Fall: Eine Vertretungspatientin mit der Bitte um ein Suchtgiftrezept
Frau F. C. kommt an einem heißen Sommertag als Vertretungspatientin aus einem fernen Bezirk in die Hausarztpraxis und erklärt, daß sie einen Spitalsbrief und ein Spitalsrezept mit einer Anleitung zur Verschreibung der Spezialität Vendal Retard habe. Als Begründung für diese Therapie, die nicht ihre einzige ist – sie konsumiert auch Saroten Retard, einen Histamin-H2-Blocker und einige klassische Analgetika – erzählt sie anhaltende Schmerzen nach Laminektomie.
Der Hausarzt ersucht sie um Ausweisleistung, und diese erfolgt durch den Reisepaß. Das Suchtgiftrezept – das erste im Leben des Hausarztes für diese teure und als Konsumdroge verschriene Substanz – wird ausgefertigt. Zu Ende der Besprechung fällt der Blick der Patientin auf eine Kleinpackung Tramal, die am Tisch – zurückgegeben von anderen Patienten – liegt, und sie sagt: „Ich hätte auch gerne etwas gegen meine Kopfschmerzen, verschreiben Sie mir Tramal."
Das wird abgelehnt, die Patientin verläßt ohne weitere Gespräche die Praxis. Der Hausarzt kommt zu der Meinung, daß in einer Aussendung der Gebietskasse eine Mitteilung zu seiner Patientin enthalten war. Der Name des urlaubsvertretenen Allgemeinarztes findet sich nicht in der Liste des entsprechenden Bezirks. Er ruft die Kasse an: Von dort sendet man ihm per Fax den Vendal-Erlaß vom letzten Herbst, in dem gefälschte Spitalsbriefe im Zusammenhang der Vendal-Verschreibung erwähnt werden. Es wird ihm geraten, dringlich den Erstverschreiber im Spital anzurufen, um weitere Klarheit zu erreichen. Der Diensthabende im Spital ist nicht der Verschreibende, aber gibt gerne Auskunft: Die Patientin hat das Haus schon unter Verwendung von Vendal aufgesucht. Die Abteilung hat eine vorhandene Therapie fortgeschrieben.
Der sehr beruhigte Hausarzt freut sich solange über eine schuldlose Abwicklung dieses Patientenproblems, bis die Patientin am Folgetag erscheint und ihm (trotz vorhandener Rezeptdurchschrift) glaubhaft machen will, daß sie nur eine Kleinpackung von Vendal erhalten habe, während er weiß, daß er ihr die zulässige Höchstmenge von dreißig Stück verschrieben hat. Auch hätte er ihr kein Saroten verschrieben.
Er erklärt, daß er anderer Meinung ist und macht ihr Vorhaltungen. Sie teilt ihm mit, daß er nicht ihren Vorstellungen vom Arzt und vom ärztlichen Handeln entspricht; er teilt ihr mit, daß sie nicht seiner Vorstellung von Patientin und Patientenverhalten entspricht. Sie verläßt die Praxis unter Aufbietung demonstrativer Würde.
Welche Aspekte der Patient(inn)en-Arzt-Beziehung sind in dieser Begegnung grob vernachlässigt worden? Wer hat in dieser rechtlich gut abgesicherten Verschreibefolge Versäumnisse gesetzt? Wie sehr führt maximales (staatliches) Recht zu maximalem ethischen Unrecht?