Editorial
In der vorliegenden Ausgabe von Imago Hominis wird als Schwerpunkt das Thema Hirntod behandelt. Weltweit sind sich die internationalen medizinisch-wissenschaftlichen Gremien einig, dass der Hirntod zugleich den Tod des Menschen bedeutet. Auch in der Rechtsprechung der meisten westlichen Länder gilt die Regel, dass – neben der freiwilligen Organspende eines Lebenden – eine Organentnahme zur Transplantation nur von Toten erlaubt ist und dass demnach Hirntote als Organspender zugelassen sind. Einigkeit herrscht auch darüber, dass der Tod dann eintritt, wenn es zur vollständigen Desintegration der leib-seelischen Einheit des Menschen kommt, die die Identität bzw. Individualität einer menschlichen Person ausmacht. Diese Desintegration ist letztlich Folge der Trennung des immanenten Lebensprinzips vom Körper, was freilich weder eine wissenschaftliche Technik noch eine empirische Methode direkt feststellen kann. Man ist daher auf indirekte Zeichen der Desintegration eines menschlichen Organismus angewiesen. Die meisten Wissenschaftler (Mediziner, Philosophen, Theologen) anerkennen, dass beim Hirntoten zweifelsfrei eine Desintegration des menschlichen Organismus als individueller Ganzheit vorliegt und der Mensch daher tot ist. Von einigen Hirntodgegnern wird jedoch dieser Befund bis heute in Frage gestellt. Dabei spielen vor allem eine unterschiedliche Auffassung der Begriffe Integration bzw. Desintegration eine Rolle. Insbesondere scheint manchen Philosophen das Versiegen von rein körperlichen Funktionen viel zu vordergründig, um vom Tod eines Individuums zu sprechen. Auf der anderen Seite versuchen verschiedene ethische Strömungen, die menschliche Existenz in ein biologisches und ein personales Leben aufzuspalten, indem sie das Sterben des Menschen mit dem Verlust seiner geistigen Fähigkeiten gleichsetzen und zu dem Schluss gelangen, dass auch schon ein Teilhirntod, wie z. B. das Absterben des Großhirns und mit ihm der Verlust des Bewusstseins, mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen sei. Diese Situation zeigt das gegenseitige Spannungsfeld auf, in dem sich heute Naturwissenschaften und Philosophie bewegen, und unterstreicht die dringende Notwendigkeit eines Dialogs zwischen diesen beiden Disziplinen. Gerade in den Fragen nach Leben und Tod des Menschen kommt es zwischen ihnen zur unvermeidlichen Berührung, sodass besonders hier ein übergreifender Dialog notwendig erscheint. Gemeinsame Ausgangsbasis von Philosophie und Naturwissenschaft ist dabei immer die allgemeine lebensweltliche Erfahrung bestimmter Phänomene bzw. Tatsachen (z. B. Leben und Tod, Sehen und Erkennen, Gedächtnis usw.), die freilich dann von den beiden Wissenschaften auf ihre je eigene Art untersucht werden. So weiß im konkreten Fall zunächst jeder aus eigener Erfahrung, was mit Leben und Tod gemeint ist. Es kann aber sein, dass die allgemeine Lebenserfahrung gerade in Grenzsituationen wie z. B. dem Hirntod nicht ausreicht, um sich ein sicheres Urteil über die tatsächliche Wirklichkeit zu bilden, denn der Schein kann bekanntlich trügerisch sein. In solchen Fällen hat die Naturwissenschaft das Instrumentarium in der Hand, objektiv festzustellen, unter welchen Bedingungen z. B. ein lebender Organismus existieren kann, während es den Philosophen vorbehalten bleibt darüber zu reflektieren, was der medizinisch-biologische Tod eines Menschen als Individuum bedeutet. Der Naturwissenschaftler erforscht also einerseits die biologischen Prinzipien und Bedingungen (Naturgesetze) des Lebens und andererseits auch dessen Nachweismethoden. Er kann aber nichts darüber aussagen, was das Wesen des Lebens als solches nun eigentlich ist, vielmehr beschäftigt sich damit nach eigenem Selbstverständnis die Philosophie. Es kann aber nicht übersehen werden, dass gerade in der Frage über Leben und Tod beide Disziplinen aufeinander angewiesen sind. Die Entscheidung, ob der Mensch lebt oder schon tot ist, muss zwar letztlich der Arzt mithilfe seiner naturwissenschaftlichen Methoden treffen, während es hingegen den Philosophen vorbehalten bleibt, für die Wirklichkeit und Wirksamkeit einer geistigen Seele und deren Verbleib am Beginn und am Ende des Lebens, über die Personalität des Menschen und anderes mehr zu reflektieren. Der Arzt freilich ist zwar primär Naturwissenschaftler, aber er sollte in gewisser Weise auch Philosoph sein, denn er hat es mit Existenzfragen des Menschen zu tun und nicht nur mit Phänomenen der menschlichen Existenz. Wenn es um Leben und Tod geht, reicht daher die empirische Beschreibung des Phänomens nicht aus, um dem Menschen gerecht zu werden. Insofern wird der Arzt immer versuchen müssen, seine empirischen Befunde spekulativ zu durchdringen und so Naturforschung und Philosophie in einer ganzheitlichen Sicht zu vereinen, um dann seine Entscheidungen für das konkrete Handeln zu treffen. Hier zeigt sich exemplarisch, dass sich der Naturwissenschaftler, besonders aber der Arzt, philosophischen Einsichten nicht verschließen kann, will er nicht einem verhängnisvollen Reduktionismus verfallen. Diese Feststellung gilt aber auch in umgekehrter Richtung insofern, als auch die Naturwissenschaft dem Philosophen methodisch-systematische Grundlagen liefert, die ihn davor schützen, auf Grund von falschen Prämissen falsche Schlüsse zu ziehen.
J. Bonelli analysiert den Status des Hirntoten aus medizinisch-philosophischer Sicht und befasst sich auch eingehend mit den Argumenten der Hirntodgegner. Im Speziellen weist er darauf hin, dass das Integrations- bzw. Desintegrationsargument nicht ausschließlich somatisch-biologisch betrachtet werden darf, sondern auch auf die Identität bzw. Individualität eines Menschen abstellt. E. Trinka zeigt die Entwicklung der Hirntodkonzepte vor und nach dem Harvard-Report (1968) und behandelt aktuelle diagnostische Instrumente zur Feststellung des Hirntodes und ihre Zuverlässigkeit. T. Bachleda beschreibt in seinem Beitrag die pathophysiologischen Veränderungen nach Eintritt des Hirntodes und den enormen Aufwand der Intensivmedizin, der nötig ist, um potentiell geeignete Organe für eine bevorstehende Transplantation vital zu erhalten. Im Beitrag von J. Rosado wird das Phänomen des Lebens aus philosophischer Sicht analysiert. Er untersucht die ontologischen Kriterien des menschlichen Lebens und setzt sich vor allem mit dem Lebensprinzip (Seele) als innere Wirkkraft des Lebendigen zur Konstitution einer übergeordneten Ganzheit auseinander.
F. Kummer