Patientenaufklärung und ethisches Dilemma in der gynäkologischen Praxis
Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Erkenntnis OGH 5 Ob 165/05h einen niedergelassenen Salzburger Gynäkologen zum Ersatz des gesamten Unterhalts eines Kindes mit Trisomie 21 verurteilt. Der OGH hat damit auch in Österreich klargestellt, dass die pluralistische Gesellschaft behindertes Leben als Schaden wertet, als sogenanntes „wrongful life“. Das Urteil hat eine heftige Diskussion ausgelöst und neben anderen Aspekten auch die Frage der ärztlichen Aufklärung in ein neues Licht gesetzt. Nach Ansicht des OGH hat der Arzt die Schwangere nicht ausreichend über das Risiko einer möglichen Behinderung des Kindes und die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen aufgeklärt.
Für weite Kreise der Bevölkerung war es schwer zu begreifen, dass man auf eine an sich rechtswidrige Handlung, die vom Gesetzgeber straffrei gestellt wurde, einen Rechtsanspruch ableiten kann. Behindertenvertreter haben die Haltung gegenüber behindertem Leben und die Bezeichnung „wrongful life“, als Schaden für die Eltern bzw. die Gesellschaft, als diskriminierend bezeichnet.
Viel diskutiert wurde über das Miteinander und die gleichberechtigte partnerschaftliche Beziehung von Arzt und Patient. Der Arzt solle Berater und nicht Bevormunder des Patienten sein. Der Dialog zwischen beiden spiele eine entscheidende Rolle. Nicht der Arzt solle in seinem patriarchalischen Denken entscheiden, sondern der Patient sei die letzte Entscheidungsinstanz. Die Aufgabe des Arztes sei es, seine medizinische Kompetenz einzubringen und den Aufklärungsprozess auf der Ebene des Verständnisses des Patienten zu führen.
Im Falle der Untersuchung einer Schwangeren mittels Ultraschall kommt hinzu, dass es dabei grundsätzlich nicht um eine Entscheidung über die Gesundheit der Schwangeren selbst geht, sondern um die Prognose über ihr ungeborenes Kind. Nach erfolgter Diagnosestellung bzw. bei etwaigen Verdachtsmomenten über allfällige Auffälligkeiten oder Abnormitäten des Kindes, entscheidet die Schwangere letztendlich über das weitere Vorgehen. In vielen Fällen spitzt sich dieses leider zu auf eine Entscheidung für oder gegen das Lebensrecht ihres Kindes.
Ich erlaube mir diesbezüglich zwei kurze Anekdoten aus meiner Praxis zu schildern:
Ich hatte in meiner Ausbildung einen guten Lehrer, der grundsätzlich ein Gegner der Abtreibung war. Bei einer Bewerbung um eine Primariatsbesetzung wurde die Zustimmung zum Schwangerschaftsabbruch verlangt. Seine Bewerbung rechtfertigte der Freund mit dem Argument: „Als Arzt ist man ein Dienstleistungsunternehmer. Was der Patient als Kunde wünscht, muss gemacht werden! Die eigene moralische Einstellung hat da nichts verloren.“
Erst kürzlich erzählte mir eine schwangere Patientin, bei deren ungeborenem Kind im Rahmen einer Pränataldiagnostik eine Hydronephrose (Ausweitung beider Nierenbecken) festgestellt wurde und der eine weitere zytogenetische Untersuchung angeraten wurde: „Ein fehlgebildetes Kind würde ich nicht ertragen. Diese Tatsache würde mich und das Leben des Kindes zerstören.“
In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Gynäkologe heute: einerseits „Kaufhausmedizin“ und andererseits Fürsorge für den leidenden Mit-Menschen.
