Im Rahmen eines 12-monatigen Forschungsprojektes analysierte ein interdisziplinäres Wissenschaftsteam relevante Übersichtsarbeiten und Einzelstudien, die zwischen 2008 und 2018 erschienen sind und sich mit Schwangerschaftsabbruch und psychischen Gesundheitsfolgen befassen. „Die Studienlage stellt sich als uneinheitlich dar“, erklärt IMABE-Direktorin und Co-Autorin Susanne Kummer. Während einige Studien keine negativen Folgen für die psychische Gesundheit für Frauen nach einer Abtreibung feststellen, ermittelten andere Studien im Gegensatz dazu erhöhte Risiken für psychische Gesundheitsprobleme nach einem Schwangerschaftsabbruch.
Methodische Mängel und fehlende Vergleichsgruppen beeinträchtigen die Aussagekraft
„Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen“, erklärt der Pharmakologe und Internist Johannes Bonelli. Methodische Mängel und eine intransparente Auswahl von Daten lassen die Aussagekraft von Studien sinken.
Die Autoren analysierten 13 international häufig zitierte Arbeiten mit Blick auf das Studiendesign, adäquate Vergleichsgruppen, Beobachtungszeitraum, Aussagekraft aufgrund der Zahl der Studienteilnehmerinnen, Berücksichtigung von sogenannte Störfaktoren, Stichprobenverzerrung sowie die moralische Grundeinstellung der jeweiligen Studienautoren oder Fachgesellschaften zum Schwangerschaftsabbruch.
Überraschende Einigkeit bei Pro-Choice und Pro-Life-Studien zu finden
Laut Kummer wolle man mit dieser „umfassenden Analyse relevanter Studien" dazu beitragen, "die Debatte um die psychischen Folgen nach Abtreibung auf eine sachliche Ebene zu heben“. Dabei werden Stärken und Schwächen der einzelnen Publikationen aufgezeigt. „Überraschend war für uns aber die Einigkeit in etlichen Punkten bei Studien unabhängig davon, ob sie dem Pro-Choice oder Pro-Life-Umfeld zuzuordnen waren", so die Ethikerin.
Ein Kausalzusammenhang für positive oder negative Folgen ist prinzipiell nicht nachweisbar
Als übereinstimmende Erkenntnis fällt auf, dass es keine wissenschaftlich valide Methode gibt, um einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen einer Abtreibung und späteren psychische Folgen sicher auszuschließen oder nachzuweisen. „Wir haben da ein methodisches Problem: Man müsste, so wie etwa bei einer Medikamentenprüfung, eine Gruppe von Frauen mit völlig gleichen Voraussetzungen und nach dem Zufallsprinzip entweder einer ‚Abtreibungsgruppe‘ oder einer ‚Geburtsgruppe‘ nach ungeplanter/ungewollter Schwangerschaft zuweisen, ohne dass die Frau oder der Arzt wissen, wer welcher Gruppe zugeordnet wurde. Das Design dieser randomisiert kontrollierten Doppelblindstudie ist in diesem Fall völlig unbrauchbar und auch aus ethischen Gründen abzulehnen“, erklärt Ethikerin Kummer.
Darüber hinaus würden unseriöse Behauptungen vor allem dann entstehen, wenn der Unterschied von Kausalität (Ursache) und Korrelation (Assoziation) nicht genügend beachtet wird.
Eine Abtreibung geht mit einem erhöhten Risiko für psychische Probleme einher
Einig ist sich ein erheblicher Teil der methodisch gut gemachten internationalen Studien darin, dass ein Schwangerschaftsabbruch mit einem erhöhten Risiko für psychische Gesundheitsprobleme verknüpft ist oder bereits bestehende psychische Probleme verstärkt. Uneinig ist man sich in der Frage der Begründung, warum dies so ist.
So ist eine Abtreibung statistisch gesehen mit einem erhöhten Risiko für Suizide und Suizidversuche, Sucht, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Depression und Angstzustände verbunden. Mehrfach-Abtreibungen und bereits bestehende psychische Vorerkrankungen erhöhen die Risiken statistisch signifikant. Der Begriff „Post-Abortion-Syndrom“ sei, so Co-Autor Bonelli, nicht korrekt, da es kein einheitliches Syndrom als Krankheitsbild nach Abtreibung gibt. „Nach einer Abtreibung kann man zwar in einer Reihe von Studien eine Vielzahl von verschiedenen Einzelsymptomen feststellen, die aber nicht im Sinne eines Syndroms als einheitliche Gruppe miteinander auftreten, sondern vielfältig variieren“, erklärt Bonelli. Von Symptomen einer "Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS) nach Abtreibung zusprechen sei hingegen korrekt.
Insgesamt fordern zahlreiche Studienautoren beider „Lager“, dass es einen qualitativ hochwertigen Forschungsansatz brauche, um Risiken besser abschätzen und Therapien besser begründen zu können.
Eine Indikation zur Abtreibung zum Erhalt der „seelischen Gesundheit der Frau“ entbehrt jeder Evidenz
Die IMABE-Studie ergibt zudem, dass die Hypothese, wonach eine Abtreibung einen positiven Effekt auf die Psyche der Frau habe, durch keine wissenschaftlichen Beweise gestützt wird. Eine Abtreibung hat auch keine therapeutische Wirkung bei der Verringerung der psychischen Risiken im Vergleich zu Frauen, die ein Kind nach unerwünschter oder ungeplanter Schwangerschaft zur Welt bringen.
Die Beendigung einer unerwünschten Schwangerschaft durch Abtreibung reduziere nicht das Risiko für psychische Probleme, sondern erhöhe es. Diese Ergebnisse haben nicht nur eine medizinethische, sondern auch eine politische Dimension: So ist in vielen Ländern ein Schwangerschaftsabbruch mit der Begründung straffrei, dass damit ein „schwerer Schaden für die seelische Gesundheit der Schwangeren“ abgewendet werden könne. Auch in Österreich und Deutschland besteht diese Indikation seit nunmehr fast 50 Jahren. Dieser postulierte „therapeutische Benefit“ sei jedoch wissenschaftlich nicht nachweisbar.
Frauen haben ein Recht auf Aufklärung über Alternativen und mögliche psychische Folgen
Ein medizinischer Eingriff müsse immer sowohl nach seinem Nutzen als auch nach seinem Schaden bewertet werden. Der Schwangerschaftsabbruch werde „als Quasi-Therapie angeboten, um Frauen angeblich vor seelischen oder psychischen Belastungen zu bewahren“. „Wenn eine Abtreibung nachweislich keinen positiven Effekt auf die Psyche der Frau hat und somit keinen Schutzfaktor für die psychische Gesundheit bietet – worin sich seriöse Studien einig sind – fehlt die wissenschaftliche Basis für dieses rechtliche Konstrukt“, resümieren die Wissenschaftler.
In praktischer Konsequenz schlussfolgern die Forscher, dass betroffene Frauen im Schwangerschaftskonflikt über alternative Angebote (z.B. Adoption) und Hilfen beraten werden sollten, die ihnen ermöglichen, ihr Kind zur Welt zu bringen. Frauen mit psychischen Vorerkrankungen oder bereits mehreren Abtreibungen in der Vorgeschichte stellen eine besondere Risikogruppe dar, die wahrgenommen werden müsse. Jeder Frau habe zudem das Recht, von ihrem Arzt über die möglichen psychischen Folgen einer Abtreibung informiert und aufgeklärt zu werden.