Bioethik: Das Zünglein an der Waage. 20 Jahre Engagement von IMABE in der Biopolitik
Die Medizinethik hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung für das Handeln der Ärzte, die medizinische Forschung und die Gesundheitspolitik gewonnen. Dies hat sich bereits in den 1980er-Jahren angekündigt, als sich die Medizin im Umbruch befand und die Anzeichen einer rasanten Entwicklung in der Biotechnologie deutlich wurden. Schon damals war die Medizinethik nicht mehr nur innerhalb der vier Wände der Krankenhäuser gefragt. Sie wurde zu einem ganz wichtigen Teil eines neuen Faches der Ethik, nämlich der Bioethik, und erhielt eine über die traditionellen Grenzen des Gesundheitswesens hinaus geltende gesamtgesellschaftliche und sozialpolitische Tragweite. Westliche Staaten waren im Zuge der rasanten Entwicklung mit zahlreichen, folgenschweren Entscheidungen konfrontiert. Man denke nur an die Frage der In-vitro-Fertilisierung, Samenbanken, Leihmütter, tiefgefrorene Embryonen, Präimplantationsdiagnose, das therapeutische Klonen, Ersatzorgane, Patente, Genforschung, Gentherapie, Stammzellenforschung oder die Frage nach dem selbstbestimmten Lebensende, um nur einige wichtige zu nennen. Diese Herausforderungen an die politischen Entscheidungsträger sind es, die Biopolitik genannt werden.
Gründungsgeschichte von IMABE
IMABE hat in den letzten 20 Jahren versucht, im Dienste der Zivilgesellschaft und der politischen Entscheidungsträger des Landes die Entwicklungen der Biotechnologie aufmerksam zu beobachten und gleichsam aus der Perspektive der Menschenwürde zu evaluieren. Unser Anliegen war es, die Verantwortlichen für die Forschung zu ermutigen, die vorhandenen Ressourcen ethisch einwandfreien Projekten zu widmen und sich nicht unkritisch von der Verlockung des Machbaren führen zu lassen.
Die Gründung des Instituts hängt unmittelbar mit der Debatte rund um eine der ersten wichtigen biopolitischen Weichenstellung in Österreich zusammen. Mitte der 1980er-Jahre ging es dabei um die Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung als Technik der menschlichen Fortpflanzung, die 1992 zur Verabschiedung des Fortpflanzungsmedizingesetzes führte. Johannes Bonellis und mein Engagement in dieser Debatte mündeten letztlich in die Gründung von IMABE im Jahre 1988. Der damals schon emeritierte Kardinal Franz König und der Sekretär der Bischofkonferenz, Alfred Kostelecky, haben uns zu dieser Gründung sehr ermutigt. Msgr. Kostelecky, der wenig später auch zum Militärbischof ernannt wurde, war der erste Vorsitzende des Kuratoriums des Institutes. Ihm gelang es, die Ordenserhalter zahlreicher katholischer Krankenhäuser davon zu überzeugen, dass man auf die bevorstehenden Debatten vorbereitet sein müsse und die Möglichkeit, bei IMABE als Mitglied des Förderbeirates beizutreten, ein Signal in die richtige Richtung sei.
Ethik als Richtschnur des Fortschritts
Ein Großteil der biopolitischen Problemfelder, die uns heute beschäftigen, entspringt einer Medizin, in der die Machbarkeit zur obersten Instanz geworden ist. Alles, was möglich ist, soll auch Anwendung finden. Alles, was technisch gemacht werden kann, ist auf jeden Fall ein Fortschritt und wird ernsthaft erwogen. Was bedeutet aber „Fortschritt“ für die Menschheit, woran misst er sich, worin liegt er? Inwiefern kann von Fortschritt gesprochen werden, wenn etwa Embryonen verbraucht, biologisch grundgelegte Familienbande gestört oder mit elternlosen Zygoten experimentiert wird? Was, wenn diese neue Technik den Menschen instrumentalisiert und dadurch seine Würde verletzt? Soll eine Technik, die etwas Neues möglich macht, allein deshalb schon als Fortschritt gelten und zugelassen werden? Wäre es nicht fortschrittlicher, auf manche Techniken zu verzichten? Wer kümmert sich um Folgen und Spätfolgen einer neuen Entwicklung? Sind diese überhaupt absehbar? Brauchen wir wirklich alle neuen Techniken und müssen sie, wenn schon entwickelt, etabliert werden? Auf diese sehr schwierigen ethischen Fragen, die die Biotechnologie aufwirft, eine Antwort zu geben und dann eine ethisch konforme Entscheidung zu treffen, ist nicht nur eine Herausforderung, sie ist zuweilen auch eine Überforderung der Politik.