Grundsätzlich wird die Schwangere entscheiden, ob eine invasive Pränataldiagnostik durchgeführt wird und ob sie danach gegebenenfalls eine Abtreibung vornehmen lässt oder nicht. Sie wird sich bei ihren Überlegungen in erster Linie von ihrem privaten Umfeld beeinflussen lassen. In der Entscheidungsfindung wird sie sich im Rahmen des Beratungsgesprächs auch von ihrem Arzt leiten lassen. Der Arzt erlangt in diesem Gespräch mit seiner Patientin (seinem leidenden Mit-Menschen) eine Autorität, die über das medizinische Fachwissen hinausgeht. Der Arzt ist daher zu einem sittlich-praktischen Handeln verpflichtet und wird dieses auch vor seinem Gewissen zu verantworten haben. Er wird neben dem Fürsorgeethos für die Schwangere auch das Lebensrecht des ungeborenen Mit-Menschen zu berücksichtigen haben.
Moraltheologisch ist die Verantwortung des Arztes zu diesem Thema unter dem Gesichtspunkt des „Ärgernisses“ (scandalum) und der „Mitwirkung zum Bösen“ (cooperatio ad malum) zu bewerten.
In der Beratung im Rahmen der Pränataldiagnostik und damit verbunden, des umfassenden Lebensschutzes, wird vor allem die „cooperatio ad malum“ eine Rolle spielen. Diese ist als formell zu bezeichnen, wenn die Handlung des anderen als solche gewollt ist, und als materiell, wenn man direkt an der Handlung teilnimmt oder indirekt die entsprechenden Mittel liefert.
Unter diesen Kriterien ist eine Befürwortung der Abtreibung im Fall einer Malformation als formelle Mitwirkung an dieser Handlung zu werten.
Arzt-Patientenverhältnis
Es handelt sich hierbei um eine spezielle Form des Miteinanders, die sich aus der Situation von Not und Hilfe ergibt. Die Reaktion auf diese Ursituation entspringt einem Ethos der Fürsorge, dessen oberstes Gebot das Wohlergehen des Patienten ist. Der Mensch, der sich in einer bestimmten Not- und Ausnahmesituation an den Arzt wendet, erwartet von diesem die entsprechende sachliche Kompetenz, das entsprechende naturwissenschaftliche Wissen und die angemessene soziale Kompetenz, die Mitmenschlichkeit. Man unterscheidet in Abhängigkeit der Tiefe des Arzt-Patientenverhältnisses ein Vertragsmodell und ein Partnerschaftsmodell.
Beim Vertragsmodell geht es in erster Linie um die Erbringung einer technisch-medizinischen Leistung, z. B. in der Labormedizin und Radiologie, evtl. auch in der Zahnmedizin.
Beim Partnerschaftsmodell steht die Gleichrangigkeit von Arzt und Patient im Vordergrund, und es geht um eine partnerschaftliche Ergänzung in der Diagnose und Therapie einer Krankheit.
Gleichheit in der Arzt-Patientenbeziehung wird es allerdings nie geben, denn der Patient befindet sich immer in einer gewissen Abhängigkeitssituation der Hilfsbedürftigkeit und Schwäche sowie des Defizits des entsprechenden Fachwissens.
Das Fürsorgeethos (salus aegroti suprema lex) hat grundsätzlich zwei Eckpfeiler: Das Wohlergehen, die Heilung des Patienten (benefacere) und den Auftrag, so wenig wie möglich zu schaden (primum nihil nocere).
