 18, a. 9, sol.
  62. Vgl S. Th. I-IIae, q. 18, a. 9, ad 3
  63. S. Th. I-IIae, q. 18, a. 6, sol.; vgl q. 18, a. 7, sol.
  64. Vgl. S. Th. I-IIae, q. 20. aa. 1, 2.
  65. Vgl. S. Th. I-IIae, q. 18, a. 10, ad 1; ad 2.
  66. Die moralische Analyse auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen moralischen und vormoralischen Gütern liegt den proportionalistischen Ansätzen von Böckle, Gründel, Fuchs, Knauer, Janssens, Curran, McCormick u.a. zugrunde. Es handelt sich um eine sehr problematische Unterscheidung, bei der die moralische Qualität als etwas außerhalb der Handlung Liegendes erscheint. Vgl Belmans, Th., Der objektive Sinn menschlichen Handelns: Zur Ehemoral des hl. Thomas, Patris Verlag, Vallender-Schönstatt, 1984.
  67. Vgl. Jensen, Steve John, Intrinsically evil acts according to St.Thomas Aquinas, University of Notre Dame, U.M.I. Dissertation Services, n. 9319301, 1993. Der Autor widerlegt die proportionalistische Lesung Thomas von Aquins, die dazu neigt, Wert-Kriterien in die Definition der moralischen ‘objekte’ selbst einfließen zu lassen (so etwa wird der Diebstahl als das ungerechte Entwenden einer Sache, nicht bloß als das Entwenden einer fremden Sache definiert). Vgl. Finnis, J., Moral Absolutes. Tradition, Revision and Truth. The Catholic University of America Press, Washington D.C., 1991.
  68. Vgl. S. Th., I-IIae, q. 71, a. 2; vgl. q. 92, a. 2.
  69. „Quae igitur semper sunt in entibus, sunt propter se a Deo volita: quae non autem semper, non propter se, sed propter aliud. Substantiae autem intellectuales maxime accedunt ad hoc quod sint semper, quia sunt incorruptibiles (...) ergo substantiae intellectuales gubernantur quasi propter se, alia vero propter ipsas“. Vgl. ScG III, c. 112, n. 2862. Diese Worte können durch jene der Summa Theologiae ergänzt werden: Gott liebt ihn mit Freundschaftsliebe: vgl. S. Th. I, q. 20, a. 2, ad 2.
  70. Meinem Verständnis nach ist dies implizit enthalten in den Überlegungen von Pellegrino am Schluss von „The Recovery of Virtue in the Ethics of Medicin“, S. 72-75.
  71. Vgl. Thomas von Aquin, S. Th. I-IIae, q. 20, a. 5, sol.
  72. Vgl. Strauss, L., Natural Right and History, Chicago University Press, Chicago, 1953.
  73. Das Verhältnis, worin nach Aristoteles das Gerechte besteht, kann ‘geometrisch’ (austeilende Gerechtigkeit) oder ‘arithmetisch’ (korrektive Gerechtigkeit) sein. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V.
  74. Eine andere Frage ist, ob das Gesetz gleich angezeigt ist für entwickelte Länder wie für Entwicklungsländer, die auch andere Prioritäten haben können; doch das ist eine Frage der politischen Klugheit.
  75. Aristoteles, Politik, II, 5.
  76. Dies geschieht zum Beispiel mit den menschlichen Lebewesen im embryonalen Stadium. In dem konkreten Fall scheint es klar zu sein, dass bestimmten Interessen Vorrang eingeräumt wird: konkret den Interessen der Stärkeren. Dies geht deutlich aus R. Dworkins Behandlung der Frage der Abtreibung hervor.
  77. Vgl. Spaemann, R., Glück und Wohlwollen, Klett-Cotta, 1989, Vorwort.

Anschrift des Autors:

Prof. Dr. Ana Marta González, Universidad de Navarra, Dpt. Filisofía, E-31080 Pamplona

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Anthropologie und Bioethik
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