Die Vermarktung von Organen
Zusammenfassung
In den letzten Jahren gibt es zunehmend Anschuldigungen, die von einem Organhandel sprechen. Ausgehend von der effektiven Knappheit der Organe und den länger werdenden Wartelisten, läßt sich der Verdacht nicht gänzlich zurückweisen. Die Autoren haben recherchiert und sind den unterschiedlichsten Quellen nachgegangen. Anschließend werden diverse bioethische Stellungnahmen zum Organhandel aufgezeigt und die Argumente pro und contra diskutiert.
Schlüsselwörter: Transplantationen, Knappheit der Organe, Organhandel, Solidarität
Abstract
In the past years accusation have increasingly been made that trade in vital organs is being carried on. The decisive scarcity of organs for transplantation and the ever lengthening waiting lists for same, would lead one to believe that there is some truth in these accusations. The authors have done much investigation into the matter and checked many sources of information. Finally various bioethical comments to trade in organs were considered and arguments pro and contra were discussed.
keywords: transplantation, scarcity of organs, trade in organs, solidarity
1 Einleitung
In den letzten Jahren waren in den Medien immer wieder verschiedene Aussagen und Anschuldigungen zu hören oder zu lesen, die einen möglichen Organhandel zum Inhalt hatten und die zu einer Beunruhigung der öffentlichen Meinung führten.
Unser Anliegen in dieser Seminararbeit war, jene Nachrichten zu überprüfen um festzustellen, inwieweit sie glaubwürdig in bezug auf die Zahl der Fälle und der betroffenen Länder, oder übertrieben sind. Weiters wollten wir ethische Stellungnahmen suchen und unsere eigenen hinzufügen.
Unsere Hypothese geht von der Tatsache aus, daß ein möglicher Organhandel vor allem durch den großen Mangel an Spendern entsteht (die Warteliste ist weitaus größer als die Liste der verfügbaren Organe), sodaß in einigen industrialisierten Ländern (darunter Italien) die Suche nach käuflich erhältlichen Organen (und zwar aus ärmeren Ländern) entsteht.
Vor einer Prüfung dieser Hypothese ist eine Klarstellung der Terminologie nötig. Unter Organhandel kann eine Vielzahl unterschiedlicher Transaktionen mit Organen verstanden werden. Vom Ursprung der Organe ausgehend könnte folgende Einteilung vorgenommen werden:
Vom Leichnam:
- Heimliche Entnahme von Körperteilen oder Geweben gegen Bezahlung (vor allem jene Körperteile, die nicht sofort verwesen wie Herz, Niere oder Lunge).
- Organtransplantation im Spenderland für zahlende Ausländer.
- Verkauf von Kindern, die als Organquelle benützt werden.
- Verkauf von Geweben abgetriebener Föten.
- Entwendung von Organen aus Leichenhäusern und heimliche Transplantationen.
- Beschaffung von Organen durch vorgetäuschte Tötung in Krankenhäusern.
Von Lebenden:
- Einvernehmlicher Verkauf von doppelt angelegten Organen (Nieren), sei es im Spenderland oder exportiert.
- Verkauf von Kindern (durch Adoption) zur Entnahme von doppelt angelegten Organen.
- Verkauf eigener Organe, die nach dem Tod entnommen werden und deren Bezahlung an Dritte erfolgt.
In einer der bedeutendsten italienischen Tageszeitungen erschien ein Artikel, der unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat:
„Ermittler weisen auf „seltsame“ Adoptionen von behinderten Kindern hin“.
Behinderte brasilianische Kinder sollen demnach heimlich adoptiert werden, um ihnen dann transplantationsfähige Organe zu entnehmen und diese an europäische Krankenhäuser zu verkaufen. Dieser Alarm wurde in Brasilien von Prof.Volnei Garrafa, Dozent für Gesundheitswissenschaft an der Universität von Brasilia ausgelöst.1 Dieser Anklage-Artikel ist Ausgangspunkt für unsere Ermittlungen im Handel mit menschlichen Organen. Beginnen wir mit einer Feststellung Volnei Garrafas, der eine noch unbeantwortete Frage folgt: „In den Ländern der ersten Welt existiert ein großes Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Organ-Angebot, so Garrafa. Vor allem Europa soll den armen Ländern eine moralische Antwort auf die Tatsache geben, daß die Zahl der Transplantationen weit höher liegt als die offiziellen Zahlen der Organspenden.“2
2 Dokumentation, bezeichnende Vorfälle und zu verifizierende Hypothesen
Die Suche nach Unterlagen zu diesem Thema war nicht einfach. Obwohl die erste Äußerung einer offiziellen Stelle über den Handel mit Transplantationsorganen von Menschen bereits aus dem Jahre 19713 stammt, beginnt man erst jetzt über dieses Problem zu sprechen, wobei die Berichte der verschiedenen Regierungen zurückhaltend sind.
