Editorial
Vor einem halben Jahrhundert galten Organtransplantationen noch als Zukunftsvision, heute sind sie medizinischer Alltag geworden. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur weiterhin steigenden Lebenserwartung und zur Verbesserung der Lebensqualität. Die Gesamtzahl der Menschen, die heute dank eines Fremdorgans noch leben, ist im Vergleich zur Weltbevölkerung gering. Betrachtet man aber Person für Person, denn jedem einzelnen kommt ein unermeßlicher Wert und personale Würde zu, so ist deren Zahl dennoch beachtlich. Es ist erstaunlich, daß aber gerade in den Ländern, die sich eines größeren Wohlstandes erfreuen, kritische Stimmen laut werden, die der Organtransplantation ablehnend gegenüberstehen. Die Nutznießer selber also zweifeln am „Segen“ jenes medizinischen Fortschrittes. Die Diskussion hat erst begonnen und es scheint absehbar, daß sie noch eine Weile andauern wird. Wir greifen daher in diesem Heft die Frage auf und wollen dadurch einen Beitrag leisten.
Für die Naturwissenschaft ist Fortschritt jeweils das, was zur Beherrschung der Natur führt und eine Erleichterung für das Dasein des Menschen darstellt. Die Realisierung der Machbarkeit wird zum Bestandteil der Kultur. Odo Marquard, der bekannte Kulturphilosoph, beschrieb ein interessantes Phänomen. Fortschritte scheinen jeweils drei Stadien zu durchlaufen: erst werden sie begrüßt; dann werden sie selbstverständlich; schließlich ernennt man sie zum Feind. „Die Entlastung vom Negativen – gerade sie – disponiert zur Negativierung des Entlastenden. Was ich mit dieser abstrakten Formel meine, erläutere ich zunächst durch drei Beispiele: je mehr Krankheiten die Medizin besiegt, desto größer wird die Neigung, die Medizin selber zur Krankheit zu erklären; je mehr Lebensvorteile die Chemie der Menschheit bringt, um so mehr gerät sie in den Verdacht, ausschließlich zur Vergiftung der Menschheit erfunden zu sein; und: je länger Kriege vermieden werden, desto gedankenloser gilt die vorhandene Friedensvorsorge als pure Kriegstreiberei. Kurzum: die Entlastung vom Negativen – gerade sie – disponiert zur Negativierung des Entlastenden; die Befreiung von Bedrohlichem – gerade sie – läßt das Befreiende bedrohlich erscheinen“1.
Diese Dynamik beobachten wir auch bei der Organtransplantation. Vor mehr als 30 Jahren wurden die Versuche des Herzchirurgen Barnard jubelnd begrüßt. Durch seine Arbeiten wurde ein Stein ins Rollen gebracht, die große Karriere der Transplantationsmedizin hat begonnen. Der Jubel ist verebbt. Das Außergewöhnliche ist vielerorts zur Routine geworden und darüber hinaus haben sich Zweifler und Skeptiker lautstark zu Wort gemeldet. Manche lehnen die Organtransplantation strikte ab. Was ist passiert? Ein Motiv für die Ablehnung der Transplantationsmedizin muß im radikalen Naturalismus gesucht werden. Ein rasch sich ausbreitender Ökologismus beurteilt das, was „natürlich“ im Sinne von naturbelassen ist, als gut und das Künstliche hingegen als schlecht. Dieses Bewertungsschema läßt sich allerdings nur schwer nachvollziehen: was bleibt noch an Natürlichem in dieser Welt, in der über Jahrtausende hinweg die Menschen in die Natur eingegriffen haben?
Auch die Debatte rund um die Hirntoddefinition leistet ihren Beitrag, um die Transplantationsmedizin in ein schiefes Licht zu stellen. Die oben zitierten marquard‘schen Stadien können auch in diesem Bereich beschrieben werden. Der anfänglichen Begrüßung ist Selbstverständlichkeit gewichen, zur Zeit wird versucht, die Hirntoddefinition zum Feind zu erheben. Auch diese Diskussion ist längst nicht abgeschlossen, wie am Beispiel Deutschland beobachtet werden kann. Zu diesem Thema hat unser Institut viel gearbeitet. Vor zwei Jahren wurde das Buch „Der Status des Hirntoten“ im Springer Verlag herausgegeben. In der vorliegenden Ausgabe von Imago Hominis bringen wir einen Aufsatz des renommierten Wiener emeritierten Neuropathologen F. Seitelberger.
Bei genauer Beobachtung der Diskussion, ständig bedroht in eine Polemik abzugleiten, scheint sich aber langsam doch ein Konsens abzuzeichnen. Befürworter und Gegner des Hirntodes sind sich darüber einig, daß in jedem Fall gegen eine Organentnahme ethisch nichts einzuwenden ist. Viele weitere wichtige Fragen im Zusammenhang mit Organtransplantation bleiben aber in diesem Heft und auch im nächsten noch unberührt. Wir haben vor, diese Fragen nach und nach zu behandeln, und würden uns freuen, wenn Interessenten uns Beiträge, die diese Thematik von verschiedenen Seiten her beleuchten, zusenden würden.
Andere Beiträge dieser Ausgabe behandeln die Transplantationsgesetze im internationalen Vergleich (W. Feiel), das Transplantationswesen in Österreich (Th. Schuster, M. Willinger), Initiativen zur Erhöhung des Spendeaufkommens (C. Wight, B. Cohen) und eine allgemeine ethische Überlegungen zur Transplantationsmedizin (N. Auner).
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Allen Lesern wünschen wir ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr '98!
Die Herausgeber