Am besten wird dieses Fürsorgeethos immer mit der Vater-Kindbeziehung verglichen. Der Arzt ist so um das Wohlergehen seines Patienten bemüht wie der Vater um das seines Kindes. Dieses paternalistische Prinzip lässt allerdings wenig Spielraum für Mitbestimmung. Grundsätzlich prägt der Paternalismus nicht das Fürsorgeethos, es hat sich allerdings in diese Richtung entwickelt. In der letzten Zeit hat sich das Arzt-Patientenverhältnis zur Patientenautonomie entwickelt (voluntas aegroti lex.). Patientenautonomie bedeutet Selbstgesetzgebung. „Autonom handelt, wer das als gut Erkannte tut und in diesem Sinne Urheber seiner Handlungen ist.“1
Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Autonomie individualistisch umgedeutet wird und die Erfüllung von Wünschen im Vordergrund steht. Dies kann zur Heteronomie führen, wo der Arzt nur mehr zu einem Ausführungsorgan wird. Eine Prüfung des Inhalts von Interessen steht vor der tätigen Erfüllung. Der Arzt läuft Gefahr, durch eine kritiklose Erfüllung von Patientenwünschen und einer scheinbaren Respektierung der Patientenautonomie instrumentalisiert zu werden bis hin zu einem verantwortungslosen Handeln.
Ein weiteres Problem der Patientenautonomie liegt in der Freiwilligkeit und Selbstständigkeit der Patientenentscheidung. Dieses betrifft vor allem die Notwendigkeit einer Bewertung, ob der Patient in der Lage ist, trotz entsprechender Aufklärung die absehbaren Folgen und Risiken in die Entscheidung mit einzubeziehen. Die Ausnahmesituation der Krankheit, Schmerzen, Ängste und ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis begünstigen konformistisches Verhalten. Besonders zu berücksichtigen ist der Einfluss von psychischen Krankheiten auf die Patientenautonomie, wo die mangelnde Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit möglicherweise eine Erscheinung des Leidens ist. Eine Behandlung gegen den Willen des Patienten ist nur dann gerechtfertigt, wenn es um die Abwehr eines selbstschädigenden Verhaltens geht oder wenn Dritte gefährdet sind. Hier besteht eine große Gefahr des Missbrauchs.
Nicht anwendbar ist das Prinzip der Patientenautonomie, wenn es um Interessen von Unmündigen oder Ungeborenen geht. Für den Fall, dass eine Mitentscheidung des Patienten nicht möglich ist, gilt dessen mutmaßlicher Wille. Auch die Einwilligung eines Vertreters wäre möglich z. B. der Eltern. Diese unterliegen dem Fürsorgeethos und sollten das Wohl des Patienten im Auge haben. Im Idealfall sollte es auch kein Gegeneinander des Fürsorgeprinzips und der Patientenautonomie geben, sondern eine sinnvolle Ergänzung.
Patientenaufklärung
Da das ärztliche Handeln in die Integrität des Patienten eingreift, ist grundsätzlich dessen Zustimmung notwendig. Diese Zustimmung setzt voraus, dass ein ausführliches Informationsgespräch stattgefunden hat und der Patient imstande ist, die Folgen und Risiken frei abzuschätzen und zu beurteilen. Der Patient muss die Tragweite seiner Entscheidung erkennen – die sogenannte Selbstbestimmungsaufklärung. Dem Patienten muss die geplante Therapie mit allen Benefits und Nebenwirkungen und Gefahren in für ihn verständlicher Form erklärt werden. Die Leitidee für das Arzt-Patientengespräch ist: „Das rechte Wort zur rechten Zeit am rechten Ort.“2 Je weniger dringlich der Eingriff ist, desto umfangreicher hat die Aufklärung zu erfolgen. Bei Gefahr im Verzug, bei Notfällen, kann die Aufklärung auf ein Minimum reduziert werden.
Der Inhalt des Gesprächs betrifft die Fakten der Diagnose, die Möglichkeiten der Therapie und die Prognose der Erkrankung. Die Folgen einer Therapie und auch die Folgen deren Unterlassung sind zu besprechen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arzt vom Allgemeinen auf das Individuelle deduzieren muss. Die Aufklärung hat sehr vorsichtig zu erfolgen, hat sie doch auch seltene, schwerwiegende Folgen zu umfassen, wobei die Gefahr einer Verängstigung des Patienten besteht. Die Risikoaufklärung muss sehr genau auf die Wahrscheinlichkeit einer auftretenden Nebenwirkung oder eines Schadens eingehen und darf weder zu Unter- noch zu Überschätzung führen. Angesichts der zunehmenden Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit ärztlichen Eingriffen gewinnt diese Form der Aufklärung immer mehr an Bedeutung. In vielen Prozessen ist mangelnde Aufklärung der Hauptanklagepunkt.