Das Material, das wir gefunden haben, kann in 3 Gruppen eingeteilt werden:
- Artikel aus Zeitschriften (Illustrierte, Tageszeitungen usw.)
- Berichte von nicht-staatlichen Organisationen
- Offizielle Berichte von Regierungen und internationalen Organisationen
Die Informationen aus Gruppe 1 sind zahlreich, sie wiederholen sich manchmal, und verwickeln häufig in die Polemik bekannte Persönlichkeiten, die in ihren Ländern anerkannte Autoritäten auf dem in Rede stehenden Gebiet sind, wie Ärzte, Politiker usw.
Das Problem bei dieser Art von Informationen besteht in der großen Schwierigkeit, die Aussagen zu überprüfen. Nachdem wir das Material durchgesehen haben, können wir einige Konstanten festhalten:
- In einigen Ländern besteht der Verdacht, (mit schwerwiegenden Indizien), daß ein einschlägiger Organhandel offenbar akzeptiert und gefördert wird.
- Einige Länder werden immer wieder als Lieferanten von Transplantationsorganen genannt, nämlich Brasilien, Argentinien, Mexiko, Indien, Paraguay.
- Die USA und Italien scheinen als jene Länder auf, welche die meisten Organe erhalten und wo der Handel mit ihnen am häufigsten vorkommt.4
- Als Hauptquelle für diesen illegalen und unerlaubten Handel werden Straßenkinder und andere Randgruppen der Gesellschaft genannt (Prostituierte, Homosexuelle, geistig und körperlich Behinderte usw.).5
- Man bezieht sich auf mögliche geheime oder kriminelle Organisationen, die solche Organe sammeln und verkaufen.
Die Dokumentation aus der Gruppe 2 stützt sich auf Berichte von 3 NGO (außerparlamentarische Organisationen), nämlich CODEHUCA (Kommission für die Verteidigung der Menschenrechte in Mittelamerika), AIGD (Internationale Vereinigung demokratischer Juristen) und die OMCT (Weltorganisation gegen die Folter).
Wegen der Bedeutung dieser Dokumente unterziehen wir sie einer deatillierten Analyse.
- Bericht der CODEHUCA: Die CODEHUCA ersuchte die Internationale Vereinigung gegen die Folter, eine Delegation nach Guatemala zu entsenden, um einen möglichen Handel mit Kindern in die Vereinigten Staaten zum Zweck geheimer Transplantationen zu untersuchen. Im Schlußbericht werden Vorfälle von Kindesentführungen in die Vereinigten Staaten, aber auch nach Israel erwähnt. Der Preis der verkauften Kinder soll US$ 75.000.-/Kind betragen.
Ähnliche Meldungen kamen aus Honduras, Paraguay und Haiti. Dieser Handel soll über illegale Adoptions-Organisationen laufen, die auch in Chile, Argentinien, Kolumbien und Uruguay agieren. Man rechnet, daß jedes Jahr aus den involvierten lateinamerikanischen Ländern auf illegale Weise zweihundert bis siebenhundert Kinder „exportiert" werden (es wird von einem 10-jährigen Kind berichtet, das nach der Flucht von seinen Entführern erzählte, es sei von einigen Familien „besichtigt“ worden, die es kaufen wollten).6 - Bericht der AIGD: Im Jahre 1988 hat die AIGD die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen informiert, daß sie in Haiti 12 vertrauliche Beweise für einen Handel mit Kindern für den Organmarkt durch Entführungen und falsche Adoptionen – gesammelt habe. Laut AIGD habe ein ehemaliger Minister (der ungenannt bleiben will) einen Export von Kindern nach Frankreich angezeigt, wo sie für Transplantationen und für die Erzeugung kosmetischer Mittel „verwendet“ werden sollten. Außerdem (immer gemäß dem ehemaligen Minister) soll zwischen 1978 und 1982 in Haiti eine Entführerbande operiert haben, die auf den Verkauf menschlicher Organe spezialisiert war.7
Gemäß AIGD wurde dieser Handel auch in Richtung USA und Kanada organisiert. Haitische Ärzte, die in Port-au-Prince interviewt wurden, sprachen von einer Organisation in Miami. - Bericht der OMCT: Die OMCT stellte auf einer Tagung europäischer Transplantationsspezialisten, die in Brasilia stattfand, einen mit Daten versehenen Bericht über den Organhandel vor. Nach Eric Sottas, dem Präsidenten des OMCT, bestätigen die Daten die Existenz eines solchen weltweiten Handels. Als Lieferländer werden Brasilien, Mexico, Argentinien, Peru, Kolumbien, Honduras, Nepal, Hongkong, Albanien und Polen genannt und als Abnehmerländer die USA, die Schweiz, Deutschland und besonders Italien. Laut dem Bericht wurden 1993 an die 3000 Kinder nach Europa gebracht.
