Bis Mitte Oktober 2021 soll der Gesetzesentwurf zur „Beihilfe zum Suizid“ in Österreich vorliegen. Der Ball liegt seit mehreren Monaten beim Justizministerium (Die Grünen), Uneinigkeiten gibt es zwischen den Koalitionspartnern u.a. in der Frage, wer bei einem Suizid berechtigt sein soll, mitzuwirken (Stichwort: Sterbehilfe-Vereine, Ärzte, Angehörige). Außerdem fehlt eine Einigung auf jene Voraussetzungen, unter denen der Staat duldet, dass jemand zur Selbsttötung die Unterstützung eines Dritten in Anspruch nehmen darf. Dass ein Gesetz zur Beihilfe zum Suizid erlassen, gleichzeitig aber der Ausbau der Palliativversorgung samt Budget auf das kommende Jahr verschoben wird (vgl. Kurier, online 28.9.2021), hat Prominente zu einer Online-Petition veranlasst. Sie fordern eine „Beihilfe zum Leben“.
Offen sind derzeit zahlreiche technische, aber wesentliche Details wie die Feststellung der „freien Willensentscheidung“ oder die Frage, wer die tödlichen Präparate verschreiben und durch welche Stelle sie letztlich ausgehändigt werden sollen.
Sollen angesichts des neu definierten Grundrechts auf Selbsttötung, Apotheker die Pflicht haben, Betäubungsmittel zur Selbsttötung im Sortiment zu führen und an Ärzte, Angehörige oder Suizidwillige auszuhändigen? Ein Blick nach Deutschland zeigt, wie schwierig dies im Detail ist: Dort hat sich die Deutsche Bundesapothekerkammer (BAK) klar gegen eine Abgabepflicht von tödlichen Präparaten zwecks Suizidbeihilfe ausgesprochen. Sie beruft sich dabei auf den Gewissensvorbehalt. Es bestehe keine Verpflichtung für Apotheker, Präparate zum Suizid auszuhändigen oder Suizidwillige in der Apotheke zu beraten. Der Staat solle seine Bemühungen vorrangig darauf richten, die Begleitung der Patienten in der Palliativversorgung zu verbessern (vgl. Bioethik aktuell, 8.7.2020).
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, hatte mehrfach betont, dass die Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sei. Eine medizinische Indikation gäbe es „nur zum Heilen, nicht zum Töten“. Szekeres lehnt ab, dass Ärzte Rezepte für Selbsttötungspräparte wie Natrium-Pentobarbital ausstellen sollen. „Wir verschreiben nur Heilmittel. Hier kommen Gifte zum Einsatz, die töten. Deshalb können wir sie nicht verschreiben“, hatte der Ärztekammerpräsident bereits im Frühjahr betont (vgl. Bioethik aktuell, 2.5.2021).
Szekeres zählt – gemeinsam mit dem Psychiater Ernst Berger, der ehemaligen SP-Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann, Kardinal Christoph Schönborn und der Mediensprecherin der Muslime, Carla Amina Baghajati – zu den Erstunterzeichnern der Online-Petition Beihilfe zum Suizid erlaubt? Aber wo bleibt die Beihilfe zum Leben?. Die an den Nationalrat gerichtete Petition wurde von Franz-Joseph Huainigg (eh. ÖVP-Behindertensprecher), Germain Weber (Präsident der Lebenshilfe) und Dorothea Brozek (Expertin für Behindertenarbeit und Betroffene) gestartet.
Darin heißt u. a., dass Beihilfe zum Suizid „nur in der terminalen Phase einer lebenslimitierenden Erkrankung und an neutralen Orten durchgeführt werden“ dürfe und „keinesfalls in Versorgungs- oder Betreuungseinrichtungen oder unter Einbeziehung von medizinischem und nichtmedizinischem Personal, die in diesen Einrichtungen arbeiten“ Diese würden in „nicht zumutbare Zielkonflikte gestoßen“. Außerdem wird eine verstärkte Suizidprävention gefordert, die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen, Zugang zu Palliativ- und Hospizmedizin für alle sowie die verfassungsrechtliche Absicherung des Verbots der „Tötung auf Verlangen“.
Die ÖVP war bereits vor dem Sommer für eine restriktive und präventive Suizidbeihilfe-Regelung zum Schutz von vulnerablen Gruppen eingetreten. Während die FPÖ die knappe Begutachtungszeit kritisiert, wollen die NEOS kaum Regelungen durch den Staat. Grundsätzlich sollte jeder Selbsttötungen unterstützen und in Anspruch nehmen dürfen – auch Minderjährige (vgl. Wiener Zeitung, online 17.9.2021). Sobald der Gesetzesentwurf vorliegt, können Stellungnahme (max. 6 Wochen lang) eingebracht werden. Aufgrund der knappen Begutachtungszeit wird die parlamentarische Debatte auf wenige Wochen reduziert. Zum Vergleich. In Deutschland debattiert der Bundestag die heikle Frage eines gesetzlichen Rahmens für „Beihilfe zum Suizid“ ohne Zeitdruck bereits seit 20 Monaten.
Auf Basis der Stellungnahme werden etwaige Änderungen bis Anfang Dezember eingearbeitet. Spätestens am 16. Dezember dieses Jahres muss das Gesetz vom Nationalrat beschlossen und anschließend noch vom Bundesrat abgesegnet werden. Nur dann könnte zeitgerecht eine Regelung mit 1. Jänner 2022 in Kraft treten. Ob sie sachgerecht ausfallen wird, bleibt offen.