Die Körperdysmorphe Störung
Zusammenfassung
Die Körperdysmorphe Störung, „Dysmorphophobie“ oder „Missgestaltsfurcht“ lässt sich als eine überwertige oder wahnhafte Überzeugung beschreiben, dass ein Körperteil verunstaltet sei, obwohl er objektiv als normal erscheint. Es liegen allenfalls geringfügige Anomalien vor. Trotzdem besteht subjektiv das Gefühl, hässlich zu sein, einen ästhetischen Mangel im äußeren körperlichen Erscheinungsbild zu zeigen, der in den Augen der anderen zur Zielscheibe von Spott, Verachtung und Beschämung werde. Die Prävalenzraten variiert in der Allgemeinbevölkerung zwischen 0,7% und 2,3%. Patienten mit körperdysmorphen Beschwerden werden in psychiatrischen Praxen und Kliniken relativ selten gesehen. Sie stellen sich wesentlich häufiger in einem dermatologischen oder kosmetisch-chirurgischen Behandlungsrahmen vor. So erfüllten etwa 6% des Patientenklientels einer plastisch-kosmetischen Chirurgie die diagnostischen Kriterien für eine körperdysmorphe Störung. Typischerweise beginnen körperdysmorphe Beschwerden in der Adoleszenz.
Schlüsselwörter: Körperdysmorphe Störung, plastische Chirurgie, Psychiatrie
Abstract
Body dysmorphic disorder or dysmorphophobia is a psychiatric disease that can be frequently encountered in an aesthetic practice. Body dysmorphic disorder is characterized by a preoccupation with a minimal or nonexistent appearance defect and causes significant distress and interferes with the social life of the patient. The perceived physical anomaly may involve the shape and size of the whole body or may be centered around single units. Body dysmorphic disorder patients are known to request multiple aesthetic procedures that leave them unsatisfied. Only a timely diagnosis will enable the surgeon and staff to adequately address the patient‘s needs. Body dysmorphic disorder patients cannot be cured with surgery. Diagnostic techniques such as patient interview and observation are presented in this article. With this, also the surgeon should be able to diagnose body dysmorphic disorder preoperatively. Using the presented algorithm to approach body dysmorphic disorder patients will avoid disappointment for patients and surgeons alike.
Keywords: Body dysmorphic disorder, plastic surgery, psychiatry
Definition
Nach einer klassischen Arbeit von Morselli1 (1886) lässt sich die „Dysmorphophobie“ oder „Missgestaltsfurcht“ als eine überwertige oder wahnhafte Überzeugung beschreiben, dass ein Körperteil verunstaltet sei, obwohl er objektiv als normal erscheint. Es liegen allenfalls geringfügige Anomalien vor. Trotzdem besteht subjektiv das Gefühl, hässlich zu sein, einen ästhetischen Mangel im äußeren körperlichen Erscheinungsbild zu zeigen, der in den Augen der anderen zur Zielscheibe von Spott, Verachtung und Beschämung werde. Syndromal imponiert also eine Störung des Körperbilds in seinen subjektiven und interpersonalen Dimensionen.2
Die neutralere Bezeichnung „körperdysmorphe Störung“ wurde in den letzten beiden DSM-Manualen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) gewählt, um zum einen die engere diagnostische Konzeptualisierung als eine nichtwahnhafte, somatoforme Störung zu verdeutlichen, und um zum anderen, die häufig irreführende psychopathologische Konnotation einer „Phobie“ bzw. „phobischen Vermeidung“ zu korrigieren. Während das DSM-IV die körperdysmorphe Störung als eine eigenständige Kategorie der „somatoformen Störungen“ behandelt, wird sie in der ICD-10 (letzte Ausgabe der International Classification of Diseases) als eine Variante der hypochondrischen Störung gesehen.
Epidemiologie
Epidemiologische Studien deckten variierende Prävalenzraten der körperdysmorphen Störung in der Allgemeinbevölkerung zwischen 0,7% und 2,3% auf.3 Im Rahmen einer landesweit an der deutschen Bevölkerung durchgeführten Untersuchung (repräsentatives Sample: n = 2552) betrug die aktuelle Prävalenz einer körperdysmorphen Störung nach DSM-IV-Kriterien 1,7%.4
Der Einschluss sowohl überwertiger als auch wahnhafter körperdysmorpher Störungen als Indexfälle in den vorliegenden Studien erschwert die Interpretation dieser berichteten Prävalenzziffern. Die klinische Erfahrung unterstreicht nämlich die zuweilen großen diagnostischen Probleme, klinisch-phänomenologisch zwischen „wahnhaft“ und „nicht wahnhaft“ bei körperdysmorphen Beschwerden zu diskriminieren.5
Körperdysmorphe Beschwerden in medizinischen Spezialsettings
Patienten mit körperdysmorphen Beschwerden werden in psychiatrischen Praxen und Kliniken relativ selten gesehen. Sie stellen sich wesentlich häufiger in einem dermatologischen oder kosmetisch-chirurgischen Behandlungsrahmen vor. Körperdysmorphe Patienten werden in diesen speziellen medizinischen Versorgungskontexten zunehmend deutlicher als diagnostische und therapeutische Herausforderung erkannt, die nur in einer interdisziplinären Kooperation wirkungsvoll aufgenommen werden kann.6
So erfüllten etwa 6% des Patientenklientels einer plastisch-kosmetischen Chirurgie die diagnostischen Kriterien für eine körperdysmorphe Störung, 18% wiesen unterschwellige körperdysmorphe Beschwerden auf.7
Abgrenzung zur „geringfügigen Deformität“
Die nach den diagnostischen Kriterien geforderte Einschätzung einer allenfalls „geringfügigen Deformität“ beinhaltet erhebliche Schwierigkeiten einer objektiven Bestimmbarkeit angesichts einer subjektiven Beschwerde. Diese Problematik ist gerade in der Beurteilung von Grenzfällen einer Indikation zu einem kosmetisch-korrektiven Eingriff zu reflektieren. Zudem ist eine hohe Variabilität in Abhängigkeit von aufeinanderfolgenden Moden, kulturellen Standards und ästhetischen Idealen zu beachten.
