Alpbacher Gesundheitsgespräche 2013: Wer entscheidet Gesundheit?

Imago Hominis (2013); 20(3): 225-226
Enrique H. Prat

Entscheidungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit müssen getroffen werden. Der Vorgang ist allerdings komplexer, erfordert die Einbeziehung aller Beteiligten, oft lassen sich die Konsequenzen nicht sicher vorhersagen. „Wer entscheidet Gesundheit?“ war die Frage der diesjährigen Gesundheitsgespräche von 16. – 19. 8. im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach 2013.

Der britische Epidemiologe Sir Michael Marmot, Direktor vom Institute of Health Equity am UCL Research Department of Epidemiology and Public Health in London stellte als Keynote-Speaker den Zusammenhang zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit in einer Gesellschaft eindrücklich dar. Obwohl ein enger Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit besteht, lässt sich die Ungleichheit der Gesundheit nicht allein durch effiziente Armutsbekämpfungsprogramme sowie durch Entwicklung und Modernisierung des Gesundheitssystems reduzieren. Man müsse, so Marmot, komplementär dazu auf die sogenannten sozialen Determinanten der Gesundheit direkt einwirken. Die zehn Determinanten nach Marmot, die er in zahlreichen Publikationen1 dargestellt hat, lauten: soziales Gefälle, Stress, Frühe Kindheit, soziale Exklusion, Berufsleben, Arbeitslosigkeit, soziale Unterstützung, Sucht, Ernährung, Transport.

Der Epidemiologe kritisierte an europäischen Politikern, dass sie in Krisenzeiten vor allem die ökonomischen Aspekte im Fokus hätten, die Auswirkungen der Krise auf die Gesundheit jedoch ziemlich außer Acht ließen. Daraus lasse sich ableiten, dass wir heute auch in Europa von der Umsetzung des unter Gesundheitspolitikern beliebten Grundsatzes „Health in all policies“ weit entfernt sind, so Marmots Resümee.

John Ioannidis, Direktor des Stanford Prevention Research Centers, hatte im Jahr 2005 mit seinem Aufsatz „Why Most Published Research Findings Are False“2 großes Aufsehen erregt. In Alpbach knüpfte er als Keynote-Speaker unter dem Titel „Wie verlässlich ist Evidenz in der Medizin?“ daran an. Seine These, wonach ein hoher Prozentsatz der in wissenschaftlichen Journalen nach allen Regeln der Kunst veröffentlichten Daten falsch sei, dürfte dem Mitveranstalter der Gesundheitsgespräche, dem Verband der Pharmaindustrie PHARMIG, nicht besonders gefallen haben. Dennoch: Ioannidis hat seine These nicht einfach so aus dem Ärmel geschüttelt. Seine akribische Analyse der verschiedenen systematischen Fehler (Bias), die in den meisten Studien vorkommen, ermöglichten die nötige Dokumentation, um daraus klare Schlussfolgerungen zur Verbesserung der Qualität der medizinischen Forschung zu ziehen.

Das Generalthema war von den Veranstaltern in zahlreiche Fragestellungen aufgefächert, die im Anschluss an die Hauptvorträge in parallel laufenden Workshops behandelt wurden. Gibt es soziale Determinanten der Gesundheit, wie hoch ist ihr Einfluss? Wer und wie setzt man Prioritäten? Wie verlässlich ist das Wissen der evidenzbasierten Medizin (EBM)? Wer bestimmt, was geforscht wird? Ist die medizinische Forschung wirklich frei? Wie kann Gesundheitskompetenz für und mit Patienten geschaffen werden? Welche Rolle spielt Kommunikation in der Medizin? Was darf Gesundheit kosten, was wollen wir uns leisten?

Parallel zum Hauptthema gestaltete die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) als Präventionsproponent in Österreich ein Partnerprogramm, das langfristig zum Ziel hat, eine Präventions-Charta für Österreich zu erstellen.