Auch in Mexico wurden – bedingt durch die Nachbarschaft zu den USA und durch die großen medizinisch-technologischen Ressourcen – Transplantationen ohne irgendeine Regierungskontrolle erlaubt.8
Das Problem mit den Daten der Gruppe 2 ist das gleiche wie bei der Gruppe 1. Es bleibt jedoch die Tatsache, daß die 3 erwähnten Organisationen weltweit als vertrauenswürdig anerkannt sind.
Die Daten der Gruppe 3 bestehen aus:
- Bericht des Justizministeriums der Republik Paraguay über internationale Adoptionen und internationalen Handel mit Kindern, verfaßt von Rosa Maria Ortiz am 2.2.1994;
- Anfechtung des obgenannten Berichtes durch den Informations- und Kulturdienst der Vereinigten Staaten (USIS), offizielles Organ der Nordamerikanischen Regierung. Der Bericht bestreitet die Möglichkeit eines illegalen Handels mit Kindern, sowie geheime Transplantationen.
- Bericht an die Menschenrechtskommission des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen, verfaßt von Vitit Muntabhorn am 12.1.1993.
Eine Analyse dieser Dokumente ergab interessante Elemente:
- Der offizielle Bericht der paraguayanischen Regierung, in dem behauptet wird, daß 95% der im Lande adoptierten Kinder für die Vereinigten Staaten bestimmt sind und der einen als noch zu verifizierenden Verdacht auf Organhandel erwähnt, hat eine offizielle Reaktion der Nordamerikanischen Regierung ausgelöst.
- Die offizielle Antwort ist im Bericht LSI207 vom 19.4.1994 enthalten, also 2 Monate nachdem die Behauptungen der paraguayanischen Regierung veröffentlicht wurden. Der Bericht stützt sich auf die Meinung von 2 Spezialisten, nämlich Dr.William Pierce von der Nationalen Kommission für Adoptionen und von Dr.Pedro Vergne, Direktor des Programmes für Organtransplantationen des United Network for Organ Sharing.
Beide Spezialisten bekräftigen, daß in den USA die illegale Adoption eines Kindes schon aus technischen Gründen ebenso unmöglich ist, wie die Durchführung geheimer Transplantationen, weil die einschlägigen Institute von der Regierung kontrolliert werden. Auch sind Organtransplantationen von Kindern auf Erwachsene nicht möglich. - Die Vereinten Nationen sind bei ihren Berichten sehr sorgfältig und man kann annehmen, daß sie besonders vorsichtig waren, bevor sie in ihrem Bericht9 zum Organhandel das von Vitit Muntabhorn verfaßte Kapitel aufnahmen.
Der Bericht enthält 3 grundsätzliche Erwägungen:
- es gibt einen Handel mit Kindern;
- es gibt einen vermuteten Handel mit Transplantationsorganen;
- Es gibt keinen geeigneten gesetzlichen Schutz, der diesen Handel verhindern könnte.
Der Bericht endet mit folgenden Empfehlungen:
- Der Verkauf von Kindern soll besser überwacht werden;
- Spezielle Gesetze gegen den Verkauf von Kindern sind nötig;
- Es sind Gesetze, die den Verkauf von Organen verbieten, nötig, die auf wirksame und effektive Weise angewendet werden müssen;
- Eine Zusammenarbeit zwischen der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Interpol und den nationalen Polizeibehörden zur Verteidigung der Kinder ist nötig;
- Verbesserung der Verbindungen zwischen Interpol und den nationalen Polizeibehörden zur Bekämpfung von geheimen internationalen Organisationen, die Kinder ausbeuten;
- Rigorose Anwendung des Ärzte-Kodex;
- In jedem Land soll eine Spezialeinheit der Polizei zur Untersuchung von Kindesmißbrauch eingerichtet werden;
- In jedem Land soll ein Zentralarchiv mit Daten von verschwundenen Kindern eingerichtet und zwischen den Regierungen ein Informationsaustausch über solche Daten gefördert werden.10
Zusammenfassend:
Nach diesen Berichten müssen wir von einem schweren Verdacht auf einen Handel mit Transplantationsorganen sprechen. Richtig ist, daß unwiderlegbare Beweise fehlen, doch die große Zahl und die Glaubwürdigkeit der erwähnten Dokumente sind schwerwiegende Hinweise auf diesen Handel.