Das Verhältnis von Technik und Ethik
Das Wesen jeder Technik ist die Mittel-Zweck-Relation, d. h., dass eine Technik ein Verfahren ist zur Erreichung eines Zweckes mit Einsatz von bestimmten Mitteln. Die Qualifizierung, ob eine Technik einen Fortschritt oder Rückschritt bedeutet, ist kein technisches, sondern ein ethisches Urteil. Und dieses Urteil lautet: Jede Technik, die mit ethisch unbedenklichen Mitteln einen für den Menschen guten Zweck ermöglicht, ist ein Fortschritt. Dass jede Technik missbraucht und Übles bewirken kann, liegt aber nicht in der Technik selbst, sondern in ihrem Missbrauch zum schlechten Zweck. Es wäre deshalb ein Unding, die Technik zu verteufeln und zu verbieten, nur weil sie missbraucht werden könnte. Die prinzipielle Offenheit für die technischen Erneuerungen ist eine kulturelle Errungenschaft der Renaissance, die nicht revidiert werden darf. Aber weil technische Entwicklungen auch als Werkzeug zur subtilen Instrumentalisierung von Menschen verwendet werden können, müssen sich politische Entscheidungsträger damit befassen: Dabei genügen nicht technische Bewertung, sie sind auf ethische Urteile angewiesen.
Gerade in der Biopolitik zeigt sich, wie wichtig die Rückbindung jedweder Argumentation an die Menschenwürde ist. Obwohl aus dem Begriff der unantastbaren Menschenwürde keine konkreten Handlungsanleitungen entstehen, werden dennoch die notwendigen und unverrückbaren Grenzen des Konsensspielraums abgesteckt. Ohne diese Grenzen stürzt der Konsens in die Beliebigkeit des Werterelativismus ab. Nicht zufällig sind jene, die den Begriff der Menschenwürde als unbrauchbar erklären, auch dieselben, die die verantwortungslose Überschreitung einer biopolitischen Grenze nach der anderen fordern.
Bioethik: Das Zünglein an der biopolitischen Waage
Bereits lange vor der Verabschiedung des Medizinfortpflanzungsgesetzes hatte IMABE zum Thema Reproduktionsmedizin verschiedene Symposien in Wien und in den Bundesländern veranstaltet, sowie das Buch „Status des Embryos“ (1990) herausgegeben. Dabei haben wir uns bemüht aufzuzeigen, warum die Vertechnisierung der Fortpflanzung in dieser Form die Menschenwürde mehrfach verletzt. Die Einschätzung, dass die Zulassung der In-vitro-Fertilisierung einen folgenschweren Dammbruch darstellen wird, die wir mit vielen anderen teilten, hat sich leider bewahrheitet: Damals haben die Befürworter der In-vitro-Fertilisation (IVF) bestritten, dass die durch dieses Verfahren gewonnenen Embryonen jemals für Forschungszwecke benützt werden würden. Heute werden sie in vielen Ländern dazu verwendet, sogar in Österreich wird eine entsprechende Gesetzesänderung gefordert.
Die Folgen des Dammbruches haben also nicht lang auf sich warten lassen. Embryonen wurden für Industrie und Forschung leicht verfügbar. Die Forschung mit Embryonen war dann kaum mehr zu stoppen. Darauf folgten die Gewinnung von embryonalen Stammzellen für Forschungszwecke, die Bestrebungen einer Lizenz zum Forschungsklonen und einer Technik des reproduktiven Klonens.
IMABE war in den 20 Jahren seines Wirkens stets darum bemüht, unter Fachleuten, aber auch in der Öffentlichkeit auf die jeweils ethisch korrekten Zielsetzung der Biopolitik hinzuweisen, z. B. für eine verstärkte Forschung zur Sterilitätsbekämpfung statt IVF oder für eine klares Ja zur Forschung mit adulten oder ethisch sauberen induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS) statt mit embryonalen Stammzellen, die die Vernichtung von Embryonen zur Voraussetzung hat.