Bei einer allfälligen Gefahr für den Patienten durch die Mitteilung einer speziellen Diagnose kann es in Ausnahmefällen ethisch gerechtfertigt sein, diese Mitteilung zu unterlassen – sogenanntes therapeutisches Privileg. Die Anwendung dieses Privilegs ist mit großem Fingerspitzengefühl zu handhaben und benötigt eine Kenntnis der psychischen Situation des Patienten und seiner Lebensumstände. Manchmal wird eine Aufklärung nur fraktioniert möglich sein. Ergibt sich im Gespräch, dass der Patient möglicherweise die Tatsachen nicht ertragen könnte, wird man nur einen Teil der Wahrheit mitteilen und den Rest gegebenenfalls nachholen.
Eine weitere Ausnahmeregelung stellt die präventive Aufklärung Dritter dar. Diese ist Fällen vorbehalten, wenn z. B. eine Ansteckungsgefahr besteht. Das Gespräch sollte in erster Linie wahrhaft sein. Der Patient sieht den Arzt als sachkompetenten Mitmenschen, der neben dem medizinischen Sachwissen auch die sittlich praktische Kompetenz miteinbringt. Ein großes Maß an Fingerspitzengefühl ist nötig, die Vertrauensbasis zum Patienten aufzubauen und zu erhalten. Eine wahrheitsgemäße Patientenaufklärung ist eine Gratwanderung zwischen schonungsloser Mitteilung und Unterlassung von Fakten. Nur ein sehr einfühlsames Vorgehen garantiert die nötige Vertrauensbasis, die der Schwere der Erkrankung, der Therapieempfehlung und der Prognosestellung gerecht wird.
Es kann in der Gesprächsführung keine allgemein gültigen Regeln geben. Diese wird sich immer nach der individuellen Situation zu orientieren haben.
Wichtig ist vor allem auch, dass der Arzt auch zuhören kann und auf die spezielle Lebenssituation des Patienten eingehen kann. Es besteht nach außen hin eine auch gesetzlich verankerte Schweigepflicht. Die Ausnahmen wurden bereits erwähnt: die Gefahr der Gefährdung Dritter und der Schutz vor Selbstschädigung des Patienten.
Eine bekannte Tatsache ist, dass das, was der Patient im Gespräch wahrnimmt, von seinem Verständnishorizont abhängt. Es wird sich auch danach richten, was der Patient erwartet bzw. befürchtet, zu hören. Möglicherweise können hier Differenzen zwischen dem Gesagten und dem Perzipierten auftreten. Um diese Auffassungsunterschiede zu vermeiden, ebenso wie auch aus rechtlichen Gründen, ist die Dokumentation der erfolgten Aufklärung wichtig. Diese Aufklärung hat in jedem Fall schriftlich zu erfolgen, obwohl diese nicht ganz problemlos ist. Die Schriftform ist nur ein formalistischer Akt, der das Verstehensproblem nicht löst.
An dieser Stelle muss auch auf das Phänomen der „kognitiven Dissonanz“ hingewiesen werden. Dabei geht es um das Phänomen, dass Patienten, deren Heilung nicht den erhofften Erfolg nimmt, den Inhalt von zuvor geführten Aufklärungsgesprächen anders schildern, als dies tatsächlich der Fall war, nämlich im Sinne einer unterbliebenen Aufklärung. Gelingt es in diesem Fall dem Arzt nicht, das Gericht von der ordnungsgemäßen Aufklärung zu überzeugen, werden sämtliche Zweifel aufgrund der Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes ausgelegt.
