Neue Erkenntnisse aus der IVF

Imago Hominis (2003); 10(3): 142-145
Karl Radner

Am 25. Juli jährte sich zum 25. Mal der Geburtstag von Louise Brown, des ersten Kindes, welches im „Reagenzglas“ gezeugt wurde. Die beiden Forscher und Mediziner Streptoe und Edwards an der Bournhall Clinic in London hatten seiner Mutter, die aufgrund verschlossener Tuben nicht auf natürlichem Wege schwanger werden konnte, zu einer Schwangerschaft verholfen. Die IVF (in vitro Fertilisation) wurde als Weltsensation angepriesen und sehr bald auch in anderen Ländern angewendet. In Österreich wurde das erste Retortenbaby 1982 an der damaligen 2. Univ. Frauenklinik durch Mithilfe des Teams Feichtinger und Kemeter geboren.

Viele Probleme kinderloser Paare schienen gelöst zu sein. Im Lauf der Jahre wurden zunehmend neue Techniken entwickelt, welche das Eindringen der Spermien in die Eizelle verbesserten, Methoden, die vor allem auch bei Männern, die an Oligoasthenoteratozoospermie (OAT-Syndrom) leiden, Anwendung finden. Ursprünglich wurden die Samenzellen nur mit einer Nadel unter die zona pellucida der Eizelle gebracht bzw. diese eröffnet. In den letzten Jahren hat sich in der Behandlung infertiler Männer die sogenannte ICSI (intracytoplasmatic sperm injection) als Standard etabliert, wobei eine bis mehrere Samenzellen direkt in die Eizelle eingebracht wurden. Bei Männern mit einer Azoospermie (einem völligen Fehlen von Spermatozyten im Ejakulat) wurde die Punktion der Nebenhoden angewendet (MESA-ICSI – microsurgical epididymal sperm extraction). Zuletzt wurden sogar die Hoden zur Kultivierung von Spermien aus unreifen Vorläuferzellen direkt punktiert.

Um die Einnistung der befruchteten Embryonen in den Uterus zu verbessern, werden Methoden angewendet, die das „Schlüpfen“ der mehrzelligen Embryonen aus der Zona pellucida verbessern, indem man diese mittels Nadeln anritzt oder mit Laser eröffnet.

Da bei der Technik der IVF meist viele Eizellen gewonnen werden können und häufig auch viele befruchtet werden, diese jedoch wegen der Gefahr von Mehrlingsschwangerschaften nicht alle transferiert werden können, werden nur die optisch am besten entwickelten Embryonen zum Embryotransfer (ET) verwendet und die anderen verworfen. Eine Möglichkeit, das zu verhindern, ist die Kryokonservierung der Embryonen in flüssigem Stickstoff. Dadurch wird vordergründig und vorerst einmal die Tötung der überzähligen Embryonen vermieden und auch der Frau eine nochmalige Follikelpunktion erspart. Es gehen jedoch sehr viele Embryonen beim Auftauen zugrunde, außerdem verhindert die österreichische Gesetzgebung (Fortpflanzungsmedizingesetz) ein Einfrieren von länger als einem Jahr.

Eine Möglichkeit, den Zustand von mehrzelligen (meist ab 8-Zeller) Embryonen zu beurteilen, ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), wobei etwa zwei Zellen entnommen und einer genetischen Untersuchung zugeführt werden. Diese Option ist in den meisten Ländern allerdings gesetzlich verboten und eine Änderung der Gesetze wird vielfach verlangt.

Die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin hat zu einer grenzenlosen Euphorie geführt, die unter anderem auch Carl Djerassi, der gern als „Vater der Pille“ bezeichnet wird, zu der Aussage veranlassten, die menschliche Fortpflanzung sei völlig von der Sexualität und dem Geschlechtsakt zu trennen.

Schon bald nach der Einführung der IVF-Technik traten Bedenken über mögliche gesundheitliche Schäden bei Retortenkindern auf. Es wurde über ein erhöhtes Abortusrisiko, häufigere Totgeburten und über ein erhöhtes Missbildungsrisiko berichtet. Diese Befürchtungen wurden besonders bei den neueren Techniken, der ICSI, geäußert, wo grundsätzlich Spermien „schlechterer“ Qualität verwendet werden.