3 Analyse der Ursachen
Die ursprüngliche Annahme, daß es einen Mangel an Transplantationsorganen gibt, wurde durch einschlägige Statistiken bestätigt. Tatsächlich gibt es in Ländern, in denen (aus verschiedenen Gründen) kein Organengpaß besteht, viel seltener Gerüchte über den Handel als in Ländern, in denen dieser Mangel stark ausgeprägt ist. Das gilt besonders für jene, die von den „Jagdreisen nach Nieren“ betroffen sind. Und der bedrückenden Nachfrage folgt ein noch anmaßenderes Angebot armer Menschen aus der Dritten Welt, die bereit sind, gegen Bezahlung ihre eigenen Organe anzubieten. Die Gründe für den Mangel an Spendern sind verschieden und wir verweisen auf die einschlägige Bibliographie.
Eine weitere Ursache scheint uns in der Gesetzgebung zu liegen, und zwar bei den Nachfrage- wie bei den Anbieterländern. Während es bei ersteren an Verbotsgesetzen fehlt (z.B. „Jagdreisen nach Nieren“), fehlt es bei letzteren am Willen des Gesetzgebers, sich einer Einkommensquelle zu berauben.
4 Ethische Bewertung
Die Debatte über die Berichte und Beweise bezüglich dieses Handels ist in der Tat offen und weit fortgeschritten. Es stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, die menschlichen Organe handelsfähig zu machen, um dadurch eine Verfügbarkeit zu schaffen, die heute fehlt. Doch bleibt die Frage: kann der menschliche Körper als Privateigentum angesehen und daher handelsfähig sein?
Ein Artikel von C.Fox und P.Swazey11 spiegelt die herrschenden Meinungen wider. Die Autoren beschreiben den kulturellen Verlauf der Idee einer Transplantation als Spende mit allen positiven und schwierigen Seiten (man spricht sogar von einer Spendentyrannei) bis hin zur Transplantation als Handelsprodukt. Für letztere Theorie sind Organe Konsumgüter und es wäre gut, den Markt zu öffnen, der infolge der Knappheit zum Altruismus ermutigen könnte. (Diesbezüglich denkt man an einen künftigen Markt für tote Spender, die ihre Organe noch zu Lebzeiten zugunsten Dritter zur Verfügung gestellt haben). Bei einem Markt für Organe bestünden die positiven Effekte in einer Senkung der sozialen Kosten bei Transplantationen (größere Effizienz und eine bessere Koordination bei Austausch und Verteilung), sowie in der Verhinderung vielen Leidens und des Todes für viele Menschen. Für die Anhänger der Transplantation als Spende können die Vorteile des Marktes nicht die Bedeutung einer Spende (Selbstlosigkeit, Solidarität) aufwiegen. Darüber hinaus gibt die Optik des Marktes vor, die Angst des Spenders zu überwinden (die Angst, vorzeitig als tot erklärt zu werden, die Angst vor Entstellung oder Entmenschlichung der Spender; mögliche Probleme religiöser Art...), während man in Wirklichkeit die Angst verdrängt. Die Autoren beziehen gegenüber dieser Meinung keine Stellungnahme.
Einer der überzeugtesten Anhänger der Möglichkeit und der Wichtigkeit eines Marktes ist J.Harris.12 Für ihn ist es grundfalsch, die Organe nicht als Eigentum und daher nicht als Handelsware zu betrachten. Man kann mir widersprechen, meint Harris, daß auf diese Weise die Ausbeutung unter den Menschen und besonders zwischen den Armen und den Reichen, sowie Abhängigkeit und Armut verstärkt werden.
Man kann sicherlich nicht von Ausbeutung von jemandem sprechen, der zustimmt, „ausgebeutet zu werden“. Und man kann auch nicht der Meinung sein, daß der Verkauf von Organen das Problem der Armut, die Abhängigkeit der armen von den reichen Ländern löst. Warum also soll man den Armen die Art des Eigentums und Gutes verbieten? Und schließlich, worin liegt der Unterschied zwischen kostenlos oder gegen Bezahlung ausgebeutet zu werden?
