Abtreibungen aufgrund des Geschlechts widersprechen den Menschenrechten und müssen rechtlich verboten werden. Das fordert der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muinieks (vgl. Pressemitteilung, online, 14. 1. 2014). Muinieks folgt damit Bemühungen auf europäischer Ebene, die gezielte Abtreibung von Mädchen, die inzwischen auch ein europäisches Problem darstellt, zu unterbinden. Die Praxis des Genderzids sei „zutiefst diskriminierend“ und perpetuiere „ein Klima der Gewalt gegen Frauen“, die unter Druck stehen, ein Ungeborenes mit falschem Geschlecht abzutreiben.
Abtreibung allein aufgrund des „falschen“ Geschlechts ist in vielen Ländern illegal. Dennoch ist die Praxis weit verbreitet (vgl. Abtreibung: Tötung weiblicher Föten auch in Europa verbreitet). Buben zählen kulturell und traditionell in vielen Regionen mehr als Mädchen. In Teilen von Indien und China kommen inzwischen 120 bis 140 Buben auf 100 Mädchen. Ein normales Geschlechterverhältnis liegt laut WHO bei 102 bis 106 Buben zu 100 Mädchen. Laut UNFPA-Bericht von 2012 hat die „selektive Abtreibung nach Geschlecht“ (Genderzid) in Asien schon 117 Millionen Frauenleben gekostet. Allein in China und Indien seien 85 Millionen ungeborene Mädchen abgetrieben worden - trotz Wirtschaftsboom.
Zunehmend ist aber auch Europa davon betroffen. Eine nun im Auftrag des britischen The Independent durchgeführte Auswertung der Volkszählung von 2011 zeigte erschreckende Daten: Die illegale Abtreibung weiblicher Föten wird offenbar in einigen ethnischen Gemeinschaften in Großbritannien praktiziert und hat in diesen Bevölkerungsgruppen bereits zu einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen Burschen und Mädchen geführt (vgl. The Independent, online 14. 1. 2014). Die Analyse ergab, dass Immigrantinnen aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch, die in England und Wales leben, unverhältnismäßig mehr Buben zur Welt bringen, insbesondere beim zweiten Kind. Hier gebe es eine auffallende Verzerrung des Geschlechterverhältnisses zugunsten von Buben. Die Statistiker vom Imperial College sprechen von 1.400 bis 4.700 Mädchen, deren Fehlen als klares Indiz für eine vorgeburtliche Geschlechtsauswahl gilt. Im Hintergrund spielen sich dabei erschreckende Szenen von psychischer und physischer Gewalt gegen Frauen ab, wie The Independent anhand von Interviews berichtet (online, 14. 1. 2014).
Menschenrechtskommissar Muinieks fordert die Regierungen auf, zuverlässige Daten zu sammeln und Maßnahmen zur Unterstützung von Mädchen und Frauen sowie zur Unterstreichung ihrer Gleichwertigkeit gegenüber Männern zu setzen. Er plädierte auch für eine strafrechtliche Verfolgung der gezielten Tötung weiblicher Föten in Europa: „Wir brauchen eine starke Abschreckung von dieser Praxis“, betonte der Menschenrechtskommissar.