Als zentralen Punkt des VfGH-Erkenntnis (G 229-230/2023-57* u a. 12. Dezember 2024) bezeichnete die Expertin die Feststellung der Richter, dass die von Sterbehilfe-Befürwortern oft negativ als „Hürden“ bezeichneten Regelungen tatsächlich als Schutzmechanismen fungieren. Diese wirkten „wie ein Sicherheitsgurt, der verhindert, dass Menschen – sei es unter äußerem oder selbst auferlegten Druck – eine Entscheidung treffen, die nicht mehr rückgängig zu machen ist, da sie in ihrem Tod endet“, sagte Kummer. Der VfGH habe die Einrichtung solcher Sicherheitsvorkehrungen eindeutig als legitim und verfassungskonform bezeichnet, „weil das Leben ein zu hohes Gut ist“, betont die Ethikerin im Kathpress-Interview (20.12.2024).
Eine Verkürzung der Fristen wäre nicht im Sinne der Betroffenen
Als verfassungskonform bestätigt wurde auch die gesetzliche Wartefrist von mindestens zwölf Wochen zwischen der ersten ärztlichen Aufklärung und der Errichtung einer Sterbeverfügung (Pressemitteilung, 20.12.2024). Zwar wünsche man sich aus Perspektive der Suizidforschung noch längere Fristen, betonte Kummer, könnten doch suizidale Phasen oft über mehrere Wochen andauern. Zumindest sei jedoch eine weitere Verkürzung dieser Frist, welche „jeder Suizidprävention zuwiderlaufen“ würde, abgewendet worden.
Wo Beihilfe zum Suizid erlaubt ist, steigen die Selbsttötungen insgesamt
Wichtig sei die Wahrung von Schutzvorkehrungen im Sterbeverfügungsgesetz deshalb, da die Legalisierung von Assistiertem Suizid laut internationalen Studien zu einem signifikanten Anstieg der Gesamtzahl der Suizide führe, so die IMABE-Direktorin weiter (Bioethik aktuell, 11.1.2024). Dieselbe Entwicklung sei auch in Österreich zu beobachten. „Als Gesellschaft müssen wir uns gut überlegen, ob wir Zustände wie in den Niederlanden anstreben wollen, wo 26 Menschen täglich durch Tötung auf Verlangen sterben“, mahnte Kummer.
Schutz vor Suizid muss angesichts internationaler Entwicklungen Vorrang haben
Erfreulicherweise weise das jüngste Signal des VfGH jedoch in die andere Richtung und bestätige den gesellschaftlichen Konsens, „dass solche Zustände nicht jenes Ideal eines würdigen Lebensendes sind, das wir in unserem Land fördern wollen“. Statt möglichst viele assistierte Suizide anzustreben, habe der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis unterstrichen, „dass die Aufgabe des Staates in erster Linie die Prävention von Suiziden ist, nicht deren Ermöglichung“.
Der Verfassungsgerichthof hat die bisherige Regelung weitgehend bestätigt
Der VfGH hatte sich nach mehreren 2023 von einem Verein und vier Personen – darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt – eingebrachten Anträgen erneut mit der Sterbehilfe auseinandergesetzt. Die Antragsteller argumentierten unter anderem, durch die vorgeschriebenen „zeitraubenden und kostspieligen“ Formalitäten werde leidenden Menschen ein rascher, begleiteter und selbstbestimmter Tod unter Inanspruchnahme der Hilfe Dritter praktisch unmöglich gemacht.
Der Verfassungsgerichtshof hatte am 20.12.2024 entschieden, dass im Sterbeverfügungsgesetz festgeschriebene Einschränkungen – darunter auch, dass die sterbewillige Person für die Inanspruchnahme von Hilfe eines Dritten beim Suizid schwer krank sein muss, nicht gegen das Recht auf freie Selbstbestimmung verstoßen. Verfassungsrechtlich unbedenklich sei auch die verpflichtende Aufklärung durch zwei Ärzte, wovon einer eine palliativmedizinische Qualifikation aufweisen muss. Diese Regelung solle sicherstellen, dass die Person eine informierte Entscheidung treffen kann, befanden die Richter.
Gültigkeit der „Sterbeverfügung“ wurde verlängert
Vom Verfassungsgericht aufgehoben wurde nur, dass nach der einjährigen Gültigkeit für die Ausstellung einer neuen Sterbeverfügung – mit welcher ein tödliches Präparat zum Zweck der Selbsttötung in einer öffentlichen Apotheke bezogen werden kann – noch einmal ein aufwendiges Verfahren durchlaufen werden muss. Diese Änderung tritt mit 1. Juni 2026 in Kraft.