Harris schlägt vor, ein Ordnungssystem zu schaffen (Kauf und Verkauf von Organen), das von einem einzigen Kontrollorgan ausgeübt wird (nationale Gesundheitsbehörde?), das die Preise koordiniert und festsetzt, und regionale und zwischenstaatliche Märkte schafft, damit eine mögliche Ausbeutung vermieden wird und die Schwächsten geschützt werden.
Die Möglichkeit einer Kommerzialisierung von Organen würde unvermeidliche Vorteile bringen, aber auch den Altruismus sowie das Gemeinwohl fördern.
Der Autor schließt wie folgt ab: „Zu unterstreichen ist, daß die grundsätzliche Rechtfertigung für einen einzigen Markt mit menschlichen Organen und Geweben nicht mit dem ethischen Fundament eines freien Marktes gleichgesetzt werden darf, sondern eine Antwort auf den moralischen Druck ist, der durch die Nöte jener hervorgerufen wird, die nach Organen verlangen, um ihr Leben zu retten oder um im öffentlichen Interesse Forschung zu betreiben“.
Auf diese Ansicht geht R.Sapienza ein, nicht um sie zu verteidigen, sondern um die Debatte zu erweitern und ihr eine juristische Perspektive hinzuzufügen.13 Der Autor gibt daher einen Überblick über die Kriterien an einem möglichen Organmarkt:
a) Beginnen wir damit, daß einer der Gründe für das Verbot des Verkaufes von Nieren darin besteht, daß jemand, der auf seine Niere verzichtet, sein Leben riskiert, auch wenn es sich dabei um kein besonders großes Risiko handelt. Mit einer einzigen Niere kann man überleben. Die kritische Stimme fragt, warum dieses Risiko als annehmbar betrachtet wird, wenn die Spende aus Liebe, nicht aber wenn sie gegen Entgelt erfolgt.
b) Auf der anderen Seite, wenn die Spende aus Liebe oder Zuneigung erfolgt, dann ist sie nur annehmbar wenn:
- der Spender keinen erheblichen Schaden erleidet;
- die Zustimmung gültig und im zurechnungsfähigen Zustand erteilt wird;
- der Spender auf emotionaler Ebene einen erheblichen Nutzen hat, weil er fühlt, eine gute Tat vollbracht zu haben;
- der Spender nach dem Eingriff keine Probleme hat.
Wer kann nun sagen, daß alle diese Bedingungen nicht auch für den gelten, der seine Niere verkauft?
c) Befassen wir uns jetzt mit dem Argument der Zustimmung eines Nierenspenders. Eines der Motive, so sagt man, weshalb es unrichtig sei, den Verkauf einer Niere zu erlauben, besteht darin, daß derjenige, der seine Niere verkauft, in der Regel nicht frei ist, sondern wegen seiner Armut aus Not handelt. Das ist wahr. Aber, so das kritische Argument, ist jener frei, der seine Niere einem Angehörigen spendet? Bei allen Transplantationen, die auf verwandtschaftlichen Beziehungen oder auf Liebe beruhen, gibt es eine unerläßliche Vorbedingung, nämlich die Eignung des Spenders. Die Entscheidung zu spenden, basiert nämlich nicht auf dem Ideal eines universalen Altruismus. Die Genugtuung des Spenders kommt daher, einen geliebten Menschen leben zu sehen und nicht irgendeinen. Auch wenn dieser emotionale Druck sehr verschieden von dem des Wunsches nach Verdienst ist, so bleibt doch, daß dieser oder jener Druck dann besonders stark wird, wenn keine andere Behandlung möglich ist. Ist also an der Gültigkeit der Zustimmung zu zweifeln, wenn sie in beiden Fällen aus emotionalem Druck erfolgt?
d) Analysieren wir nun das Problem aus einer anderen Perspektive. Wenn jemand das Recht hat, ein Gewebe oder ein Organ aus Gründen der Zuneigung zur Verfügung zu stellen, warum darf er es dann nicht gegen Bezahlung tun? Es ist unlogisch zu behaupten, daß eine Bezahlung mit Geld alles illegal oder unmoralisch werden läßt. In beiden Fällen ist die medizinische Abwicklung bei der Entnahme einer Niere die gleiche. Aufgabe einer Sozialgesetzgebung sollte es sein, jene zu begünstigen und zu schützen, denen sie zu dienen hat. Ist der Staat der Auffassung, daß die Entnahme einer Niere schädlich ist, dann hat er das Recht und die Pflicht, dies in allen Fällen zu verbieten.
e) Man sagt, wenn man die Möglichkeit zuläßt, die eigenen Organe für Transplantationen zu verkaufen, begünstige man indirekt den Handel mit diesen Organen und daher den Profit von Einzelpersonen. Wenn es aber die Absicht des Staates ist, diesen Handel zu verhindern, dann hat er auch gegen jene vorzugehen, die aus diesen Organtransaktionen Profit schlagen. Die Sittenwidrigkeit des Organhandels entsteht nicht durch Organspende gegen Bezahlung, sondern durch die kommerziellen Aktivitäten, die sicherlich zur Ausnützung der Not der „Spender“ und der der „Empfänger“ führen könnten, nicht aber durch die Handlung an sich.
