Bewertung der Multicenterstudie: Effect of Carvedilol on survival in severe chronic heart failure

Imago Hominis (2001); 8(3): 232-233
(New England Journal of Medicine 2001; 344: 1651-1658)

Fragestellung

Beta-Rezeptoren-Blocker reduzieren das Risiko von Krankenhausaufenthalten und Mortalität bei Patienten mit leichter kardialer Insuffizienz. Über deren Effekt bei schwerer Herzinsuffizienz ist jedoch wenig bekannt. Allerdings konnte in einer großangelegten Studie mit dem Beta-Rezeptoren-Blocker Bucindolol® kein Effekt bei schwerer Herzinsuffizienz nachgewiesen werden.

Methodik

Es wurden 2.289 Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz im Stadium NYHA IV und einer Auswurffraktion von weniger als 25% in einer doppelblinden, randomisierten prospektiven Studie untersucht. Eine Gruppe erhielt Carvedilol® in steigender Dosierung bis zu 25mg täglich, die andere Gruppe Placebo. Die Standardtherapie für Herzinsuffizienz wurde in beiden Gruppen beibehalten.

Patienten auf Intensivstationen mit ausgeprägten Ödemen, die unter intravenöser Therapie mit Vasodilatatoren oder positiv inotropen Substanzen standen, wurden ausgeschlossen.

Die mittlere Behandlungsdauer betrug 10,4 Monate.

Ergebnisse

In den zusammenfassenden Ergebnissen wird angegeben, dass das Mortalitätsrisiko unter Carvedilol® 35% gesenkt werden konnte. Das kombinierte Risiko Tod oder Krankenhausaufenthalt konnte um 24% gesenkt werden. Dies ergebe umgerechnet, dass von 1.000 Patienten mit schwerer kardialer Dekompensation bei ca. 70 Patienten ein vorzeitiger Tod verhindert werden kann.

S.O.M.-Analyse

Stufe 1: Wirkungsnachweis

Da es sich um eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie handelt, kann den Ergebnissen ein hoher Evidenzgrad zugesprochen werden. Auch die zugrundeliegende Hypothese des Wirkungsmechanismus (Downregulation der Beta-Rezeptoren am Herzen) ist gut nachvollziehbar (Plausibilität).

Erwähnenswert ist auch, dass der Nachweis der Wirkung nicht auf Surrogatparameter sondern auf das direkte Handlungsziel des Arztes nämlich auf die Reduzierung der Mortalität, die Verbesserung der Lebensqualität (Hospitalisation) und auf mögliche Nebenwirkungen abgestellt war.

Stufe 2: Quantitativer Nutzen

Der quantitative Wirkungsnachweis wird in der Studie nur durch Angaben über das absolute und relative Risiko geführt. Eine relative Reduktion der Mortalität um 35% klingt sicherlich beeindruckend, insbesondere wenn in der Diskussion behauptet wird, dass bei 70 von 1.000 Patienten ein vorzeitiger Tod „verhindert“ werden kann! Diese Ausdrucksweise suggeriert, dass diese 70 Patienten eine normale Lebenserwartung haben könnten.

Analysiert man jedoch diese Daten nach den Kriterien der sinnorientierten Medizin (S.O.M.), so kann von Lebensrettung keine Rede sein: Das Durchschnittsalter der Patienten betrug in der Studie 63 ± 11 Jahre. Die mediane Lebenserwartung betrug in der Placebogruppe 39 Monate (3,25 Jahre), in der Behandlungsgruppe 45 Monate (3,75 Jahre). Dies ergibt eine Lebensverlängerung von 6 Monaten bzw. ½ Jahr. Wenn man bedenkt, dass die Lebenserwartung eines vergleichbaren Normalkollektivs im Alter von 63 Jahren ca. 17 Jahre beträgt, so kann schwerlich davon gesprochen werden, dass durch Carvedilol® ein vorzeitiger Tod „verhindert“ werden kann. Es kommt lediglich zu einer eher bescheidenen Lebensverlängerung um ein halbes Jahr und nicht um 13,75 (17-3,25=13,75) Jahren wie es bei einer echten Verhinderung des Todes zu erwarten wäre.

Stufe 3: Verhältnismäßigkeit

Bei der Analyse der Verhältnismäßigkeit wird der mögliche Schaden gegen den Nutzen abgewogen: In der Studie wird auch eine Analyse der Nebenwirkungen durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass Carvedilol® gut toleriert wurde. Es musste die Behandlung unter Carvedilol® weniger oft wegen Nebenwirkungen abgesetzt werden als in der Placebogruppe. Es kann daher gesagt werden, dass eine Behandlung von Patienten mit schwerer kardialer Insuffizienz mit Carvedilol® als sinnvoll anzusehen ist.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Ergebnisse der Studie überzeugend sind. Aus der Perspektive einer sinnorientierten Medizin (S.O.M.) ergibt sich, dass die Behandlung mit Carvedilol® für Patienten mit schwerer kardialer Insuffizienz eindeutig nützlich bzw. sinnvoll ist. Allerdings sollte der quantitative Effekt auch nicht überbewertet werden. Insbesondere sollte auf eine exakte sprachliche Ausdrucksweise geachtet werden, die das tatsächliche Ausmaß der Wirkung untendenziös wiedergibt. So kann zwar mit Carvedilol® eine Verschiebung des Todeszeitpunktes von ca. ½ Jahr und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden, keinesfalls kann aber behauptet werden, dass der vorzeitige Tod verhindert werden kann, weil diese Ausdrucksweise eine normale Lebenserwartung suggeriert. Auf Grund der nur geringfügigen Verlängerung der Lebenserwartung um ein halbes Jahr ist es daher auch durchaus vertretbar, dass das Medikament ev. zu Gunsten einer besseren Lebensqualität abgesetzt bzw. seine Dosis reduziert wird, falls unangenehme Nebenwirkungen auftreten (wie z.B. Schlafstörungen, Kopfschmerzen, orthostatische Hypertonie, periphere Durchblutungsstörungen mit claudicatio, Asthmaanfälle, Übelkeit, Diarrhoe, Exantheme, usw.).

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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