Diese rechtliche Argumentation ist übrigens falsch, weil es in Österreich derzeit gar kein „Recht“ auf einen assistierten Suizid gibt. Grund ist die Weigerungsklausel, die ebenfalls im Gesetz steht: Niemandem kann die „Pflicht“ auferlegt werden, bei Selbsttötungen mitzuwirken.
Man muss sich jedenfalls vor Augen führen, wie schnell alles umgesetzt werden musste. Das „Sterbeverfügungsgesetz“ wurde am 16.12.2021 in der letzten thematisch völlig überladenen Parlamentssitzung beschlossen – mit den Gegenstimmen von nur einer Partei. Kurz darauf – am 2.1.2022 – kamen überraschenderweise die ersten Anfragen von suizidwilligen Personen. Zu dieser Zeit hatten wir nicht einmal die Präparateverordnung des BMSGPK (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz). Erst diese Verordnung enthielt so etwas wie eine kurzgefasste Betriebsanleitung für den assistierten Suizid seitens des Ministeriums. Sie wurde allerdings erst im Jänner 2022 nachgereicht, als das Gesetz schon in Kraft war.
Es hat dann noch eine weitere Zeit gedauert, bis die Notariatskammer, die Apothekerkammer und die Ärztekammer damit befasst waren, Stellungnahmen für ihre jeweiligen Berufsgruppen abzugeben, um die Vorgehensweise zu regeln und zu klären, wie welche Listen einzureichen sind. Das hat alles Monate gedauert.
Schließlich lag noch ein Hund darin begraben, dass die meisten Palliativmediziner in Österreich – fast 100 Prozent – Angestellte einer Institution sind, die auch an deren Vorgaben gebunden sind. Wenn ein Angestellter bei einer Selbsttötung mitwirken will, kann er in vielen Fällen derzeit zum Beispiel die Aufklärungsgespräche über den assistierten Suizid nur als Nebenbeschäftigung außerhalb seines regulären Arbeitsverhältnisses vornehmen. Oder aber: Man hält sich an die Vorgaben der Institution, bei der man beschäftigt ist. Wobei auch diese unterschiedlich gehandhabt werden: Manche Institutionen haben solche Vorgaben als Leitlinien, andere nicht. Auf die Vorgaben der Träger muss man meinem Eindruck nach am längsten warten.
Mit etwas Ähnlichem wird man auch in Deutschland rechnen müssen: Sobald das Gesetz in Kraft ist, werden die Interessierten sofort nachfragen: Zu diesem Zeitpunkt fehlt dann aber der regulatorische Rahmen, so dass es in der Praxis natürlich nicht funktioniert.
Bioethik aktuell: Ihre Statistik weist aus, dass in Krankenhäusern kein assistierter Suizid stattfindet, sondern meist im privaten Umfeld.
Weixler: Es ist auch laut Gesetz nicht vorgesehen, dass dies in Krankenhäusern passiert. Nach unserer Datensammlung wurde von keinem assistierten Suizid in einer Klinik berichtet. Registriert haben wir zwei Fälle von assistierten Suiziden in Pflegeheimen. Juristisch gesehen sind das aber Wohnorte. Einen Fall gibt es in unserer Statistik in einem Hospiz, der ebenfalls als Wohnort gilt. Damit sind alle uns bekannten assistierten Suizide im privaten Umfeld erfolgt.
Krankenhäuser verbieten den assistierten Suizid aber nicht. Das dürfen sie nach der derzeitigen Rechtslage auch nicht. Wenn einer die vorgesehene Prozedur durchlaufen hat, würden sie dieser Person das gesetzlich festgestellte Recht verwehren, das ihm durch den Gesetzgeber jetzt zugestanden worden ist. Es wird auf lange Sicht wohl keine Institution in Österreich geben, die das nach eigenem Hausrecht verbieten kann.
Bioethik aktuell: Eine weitere Verfassungsklage steht im Raum, mit der auch Töten auf Verlangen in Österreich erlaubt werden soll. Bereitet sich die OPG darauf schon vor?