Gegen einen Markt für Organe spricht sich entschieden G.Berlinguer14 aus. Der Autor kritisiert in scharfen Worten vor allem die Vorschläge von J.Harris und klassifiziert sie als Versuch einer rechtfertigenden Bioethik. Einer Bioethik, die dazu neigt, die Begriffe zu verharmlosen, um unmoralische Vorschläge zu verbreiten.
Berlinguer weigert sich, den menschlichen Körper als Gegenstand des Eigentums und des Handels anzusehen, was er für ein grundsätzliches moralisches Prinzip hält. Auf diesem Prinzip, so beteuert er, wurde ein Großteil der modernen Zivilisation aufgebaut, so die habeas corpus Akte, die Abschaffung der Sklaverei, das Recht auf Gesundheit und die Befreiung der Frau. Heute, wo sich viele Bande der Solidarität aufzulösen scheinen, kann dieses Prinzip eine der Grundlagen dafür sein, daß sich jeder als Teil der Menschheit wiedererkennt, wohingegen seine Verletzung uns um Jahrhunderte zurückwirft. Für den Autor ist die Alternative:
a) Vorsorge und Heilung. Man kann die Nachfrage nach Transplantationen durch Vorsorge und wirksame Therapie bedeutend reduzieren.
b) Organisation der Nachfrage. Ein großer Teil der Angebote wird weder gesammelt noch genützt, weil die Vernetzung der Einrichtungen fehlt und Autarkie, Eifersucht und Isolation vorherrschen.
c) Förderung der Spende und der Gesetzesregelung im „stillen Einverständnis“. Es ist notwendig, eine ständige Bildung und Information anzubieten, um die Einwilligung zur Spendung zu erhalten und – wie beispielsweise in Frankreich – durch ein Gesetz festzulegen, daß alle Organe von Toten immer entnommen werden können, ausgenommen die betreffende Person hat zu Lebzeiten einen entgegengesetzten Willen geäußert (Widerspruchslösung).
d) Entwicklung der Forschung auf dem Gebiete der Xenotransplantationen und vor allem bei künstlichen Geweben und Organen. Der Gebrauch von Organen, die von mehr oder minder ähnlichen Wesen stammen, wirft ebenfalls moralische Fragen auf. Doch könnte dies auch als Weg betrachtet werden, der dem Kauf und Verkauf menschlicher Organe vorzuziehen ist. Auch diese Techniken sollten vorangetrieben werden.
Schließlich meint der Autor, daß der Weg zum Markt, schon weil er eine leichte und schnelle Abkürzung bietet, die Impulse für stabile und weitergreifende Lösungen eher behindert. Das gegenwärtige Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage von Organen darf nicht zur Zerstörung moralischer Grundsätze führen und kann nicht Entwicklungen blockieren, die annehmbare Lösungen anbieten und die einen gemeinsamen Fortschritt von Wissenschaft und Solidarität fördern.
Die Position der Katholischen Kirche besagt, daß eine Kommerzialisierung der Organe vom ethischen Standpunkt gesehen unanehmbar ist, weil der menschliche Körper nicht als Eigentum angesehen werden kann, so wie ein jeder von uns nicht alles machen kann, was er will. Gott ist der Herr des Lebens. Der Mensch ist Person und deshalb immer Ziel und nie Mittel. Der Körper ist wesentlicher Bestandteil der Person und daher Quelle moralischer Forderungen.15
Der Verkauf von Organen wird a priori abgelehnt. Das Lehramt der Kirche preist den Dienst am Leben, der soweit geht, die Spende und die Transplantation von Organen anzunehmen. Jede Transplantation von Organen ist jedoch ein Eingriff, der in gewisser Weise die körperliche Integrität des Spenders verringert.16
Denken wir an die schweren Schäden, welche die „bezahlten“ Spender aus armen Ländern erlitten haben, die die reichen Länder beliefern und die einer Entnahme unter oft illegalen, unmoralischen Bedingungen ohne medizinische Kontrolle unterzogen wurden mit dem Risiko, bei der Organspende an die „Mächtigen der Welt“ das Leben zu verlieren.
