Recht auf selbstbestimmtes Sterben – Konsequenzen der Autonomie
Zusammenfassung
Im Dezember 2020 hat der VfGH entschieden, dass die in § 78 StGB vorgesehene Strafbarkeit jeder Hilfeleistung zur Selbsttötung gegen das „Recht auf freie Selbstbestimmung“ verstoße und deshalb verfassungswidrig sei. Der vorliegende Beitrag lotet aus, welche Konsequenzen sich aus dieser Betonung der Autonomie ergeben – auch über die Hilfe zur Selbsttötung hinaus. Ferner wird aufgezeigt, dass der ursprüngliche Sinn des § 78 StGB im Schutz vor „temporärer“ Autonomie liegt, weil die (autonomen) Ziele und Wünsche des Menschen von der jeweiligen Lebensphase abhängen und sich in einer späteren Lebensphase oft wieder ändern. Allenfalls in engen Ausnahmefällen kann von einer „finalen“ Autonomie ausgegangen werden. An dieser Überlegung sollte sich eine künftige Neuregelung des § 78 StGB orientieren.
Schlüsselwörter: Sterbehilfe, Mitwirkung am Selbstmord, Suizid, Selbstbestimmung, Autonomie
Abstract
In December 2020, the Constitutional Court of Austria ruled that the criminalization of any assistance to suicide provided for in §78 of the Austrian Criminal Code violated the “right to free self-determination” and was therefore unconstitutional. This article explores the consequences of this emphasis on autonomy – even beyond aid in dying. Furthermore, it is shown that the original meaning of §78 of the Criminal Code lies in the protection against “temporary” autonomy because a person’s (autonomous) goals and wishes depend on the respective phase of life – and often change again in a later phase of life. At most, in narrowly exceptional cases, “final” autonomy can be assumed. A future revision of §78 of the Criminal Code should be guided by this consideration.
Keywords: euthanasia, assisted suicide, self-determination, autonomy
o. Univ.-Prof. Dr. Kurt Schmoller
Fachbereich Strafrecht und Strafverfahrensrecht
Universität Salzburg
Kapitelgasse 5-7, A-5020 Salzburg
kurt.schmoller(at)sbg.ac.at