In einer Befragung stimmten beispielsweise 70% einer Gruppe von Studenten (n = 258) mindestens einem der 3 geforderten diagnostischen DSM-III-R-Kriterien für eine körperdysmorphe Störung zu, 28% allen 3 Kriterien.8
Geschlechtsdifferenzielle Aspekte
In den spezialmedizinischen Settings wie der kosmetischen Chirurgie scheint das weibliche Geschlecht noch klar zu überwiegen.9 Dieser Häufigkeitsunterschied ist aber in einem klinisch-psychiatrischen Kontext nicht so ausgeprägt.10 Entsprechend soziokulturellen Normen beziehen Frauen ihre körperdysmorphen Klagen aber vermehrt auf Lippen, Gesicht, Brüste, Hüfte, Gewicht, Männer hingegen häufiger auf Genitalien, Muskulatur, Haupthaar.11 Körperdysmorphe Beschwerden bedingen bei Frauen möglicherweise ein stärkeres Verlangen nach operativer Modifikation ihres körperlichen Erscheinungsbildes entsprechend eines multimedial vermittelten Attraktivitätsideals. Vielfach soziokulturell determinierte, epochale Trends tragen allerdings zu einer Annäherung von Frauen und Männern auch in der Suche nach kosmetisch-chirurgischer Veränderung bei.
Bei Männern kann hinter manchem exzessivem Body-Building eine besondere Variante einer körperdysmorphen Störung vermutet werden, die von der quälenden Sorge bestimmt ist, in der muskulären Ausstattung als Mann unzulänglich zu erscheinen („body dysmorphia“, „muscle dysmorphia“, „Adonis Komplex“).12 Klinisch bedeutsam ist, dass viele dieser Männer sekundär auch zu einer verstärkten missbräuchlichen Einnahme von anabol-androgenen Steroiden neigen. Hieraus können wiederum sekundäre psychiatrische Komplikationen resultieren.13
Krankheitsbeginn
Typischerweise beginnen körperdysmorphe Beschwerden in der Adoleszenz. Zwar kann bereits in der Frühadoleszenz entwicklungs- und reifungsbedingt sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen relativ häufig eine Besorgnis um die Adäquatheit und Integrität des körperlichen Erscheinungsbildes bestehen; diese ist bei der Mehrheit der Pubertierenden aber nur von passagerer Natur.14 Bei wenigen Jugendlichen entsteht hieraus ein körperdysmorphes Syndrom, das dann allerdings klinisch häufig eingebettet ist in andere psychische Störungen wie depressive, Angst-, posttraumatische und dissoziative Störungen.15 Zur ersten Kontaktaufnahme mit Ärzten wegen explizit körperdysmorpher Symptome kommt es typischerweise meist im jungen Erwachsenenalter.16 Der Zusammenhang mit einem gestörten Essverhalten ist dann gerade bei jungen Frauen zu beachten.17 De Leon et al.18 markierten bei Frauen einen zweiten Häufigkeitsgipfel in den menopausalen Jahren. Bei dieser Gruppe von Patientinnen soll eine starke Assoziation zwischen körperdysmorphen Beschwerden und affektiven Störungen bestehen.
Ätiopathogenese
Ätiopathogenetische Faktoren werden auch bei der körperdysmorphen Störung heute vorteilhaft innerhalb eines multifaktoriellen Bedingungsmodells diskutiert. Neben wichtigen psychosozialen und psychodynamischen Aspekten in einem bedeutsamen Entwicklungsabschnitt werden auch neurobiologische Aspekte verstärkt thematisiert. Wichtige Anregungen stammen hierbei auch aus dem Versuch, den nosologischen Status der körperdysmorphen Störung gegenüber anderen psychischen Störungen zu klären.
Entwicklungspsychologische, psychosoziale und psychodynamische Aspekte
Prämorbide Persönlichkeit, normative Entwicklungsaufgaben und belastende Lebenssituation verschränken sich bei der körperdysmorphen Störung pathogenetisch bedeutsam.
