In vielen Ländern hatten Spitäler während der Corona-Krise deutlich weniger Patienten. Auch Notaufnahmen verzeichneten einen deutlichen Rückgang. Dass der Verzicht auf eine lebensrettende Behandlung im Lockdown Folgen hatte, zeigt sich jetzt in einer Analyse der Todesfälle, berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online, 29.9.2020).
Ein Team um Chris Gale von der Universität Leeds kommt in einer in Heart (2020; DOI: 10.1136/heartjnl-2020-317912) publizierten Studie zu dem Ergebnis, dass es in den vier Monaten nach dem 2. März in England und Wales zu 2.085 mehr Todesfällen kam als im gleichen Zeitraum der Jahre davor, was einem Anstieg von 8% entspricht. Zwar waren die meisten Todesfälle auf COVID-19 (1.480) zurückzuführen. Die übrigen hätten jedoch häufig durch eine rechtzeitige medizinische Behandlung vermieden werden können. Dies zeigt sich laut Gale auch darin, dass die kardiovaskulären Todesfälle, die sich zu Hause ereigneten, insgesamt um 35% zugenommen haben gegenüber einem Anstieg von nur 2% bei den COVID-19 bedingten kardiovaskulären Todesfällen.
Bereits im Juli 2020 hatten Autoren in Lancet über einen deutlichen Rückgang von Notfallbehandlungen wegen Herzinfarkt in England berichtet. So sei es zu einem zeitweiligen Rückgang der Klinikbehandlungen wegen akuter koronarer Syndrome (sprich Herzinfarkte) um 40%, gekommen, wovon vor allem die leichteren Fälle betroffen waren (Lancet 2020; 396: 381-89). Auch die Zahl der Stentimplantationen zur Gefäßerweiterung und andere perkutane koronare Interventionen (PCI) gingen deutlich zurück. In anderen Ländern wurden ähnliche Erfahrungen gemacht.
Die Betroffenen hätten wegen eines Herzinfarkts oder einer anderen akuten Herz-Kreislauf-Erkrankung dringend ärztliche Hilfe gebraucht. Sie bekamen keine Notfallbehandlung, weil sie Angst hatten, sich im Krankenhaus mit COVID-19 zu infizieren, das System nicht überlasten wollten oder weil sie nicht für eine Behandlung überwiesen wurden.
„Es ist durchaus plausibel, dass eine Reihe von Todesfällen hätte verhindert werden können, wenn die Menschen zu Beginn ihres Herzinfarkts oder Schlaganfalls schnell ins Krankenhaus gegangen wären“, sagt Studienleiter Chris Gale, Professor für Herz-Kreislauf-Medizin an der Universität Leeds (Pressemitteilung, online 28.9.2020)
Auch am Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO), der Anfang September virtuell stattfand, berichteten Onkologen, dass Verzögerungen in der Diagnostik und Verschiebungen oder Ausfälle von Therapien und weitere Corona-Maßnahmen erhebliche Schäden für Patienten in der onkologischen Versorgung verursacht haben.
Eine Analyse von Daten aus 356 Krebszentren in 54 Ländern, die im April und Mai 2020 gesammelt wurde, zeichnete ein besorgniserregendes Bild (vgl. Jazieh AR, Akbulut H, Curigliano G, et al. The impact of COVID-19 pandemic on cancer care: a global collaborative study. 10.9.2020). Die überwiegende Mehrheit (88%) berichtete von Schwierigkeiten in der Versorgung von Patienten. Die Hälfte (55,3%) hatte ihre Versorgungsleistungen vorsorglich heruntergefahren, andere wurden von den Umständen dazu gezwungen (20%).
Knapp die Hälfte der Zentren gab an, dass sie mehr als 10% ihrer Patienten einen oder mehr Therapiezyklen verpasst hatten. Einige Zentren schätzten, dass bis zu 80% ihrer Patienten durch die Auswirkungen der Krise geschädigt wurden: 36,5% der Zentren berichteten, dass Patienten durch Unterbrechung krebsspezifischer Versorgung gefährdet wurden und 39% gaben an, dass Patienten durch eine Verknappung der Versorgung für nicht onkologische Begleiterkrankungen Schaden erlitten.