Die Regierung hat sich mit Blick auf eine gesetzliche Neuregelung der „Sterbehilfe“ in Österreich geeinigt. Menschen, die Beihilfe zum Suizid in Anspruch nehmen möchten, können ab nächstem Jahr eine sog. „Sterbeverfügung“ errichten - ähnlich der Patientenverfügung. Berechtigt sind dauerhaft schwerkranke oder unheilbar kranke Personen, die volljährig und entscheidungsfähig sind. Sie können einen legalen Zugang zu einem tödlichen Präparat in der Apotheke bekommen. Die Begutachtungsfrist des Gesetzes endet am 12. November (Online-Link: 150/ME (XXVII. GP) - Sterbeverfügungsgesetz; Suchtmittelgesetz, Strafgesetzbuch, Änderung | Parlament Österreich). Noch im Dezember soll das Gesetz von Nationalrat beschlossen werden und mit 1.1.2022 in Kraft treten.
Mit dem neuen Gesetz, dessen geplanten Eckpunkte Justizministerin Alma Zadic (Grüne), Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) am Samstag in einem Hintergrundgespräch vorstellten, wird nun der Rahmen für die Beihilfe zur Selbsttötung geregelt (vgl. Standard, online, 23.10.2021).
„Der Gesetzgeber stand vor einer schwierigen Aufgabe: Mit dem neuen Sterbeverfügungsgesetz hat man nun die Quadratur des Kreises versucht“, sagt Ethikerin Susanne Kummer. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte am 11.12.2020 die Schranken des Tötungsverbots mit Ende 2021 aufgehoben (vgl. Bioethik aktuell, 17.12.2020). „Das war ein fundamentaler Wertebruch: Erstmals hatte damit der Staat Suizid als akzeptable Möglichkeit definiert, Leiden zu beenden, in dem man frühzeitig sein Leben beendet.“
Nun musste der Gesetzgeber das sog. Recht auf Selbsttötung mithilfe Dritter ermöglichen und gleichzeitig Maßnahmen zum Schutz von potentiell nicht-selbstbestimmten Gruppen erlassen. Wäre bis zum Jahresende nichts geschehen, so wäre die Beihilfe zum Selbstmord ab dem kommenden Jahr ohne jegliche Beschränkung erlaubt gewesen.
Eckpunkte der "Suizidverfügung"
Präziser wäre es gewesen, das neue Gesetz „Suizidverfügung“ zu nennen, sagt die IMABE-Geschäftsführerin. „Wünsche für das Lebensende waren bis jetzt gut aufgehoben in den Instrumenten der Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Hier geht es um ein Regelwerk zur Selbsttötung mit Hilfe Dritter", so Kummer.
Laut Gesetzesentwurf ist die Aufklärung durch zwei Ärzte notwendig, um eine "Sterbeverfügung" (bei Notaren oder Patientenanwälten) zu errichten. Einer davon muss über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen. Auch die Entscheidungsfähigkeit der suizidwilligen Person muss ärztlich bestätigt werden. Nur im Zweifel muss ein Arzt zusätzlich einen Psychiater oder Psychologe beiziehen. Die Frist zwischen Errichtung der Verfügung und Suizid beträgt drei Monate, bei terminal Kranken kann sie auf bis zu zwei Wochen verkürzt werden. Nach Errichtung der Sterbeverfügung kann das tödliche Gift persönlich oder auch von einem Angehörigen oder Bevollmächtigten in jenen Apotheken abgeholt werden, die diese Präparate führen. Auch eine Zustellung durch die Apotheke ist möglich.
Positiv ist laut Kummer die Absicherung der Gewissensfreiheit: So ist laut Gesetz niemand verpflichtet ist, Sterbehilfe zu leisten. Auch Apotheker dürfen nicht zur Abgabe des Präparats verpflichtet werden. In keinem Fall darf ihnen daraus ein Nachteil erwachsen. Wirtschaftlicher Nutzen aus der Beihilfe zum Suizid wird ebenso verboten wie Werbung. Gemeinnützige Vereine, die wie in der Schweiz das Prozedere abwickeln, sind nicht ausgeschlossen.