Die Kirche verteidigt in diesen Situationen die Rechte der Armen und stimmt lediglich der kostenlosen Organspende zu, als Zeichen des Respektes vor der Würde des menschlichen Körpers, die immer bewahrt bleiben muß. Daher fordert die Kirche, daß eine Organtransplantation nicht vorgenommen werden darf, wenn sie die Gesundheit des Spenders oder des Empfängers gefährdet.
Betrachten wir nun die ethischen Grundsätze, die Transplantationen legitimieren. Die Transplantationen an der eigenen Person (Autoplastik) sind durch das Totalitätsprinzip gerechtfertigt. Auch Transplantationen auf andere Menschen sind aufgrund des Prinzipes der Solidarität, das alle Menschen vereint und wegen der Liebe, welche die Spende dem Leidenden zuwendet, erlaubt.
Für die Kirche ist die unentgeltliche Solidarität nicht reiner Sentimentalismus des Augenblickes, vielleicht auch durch das Leid beeinflußt, sondern höchste Entschlossenheit, sich für das allgemeine Wohl einzusetzen. Bei Transplantationen sind der Solidarität Grenzen gesetzt, die nicht überschritten werden dürfen, da sonst die physische Integrität des Spenders leiden könnte. Die Entnahme von Organen für homoplastische Transplantationen kann vom lebenden Spender nur unter der Voraussetzung angenommen werden, daß das entnommene Organ für ihn keine schwere Behinderung bringt. Die Entnahme von einem Toten darf nur vorgenommen werden, nachdem der Hirntod diagnostiziert wurde.
Man betont den Hingabe-Charakter der Spende gegen die Möglichkeit der Spekulation oder mißbräuchlichen Vermarktung mit dem Risiko der Instrumentalisierung des manchmal durch die Armut gezwungenen Spenders. Die unentgeltliche Organspende offenbart unsere fundamentale Berufung zur Liebe. Die Spende von Organen nach dem Tod ist ein wahrhaftiger Akt großer Liebe, ein Zeichen der Nachahmung Christi, der sein Leben für uns hingegeben hat.
Interessant ist die Frage der möglichen Annahme einer Art Entschädigung von seiten des Spenders. Pius XII. hielt es – als er über die Spende von Hornhaut und von Bluttransfusion sprach – für ein großes Verdienst des Spenders, eine Entschädigung abzulehnen, nicht aber notwendigerweise für eine Schuld, wenn er sie annimmt.17
5 Internationale Gesetzgebung
Ein Blick auf die internationale Gesetzgebung über den Handel mit Transplantationsorganen signalisiert die Existenz verschiedener Versuche, doch wenige und unsystematisch, konkrete Ergebnisse:
Weltgesundheitsorganisation: Die GUIDING PRINCIPLES von 1991 geben Hinweise auf das Verbot eines Handels mit Transplantationsorganen.
Europarat: Ministerkomitee 1978, Artikel 09, Resolution R (78) 29; STEERING Komitee über Bioethik AS/Soc (1994) 20 vom 16.Juni 1994. Es wird bekräftigt, daß die Organe nicht Profitquelle sein können und daß die Organe nicht zum Zweck des Gewinnes für Transplantationen bereitgestellt werden dürfen.
Europäische Union: Resolution des Europarates vom 14.9.1993. Sie enthält: a) den Grundsatz der Unentgeltlichkeit der Spenden und der Anonymität des Spenders gegenüber dem Empfänger; b) den Grundsatz des Ausschlusses jeglicher zusätzlichen Vergütung für einen medizinischen Eingriff zur Organtransplantation.
Französische Gesetzgebung: AVIS vom 13.12.1990. Die Position im französischen Recht ist klar. Die Kommerzialisierung des menschlichen Körpers ist nicht erlaubt. Der Körper ist keine Sache und kann daher auf diese Weise nicht genutzt oder nutzbar gemacht werden.
Abschließend zu diesem juristischen Exkurs kann festgestellt werden, daß die internationale Staatengemeinschaft – jedenfalls bei der internen Gesetzgebung – der grundlegenden Überzeugung ist, daß der Organhandel zum Zwecke der Transplantationen entschieden zu verbieten ist. Das heißt jedoch nicht, daß nicht ein einvernehmliches Instrument nötig wäre, das, den Richtlinien der bisherigen Entwicklung folgend, den Organhandel mit unmißverständlichen Formulierungen verbieten würde. Dabei sollten auch die Grenzbereiche möglicher juristischer Konflikte geklärt werden, um eine Bestrafung der Schuldigen zu ermöglichen.