Die britische Forscherin Jennifer Kurinczuk von der Universität in Leicester hat in einer Übersichtsarbeit im renommierten Journal „Human Reproduction“ vor kurzem einen Überblick über die vielfältigen Risiken der ICSI gegeben. Sie erhebt mahnend die Forderung, die Kinderwunschpaare entsprechend über diese Gefahren aufzuklären und unerwünschte Ereignisse nicht unerwähnt zu lassen. Vor allem Reproduktionskliniken würden dazu tendieren, nur über die Erfolge zu berichten und bei den Aussagen über mögliche Risiken zurückhaltend zu sein.

Eines der Hauptprobleme der Reproduktionsmedizin ist zweifelsfrei die Gefahr von Mehrlingsschwangerschaften. Sie zeigen in jeder Phase der Schwangerschaft, der Geburt und der postnatalen Periode ein erhöhtes Risiko. Zwillinge haben gegenüber Einlingen ein etwa achtfaches Risiko einer Zerebralparese, Drillinge sogar ein 47-fach erhöhtes. Jenseits der 20. Gestationswoche besteht bei einer von 5 Drillingsschwangerschaften und bei einer von 10 Zwillingsschwangerschaften das Risiko einer Totgeburt oder einer späteren Zerebralparese. Es erscheint schwer zu quantifizieren, wie groß die Probleme für Eltern mit Mehrlingen sind, von denen ein oder mehrere Kinder an einer Zerebralparese leiden. Eine Studie von Joesch und Smith aus dem Jahre 1997 versucht es anhand der Zunahme an Ehescheidungen zu illustrieren. Quantifizieren lassen sich allerdings gesundheitsökonomisch sehr wohl die Kosten, die Kinder mit Zerebralparese jährlich verursachen.

In vielen Kliniken ist man daher zum Fetozid von Mehrlingsschwangerschaften übergegangen, der gezielten Tötung eines oder mehrerer Embryonen.

Eine Konsequenz, die sich für die meisten Reproduktionsmediziner allerdings ergeben hat, ist, ein Mittelweg zwischen Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer und Möglichkeit einer Mehrlingsschwangerschaft. Diese Zahl liegt bei etwa drei Embryos pro Transfer. Die erzielten Schwangerschaftsraten liegen dabei bei 15-20% pro Embryotransfer („Baby take home“ rate). In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass von den Fortpflanzungskliniken unterschiedliche Daten verwendet werden: Die Embryotransferrate, d. h. die Zahl der transferierten Embryos pro Follikelpunktion; die Schwangerschaftsrate pro Follikelpunktion oder pro Embryotransfer, wobei hier zwischen nur sogenannten biochemisch nachweisbaren (serologisch b-HCG Anstieg) und echten vaginalsonographisch nachweisbaren (mit pos. Herzaktion des Embryos) und Geburtsraten (d. h. „baby take home“) unterschieden wird. Die Erfolgsraten unterscheiden sich dadurch natürlich wesentlich.

Die Verwendung einer geringeren Anzahl transferierter Embryos senkt naturgemäß die Schwangerschaftsrate. Allerdings ist bei Transfer eines einzigen Embryos, wie z. B. in Finnland verpflichtend, die Gefahr von Mehrlingsschwangerschaften ausgeschlossen.

Verschiedene Autoren berichten über eine exzessive Zunahme an fetalen sex-chromosomalen Anomalien, was an sich nicht weiter verwundert, da diese Anomalien auch bei den Elternteilen vermehrt auftreten. So wurden in einer Studie von van der Ven et al. 1998 bei 6,5% der infertilen Männer chromosomale Anomalien gefunden, wobei zwei Drittel von diesen sex-chromosomale Fehlbildungen aufwiesen. Von Bedeutung ist auch die hohe Rate an Aneuploidien, häufig werden auch Mosaikmuster z. B. für das Klinefeltersyndrom gefunden.