Druck auf Ältere wächst
Allerdings: Wo Beihilfe zum Suizid erlaubt ist, zeichne sich klar ab, wer die gefährdetste Gruppe sei: Ältere und Hochaltrige. In der Schweiz werden bereits 88,5 Prozent aller assistierten Suizide von Senioren (65+) begangen. Eine Beschränkung auf die terminale Phase wäre deshalb ein wichtiger Schutz vor Missbrauch, betont die Ethikerin in einem Gastkommentar im Kurier (online 30.10.2021). Laut Gesetz sollen auch Personen mit einer schweren, dauerhaften, aber nicht lebensbedrohlichen Krankheit eine Sterbeverfügung errichten können. "Das trifft viele ältere Menschen, sie sind chronisch beeinträchtigt, sehen und hören schlecht, leiden an Rheuma, Altersdiabetes und können vielleicht nicht mehr alleine die Wohnung verlassen. Sie fühlen sich vereinsamt, als Last und als Kostenfaktor. Vielleicht steckt auch eine unentdeckte Altersdepression dahinter", gibt Kummer zu bedenken und ergänzt: "Ist dieses schwere anhaltende Leiden schon hinreichend für einen begleiteten Alterssuizid? Verliert die Gesellschaft die Geduld mit den Alten?"
Begleitend zum Sterbeverfügungsgesetz soll es bis 2024 zu einem flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung kommen. Dazu soll ein eigener Fonds mit einem Gesamtvolumen von insgesamt 153 Mio. Euro errichtet werden. Der Bund hat eine Aufstockung der Mittel bereits zugesagt. Allerdings müssen im Sinne einer Drittelfinanzierung auch Länder und Sozialversicherung mitzahlen. Sowohl Länder als auch Sozialversicherungen zeigen sich noch verhalten Eine Zusage für die Finanzierung gibt es noch nicht (vgl. Kurier, online 28.10.2021).
Palliative Versorgung: Autonomie setzt Wahlfreiheit voraus
Damit stehe man in den kommenden Monaten in der paradoxen Situation, „dass es zwar einen Zugang zur Beihilfe zum Suizid gibt, aber keinen Zugang zur mobilen palliativen Versorgung für jeden, der es braucht“, kritisiert die Ethikerin. "Autonomie setzt Wahlfreiheit voraus. Es braucht daher einen Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung."
Der Gesetzgeber hat klargemacht, dass Beihilfe zur Selbsttötung keine ärztliche Tätigkeit ist. Sorge bereitet Kummer allerdings die Definition des „dauerhaften Entschlusses“ zum Suizid, der nur eine dreimonatige Frist vorsieht. „Hier geht es um Leben und Tod – da sind drei Monate definitiv zu kurz.“ Außerdem werden Faktoren wie der Druck von Angehörigen oder innerer emotionaler Druck „als zur Last zu fallen“ zu wenig erfasst. „Das sind Dinge, die der Betroffene vermutlich aus Scham gar nicht offen ausspricht.“
Für bedauerlich hält Kummer, dass der Gesetzgeber die Chance vergeben hat, die Tötung auf Verlangen rechtlich abzusichern. „Dazu hat offensichtlich der politische Wille gefehlt.“ Nun sei abzusichern, dass es in Österreich nicht über kurz oder lang zu Ausweitungen der Sterbehilfe-Regelung kommt. In den Niederlanden wurden innerhalb weniger Jahre die für „Sterbehilfe“ berechtigten Personengruppen ausgeweitet und schließen heute nicht nur physisch Schwerkranke, sondern auch psychisch Kranke, Minderjährige und Demenzkranke ein. „Entsolidarisierung unter dem Deckmantel der Diskriminierung geht schneller, als man denkt."
(Dieser Beitrag erschien erstmals am 23.10. 2021 und wurde am 30.10.2021 aktualisiert).