Auslösesituationen. Unter diesen sind häufig zentrale Reifungs- und Entwicklungsprobleme der Adoleszenz auszumachen. Besondere Störungen der körperlichen und sexuellen Identität liegen dann vor, wenn sehr enge Zusammenhänge zwischen Störungen des Körperbilds, des Selbstkonzeptes und der interpersonalen Beziehungen bestehen.19
Andererseits können körperdysmorphe Klagen auch in anderen kritischen Lebensabschnitten entstehen, z. B. als Ausdruck einer gestörten Partnerbeziehung und auf gravierende Probleme der Selbstwertregulierung oder der sexuellen Kontaktfähigkeit hinweisen. Die Verschiebung einer konflikthaften Beziehungsstörung auf einen bestimmten Körperteil und die Konkretisierung der assoziierten narzisstischen Vulnerabilität unterstreicht psychodynamisch den stark introjektiven Verarbeitungsmodus. Gleichzeitig wird ein brüchiger Kontakt zu den Mitmenschen aufrechterhalten, indem ihnen projektiv eine kritische und beschämende Beobachtungsfunktion zugesprochen wird.20
Psychodynamik am Beispiel Brustgröße. Unterschiedliche psychodynamische Konstellationen müssen insbesondere bei Frauen berücksichtigt werden, die um eine plastisch-chirurgische Korrektur ihrer Brustgröße nachsuchen:21
Wunsch nach Brustvergrößerung. Frauen, die sich wegen einer Augmentationsplastik vorstellen, sind häufig in den 30er- oder 40er-Jahren, leben meist in hochkonflikthaften Ehen, berichten über enttäuschende Beschämungserlebnisse durch den Ehepartner, große sexuelle Schwierigkeiten und einen selbstwertgeminderten Status als Frau und Mutter. Ihre gynäkologische Anamnese weist gehäuft operative Interventionen, Fehlgeburten oder Fälle von plötzlichem Kindstod auf.
Wunsch nach Brustverkleinerung. Frauen, die sich wegen einer Reduktionsplastik vorstellen, sind deutlich jünger und meist ledig. Sie scheinen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung schwererwiegend gestört zu sein, tragen vielfältige anorektische und/oder bulimische Verhaltenszüge. Sie weisen in ihrer frühkindlichen Anamnese gehäuft körperliche und sexuelle Traumatisierungen auf.
Persönlichkeitsaspekte
Die Persönlichkeitsstruktur der Patienten wird vorrangig als zwanghaft, selbstunsicher, vermeidend, schizoid, sensitiv und hypochondrisch beschrieben, gelegentlich werden aber auch narzisstische und histrionische Züge bzw. Persönlichkeitsstörungen betont.22
Joraschky u. Moesler23 weisen darauf hin, dass sich zwischen diesen unterschiedlichen Strukturanteilen der Primärpersönlichkeit eine gemeinsame psychodynamische Vermittlungsstrecke in tiefliegenden Minderwertigkeitsgefühlen und einer besonderen Schamanfälligkeit einerseits, in einer hierzu kontrastierenden narzisstischen Ansprüchlichkeit und Überschätzung der eigenen Person andererseits herauskristallisiere. Diese gehe mit einer leichten Kränkbarkeit und Kontaktscheu einher und bedinge eine kompensatorisch gesteigerte Selbstbeobachtung und grüblerische Introversion.
Es ist anzunehmen, dass diese Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsstruktur auf eine langfristige biographische Vorgeschichte verweisen. Hoch aversive und traumatisierende Erfahrungen in den frühen Entwicklungsjahren können bei einer bedeutsamen Subgruppe von Patienten mit körperdysmorpher Störung ganz ähnlich wie auch bei den anderen somatoformen Subkategorien nachgewiesen werden.24
Perzeptive und neurokognitive Aspekte
Wie bei der Hypochondrie können auch bei der körperdysmorphen Störung eine auffällig gesteigerte Wahrnehmungssensibilität und eine selektive Aufmerksamkeit identifiziert werden („amplifying somatic style“).25 Es bestehen jedoch Unterschiede in der perzeptiven Ausrichtung. Fokussiert die Perzeption bei der Hypochondrie auf körperliche Sensationen, so richtet sie sich bei der körperdysmorphen Störung auf das äußere körperliche Erscheinungsbild.