IMABEs Einsatz und Informationsoffensive
Frühzeitig haben wir Fehlentwicklungen in Österreich und im Ausland bezüglich der Biotechnologie und des medizinischen Ethos kritisch beleuchtet, wie in der Sterbehilfe-Debatte oder in der Frage der Erzeugung von Klonen für Forschungszwecke usw. Dies wurde in vielen Aufsätzen unserer Fachzeitschrift Imago Hominis, in den IMABE-Studien publiziert, aber auch laufend in unseren Newslettern, den kompakten Imabe-Infos und den zahlreichen einschlägigen Erklärungen und Stellungnahmen zu konkreten Fragestellungen (vgl. http://www.imabe.org/index.php?id=erklaerungen).
IMABE hat auch mehrere eigene Symposien zu den erwähnten Themen veranstaltet, in Kooperation mit Universitätskliniken, sich an Tagungen beteiligt und Vorträge gehalten. Zahlreiche Podiumsdiskussionen, Pressekonferenzen sowie auch Artikel und Kommentare von IMABE-Mitarbeitern in Zeitungen und Zeitschriften belegen unseren Einsatz in den öffentlichen bioethischen Diskussionen der jüngsten Zeit.
Natürlich wird uns die Frage gestellt: Und, was habt ihr erreicht? Sicherlich haben wir nicht alles, aber doch einiges erreicht bzw. dazu beigetragen, dass einiges erreicht werden konnte. So etwa vor wenigen Jahren das Verhindern einer Beinahe-Einführung der Präimplantationsdiagnostik oder einer rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“. Der Maßstab, an dem sich unsere Wirksamkeit messen lässt, greift aber weiter als kurzatmige politische Entscheidung. Es geht uns langfristig um mehr: um die Durchsetzung eines Fortschrittsethos, das kompromisslos an der Menschenwürde als nicht diskutierbarer Grundlage jedes ethischen Handelns festhält.
Die Aufgabe der Moderne
Die Frage, was den Menschen wahrer, also menschlicher macht, muss jede Epoche von sich aus erneut erobern. Keiner kann sich auf dem Ruhekissen des Tradierten einfach ausruhen oder sich mit einem ethischen Minimalkonsens als erstrebenswertem Maßstab abfinden. Die Kultur der Moderne hat die Wahrheit als unerreichbar eingestuft und damit eine allgemeine Skepsis verbreitet, die in puren Pragmatismus mündet: Richtig ist dann nicht so sehr das, was wahr ist, sondern viel mehr das, was funktioniert und nützt. Für die Postmoderne, die „zu Ende gedachte Moderne“, sind diese Nützlichkeitskalküle verdächtig. Sie überwindet die Skepsis der Moderne, indem sie das Nichtwiderspruchsprinzip aufhebt: Eine Aussage und ihr Gegensatz können gleichzeitig wahr sein. Aufgrund der entsetzlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts hat die Postmoderne scharfe Kritik am Vernunftkult der Aufklärung geübt. Als Gegengift nennt sie allerdings den Verzicht auf jegliche Wertung, auf Wahrheit und meinte damit, das Heilmittel friedlichen Zusammenlebens gefunden zu haben. Doch auch dieses Projekt ist offenkundig gescheitert.
Unsere Arbeit inspiriert sich an anderen Grundsätzen: Wir plädieren nicht dafür, aus der Moderne auszusteigen, sondern „Aufklärung, Emanzipation, Menschenrechte, Wissenschaft und Naturbeherrschung gegen sich selbst in Schutz zu nehmen“, wie es R. Spaemann einmal formulierte. Diese Errungenschaften sind zu hoch, als dass man sie Deutungen und Zwängen preisgeben dürfte, die sie entwerten oder als Mittel gegen den Menschen und seine unabdingbare Würde missbrauchen. Darin sehen wir auch in den kommenden Jahren unsere Aufgabe: fachkompetent unsere Stimme zu erheben in der Überzeugung, dass eine Kultur des Lebens differenziertere Stimmen braucht als eine Dynamik aus technischem Fortschritt und ökonomischen Interessen.
Prof. Dr. Enrique H. Prat, IMABE
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
ehprat(at)imabe.org