Pränatale Diagnostik
Die Pränataldiagnostik (PND) dient der Klärung eines möglichen pathologischen Befunds beim ungeborenen Kind. Im Gegensatz zu den sonstigen medizinischen Diagnoseverfahren, die in der Regel weitere therapeutische Schritte nach sich ziehen, eröffnet die PND keine derartigen Möglichkeiten. „In den meisten Fällen besteht der einzige Weg zur Verhinderung der Geburt eines kranken Kindes im Abbruch der Schwangerschaft“.3
Nach derzeitiger Rechtslage muss ein Arzt Schwangere über 35 Jahren und bei Verdacht auf Wiederholungsrisiko (Erbdefekte in der Familie) auf die Möglichkeit eines genetischen Defekts der Nachkommenschaft hinweisen, da er im Unterlassungsfall seine Sorgfaltspflicht verletzt. Der Arzt kann und soll allerdings den Betroffenen die Entscheidung nicht abnehmen. Er soll im Sinne einer nicht-direktiven Beratung eine humane Lösung anstreben, die letztendlich von den Betroffenen in Freiheit und Verantwortung gefällt werden muss. Allerdings bedeutet Nicht-Direktivität auch, dass der Arzt dem Betroffenen nicht seine eigene Wertvorstellung aufdrängen darf. Die möglichen Entscheidungen nach Beratung reichen von Verzicht auf Nachkommenschaft bis hin zur Akzeptanz behinderter Kinder. Eine nicht-direktive Beratung muss den Grundsatz der Unparteilichkeit im Hinblick auf Wünsche und Interessen der Eltern und das Lebensrecht des werdenden menschlichen Lebens beachten.
Ein genetisches Screening z. B. bei Neugeborenen ist im Falle von therapierbaren Krankheiten ethisch gerechtfertigt, nicht jedoch im Falle von nicht behandelbaren, die erst im späteren Lebensalter manifest werden. Letzteres würde eine hohe Gefahr bergen, ein Urteil über den Lebenswert des Betroffenen abzugeben.
Die pränatale Diagnostik dient der Früherkennung von Fehlbildungen und Abnormitäten des ungeborenen Kindes. Sie kann Ängste bei der Schwangeren nehmen. In einigen Fällen ist bei Erkennung einer Krankheit vor der Geburt eine erfolgreichere Therapie möglich. Bei Erbkrankheiten kann sie mithelfen, dass sich die Schwangere auf die mögliche Behinderung des Kindes einstellen kann. Leider ist sie allerdings in den meisten Fällen eine Entscheidung über Leben und Tod des geschädigten Feten und sollte deshalb strengen ethischen Kriterien unterworfen sein.
Grundsätzlich muss die Durchführung der pränatalen Diagnostik eine freiwillige Entscheidung der Schwangeren nach genauer Aufklärung über Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie sein. Sie darf nicht unter Druck vorgenommen werden, ebenso muss nach Diagnosestellung sehr behutsam vorgegangen werden.
Wichtig ist auch darauf hinzuweisen, dass auch ein allfälliger invasiver diagnostischer Eingriff ein Risiko in sich birgt, dieses beträgt bei der Amniozentese 0,5 – 1 Prozent und bei der Choriozentese zwischen 2% und 5%. Dieses Risiko einer möglichen Fehlgeburt eines gesunden Kindes muss dem Nutzen einer Beruhigung einer älteren Schwangeren gegenübergestellt werden. Bei der Beratung vor dem Eingriff sollte in jedem Fall auch das Lebensrecht des Ungeborenen angesprochen werden.