Diesem klinisch-psychopathologisch beschreibbaren Wahrnehmungsstil liegt wahrscheinlich eine Reihe von neurokognitiven Defiziten zugrunde, die exekutive und mnestische Funktionen, das Erkennen von diskreten Affektexpressionen an Gesichtern und das Attributionsverhalten von Affektsignalen betreffen.26
Körperdysmorphe Patienten weisen keine grundlegende Schwierigkeit auf, an Gesichtern anderer definierte emotionale Emotionen zu identifizieren. Sie zeigen aber einen verstärkten Irrtumsbias in Richtung Ärgerexpression, vor allem wenn die Beurteilung in einer selbstreferentiellen Position vorgenommen werden muss.27 Diese selektive Aufmerksamkeitsfokussierung geht mit einer Tendenz einher, spontan vermehrt negative Selbstbilder und -erinnerungen zu evozieren, die eine aversive Bewertung des eigenen körperlichen Erscheinungsbildes durch andere in sozialen Interaktionen betreffen.28 Hiermit sind inadäquate Strategien der Kategorisierung und Fehlersuche in der allgemeinen Wahrnehmungsorganisation assoziiert,29 die in einer Spezifizierung auf die Bewertung des eigenen Körpers im dysfunktional wahrgenommenen, vermeintlich negativen Affekturteil anderer das typische körperdysmorphe Beschwerdebild vermitteln.30
Neuroimaging-Studien
Bildgebungsstudien zum Körperschema bzw. Körperbild sprechen für eine multisensorische Integration innerhalb eines komplexen neuronalen Netzwerks.31 Domänenspezifische Funktionen in der Repräsentation des Körperschemas (rechter parietaler Kortex),32 in der Prozessierung von Körperbildern im Allgemeinen (lateraler okzipitotemporaler Kortex),33 in der Erkennung und emotionalen Bewertung von Gesichtern im Besonderen (Gyrus fusiformis),34 und auch in der Beurteilung von Gesichtern hinsichtlich Attraktivität und Symmetrie zeichnen sich ab. Diese Erkenntnisse sind für ein Studium der körperdysmorphen Störung mittels funktioneller Bildgebung und gezielter kognitiver Untersuchungsparadigmata bisher noch nicht umgesetzt worden.35
In der derzeit einzigen vorliegenden funktionellen Neuroimagingstudie mittels SPECT wiesen sechs Patienten mit körperdysmorpher Störung ein Aktivierungsmuster in typischen parietalen Regionen auf, das als konsistent mit einer veränderten Körperwahrnehmung erschien.36 Eine morphometrische Untersuchung zeigte wiederum Auffälligkeiten im Nucleus caudatus, die auch bei Zwangsstörungen gefunden werden können.37
Nosologischer Status in der Diskussion der Zwangsspektrumserkrankungen
Der nosologische Status der körperdysmorphen Störung innerhalb der Gruppe der somatoformen Störungen ist noch stärker umstritten als die Hypochondrie.38 Als alternative Positionierung wird seit längerem eine Klassifikation innerhalb eines Zwangsspektrums intensiv diskutiert.
- In der Tat besitzen die intrusiv wiederkehrenden Ruminationen um das körperliche Erscheinungsbild einen stark obsessiven Charakter.39
- Betroffene Patienten zeigen auch eine Reihe von ritualisierten Verhaltensweisen, wenn sie z. B. ständig ihr körperliches Erscheinungsbild im Spiegel überprüfen, sich zwanghaft schminken und verkleiden müssen. Gelegentlich geht hiermit auch ein impulshaftes Haarereißen einher.40
- Es besteht eine bidirektional nachweisbare Komorbidität zwischen beiden Störungen.41
- Beide Störungen sprechen positiv auf serotonerg wirksame Antidepressiva an (s. unten).
- Eine ätiologisch relevante Beteiligung des Serotonin-Systems wird ferner unterstrichen, wenn körperdysmorphe Beschwerden gelegentlich nach einer prolongierten Einnahme von serotoninantagonistisch wirksamen Substanzen wie Marijuana42 oder Cyproheptadin43 beobachtet werden.
Eine vorschnelle Auflösung der körperdysmorphen Störung in einem breit konzipierten Spektrum heterogener Zwangsstörungen würde aber über diese Gemeinsamkeiten wichtige differenzielle Aspekte vernachlässigen.44 Studien, die Patienten mit einer körperdysmorphen Störung und Patienten mit einer Zwangsstörung miteinander direkt verglichen haben, sind selten.
- Frare et al.45 verglichen 34 Patienten mit einer körperdysmorphen Störung, 79 Patienten mit einer Zwangsstörung und 24 Patienten, die gleichzeitig an einer körperdysmorphen und Zwangsstörung litten, hinsichtlich klinischer und soziodemographischer Variablen. Das Geschlechterverhältnis war in den drei diagnostischen Gruppierungen ausgewogen. Beide körperdysmorphen Gruppen (ohne und mit Zwang) waren signifikant jünger und berichteten über einen früheren Krankheitsbeginn als die Zwangsgruppe. Beide Gruppen lebten signifikant seltener in Partnerschaften, waren häufiger ohne Arbeitsverhältnis, auch ihr Ausbildungsniveau war geringer, selbst wenn die Altersvariable kontrolliert wurde. Das Muster der psychiatrischen Komorbidität war bei den drei Gruppen unterschiedlich. Insgesamt wies die Gruppe mit körperdysmorpher und Zwangsstörung die höchsten Raten an komorbiden psychischen Störungen auf, die Gruppe mit Zwangsstörung die niedrigsten. Die Gruppe mit sowohl körperdysmorpher als auch Zwangsstörung zeigte häufiger eine komorbide bipolar II-Störung und eine soziale Phobie. Beide körperdysmorphen Gruppen waren sich in einem repetitiven körperbezogenen Kontrollverhalten sehr ähnlich. Die Autoren sprachen sich insgesamt nicht gegen eine konzeptuelle Nähe der körperdysmorphen Störungen zur Zwangsstörung, wohl aber gegen die nosologische Annahme einer einfachen Zwangsvariante aus.
- Phillips et al.46 fanden in einer analog konzipierten Vergleichsstudie mit höheren Fallzahlen in den drei Patientengruppierungen sehr ähnliche Befunde.