Mikrodeletionen am langen Arm des Y Chromosoms sind in 10-15% der infertilen Männer mit Azoospermie oder schwerer Oligozoospermie nachweisbar. Zusätzlich ist damit zu rechnen, dass in nachfolgenden Generationen dieser Männer schwerere chromosomale Deletionen auftreten könnten. Vielerorts wird ein genetisches Screening dieser Männer vor ICSI und im positiven Fall bei Fortsetzung der Prozedur eine PID des Embryos gefordert. Als eine Möglichkeit wird sogar der ausschließliche Transfer weiblicher Feten in diesen Fällen genannt.

In letzter Zeit häufen sich Bedenken über einen möglichen Effekt der ICSI auf sogenannte Imprinting-Gene. Diese sind entscheidend an frühen Steuerungsprozessen des Embryos beteiligt. Störungen in diesem Bereich werden mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen in Zusammenhang gebracht. Ein Verlust der Funktion von Imprinting-Genen kann zu Missbildungen wie z. B. dem Beckwith-Wiedemann-, dem Prader-Willi- und dem Angelmannsyndrom führen. Imprinting-Gene sind empfindlich auf physikalische und chemische „Stresseinwirkungen“, wie sie sowohl beim ICSI als auch bei der Kryokonservierung auftreten.

Jüngste Studien haben ebenfalls weniger ermutigende Daten ergeben. So fanden Schieve et al. 2002, dass das Risiko von dystrophen Neugeborenen nach Einlingsschwangerschaften nach IVF zweimal so hoch wie nach spontaner Schwangerschaft ist.

Über ein ebenfalls zweifach erhöhtes Risiko von Zerebralparese und Entwicklungsstörungen bei Einlingen nach IVF berichtet eine Studie von Strömberg et al. 2002.

Als Schlussfolgerung dieser Berichte ist zu empfehlen, dass man die Anstrengungen verstärkt, sowohl den Interessenten als auch die Gesellschaft im Allgemeinen über die Risken der IVF und der ICSI entsprechend ausführlich aufzuklären. Unbedingt muss auf das potentielle Risiko einer schweren genetischen Störung des Nachkommens hingewiesen werden, ebenso auf die Komplikationen während der Geburt und auf die Gefahren, die aus Mehrlingsschwangerschaften resultieren.

Aber angesichts der Risken und der damit verbundenen ethischen Probleme wäre dringend zu hinterfragen, ob überhaupt die IVF als angemessenes Mittel der Fortpflanzung angesehen werden darf. Die Instruktion der vatikanischen Glaubenskongregation über die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens „Donum Vitae“ hat die IVF deshalb abgelehnt, weil sie die Würde des Menschen mehrfach verletzt, und behauptet, dass einzig die Einheit zwischen ehelichem Akt und Fortpflanzung eine menschenwürdige Elternschaft sichert. Die Unverhältnismäßigkeit der Risken scheint mitunter auch einen Beleg für die Richtigkeit dieser Lehre zu liefern.

Referenzen

  1. Kurinczuk J., From theory to reality – just what are the data telling us about ICSI offspring health and future fertility and should we be concerned, Human Reproduction (2003); Vol 18: 925-931
  2. Joesch J. M., Smith K. R., Children’s health and their mother’s risk of divorce and separation, Social Biology (1997); Vol 44: 159-169
  3. van der Ven K., Increased frequency of congenital chromosomal aberrations in female partners of couples undergoing cytoplasmatic sperm injection, Human Reproduction (1998); Vol 13: 48-54
  4. Schieve L. A., Low and very low birth weight in infants conceived with use of assisted reproductive technology, N Eng J Med (2002); Vol 346: 731-737
  5. Strömberg B., Neurological sequelae in children born after in-vitro fertilisation: a population-based study, Lancet (2002); Vol 359: 461-465
  6. Imago Hominis (2002); Vol 9
  7. Instruktion der Glaubenskongregation „Donum vitae“ (1987)

Anschrift des Autors:

Dr. Karl Radner
Facharzt für Gynäkologie
Meidlinger Hauptstraße 7
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