Editorial
Eine ethische Reflexion über die wissenschaftliche Forschung darf nicht ausblenden, dass es in der Forschung immer auch um Geld, manchmal um sehr viel Geld geht. Natürlich spielt der Fortschritt eine Rolle. Bei der biotechnologischen Forschung geht es prinzipiell um neues Wissen, letztlich aber um neue Chancen zur Heilung und Verbesserung der Lebensqualität von Patienten.
Bei der biotechnologischen Forschung geht es aber auch um viel Geld. Diese Forschung ist personalintensiv und sehr aufwändig. Die Laboreinrichtungen sind hochspezialisiert und sehr teuer, die Projekte laufen über Jahre und Jahrzehnte. Man rechnet z. B., dass für die Entwicklung eines Arzneimittels von der Grundlagenforschung bis zur Zulassung rund 10 Jahre und 500 bis 900 Mio. Euro notwendig sind. In die Grundlagenforschung werden Jahr für Jahr große Summen öffentlicher und privater Gelder investiert. In der angewandten Forschung sind es auch Mittel aus dem Kapitalmarkt. Diese Finanzressourcen müssen aber ihren Ertrag bringen. Und was passiert, wenn eine bestimmte Forschungslinie für die Industrie und den öffentlichen Haushalt nicht mehr interessant ist? Dann versuchen die Forscher zu retten, was noch zu retten ist.
Bei der embryonalen Stammzellenforschung wurden die Erwartungen stark hochgeschraubt. Man sprach von einem neuen, revolutionierenden Paradigma der Medizin: Der Mensch wird nicht mehr geheilt, sondern einfach erneuert. Keine „Reparaturmedizin“ mehr, sondern eine „Erneuerungsmedizin“. Dies schien zum Greifen nahe, als es James Thomson im Jahr 1998 gelang, humane embryonale Stammzellen (hESZ) aus IVF-Embryonen zu isolieren. Die Forschung mit hESZ startete daraufhin sofort hochtourig, doch war damit zugleich eine Debatte über die ethischen Fragen losgetreten worden. Der Forschungsbetrieb ließ sich aber von „fortschrittsfeindlichen ethischen Bedenken" nicht aufhalten. Um die Jahrtausendwende sah es noch so aus, als ob den adulten Stammzellen (hASZ) keine große Zukunft in der medizinischen Forschung und Praxis beschieden wäre, während die mit hESZ befassten Wissenschafter Heils- und Zukunftsvisionen exklusiv für sich beanspruchten. Nun hat sich das Bild grundsätzlich geändert:
a) Die Forschung mit humanen adulten Stammzellen hat zahlreiche therapeutische Anwendungen, die weltweit bereits tausenden Menschen das Leben gerettet haben.
b) Die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen konnte die große Hürde nicht überwinden, dass diese Zellen wuchern und Tumore bilden.
c) Ende 2007 ist es erfolgreich gelungen, induzierte pluripotente Stammzellen (iPSZ) zu erzeugen. Es handelt sich dabei um reprogrammierte humane adulte Stammzellen, die die Eigenschaften von embryonalen aufweisen.
Ist nun die Forschung an hESZ nicht gänzlich überflüssig geworden? Die nüchterne Antwort kann nur lauten: Ja. Dieser Ansicht sind auch private Investoren, die sich angesichts der dürftigen Ergebnisse der humanen, als Heilsweg propagierten ES-Zellen kalte Füße geholt haben. Die Wahrscheinlichkeit kurzfristig erreichbarer Produkte auf Basis menschlicher embryonaler Stammzellen seien „verschwindend gering“, gab Alan Colman, einer der Pioniere der ES-Zellenforschung im Juli 2007 im Wissenschaftsjournal Science bekannt und erklärte seinen Rückzug als Geschäftsführer der Firma ES Cell International, die vor acht Jahren mit großem Pomp in Singapur eröffnet worden war.
Adulte Stammzellen sind ethisch unbedenklich und heilen heute schon, die embryonalen sind nur „viel versprechend“, ohne jedoch je geheilt zu haben. Private Kapitalgeber ziehen sich zurück. Öffentlichen Stellen fehlt noch der Mut, aber sie kündigen immerhin schon an, die Forschung mit adulten Stammzellen stärker als bis jetzt forcieren zu wollen. Warum die Lobby der in der Stammzellenforschung aktiven Wissenschafter noch immer gebetsmühlenartig wiederholt, dass das Um und Auf in jener Stammzellenforschung liegt, die den Verbrauch von Embryonen einschließt? Der Grund ist nicht die Liebe zur Wissenschaft oder zur Wahrheit; sondern die Angst, ihre Position im Forschungsbetrieb, d. h. das gesicherte Geld und den Ruhm zu verlieren. Das hat schon vor rund 100 Jahren der deutsche Philosoph Georg Simmel in seinem Traktat „Philosophie des Geldes" gut erläutert: „Das zum Endzweck gewordene Geld lässt jene Güter, die an sich nicht ökonomischer Natur sind, nicht als ihm koordinierte, definitive Werte bestehen; es genügt ihm nicht, sich neben Weisheit und Kunst, neben personale Bedeutung und Stärke, ja neben Schönheit und Liebe als ein weiterer Endzweck des Lebens aufzustellen, sondern indem es dies tut, gewinnt es die Kraft, jene anderen zu Mitteln für sich herabzudrücken.“
Ja, auch das Geld ist ein wissenschaftsexterner Faktor, der den Fortschritt auf vielfältige Weise mitbestimmt. Über die wissenschaftsexternen Faktoren des Fortschritts im Allgemeinen entwickelte T. S. Kuhn seine Theorie über die wissenschaftlichen Revolutionen, die in diesem Heft von J. Quitterer besprochen wird. T. Kenner positioniert das Forschungsethos in der Spannung zwischen Wahn und Weisheit, während Gabriele Werner-Felmayer die Verführung durch für die Wissenschaft benutzte Bilder darstellt, die nicht unbedingt die Wirklichkeiten widerspiegeln. Schließlich beleuchtet R. Klawki das komplizierte Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Forschung und Medien. Aus aktuellem Anlass widmen wir einen Teil dieser Ausgabe der ethischen Debatte zur Stammzellenforschung. Ein ganz wichtiges bis jetzt noch nicht abgedrucktes Dokument ist die Stellungnahme des Wiener Molekularpathologen Lukas Kenner, Mitglied unseres Wissenschaftlichen Beirates, bei der Anhörung im Deutschen Bundestag am 9. Mai 2007. Außerdem habe ich gemeinsam mit J. Stejskal versucht, die gängigen Argumente, die die Befürworter der embryonalen Stammzellenforschung vorbringen, zu widerlegen.
E. Prat