In jedem Fall sollte die Pränataldiagnostik aus ethischen Gründen auf risikoreiche Schwangerschaften beschränkt sein, und nicht wie realiter praktiziert auf alle Schwangeren ausgedehnt werden. Aus ethischen Gesichtspunkten müsste eine Diagnostik nicht therapierbarer Erkrankungen abgelehnt werden, schon um einer Eugenik entgegenzuwirken. Eine Ausweitung der Diagnostik auf Normalmerkmale, wie Geschlecht und Vaterschaftsnachweis ist abzulehnen. Die Erstellung eines positiven Indikationskatalogs wäre von der technischen Möglichkeit der Diagnose bestimmter Krankheiten bzw. Fehlbildungen abhängig und birgt die Gefahr in sich, gesellschaftlich unerwünschte Krankheiten frühzeitig zu erkennen und die betroffenen Schwangerschaften abzutreiben.
Die Diagnosestellung wird einerseits von dem Wunsch der Eltern getragen, ein gesundes Kind zu bekommen, andererseits ergibt sich aus der Möglichkeit einer frühzeitigen Diagnostik von Erbkrankheiten ein Anspruchsdenken mit allen ethischen und rechtlichen Problemen. Das Lebensrecht des Ungeborenen wird nur unter dem Vorbehalt der Gesundheit angenommen und im negativen Fall eine Abtreibung in Kauf genommen. Der behandelnde Arzt ist der Garant für ein gesundes Kind und ist bei Nichterfüllung schadenersatzpflichtig. Die Geburt eines behinderten Kindes wird rechtlich als Schaden gewertet, der bei rechtzeitiger Aufklärung über die Pränataldiagnose hätte verhindert werden können.
Der Arzt ist nach derzeitiger Rechtslage dazu verpflichtet, eine lege artis durchgeführte genetische Beratung durchzuführen und die Schwangere auch über die Möglichkeit einer Abtreibung aufzuklären. Eine unterlassene diesbezügliche Aufklärung wird als Verletzung des Behandlungsvertrags gewertet und macht den Arzt im Schadensfall strafbar. Die Rechtssprechung der letzten Zeit ist der Ansicht, dass die Geburt eines behinderten Kindes ein vermeidbarer Schaden sei und fällt damit ein Urteil über den Lebensunwert des Kindes.
„Die Pränataldiagnostik berührt gewichtige Interessen der ganzen Gesellschaft vor allem deshalb, weil auffällige Befunde nur selten zu therapeutischen Maßnahmen führen, sondern im Abbruch der Schwangerschaft enden. Vor allem Behindertenverbände haben in der Vergangenheit immer wieder kritisch darauf hingewiesen, dass die Tötung Ungeborener nach der Diagnose ihrer genetischen Erkrankung eine gefährliche symbolische Botschaft auf den Horizont der gesellschaftlichen Wahrnehmung projizieren könnte: Das Leben mit einer solchen Erkrankung, so könnte das verstanden werden, sei nicht lebenswert.“4
Ein weiteres Problem ergibt sich bei diagnostizierbaren Defekten, die erst in späteren Lebensjahren zu Krankheitsmanifestationen führen, wie z. B. Zystennieren oder Chorea Huntington. Soll der Betroffene davon wissen oder nicht? Falls er nichts davon weiß, wird eine gewisse Beeinflussung in der Eltern-Kindbeziehung eintreten. Falls er davon weiß, trägt er sein Leben lang eine Last mit sich und wird sich im Falle eigener Nachkommen schuldig fühlen, wenn er seine Erbmerkmale mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit weitergibt.
Schwangerschaftsabbruch
Die geltende Rechtslage bestimmt den gesetzlich legitimierten Entscheidungsspielraum der Schwangeren für die Frage der Fortsetzung der Schwangerschaft oder der Abtreibung nach der jeweiligen Dauer. Gemäß § 97 Abs 1 Ziff 1 hat während des ersten Trimenon die autonome Entscheidung der Frau den uneingeschränkten Vorrang vor abweichenden objektiven Interessen des Ungeborenen. Erst nach diesem Zeitpunkt kommt es rechtlicherseits zum Ausgleich mit den stärker werdenden und daher geschützten Überlebensinteressen des Feten. Ausnahmen sind nach § 97 Abs 1 Ziff 2 allerdings fetale Erkrankungen, welche die Prognose einer schweren Schädigung für Geist und Körper des zu erwartenden Kindes begründen.
