Die Diskussion über die Reform der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland ist von „einseitigen Perspektiven, unzutreffenden Annahmen und fehlerhaften Ableitungen geprägt“. Neuere pränatalmedizinische Erkenntnisse würden weitgehend ignoriert, und die rechtliche Lage häufig verzerrt dargestellt. Diese Tatsachen erfordern eine sachliche und interdisziplinäre Neubewertung der Thematik. Dies fordern neun Fachexperten, unter ihnen Gynäkologen, Medizinrechtler und Richterinnen in einem Gastbeitrag "Ein Körper, zwei Personen" für die FAZ (27.11.2024).
Dank der Pränatalmedizin wird der Fetus als eigenständiges Wesen sichtbar
Eine Schwangerschaft bedeute biologisch das autonome Heranreifen eines neuen genetisch und strukturell eigenständigen Menschen im Körper der Frau, so die Verfasser. Der Fetus entwickelt sich weitgehend unabhängig, indem er aktiv Nährstoffe und Sauerstoff über die Plazenta aufnimmt. Die Fortschritte in der Pränatalmedizin erlauben es, den Fetus immer früher und genauer in seiner Individualität zu diagnostizieren. Bereits nach der zwölften Schwangerschaftswoche ist eine detaillierte Analyse des Gesundheitszustands mit hoher Genauigkeit möglich. Der Fetus wird somit zunehmend als eigenständiges Wesen wahrgenommen, und es besteht die Möglichkeit, ihn therapeutisch zu behandeln.
Ärzte fühlen sich auch dem Kind verpflichtet
Für Ärzte entstehe hieraus eine doppelte Verantwortung: Sie müssen sowohl der individuellen Situation der Schwangeren als auch der fetalen Individualität gerecht werden. Die Unterstellung, wonach Ärzte aus Angst vor Sanktionen keine Abtreibungen durchführen würden, weisen die Gynäkologen und Juristen zurück: „Wenn Ärzte zögern, einen Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch der Schwangeren vorzunehmen, dann nicht, weil der Schwangerschaftsabbruch mit Strafe bedroht ist, sondern weil sie sich ihrem Selbstverständnis nach auch für das Wohl des von ihnen in seiner Individualität erfassten Ungeborenen als eines zweiten Patienten verantwortlich fühlen und wissen.“
Ein Schwangerschaftskonflikt ist somit immer ein interpersonaler Konflikt, der die Grundrechte beider Beteiligter – das Recht der Schwangeren auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung sowie das Lebensrecht des ungeborenen Kindes – berührt, so die Verfasser. Diese Rechte stehen unauflöslich im Widerspruch, da ein Schwangerschaftsabbruch unweigerlich den Tod des Kindes bedeutet.
Eine Tötung ohne Begründung kann niemals rechtmäßig sein
Das Bundesverfassungsgericht habe diesen Konflikt mit der Beratungslösung verfahrensrechtlich geregelt. Im ersten Schwangerschaftsdrittel könne ein Abbruch straffrei vorgenommen werden, wenn die Schwangere eine Beratung in Anspruch nimmt, eine dreitägige Wartefrist einhält und der Eingriff durch einen Arzt erfolgt. Obwohl dies de facto eine weitgehende Entkriminalisierung darstellt, bleibt die rechtliche Bewertung eines Schwangerschaftsabbruchs komplex. Die Tötung eines ungeborenen Lebens kann im Rechtsstaat nicht ohne eine Begründungsprüfung als rechtmäßig anerkannt werden, um eine Fremdbestimmung der Frau zu vermeiden, führen die Juristen aus.
Jedem Menschen steht die volle Würde zu
Die vorgeschlagene Neuregelung, die eine komplette Entkriminalisierung anstrebt, würde den Konflikt einseitig zulasten des ungeborenen Lebens lösen, kritisieren die Fachexperten. Dies wäre verfassungsrechtlich unzulässig, da das deutsche Grundgesetz jedem Menschen – geboren oder ungeboren – dieselbe Menschenwürde zuspricht. Auch völkerrechtlich gäbe es kein Recht auf Abtreibung, das eine schrankenlose Regelung verlangen würde. Der Zugang zu sicher durchgeführten, straffreien Schwangerschaftsabbrüchen ist in Deutschland bereits gegeben.
Das Strafrecht ist ein Schutzwall für den Schwächeren
Die Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetzbuch würde symbolisch vermitteln, dass der Schutz des ungeborenen Lebens an Bedeutung verliert. Diese Botschaft ignoriert die Erkenntnisse der Pränatalmedizin, die uns heute die Individualität des Fetus deutlicher vor Augen führt als je zuvor. Zudem würde die geplante Abschaffung strafrechtlicher Konsequenzen bei Verstoß gegen die Beratungspflicht oder andere verfahrensrechtliche Vorgaben den Schutz des ungeborenen Lebens weiter schwächen.
Der Schwangerschaftsabbruch ist de facto schon jetzt entkriminalisiert
Angesichts jährlich mindestens 100.000 Schwangerschaftsabbrüchen zeige das geltende Recht, dass es „keine prohibitiv hohen Hürden aufstellt“. Es kriminalisiere weder Frauen noch Ärzte. Eine Neuregelung, die dieses Gleichgewicht zugunsten einer schrankenlosen Selbstbestimmung verschieben würde, widerspreche sowohl ethischen als auch rechtlichen Grundsätzen.
Heftige Debatte im Bundestag
Ein neu vorgelegter Gesetzentwurf wurde am 5. Dezember im Bundestag heftig diskutiert (Deutsches Ärzteblatt, 5.12.2024). Er soll den Abbruch bis zur zwölften Woche legalisieren. Die neuen Regelungen sollen nicht mehr im Strafrecht, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz verankert werden. Krankenkassen sollen künftig zudem die Kosten für Abtreibungen übernehmen. Bis zur vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 bleiben nur noch zwei reguläre Parlamentswochen.