Die Arbeitskreise des Hauptthemas haben insgesamt elf Vorschläge ausgearbeitet, über die im Plenum abgestimmt wurde. Die sechs Vorschläge, die die meisten Stimmen erhielten, wurden am letzten Tag der Gesundheitsgespräche mit Politkern im Plenum diskutiert, unter ihnen Gesundheitsminister Alois Stöger, Sozialminister Rudolf Hundstorfer sowie Vertretern der Sozialpartnerschaft. Die Vorschläge waren: Ende der Eitelkeiten – Kooperation zwischen Gesundheitsberufen als gesundheitspolitisches Ziel (74,6% der Stimmen); Qualitätssprung in der Gesundheitskompetenz (74,1%); Health in all policies in der laufenden Gesundheitsreform tatsächlich umsetzen (71,7%); Stärkung der Bürger durch mehr „Einblick ins System“ (68,2%); Kommunikationsfähigkeit als Knock-out Kriterium für alle Gesundheitsberufe (59,7%); Verbesserung der Qualität der gesundheitsspezifischen Forschung (57,9%). Die relativ schwachen Abstimmungsergebnisse nach drei Tagen intensiver Diskussionen dürften darauf zurückzuführen sein, dass die Ergebnisse zu allgemein gehalten waren und auch darauf, dass sie keine echten originellen Vorschläge enthielten. Die Politiker werden wohl beruhigt gewesen sein, denn eine echte Kursänderung wurde nicht vorgeschlagen.

Anders hingegen die Einschätzung des Partnerprogramms zur Präventions-Charta für Österreich: Dieser Teil der Gesundheitsgespräche war stark praktisch und umsetzungsorientiert. Renate Römer, Obfrau der AUVA, hatte ein klares Ziel vor Augen: Bei den Gesundheitsgesprächen sollte als erster Schritt in Zusammenarbeit mit Vertretern des Bundes, der Länder, der anderen Sozialversicherungsträger, den Sozialpartnern und weiteren Experten des Gesundheitssystems ein gemeinsames Arbeitsverständnis der Begriffe zur Prävention geschaffen werden.

Walter Eichendorf, stv. Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DG), hielt das Impulsreferat über Präventionsbemühungen in unserem Nachbarland. Zwei seiner Botschaften seien hier angeführt: Zum einen habe Österreich früher mit Prävention angefangen und sei Deutschland darin um einiges voraus. Zweitens seien Präventionskampagnen wichtig und lohnend, obwohl die Ergebnisse nicht leicht zu evaluieren sind.

In vier Workshops wurde dann eine gemeinsame Begrifflichkeit erarbeitet, die die weitere Zusammenarbeit der Institutionen des Gesundheitswesens erleichtern soll. Bekanntlich ist das Zusammenspiel der verschiedenen Sozialversicherungsträger ja nicht immer harmonisch. In punkto Prävention schien jedoch Einigkeit in der Unterstützung von Römers Initiative und der AUVA. Die Ergebnisse dieser Arbeitskreise: eine Vereinheitlichung von Definitionen, Präventionsgrundsätzen und Präventionsstrategien, soll eine solide Basis für eine fruchtbare Weiterführung des Projektes darstellen.

Im Jänner 2014 ist im Rahmen einer Sonderveranstaltung die Festlegung der Präventions-Charta vorgesehen. Danach soll eine österreichische Präventionslandkarte zur Ermittlung etwaiger Überschneidungen bzw. Parallelitäten erstellt sowie eine Priorisierung evaluierter Best-Practice-Modelle festgelegt werden. Im Europäischen Forum Alpbach 2014 sollen dann die gemeinsamen langfristigen Ziele bis 2020 diskutiert und fixiert werden. Wenn dieses Ziel einmal erreicht ist, wird sich das Europäische Forum Alpbach rühmen können, gemeinsam mit den Stake Holders des Gesundheitswesens der Gesundheitsförderung in Österreich einen großen Dienst geleistet zu haben.

Referenzen

  1. Wilkinson R., Marmot M., Social determinants of health: the solid facts, WHO, 2003, vgl. auch www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/98438/e81384.pdf (letzter Zugriff am 28. August 2013)
  2. Ioannidis J. P. A., Why Most Published Research Findings Are False, PLoS Med (2005); 2(8): e124, www.plosmedicine.org/article/info:doi/10.1371/journal.pmed.0020124 (letzter Zugriff am 1. September 2013)
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