Immer mehr israelische Kinder mit Geburtsdefekten gehen zu Gericht und klagen Ärzte dafür, dass sie ihre Geburt zugelassen hätten. Der Anstieg bei den sogenannten „wrongful life“-Klagen (mittlerweile handelt es sich um an die 600 Fälle seit 1987) hat eine Untersuchung seitens der Regierung ausgelöst. Medizinethiker mahnen angesichts des Trends auf Schadenersatzklagen von Kindern im New Scientist (online, 26.10.2011), dass diese Fälle eine ernste ethische Sorge bedeuten - nicht zuletzt im Hinblick auf den Wert des Lebens behinderter Personen. Sie würden außerdem fördern, dass sich Ärzte in der Bewertung diagnostischer Verfahren zunehmend absichern, mit dem Ergebnis, dass im Zweifelsfall auch gesunde Föten der Abtreibung zum Opfer fallen. Offenbar gäbe es inzwischen auch unterbeschäftigte Anwälte, die Gebiete in Israel mit höheren Raten an (inzucht-bedingten) genetischen Defekten bereisen, um ihre „Hilfe“ anzubieten.
„Ich kann schwerlich nachvollziehen, dass Eltern sich in den Zeugenstand begeben, um ihren Kindern zu bestätigen, dass diese nicht hätten geboren werden sollen“, sagt Rabbi Avraham Steinberg von der Hebrew University-Hadassah Medical School in Jerusalem. „Was bedeutet dies wohl für die Psychologie dieser Kinder?“. Der gegenwärtige Trend in Israel geht allerdings dahin, dass die Kinder mit Behinderungen selbst Schadenersatz für ihre von ihnen nicht gewollte Existenz einklagen.
Diese bedenkliche Entwicklung wird durch die in Israel sehr populäre pro-genetische Testkultur verstärkt. „Es gibt da ein ganzes System - wobei es um viel Geld geht -, das die Forderung nach einem perfekten Baby unterstützt“, sagt die Juristin und Medizinethikerin Carmel Shalev von der Universität von Haifa. „Alle wollen da mitnaschen - Eltern, Ärzte, Labors: Die Eltern wollen ein gesundes Baby, die Ärzte raten zu den Tests, und so mancher genetischer Test kommt viel zu früh auf den Markt. Gentests bringen einen Haufen Geld, werden aber zu viel und sogar missbräuchlich eingesetzt“, kritisiert Shalev.
In Israel sind bei genetischen Tests, Embryonenforschung, Klonen usw. kaum gesetzliche Schranken gesetzt, auch Spätabtreibung (nach der 22. Woche bis zu Geburt) ist erlaubt. In Österreich wurde ein Schadenersatzanspruch des (behinderten) Kindes im Hinblick auf das unerwünschte eigene Leben ("wrongful life") durch den OGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 ausgeschlossen. Dass die neuen Möglichkeiten auch eine neue ethische Debatte fordern, wurde jüngst in Nature diskutiert (2011: 478, 440 (2011), doi:10.1038/478440a). Die steigende Verfügbarkeit von nicht-invasiven genetischen Tests erhöhe den Druck auf Eltern und Ärzte.