- Körperdysmorphe Patienten beweisen sehr häufig eine nur geringe Einsichtsfähigkeit in die Natur ihrer Beschwerden.47 Diese klinische Beobachtung kann in der nosologischen Diskussion aber nicht als spezifische Differenz gegenüber Zwangspatienten angeführt werden,48 berücksichtigt man die sehr ähnlichen, wenngleich geringer ausgeprägten Auffälligkeiten, die im Rahmen einer Feldstudie zu Zwangsstörungen erhoben worden sind.49 In Langzeitbeobachtungen können bei einer großen Gruppe von Patienten mit körperdysmorpher Störung (n = 161) sowohl Assoziationen zur Zwangsstörung als auch zur Major Depression aufgezeigt werden. Und doch dürfen körperdysmorphe Beschwerden nicht einfach als integrale Symptome dieser komorbiden Störungen angesehen werden.50
Psychiatrische Komorbidität
Die Diskussion einer nosologischen Nähe der körperdysmorphen Störung zum Spektrum der Zwangsstörung ist noch nicht abschließend zu beurteilen. In einer Perspektive der psychiatrischen Komorbidität sind weitere Assoziationen zur Major Depression, speziell zu einer atypischen Depression51, zur sozialen Phobie52, zu Essstörungen53 und zu Substanzmissbrauch54 als bedeutsam hervorzuheben.
Symptomatologie
Im Zentrum der schamerfüllten Selbstwahrnehmung eines Patienten mit einer körperdysmorphen Störung stehen meist leichte Unebenheiten des Gesichtes, eine subjektiv störende Konfiguration von Lippen und Nasen, eine angeblich entweder zu groß oder zu klein geratene weibliche Brust, ein vermeintlich verkümmerter Penis. In einer extremen Ausformung kann auch die Überzeugung imponieren, die gesamte körperliche Erscheinung sei clownesk verunstaltet.55 Es besteht eine große Variabilität im Schweregrad und Muster der Symptome. In aller Regel liegt keine globale Störung des Körperbilds vor wie bei der Anorexia nervosa oder der Transsexualität, sondern ist auf einzelne Körperteile fokussiert.
Wenngleich körperdysmorphe Beschwerden gelegentlich als eine Reaktion auf passagere Anspielungen oder Kommentare von umstehenden Personen auftreten können, spielen diese Urteile in aller Regel keinen prägenden Einfluss. Es ist vielmehr die vorgestellte Kritik, Beschämung oder Verachtung anderer auf den subjektiv registrierten, vermeintlichen körperlichen Defekt, der zur überwertigen Idee wird. Und psychopathologisch kennzeichnend ist, dass Dysästhesien zumeist nicht primär diese Entwicklung anstoßen, sich infolge der schambesetzten Überzeugung und zentrierten Wahrnehmung aber sekundär einstellen können.56
Am Bericht der Patienten über ihre körperzentrierten Symptome fällt sehr häufig ein vager Charakter auf. Parallel hierzu können Erwartungen z. B. an kosmetische Eingriffe völlig überzogen und unrealistisch sein. Erwartungsgemäß werden solche chirurgische Eingriffe häufig nicht mit einem Gefühl der Entlastung und Befreiung, sondern mit großer Enttäuschung und Unzufriedenheit erlebt; der Boden für chirurgische Nachkorrekturen wird hierdurch bereitet.
Beziehungsstörung
Regelmäßig wird das körperdysmorphe Syndrom von einer schwerwiegenden Beziehungsstörung begleitet:
- Die Patienten zeigen eine zunehmende soziale Isolierungstendenz;
- sie sind besonders in Intimkontakten sehr gehemmt, zeigen große Bindungsängste, wobei rationalisiert der ästhetische Körpermangel als Ursache für sehnlichst erwünschte, aber strikt gemiedene Sozialkontakte vorgeschützt wird;57
- in einer extremen Übersteigerung kann sich hieraus ein sog. „phobisches Beziehungssyndrom“ entwickeln, das in einen definitiven Beobachtungswahn übergehen kann;58
- im sozialen Rückzugsverhalten wird zwar die unerträgliche Qual, zur Zielscheibe des Spotts anderer Personen zu werden, vermieden. Es tritt aber keine eigentliche Symptomlinderung hierdurch ein. Sekundär können vielmehr schwere depressive Verstimmungen und suizidale Krisen resultieren.59
Verlauf und Prognose
Verlauf und Prognose sind abhängig von der psychiatrischen Grunderkrankung bzw. der psychodynamischen Ausgangslage. Bei der körperdysmorphen Störung besteht eine starke Neigung zur Chronizität.60
- Typischerweise persistieren die monomorphen Klagen unverändert über die Jahre hinweg, fluktuieren aber in ihrer Intensität.61
- Nicht so selten ist ein Übergang in eine wahnhafte Störung zu beobachten;62
- Es ist fraglich, ob eine diagnostische Separierung nach dem Kriterium einer „überwertigen Idee“ vs. „wahnhaften Überzeugtheit“ unter Verlaufsgesichtspunkten sinnvoll ist;63
- Übergänge zu einer schizophrenen Psychose können im Einzelfall vorkommen.64
- Ein erhöhtes Suizidrisiko ist im Verlauf zu bedenken.65
- Bedeutsame psychosoziale Behinderungsgrade und assoziierte Einbußen in der Lebensqualität sind charakteristische Verlaufsmerkmale der körperdysmorphen Störung.66
- Typischerweise zeigen körperdysmorphe Patienten ein hohes Inanspruchnahmeverhalten bei den unterschiedlichsten ärztlichen Spezialisten. Von den zahlreichen nicht-psychiatrischen, medizinischen Therapien, insbesondere von kosmetisch-chirurgischen Interventionen profitieren sie in aller Regel nicht.67