Der Arzt, welcher eine Pränataldiagnose durchführt, ist verpflichtet, der Schwangeren über alle Untersuchungsdetails Auskunft zu erteilen und gegebenenfalls auf die Möglichkeit einer allfälligen schweren Schädigung des Ungeborenen hinzuweisen.
Selbst in jenen Fällen, wo erst knapp vor der Geburt bei lebensfähigen Kindern schwere fetale Fehlbildungen erkannt werden, hat der Arzt im Rahmen der Aufklärung darauf hinzuweisen, dass prinzipiell bei dieser Konstellation die Abtreibung noch straffrei ist. In jenen Fällen wird die Tötung des Kindes durch intracardiale Applikation von Fibrin oder KCl) durchgeführt. Auch wenn der Arzt diese grundsätzlich nicht vornimmt (wozu er auch nicht verpflichtet ist), muss er der Schwangeren die Möglichkeit geben, sich gemäß § 97 Abs 1 Ziff 2 eine Institution zu suchen, wo diese Tötung vorgenommen wird.
In vielen Fällen spitzt sich die Pränataldiagnostik leider auf die Frage einer Entscheidung für oder gegen das Kind zu, d. h. die Einbeziehung der Möglichkeit einer Abtreibung. Ein diesbezüglicher Automatismus ist zwar ethisch höchst bedenklich, entspricht aber der Realität.
Der Arzt, die Eltern und die Gesellschaft maßen sich an, über den Lebenswert des Ungeborenen zu entscheiden. Insbesondere werden in diese Entscheidungsfindung Kriterien der sogenannten Normalität einfließen und die Zumutbarkeit der Krankheit für das Kind, die elterliche Fürsorge und die Gesellschaft erörtert. Die Gefahr der Diagnose liegt vor allem auch in der Selektion. Der bekannte Münchner Gynäkologe Hepp hat bereits 1994 die Frage gestellt: „Wird in Zukunft die Lebenserwartung, z. B. nach Diagnose eines Morbus Huntington oder einer Fanconi Anämie zum Selektionsmaßstab.“5
Angesichts des Problems, der erlaubten Tötung von Ungeborenen bis nahezu zur Geburt und der Tatsache, dass alle verfügbaren intensivmedizinischen Mittel eingesetzt werden, um ein Frühgeborenes, auch nach missglückter Spätabtreibung, am Leben zu erhalten, fragt Hepp weiters: „Warum ist das nachgeburtliche schwerkranke Leben plötzlich dem vollen Rechtsschutz unterstellt , so dass aktives Handeln von Passivität abgelöst wird? Wird der Gesetzgeber eines Tages die postpartale Tötung geschädigter Kinder erlauben, so wie er heute mit dem Hinweis auf die Zumutbarkeit für die Eltern, die pränatale Tötung gestattet?“6 Die Gesellschaft fordert vom Gynäkologen, „Helfer für das Leben und gleichzeitig Helfer zum Tode zu sein“. Diese Begehrlichkeit macht deutlich, dass ethisch eine Grenze zu ziehen ist.
Referenzen
- Pöltner G., Grundkurs Medizin-Ethik, Facultas Verlag, Wien (2002), S. 94
- ebd., S. 99
- Konsensus-Statement: Bedingungen spezieller pränataler genetischer Diagnostik, 6. Oktober 2006, Hotel Palais Strudlhof, Wien
- ebd.
- Hepp H., Ethische Probleme am Anfang des Lebens, in: Honnefelder L., Rager G., Ärztliches Urteilen und Handeln, Insel Verlag, Frankfurt, Leipzip (1994)
- ebd.
Dr. Karl M. Radner
Facharzt für Gynäkologie
Meidlinger Hauptstraße 7/1/1/2
A-1120 Wien
k.radner(at)aon.at