Editorial
Am 1. Jänner 2000 wird sich eigentlich ebensowenig ändern wie an dem gleichen Datum der Jahre zuvor. Menschen können allerdings beliebige Einschnitte produzieren. Diese bedeuten gleichsam das Ende der einen und den Anfang einer neuen Etappe. Allem Anschein nach will die globale Weltgesellschaft den merkwürdigen Zahlensprung von 1999 auf 2000 als eine ganz besondere Zäsur gelten lassen. Solche Einschnitte sollten Gelegenheit zum Staunen, zum Feiern und zum Danken aber auch zum Nachdenken geben. Ja, Zäsuren sind geeignete Zeitpunkte, um Zwischenbilanz zu ziehen und um Strategien zu überprüfen. In diesem Sinne wollen wir in dieser Nummer von Imago Hominis einen Rückblick auf die letzten Jahrzehnte bieten, die es ermöglicht die Entwicklung der Medizin in Hinblick auf die Wertvorstellungen der Menschen und deren Vorstellungen selbst zu hinterfragen.
Wir haben Brücke und Gross zwei bekannte Ärzte mit jahrzehntelanger Erfahrung gebeten, zur Entwicklung der Medizin in diesem Jahrhundert einen Aufsatz zu schreiben. Es ist dem Menschen zu eigen, daß er sich an Neuerungen nur allzu rasch gewöhnt und zur Routine macht, sie als Selbstverständlichkeit hinnimmt, vergessend, daß die Zeit davor ganz anders ausgesehen hat. In diesem Sinne ist es interessant, einmal innezuhalten und einen Rückblick zu wagen, was die Chirurgie einerseits und die Innere Medizin andererseits zuwege gebracht hat.
Nicht weniger spannend ist gleichfalls die Entwicklung der Bioethik, die in diesem Jahrhundert erst ihre Geburtsstunde erlebt hat und notwendigerweise mit dem Fortschritt in der Medizin Schritt gehalten hat. Elio Sgreccia, ein Kenner der Materie, der seit Jahren die Entwicklung verfolgt und entscheidend auch mitgestaltet hat, sieht in der Frage nach dem Menschenbild in der Bioethik den entscheidenden Punkt. Von der aufrichtigen Suche nach dem wahren Bild des Menschen wird es abhängen, ob die Bioethik in Zukunft der Gesellschaft zu Diensten steht. Der unseren Lesern bereits bekannter Priester und Psychiater, Johannes B. Torelló hat eine Bilanz über Ängste und Sehnsüchte der Menschen an der Schwelle der Jahrtausendwende gezogen. Es ist eine anthropologische Bestandaufnahme. Die Zukunft im allgemeinen wird weitgehend von dem Menschenbild abhängen, zu dem wir uns bekennen wollen. Eine Anthropologie, die den Menschen in seiner Natur versteht und begreift, ist notwendige Bedingung, um allen wissenschaftlichen Fortschritt zu bahnen und zum Wohl der Gesellschaft werden zu lassen. Imago hominis versucht, einen Beitrag bei dieser Suche nach dem Menschenbild zu leisten. Anläßlich einer Diskussion wurde uns die Frage gestellt, warum wir unsere Zeitschrift nicht „Imago Dei“ benennen wollten. Möglicherweise war die Frage zynisch und nicht ernst gemeint; nachdenkenswert ist sie auf jeden Fall. Nach christlichem Verständnis wissen wir, der Menschen ist nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen. Und vor 2000 Jahren fand ein Ereignis statt, auf das unsere Zeitrechnung radikal ausgerichtet ist, im Bewußtsein der Allgemeinheit jedoch zu verschwinden droht: Gott nimmt Menschengestalt an und kommt als Neugeborenes zur Erde. In all seiner Zerbrechlichkeit und Kleinheit nimmt der Mensch doch einen besonderen Platz ein. Seine Wesenheit zu begreifen, wird für uns und die nächsten Generationen entscheidend sein.
Die Herausgeber