- Die beträchtliche psychiatrische Komorbidität kann den Verlauf zusätzlich komplizieren.68
- Als Prädiktoren für einen eher ungünstigen Verlauf kristallisierten sich im Rahmen einer prospektiven Follow up-Studie heraus: Schwere und Dauer der körperdysmorphen Störung bei Studienbeginn, vorliegende Persönlichkeitsstörung, nicht aber Geschlecht, Alter, Rasse, sozioökonomischer Status, Achse-I-Komorbidität.69
- Unter den Routinebehandlungsbedingungen einer Outpatient-Clinic mit prinzipiell verfügbaren psycho- und pharmakotherapeutischen Ansätzen zeigte sich in einer 4-jährigen Follow up-Studie mit psychiatrischen Evaluationen alle sechs Monate bei 95 Patienten in 58,2% eine Vollremission, in 83,8% eine Teil- oder Vollremission zumindest zu einem Kontrolltermin, bei 28,6% wurden nachfolgende Rezidive beobachtet. Zum 4-Jahres-Follow up-Zeitpunkt waren 16,7 % der Patienten in voller Remission, 37,8% in Teilremission, 45,6% erfüllten die vollen diagnostischen Kriterien einer körperdysmorphen Störung.70
Diagnostik und Differentialdiagnose
In der ICD-10 wird die körperdysmorphe Störung als eine Variante der Hypochondrie aufgeführt. Diese Sicht wird der Eigenständigkeit des charakteristischen klinischen Bildes nicht gerecht. Eine Orientierung am DSM-IV(-TR) erscheint angemessener, wenngleich die Positionierung innerhalb der diagnostischen Kategorie der somatoformen Störungen umstritten ist. Die strengeren diagnostischen DSM-Kriterien verlangen eine Einengung auf eine nichtwahnhafte, jedoch überwertige Beschäftigung mit einem vermeintlichen, objektiv nicht existenten oder allenfalls geringfügigen Defekt des körperlichen Erscheinungsbildes. Die körperdysmorphen Symptome müssen ein hohes subjektives Leiden und eine bedeutsame Behinderung in diversen psychosozialen Bereichen verursachen. Sie dürfen nicht durch eine andere psychiatrische Störung besser erklärt sein. Wichtige Hinweisreize auf das Vorliegen einer körperdysmorphen Störung sind in Tabelle 1 zusammengefaßt.
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Tabelle 1: Hinweisreize auf das Vorliegen einer körperdysmorphen Störung. (Nach Phillips 1996)
Psychopathologisch ähnliche Syndrome
Differentialdiagnostisch sind die körperdysmorphen Beschwerden von einer Reihe ähnlicher psychopathologischer Zustandsbilder abzugrenzen:71
- Während bei der körperdysmorphen Störung der schamvoll erlebte, lokale ästhetische Körpermangel imponiert, steht im hypochondrischen Syndrom die körperliche Gesundheit insgesamt oder eine vermeintlich krankhaft veränderte Körperfunktion im Zentrum der Befürchtungen.
- In narzisstischen Einstellungen gilt die Sorge vorrangig dem Verlust des jugendlichen Körpers im Alterungsprozess.
- Transsexuelle Überzeugungen gehen wiederum davon aus, das wahre Geschlecht befinde sich im falschen Körper, der als solcher aber als intakt erachtet wird.
- Anorexie. Bei einem anorektischen Verhalten rückt der Körper insgesamt, die globale Erscheinungsform, das Körpergewicht, speziell die oral-digestiven und sexuellen Funktionen in den Mittelpunkt der subjektiven Wahrnehmung und kognitiven Einschätzung.
- Erythrophobie. Die Erythrophobie teilt mit dem körperdysmorphen Syndrom ähnliche Grundzüge: Die Beschämung des betroffenen Individuums ist im ersteren Fall als interpersonales Affektsignal in sozialen Situationen unverkennbar, im zweiteren Fall hingegen meist ein sehr privates, sozial abgeschirmtes Erleben.
- Zwangssyndrom. Während in einem Zwangssyndrom intrusive Bilder oder Gedanken mit überwiegend aggressiv oder sexuell getönten Inhalten als Ich-dyston erfahren werden, denen ein heftiger affektiver, wenngleich selten erfolgreicher Widerstand entgegengesetzt wird, herrscht im körperdysmorphen Syndrom eine Überzeugung ohne gerechtfertigte Evidenz vor, löst Besorgnis über den Inhalt aus, ohne aber einen affektiven Widerstand nach sich zu ziehen.
- Adoleszentenkrise. Die körperdysmorphen Beschwerden gehören aber sicher nicht zum normativen Erscheinungsbild einer jugendlichen Entwicklung,72 sie besitzen vielmehr ein gefährliches Potential zu einer sensitiven Entwicklung, die schließlich in eine sog. „monosymptomatische hypochondrische Psychose“ bzw. psychotische Störung, somatischer Subtypus einmünden kann.73 Prägnanztypisch müssen von der wahnhaften körperdysmorphen Störung noch abgegrenzt werden:74
- Eigengeruchshalluzinose oder Eigengeruchsparanoia. Syndromal steht die Überzeugung im Vordergrund, der Körper ströme einen abstoßenden Geruch aus, der von anderen wahrgenommen werde und Ekel, Abscheu und soziale Verachtung verursache. Typischerweise verstärkt sich dieses Erlebnis in der sozialen Öffentlichkeit und schwächt sich deutlich ab, wenn sich die Patienten zurückziehen oder im engen Familienkreis sind. Psychopathologisch liegt ein primäres Geruchserlebnis vor, das jedoch zum Kern für eine sensitive Wahnentwicklung werden kann.