6 Unsere Position
Die Logik der Organspende, wie sie von der Kirche nachhaltig unterstützt wird, soll mit einer aufmerksamen Schulung des Gewissens einhergehen, das heißt, die Sensibilität für die Verfügbarkeit zur Solidarität ist zu fördern. Im Lichte dieser Überlegungen gibt es Platz für eine ständige Erziehung zur Spende eigener Organe, die, einem anderen eingepflanzt, Heilung bringen. Außerhalb der Spende gibt es nur eine einzige Möglichkeit, die eine Transplantation aktualisiert: den Organhandel, Alptraum für den technisch-medizinischen Fortschritt und Gipfel der menschlichen Begierde.
Der Körper kann weder als eine simple, physische oder biologische Einheit behandelt werden, noch können seine Organe wie Verkauf- oder Tauschartikel verwendet werden, andernfalls wäre eine Organtransplantation nicht mehr ein Akt der Spende, sondern eher eine Beraubung oder eine unrechtmäßige Ausbeutung eines Körpers.
Das grundlegende Kriterium für die Ethik der Transplantation ist also der Respekt vor dem Menschen als Person. Die Transplantation steht im Dienste des Lebens, nämlich es zu verteidigen und zu begünstigen. Diese Logik soll die Mediziner anhalten, für einen Eingriff einige Bedingungen einzuhalten: Die ausdrückliche und formelle Zustimmung des lebenden Spenders – oder falls er tot ist – seiner engsten Angehörigen – weiters sollte der Empfänger nach der Transplantation ein „harmonisches“, menschliches Leben haben. Und schließlich geht es um eine gute Planung der Ausrüstung und der Wirtschaftlichkeit.
Wir sind gegen jede Form eines Organhandels. In einer Welt, die von technologischer Effizienz dominiert wird, ist es nötig, zum Wert einer völlig unentgeltlichen Organspende zurückzukehren. Man muß die Kultur der Spende fördern, indem man Gruppen von Freiwilligen bildet, die zur Spende bereit sind. Auch die Erstellung nationaler und internationaler Gesetze ist wie folgt zu fördern:
a) Regelung der Organspende;
b) jede Art von Organtausch aus Gewinnzwecken ist zu verbieten;
c) die Ursachen für diesen Handel sind zu verhindern bzw. ist ihnen zuvorzukommen;
d) Personen, Einrichtungen oder Staaten, die an diesem Handel teilnehmen, sind anzuzeigen und zu bestrafen.
Seminararbeit am Camillianum, Internationales Institut für Krankenseelsorge vom Wintersemester 1996/97
Seminarleiter: Prof. Antonio Puca M.E.
Referenzen
- Vgl.Avvenire, 10.8.1994, S 13
- ebenda
- Vgl Merril J.P., Statement of the Committee on Moral and Ethics of the Transplantation Society, Annual International Medicine, Vol 75, 1971, SS 631-633
- Vgl. Chianura C., Il ministro: „Temo per i bimbi clandestini“, in La Repubblica, 23.9.1994, „Le Figaro“ 14.1.1944, S 24
- „La Repubblica“ 2.9.1994, „The Independant“ 13.8.1994, „Hoy“ 15.12.1993, „Opinion“ 15.12.1995.
- Rapporto CODEHUCA, 25.8.1988.
- Rapporto AIGD, 12.8.1988
- Rapporto OMCT, 8.3.1994
- Rapporto E/CN, 4/1993/67, 12.1.1993, „Sale of Children“, S 18-22
- Ebenda S 41-48
- Fox C., Swazey P., „I trapianti di organi e di tessuti. Aspetti socioculturali“, in „Kos“, Vol IX (1994) n.97, S 16-23
- Harris J., „Un mercato per gli organi“, in „Le Scienze Quaderni“ n.88, S 81-83
- Sapienza R., „La legislazione internazionale“, in „Bio- etica e Cultura“, Vol V (1996) n.09, S 61-67
- Berlinguer G., „Contro il mercato degli organi“, in „Le Scienze Quaderni“, n.88 (1996), S 84-85
- Charta der im Gesundheitsdienst tätigen Personen, Vatikanstadt, 1995, Nr 38-41
- ebenda, Nr. 83
- ebenda, Nr. 90, Fußnote Nr. 189
Margerita Habsburg-Lothringen
Hintzerstraße 9/16
A-1030 Wien