Jede fünfte Frau, die ein Kind nach einer IVF zur Welt bringt, bekommt später noch ein weiteres Kind nach einer spontanen Empfängnis – ganz ohne medizinische Behandlung. Das zeigt eine in Human Reproduction (2023, 38 (8), 1590-1600 https://doi.org/10.1093/humrep/dead121) publizierte Metastudie. Bereits früherer Untersuchungen hatten eine zu frühe und häufige Anwendung der künstlichen Befruchtung kritisch analysiert (Bioethik aktuell, 11.5.2023).
Kritik an WHO-Definition von „Unfruchtbarkeit“
Die Ergebnisse der nun von Annette Thwaites (Institute of Women’s Health, University College London) und ihrem Team veröffentlichen Daten stellen den engen Zeitraum der WHO-Definition von „Unfruchtbarkeit“ in Frage. Dort heißt es: „Unfruchtbarkeit ist eine Erkrankung des männlichen oder weiblichen Fortpflanzungssystems, die dadurch gekennzeichnet ist, dass es nach 12 Monaten regelmäßigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs nicht zu einer Schwangerschaft kommt.“
Mehrere Studien zeigen, dass 12 Monate offenbar zu knapp bemessen sind, um von einer medizinisch gesicherten Unfruchtbarkeit zu sprechen. Tatsächlich kommt es in dieser Zeit zwar bei 80 % der Frauen zu einer natürlichen Schwangerschaft. Das aber heißt nicht, dass die restlichen 20 Prozent unfruchtbar sind – es braucht möglicherweise nur ein wenig Geduld. So zeigt die aktuelle britische Studie, dass von jenen Frauen, die im ersten Jahr nicht schwanger wurden, es die Hälfte aber im zweiten Jahr schafft.
Wenn eine Frau nach IVF natürlich schwanger wird, ist das kein Wunder
Für ihre Analyse werteten die Public-Health-Forscherinnen 11 internationale Studien aus, in denen 5.180 Frauen nach einer erfolgreichen IVF-Behandlung über 2 bis 15 Jahre nachbeobachtet wurden. Der Anteil der Frauen, die in dieser Zeit erneut und dieses Mal auf natürlichem Weg – meist innerhalb von drei Jahren – schwanger wurde, betrug 20 % Diese Zahl blieb auch bei Berücksichtigung von Kontrollvariablen wie Alter, Dauer der Subfertilität sowie die Dauer der Nachbeobachtung unverändert.
Dennoch besteht bei Paaren, bei der nach 12 Monaten Ausbleiben einer Schwangerschaft ohne geklärte Ursache (idiopathisch) schließlich eine IVF durchgeführt wurde, die Überzeugung, dass sie es auf natürlichem Wege wohl nicht geschafft hätten. Diese Einschätzung wird von der Boulevardpresse bestätigt, die bei Prominenten gerne von „erstaunlichen“ oder „Wunderschwangerschaften“ spricht. Thwaites und ihre Kolleginnen hingegen raten den Frauen sogar nach einer IVF zu verhüten, wenn sie keine Kinder mehr bekommen wollen bzw. Frauen, die sich nach IVF noch ein Kind wünschen, nicht gleich wieder eine IVF zu machen, sondern abzuwarten, ob es nicht auf natürlichem Weg klappt.
IVF-Verfahren wird zu früh angewendet und ist mit Risiken behaftet
Angesichts der erhöhten Gesundheitsrisiken, denen sowohl Frau als auch Kind durch ein IVF-Verfahren ausgesetzt sind, und der erheblichen finanziellen Kosten einer IVF müssen zu häufige und zu frühe Interventionen im Bereich der Reproduktionsmedizin kritisch hinterfragt werden. Bei einer IVF-Schwangerschaft besteht u.a. ein erhöhtes Risiko für Nierenerkrankungen, Arrhythmien, Riss der Fruchtblase, Mehrlingsschwangerschaften, Frühgeburten und Kaiserschnitt. Schon seit längerem mahnen Reproduktionsmediziner, dass die Methode der künstlichen Befruchtung offenbar zu leichtfertig angewendet wird (vgl. Bioethik aktuell, 11.2.2014) statt alternative und schonender Therapien anzuwenden.
Wunscherfüllende Medizin: Am Weg zur „geriatrischen Geburtshilfe“
Insgesamt ist zu beobachten, dass die WHO ihre Politik ändern will. Die auf medizinischer Basis definierte Unfruchtbarkeit soll durch den weit gefassten Begriff einer „sozialen Unfruchtbarkeit“ ersetzt werden. Sprich: Jede/r, der bzw. die keinen geeigneten Sexualpartner findet, soll als „unfruchtbar“ gelten und damit Anspruch auf finanzielle staatliche Unterstützung haben, um sich einen Kinderwunsch zu erfüllen. Zielgruppe sind homosexuelle Männer und Frauen, aber auch Alleinstehende. Im Hinblick auf die wachsende Anzahl von Frauen über 40 oder Frauen nach der Menopause, die sich noch ihren Kinderwunsch erfüllen wollen, denkt man inzwischen auch über eine Spezialisierung der Reproduktionsmedizin auf die sog. „geriatrische Geburtshilfe“ nach (vgl. Kummer, S. Leben aus dem Labor. 40 Jahre Reproduktionsmedizin - eine Übersicht. Imago Hominis (2017); 24(1): 015-034).
Die American Society for Reproductive Medicine will diese Entwicklung offenbar beschleunigen. Als erste medizinische Fachgesellschaft hat sie sich von einer rein medizinischen Begründung der Unfruchtbarkeit verabschiedet. „Unfruchtbarkeit ist eine Krankheit, ein Zustand oder ein Status", heißt es nun in der neuen Definition der ASRM (Pressemitteilung, 14.10.2023). Sie kann also auch auf aus medizinischer Sicht gesunde hetero- und homosexuelle Paare, Singles oder Menschen mit altersbedingter Unfruchtbarkeit zutreffen. Diese Gruppen dürften in ihrem Kinderwunsch nicht diskriminiert oder benachteiligt werden. Samen- und Eizellspende sowie „Spenderembryonen“ sowie Leihmutterschaft sollen demnach als „therapeutische Verfahren“ zur Verfügung stehen.