- Dermatozoenwahn oder chronische taktile Halluzinose. Es besteht syndromal eine überwertige oder wahnhafte Überzeugung, von Würmern, Käfern, Ungeziefer usw. befallen zu sein. Es imponiert ein primäres taktiles Erleben auf oder unter der Haut, das sich als Kribbeln, Sich-Einnisten, Bohren usw. von kleinen Tierchen beschrieben wird. Die taktilen Sensationen tragen einen außerordentlich hohen Realitäts-charakter und motivieren zu aktiver Suche, Manipulieren und Dekontaminationsritualen. Es besteht ein hohes Inanspruchnahmeverhalten bei Dermatologen, Hygienikern, Seuchenexperten oder Veterinärmedizinern. Hierbei wird eine enorme Affektdynamik entfaltet, der sich die konsultierten Ärzte nur schwer entziehen können. Nicht selten wird beim Partner ein symbiontisches Wahnerleben induziert.
- Gelegentlich markieren körperdysmorphe Symptome aber auch den Beginn einer schizophrenen Psychose.75 Sie gelten deshalb bei einigen Autoren als ein „ominöses Zeichen“.76
- Relativ selten ist das körperdysmorphe Syndrom Bestandteil einer endogenen Depression.77 Körperdysmorphe Symptome können relativ häufig Anpassungsstörungen bei individualtypischen Konfliktsituationen in Partnerschaft und Sexualität charakterisieren.78
Therapie
Die Therapie der körperdysmorphen Störung kann sich erst allmählich auf empirisch evaluierte Standards beziehen.79 Es liegen mittlerweile einige Erfahrungen aus kontrollierten psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlungsansätzen vor. Obwohl die Therapie sehr häufig multimodal angelegt ist, existieren gerade für eine Kombinationsbehandlung bisher keine empirischen Studien.
Psychopharmakotherapeutische Ansätze
Serotonerge Antidepressiva haben bei der körperdysmorphen Störung ihre Indikation, eine Überlegenheit der modernen selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) gegenüber den klassischen Trizyklika und MAO-Hemmern zeichnet sich ab.80
- In einer offenen Studie fanden Philipps et al.81, dass Fluvoxamin (238,3 ± 85,8 mg/die) nicht nur sicher und wirksam die körperdysmorphen Beschwerden reduzierte, sondern auch dann noch effektiv war, wenn eine paranoide Variante vorlag. Eine langfristige Behandlungsempfehlung ist auszusprechen, wenn man die sehr hohe Rückfallquote nach Absetzen von Fluvoxamin und anderen SSRI betrachtet, wie sich in einer unkontrollierten Therapieverlaufsstudie zeigte.82
- Günstige Effekte fanden Phillips und Najjar83 in einer offenen Studie für Citalopram sowie Phillips84 für Escitalopram.
- In einer randomisierten, doppelblinden Studie mit Crossover-Design bewies Clomipramin gegenüber Desipramin (jeweils maximale Tagesdosis: 250 mg) eine statistisch signifikante Überlegenheit.85 Der Behandlungseffekt zeigte sich als unabhängig von einer koexistenten Zwangsstörung, Depression oder sozialen Phobie. Clomipramin vermochte auch wahnhafte körperdysmorphe Symptome positiv zu beeinflussen.86 bestätigten diese positiven therapeutischen Erfahrungen in einer doppel-blinden, Placebo-kontrollierten Studie auch für Fluoxetin. Neben einer statistisch abgesicherten Reduktion der körperdysmorphen Symptome kann hierdurch auch eine bedeutsame Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden.87
In der frühen psychopharmakotherapeutischen Literatur finden sich einige sporadische Berichte über den positiven Einsatz von Antipsychotika der 1. Generation wie Pimozid oder Fluspirilen, wenn die körperdysmorphen Beschwerden wahnhaften Charakter besitzen.88 In einer großen Fallserie konnten Phillips et al.89 diese Effekte aber weder bei „überwertigen“ noch bei „wahnhaften“ körperdysmorphen Symptomen bestätigen. Auch in einer Placebo-kontrollierten Studie zeichnete sich in einem add-on-Design kein signifikanter zusätzlicher Benefit von Pimozid gegenüber Placebo bei einer Grundmedikation mit Fluoxetin ab.90 Außer vereinzelten kasuistischen Beobachtungen über den Erfolg versprechenden Einsatz von Olanzapin alleine oder als Zusatzgabe zu einem SSRI91 gibt es derzeit keine empirische Datenbasis, den Stellenwert der atypischen Neuroleptika bei der körperdysmorphen Störung näher bewerten zu können.
Psychotherapeutische Ansätze
Frühe verhaltenstherapeutische Ansätze konzentrierten sich in erster Linie auf die Reduktion sozialer Ängste, den Abbau von Vermeidungsverhalten und bemühten sich um ein adäquateres Coping.92 Therapeutische Erfahrungen mit der Technik der „systematischen Desensibilisierung“93 und der „systematischen Exposition“ in Situationen mit auslösender Wirkung94 liegen als kasuistische Berichte vor (Evidenz-Level D).