Weixler: Nach den Erkenntnissen, die mir vorliegen, steht ein solches Vorhaben nicht im Raum. Der rechtliche Rahmen ist vom Verfassungsgerichtshof so gebaut, dass es schwierig wird, das bislang Existierende zu erweitern. Das will der Gesetzgeber derzeit nicht. Natürlich gibt es einzelne Juristen, die die Tötung auf Verlangen als logische Fortsetzung des assistieren Suizids sehen. Man möchte das jetzt Erreichte aber nicht in weiteren Misskredit bringen.
Bioethik aktuell: Was stört Sie an der Rolle des „Aufklärenden zum Assistierten Suizid“, wie es im Gesetz heißt?
Weixler: Wir sind in einer Dilemma-Situation. Gemäß der Definition der Weltgesundheitsbehörde (WHO) für Palliative Care und auch entsprechend der allgemeinen europäischen Haltung – mit der Ausnahme Belgien – sind wir in der Palliativmedizin anderen Zielen verpflichtet. Dazu gehört die Zielvorgabe, dass wir in der Palliation weder das Leben verkürzen, noch den Tod hinauszögern. Das Ziel, den Tod nicht hinauszuzögern, kommt 100 Mal häufiger vor als eine Problemstellung, wie sie beim assistierten Suizid vorliegt.
Wir haben beim assistierten Suizid einen Konflikt, was unsere Werte, Rollen und Ziele angeht. Es ist eine Zumutung, dass wir für die Ausführung von Selbsttötungen zuständig gemacht werden. Die Werte in der Medizin widersprechen auch dem eigentümlichen juristischen Konstrukt der „Autonomie zum Suizid“. Da werden so viele andere Faktoren ausgeblendet, die einen Menschen dazu bringen, dass er sein Leben frühzeitig beenden will.
Bioethik aktuell: Wie groß ist der Einfluss des sozialen Umfelds beim Sterbewunsch?
Weixler: Das soziale Umfeld spielt eine sehr große Rolle bei solchen Entscheidungen. Die Nachrichten auf unserer Web-Plattform sind voll von Themen, die Bezug zum sozialen Umfeld haben. Bei älteren Menschen ist es häufig so, dass das soziale Umfeld zerbrochen ist, weil Freunde gestorben sind oder der Ehepartner nicht mehr da sind. Aus der Literatur wissen wir, dass Einsamkeit ein starker Faktor ist, der die Gedanken in Richtung Lebensende lenkt. Häufig ist da die Angst vor dem ‚Ich weiß nicht, was noch kommt‘. Und die Vorstellung: ‚Es kann nur noch schrecklicher werden. Ich beende mein Leben jetzt unter kontrollierten Umständen.‘ Und dass man das jetzt selbst 'entscheiden muss'. Das baut einen großen Druck auf.
Bioethik aktuell: Palliation und Euthanasie, Palliativmedizin und Suizidbeihilfe sind eigentlich grundverschiedene Dinge hinsichtlich der Vorgehensweisen und Ziele. Befürchten Sie durch Änderung des Vorzeichens – Lebenserhalt versus Lebensbeendigung – einen Schaden für ihr Fachgebiet?
Weixler: Ja, wenn es so geregelt wird wie in Kanada zum Beispiel. Die Kollegen dort haben schon sehr früh berichtet, dass das Fachgebiet der Palliativmedizin Schaden genommen hat. Insgesamt war die Klarheit eingetrübt, wofür Palliativmedizin oder das Hospiz überhaupt stehen. Patienten fragen inzwischen: ‚Unterstützen Sie mich in der medizinischen Einrichtung, oder bieten sie eine Tötung auf Verlangen oder einen assistierten Suizid an?‘ In Kanada müssen die Angestellten der Palliativeinrichtungen das tatsächlich machen. In Österreich sind wir nicht so weit und damit noch in einer glücklichen Situation.
Das Gespräch führte Bioethik aktuell-Redakteur Rainer Klawki.