Editorial

Imago Hominis (2003); 10(32): 65-66

Die Biopolitik scheint ein Problem des Wertekonsenses in Europa aufzudecken. Das EU-weite Moratorium, vorerst keine Forschungsgelder für embryonenverbrauchende Forschung bereitzustellen, konnte noch in letzter Minute durchgesetzt werden, läuft aber mit Ende des Jahres 2003 aus. Eine Expertenrunde internationaler Zusammensetzung traf sich Ende April in Brüssel, um die Frage der weiteren Vorgangsweise vorzusondieren. Wie zu erwarten war, prallten die konträren Positionen aufeinander, hatten doch mehrere Länder die Zeit genützt, diese Thematik einmal auf nationaler Ebene zu klären. Dass dies in sehr unterschiedliche Form erfolgt ist, braucht nicht weiter erwähnt zu werden. Dabei stellt sich die delikate Frage: sollen jene Staaten, die für eine restriktivere Regelung eintreten und embryonenverbrauchende Forschung im eigenen Territorium nicht dulden, quasi genötigt werden, eben diese Forschung mittels EU-Geldern indirekt zu fördern? Deutschland, Irland, Italien, Portugal und Österreich sind momentan in dieser Lage. Sollte die EU die embryonenverbrauchende Forschung durch Mittel aus dem gemeinsamen Topf fördern, so könnten die vorhin genannten Länder wohl kaum mehr legalen Widerstand leisten. Brüssel ist in dieser Frage keineswegs unparteiisch. Die unausgewogene Zusammensetzung der Expertenrunde hat den Eindruck entstehen lassen, dass die Förderung der Embryonenforschung um jeden Preis durchgedrückt werden soll. Von 4 einberufenen Fachleuten sind drei davon ausdrückliche Verfechter und Befürworter der Embryonenforschung. In der anschließenden Debatte wurde auch mit polemisierenden Argumenten nicht gespart: Inquisition und der Fall Galilei wurden genötigt und auf den Plan gerufen, oder der Konflikt wäre im Kern ohnehin rein religiös, eine unzulässige Forderung angesichts der pluralistischen Gesellschaft. Dabei wäre die Übertragung der Stichtagregelung nach deutschen Vorbild ein guter Kompromiß. Die Mehrzahl der Forscher ist sich einig darin, dass die bereits vorhandenen Stammzelllinien ausreichend für die Grundlagenforschung sind. Beim Embryonenschutz gehen die Meinungen innerhalb der EU weit auseinander. Zwischen der liberalen Position, die überzählige Embryonen nicht nur zu Forschungszwecken freigibt, sondern die Herstellung von menschlichen Embryonen exklusiv für die Wissenschaft erlaubt einerseits, und dem ausdrücklichen Verbot der Forschung an menschlichen Embryonen andererseits, liegen andere mehr oder weniger restriktive Bestimmungen. Dieser Pluralismus macht die Diagnostik leicht, den Mangel an Wertekonsens innerhalb der EU festzustellen. Viel Fantasie und Verhandlungsgeschick sind nötig, um politische Lösungen zu finden, die befriedigend und ehrlich sind. Der Versuch, für die moralischen Divergenzen innerhalb Europas einen gemeinsamen „Mindestnenner“ zu finden, ist gefährlich. Er führt geradewegs zur Tyrannei des „moralischen Minimalismus“. Am Ende dieses Werterelativismus könnte ein werteloses Europa stehen. Unserer Meinung nach ist das eine höchst bedauerliche und Besorgnis erregende Entwicklung, durch die die Vernünftigkeit der Idee einer vereinigten Europas stark in Frage gestellt wird.

Wie angekündigt beziehen wir im vorliegenden Heft erneut Stellung zur Palliativmedizin. Diesmal sollen weniger theoretische Erwägungen zur Sache kommen, als Fragen der Praxis aufgeworfen werden. Alle 4 Autoren der Schwerpunkt-Beiträge können auf ihren reichen Erfahrungsschatz zugreifen: Zdrahal versucht die elemtaren Schnittstellen der Zusammenarbeit zwischen mobiler und stationärer Betreuung von Terminalpatienten zu beleuchten. Miksovsky und Retschitzegger geben Einblick in den Alltag einer Palliativstation. Und im ersten Beitrag wird die Palliativmedizin im Hinblick auf die Erhaltung der Lebensqualität festgemacht.

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Anthropologie und Bioethik
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