Ein stärkeres Gewicht haben kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren erlangt.95 Rosen et al.96 und Veale et al.97 legten positive Resultate aus kontrollierten Studien vor. Eine Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie zeichnete sich auch in Gruppensettings ab.98 Die prädiktive Bedeutung der psychopathologischen Dimension „überwertige vs wahnhafte“ Ideen für einen geringeren Behandlungserfolg oder ein Therapieversagen ist allerdings zu beachten.99
In einer metaanalytischen Bewertung der vorliegenden kognitiv-behavioralen Psychotherapieresultate aus insgesamt 8 Fallserien (n = 85) und zwei kontrollierten Untersuchungen (n = 19; n = 54) errechneten Williams et al.100 eine Effektstärke von 1,63, die insgesamt höher lag als jene einer psychopharmakologischen Intervention mit 0,92. In einer Perspektive der Evidence-based Medicine (EbM) kann der Evidenz-Level B/C zugeteilt werden.
Über eine verstärkte Beachtung der spezifischen Dysfunktionen in der Körperwahrnehmung und -evaluation, den hierüber in Gang gesetzten obsessiven Ruminationen und zwanghaften Überprüfungs- und Camouflageritualen als psychopathologischer Kernsymptomatik der körperdysmorphen Störung lassen sich nicht nur Fortschritte in der theoretischen Konzeptualisierung einzelner Therapieschritte, sondern möglicherweise auch ein günstigeres Gesamtergebnis erwarten.101
Psychodynamisch orientierte Behandlungsverfahren können in ausgewählten Fällen angezeigt sein und auch erfolgreich durchgeführt werden (Evidenz-Level D).102
Behandlung beim Dermatologen
Erscheinen Patienten mit körperdysmorphen Beschwerden bei Dermatologen, so ist es im Kontext einer einfühlsamen ärztlichen Führung durchaus konstruktiv, kosmetische Ratschläge zu geben, evtl. auch eine entsprechende Therapie einzuleiten. Integraler Bestandteil eines solchen Vorgehens sollte aber möglichst immer auch eine psychotherapeutische Gesprächsführung sein.103
Ist das Syndrom aber als Ausdruck einer psychiatrischen Störung, nämlich einer körperdysmorphen Störung klar erkennbar, dann sollte der Patient nicht unvorbereitet zu einem Psychiater überwiesen werden, da sonst sehr schnell Therapieabbruch und Arztwechsel drohen.
Psychiatrisches Konsil in der Chirurgie
Im Rahmen der kosmetischen Chirurgie stellt sich gelegentlich als konsiliarpsychiatrisches Problem, den vom Patienten vorgetragenen Operationswunsch zu bewerten.104 Hierbei ist empfehlenswert,
- das Niveau der Überzeugung abzuklären,
- das objektive Ausmaß der beklagten Deformität zu erfassen,
- v. a. auch Hinweise auf eventuelle psychiatrische Störungen zu erkennen,
- in der Anamneseerhebung den Beginn der körperdysmorphen Beschwerden, der damaligen psychosozialen Situation, die psychologischen Bedeutungen des vermeintlichen oder tatsächlichen Körpermangels, die Qualität emotionaler und sexueller Beziehungen, aber auch die vorliegende Persönlichkeitsstruktur und die hiermit einhergehenden zentralen psychodynamischen Konflikte exakt zu explorieren.
Eine klare Kontraindikation im Hinblick auf einen angestrebten operativen Eingriff muss gestellt werden, wenn eine psychiatrische Störung, z. B. eine depressive oder schizophrene Erkrankung vorherrscht. Diese verlangt zunächst immer eine psychiatrische Behandlung.105 In einer konsiliarpsychiatrischen Beurteilung sollen v. a. im Hinblick auf negative Operationsergebnisse vorsichtig stimmen:106
- vage, inkonsistente Beschreibungen,
- unklare und diffuse Zielvorstellungen bei einer angestrebten operativen Korrektur,
- frühere Fehlschläge, heftige Schuldattribuierungen an die früheren Operateure,
- eine magische Erwartung, durch einen chirurgischen Eingriff wegen des beklagten körperlichen Mangels würden auch sämtliche anderen psychologischen und sozialen Probleme gelöst,
- sensitive Beziehungsideen, ausgeprägte Beschämungsaffekte, niedriger Selbstwert,
- soziale Isolation, Vermeidung interpersonaler Kontakte, unbefriedigende Beziehungen.
Eine bedenkliche Dynamik kann die Arzt-Patienten-Beziehung annehmen, wenn in der Anamnese Anhaltspunkte für ein sog. „Chirurgenshopping“ oder „Koryphäen-Killer-Syndrom“ gegeben sind.
Zusammenfassung
Patienten mit körperdysmorpher Störung werden am aussichtsreichsten mit einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt, und sie profitieren psychopharmakologisch am ehesten von serotonergen Antidepressiva. Für beide psychotherapeutischen wie psychopharmakologischen Ansätze liegt derzeit ein Wirksamkeitsnachweis mit Evidenz-Level B/C vor. Für eine Kombinationsbehandlung, die sehr wahrscheinlich klinisch am häufigsten zu empfehlen ist, gibt es derzeit keine Evidenzbasierung.
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Universitätsklinik für Psychiatrie
Medizinische Universität Graz
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