Am Leitbild, dass Suizid „etwas Tragisches, das es zu verhindern gilt“ sei, müsse in Österreich festgehalten werden, erklärte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zum Abschluss der Salzburger Bioethik-Dialoge. Den Spielraum, welcher der Politik nach dem VfGH-Erkenntnis vom Dezember verbleibe, solle daher „restriktiv und präventiv“ gestaltet werden, so die Ministerin, berichtet ORF Online (1.5.2021)
Vordergründige Aufgabe als Gesellschaft bei dem Thema sei es, „Suizidwilligen dabei zu helfen, den Lebenswillen wiederzufinden“, unterstrich Edtstadler. Dabei gelte es aufzuzeigen, welche Alternativen zur Selbsttötung es gebe, darunter vor allem die therapeutischen und palliativmedizinischen Möglichkeiten für die Linderung von Leiden. Erst wenn Betroffene dieses Wissen hätten, könne man von einer freien und aufgeklärten Entscheidung sprechen, welche der VfGH als Bedingung für assistierten Suizid genannt hatte. Sie hoffe darauf, dass dabei in vielen Fällen „nicht nur Suizid abgewandt, sondern auch die Situation der Betroffenen verbessert werden konnte“, so die VP-Ministerin.
Edtstadler bekräftigte ihr Vorhaben, noch vor dem Sommer ein Gesetzesvorschlag zur Umsetzung der VfGH-Vorgaben zu präsentieren, damit dieser im Herbst die nötigen Instanzen passieren könne. „Lösungen über Parteigrenzen hinweg“ müssten gefunden werden. Edtstadler sprach auch das Dialogforum an, das eine Woche im Justizministerium getagt hatte. Dessen Ziel sei gewesen, die Grundlage für den Gesetzesentwurf aufzubereiten und eine Position zu finden. Wichtig erscheine ihr, dass die Willensfreiheit nicht nur für Sterbewillige, sondern auch für Dritte gelte, sagte die Ministerin. Es gelte abzusichern, dass niemand in die Situation komme, gegen seinen Willen Unterstützung beim Suizid leisten zu müssen.
Die Salzburger Bioethik-Dialoge, in deren Rahmen sich Edtstadler äußerte, waren 2020 infolge der Sterbehilfe-Diskussion als regelmäßiger Expertenaustausch vom „Salzburger Ärzteforum für das Leben“, von der Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU) Salzburg und der Österreichischen Ärztekammer gestartet worden. Nach mehreren Webinars zum Thema „Sterbehilfe – Quo Vadis Austria?“ diskutierten beim abschließenden Symposium u.a. Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres, Hospizverbands-Präsidentin Waltraud Klasnic, der Sozialethiker Clemens Sedmak, der Theologe Matthias Beck, die Ethikerin Susanne Kummer sowie namhafte Psychiater sowie Intensiv- und Palliativmediziner.
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, betonte, dass es "keine Aufgabe von Ärzten" sei, "jemand vom Leben in den Tod zu befördern". Er spricht von einem "Tabubruch": Eine medizinische Indikation gäbe es "nur zum Heilen, nicht zum Töten". Szekeres lehnt es auch kategorisch ab, dass Ärzte Rezepte für Selbsttötungspräparte wie Natrium-Pentobarbital ausstellen sollen. "Wir verschreiben nur Heilmittel. Hier kommen Gifte zum Einsatz, die töten. Deshalb können wir sie nicht verschreiben", betont der Ärztekammerpräsident.
Die Ausgestaltung des Gesetzes müsse die Erfahrung der „Praktiker“ berücksichtigen, forderte Christa Rados, Past-Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Der freie Wille eines Menschen könne durch Krankheiten wie etwa Depression stark eingeschränkt sein, wobei dieser „Tunnelblick“ erst durch einen intensiven Gesprächsprozess erkennbar sei, so die Primaria am LKH Villach. Aufgabe der Psychiatrie sei es, diesen Blick zu weiten. Für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit seien Fachexpertise und die Trennung von Gutachtung und Beratung unverzichtbar, so Rados, die zudem mit dem Vorschlag aufhorchen ließ, diese Begutachtung bei Gerichten anzusiedeln.
Zur Sicherstellung „grundlegender Prinzipien“ bei der Suizidhilfe-Gesetzgebung appellierte Hospizverbands-Präsidentin Waltraud Klasnic im Rahmen des Symposions. Der Schutz vulnerabler Gruppen und der beteiligten Berufsgruppen vor Druck gehöre hier unverzichtbar dazu. Die ehemalige steirische Landeshauptfrau drängte zudem darauf, den von der Politik bereits beschlossenen Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung endlich umzusetzen. Ein Konsens zwischen Politik und Gesellschaft sei bei diesem Thema ohnehin absehbar. Auf eine bundesweite Vereinheitlichung der Hospiz-Finanzierung drängte auch Karl Schweiger, Obmann der Hospizbewegung Salzburg und Pflegedirektor des LKH Hallein.
Die Bioethikerin Susanne Kummer warnte davor, durch Sterbehilfe die Arzt-Patienten-Beziehung und das gesamte Konzept ärztlicher Versorgung zu untergraben, indem man Ärzte verpflichte, Patienten „das höchste Maß an Selbstschädigung“ zukommen zu lassen. Patientenwünsche dürften nicht uneingeschränkt gelten: „Etwa bei einer Kniearthrose wird man es zunächst immer mit Physiotherapie und Spritzen versuchen, nicht gleich mit einer Prothese“, zog die Geschäftsführerin des Wiener IMABE-Instituts Vergleiche. Wichtig sei zudem, in der Sterbehilfe-Debatte die „richtigen Bilder“ vor Augen zu haben: Vor allem gehe es um ältere Menschen in prekärer Lage und Ängsten, verwies Kummer auf Erfahrungen aus Ländern mit liberaler Regelung.
Wichtig wäre daher, den von der Regierung angekündigten „Pakt gegen Einsamkeit“ unter Einbindung der Zivilgesellschaft konsequent umzusetzen, denn: „Es geht nicht nur um selbstbestimmtes Sterben, sondern auch, wie kann ich selbstbestimmt leben bis zuletzt.“