Ars Dimittendi

Imago Hominis (1999); 6(3): 209-214
Hans Bernhard Wuermeling

Zusammenfassung

Der vom Patienten geforderten ars moriendi entsprach traditionellerweise keine spezielle ärztliche Kunst, weil das Aufgeben des Kampfes gegen den Tod dem Arzt fremd war. Der Übergang zur Palliativmedizin, die der ars moriendi des Patienten zu Hilfe kommen müßte, ist für den Arzt problematisch. Es wird eine ärztliche "ars dimittendi" gefordert, eine Kunst, den Patienten aus dem Kampf um sein Leben zu entlassen. Dies setzt eine differenzierte Betrachtung des Rechtes auf Leben voraus, das sich nicht nur absolut als defensives sondern auch als relatives Anspruchsrecht versteht. Darum ist Sterbenlassen nicht ohne weiteres Töten. Die Einwilligung des Patienten in Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen kann moralisch vertretbar sein. Im Falle seiner Willensunfähigkeit muß sie seinem mutmaßlichen Willen entsprechend auch vertretungsweise durch Dritte gegeben werden können. Den dadurch gegebenen Mißbrauchsgefahren ist zu begegnen.

Schlüsselwörter: ars moriendi, ars dimittendi, Sterbenlassen, Patienteneinwilligung

Abstract

The "ars moriendi" by the patient traditionally has no correspondence in the medical art, since giving up the fight against death has been alien to the medical doctor. The trend toward palliative medicine which would help the patient in his desire for "ars moriendi" is problematic for the medical doctor. A medical "ars dimittendi" is required from the doctor - the art of helping the patient at being released in his fight against death. This requires a differentiated view of the right to life which is not only absolutely defensive. Letting a person die is not necessarily killing. The patient’s consent to stop life-maintaining measures is morally acceptable. In case of incompetence a third person has to be able to make the decision according to the patient’s presumable will. The dangers of abuse however are to be considered.

Keywords: ars moriendi, ars dimittendi, letting die, patient's consent


Der ars moriendi seines Patienten vermag der Arzt mit keiner entsprechenden Kunst beizustehen. Er hat nur die ars mortem vincendi gelernt, die Kunst, den Tod zu besiegen. Was heißt aber besiegen? Letztlich zielt der Arzt auf eine ars mortem necandi ab, auf die Kunst, den Tod zu töten, ihn also nicht nur hinauszuschieben, sondern ihn endgültig zu überwinden.

Es mag sein, daß diese Vorstellung nicht jedem Arzt bewußt ist. Doch werden die wenigsten Ärzte eine Alternative dazu anzubieten haben. Ohne jede Scheu haben die Gründer der heutigen Münchner medizinischen Fakultät, als sie noch in Ingolstadt residierten, ihr Ziel einer endgültigen Überwindung des Todes zum Ausdruck gebracht. Zwischen ihrem anatomischen Theater und ihrem botanischen Garten hatten sie dazu ein symbolisches Grabmal errichtet. In klassischem Latein und an klassische Formulierungen anknüpfend konnte man darauf lesen: „Wanderer, gehst du hier vorüber, so gedenke dessen, der hier begraben liegt. Es ist der Tod selbst, der durch unsere ruhmreiche Tätigkeit ins Gras hat beißen müssen. Hier nämlich zwischen unserem anatomischen Theater, das für unsere Diagnostik steht, und unserem botanischen Garten, in dem unsere Heilmittel wachsen."

Für solche Vorstellungen lassen sich bis in unsere Gegenwart zahlreiche Belege finden, zuletzt die Absicht, durch Klonen den Individualtod zu überwinden.

Doch ist eine ärztliche ars mortem vincendi oder necandi, also die Absicht und gewünschte Kunst, den Tod zu besiegen oder ihn gar aus der Welt zu schaffen, gegenläufig zu einer ars moriendi seines Patienten, die ja den Tod letztlich als Sieger und Überwinder akzeptiert. Man muß also fragen, welche Kunst des Arztes, wenn es denn eine passende gibt, der ars moriendi seines Patienten zu Hilfe kommen soll.

Im Arzt-Patienten-Verhältnis wird der Arzt gewöhnlich als der aktive, heilende, der Patient dagegen als der passive angesehen, als derjenige, der geheilt werden soll. Müßte dann nicht auch dem passiven mori, dem schließlich eingewilligten Sterben des Patienten, des Arztes aktives necare, also ein Töten entsprechen? So daß des Patienten ars moriendi nach der Ergänzung durch des Arztes ars necandi, einer Tötungskunst also, geradezu verlangt? Ist nicht der als Leibesingenieur verstandene Arzt sogar zum Töten verpflichtet, wenn der Patient in seinen Tod eingewilligt hat? Ist nicht, wie es der kürzlich verstorbene Hackethal verlangt hat, die Mitleidstötung ein Patientenrecht und eine Arztpflicht?

Weltweit wird in diesem Sinne Euthanasie gefordert. Keineswegs hilft dagegen das Erinnern an das, was auf der geistigen Grundlage des Juristen Binding und des Psychiaters Hoche als Tötung lebensunwerten Lebens von den Nationalsozialisten in mörderische Praxis umgesetzt wurde.

Natürlich will man heute mit dieser Praxis nichts zu tun haben. Heute soll es ja nicht um die Interessen des Kollektivs oder der Volksgemeinschaft an der damals so genannten Beseitigung von Ballastexistenzen gehen. Vielmehr soll das Töten nur auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Einzelne selbst sein Leben beenden will. Aber schon die holländische Praxis zeigt, daß es, um straflos töten zu dürfen, genügt, wenn Arzt und Verwandte meinen, daß der Lebensunwerte nicht mehr leben will.

Das slippery-slope-Argument gegen die Euthanasie, das der Verweis auf die holländische Praxis stützen soll, hilft dem Arzt aber nichts, der nur seine ars mortem vincendi oder ars mortem necandi, also den Tod zu bekämpfen gelernt hat. Denn er verfügt in der Regel über keine auf die ars moriendi seines Patienten passende Kunst. Es müßte die Kunst sein, den Kampf gegen den Tod zum richtigen Zeitpunkt aufzugeben, den Tod zu akzeptieren, palliative Hilfen zu gewähren und den Patienten aus dem Kampf um sein Leben zu entlassen. Nennen wir diese Kunst eine ars dimittendi, eine Kunst des Loslassens, des Gehenlassens, des Sterbenlassens, des Entlassens – nicht ohne Bezug zu dem Wort des greisen und lebenssatten Simeon „Nunc dimittis servum tuum in pace," – Nun entlässest du deinen Knecht in Frieden.

Damit gibt der Arzt aber ein Teilziel seines beruflichen Handelns, gewöhnlich das wichtigste, auf, nämlich die Erhaltung des Lebens seines Patienten. Das bedeutet nicht etwa Behandlungsabbruch. Vielmehr rückt ein anderes Teilziel in den Vordergrund, nämlich die Erhaltung und Verbesserung seiner Lebensqualität. Man soll nicht sagen, es gehe jetzt darum, dem Patienten ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Unter dieser Formulierung könnte sich eine Tötungsabsicht verstecken: Sterben ermöglichen. Vielmehr geht es darum, dem Patienten bis zu seinem weder für ihn noch für den Arzt verfügbaren Tode ein Leben in Würde zu ermöglichen. Das ist eindeutig, und man kann dazu dann Palliativmedizin sagen.

Doch bereitet dem Arzt ebenso wie dem Patienten die Umstellung von einer kurativen auf eine palliative Medizin psychologische Schwierigkeiten, von denen ein Teilaspekt besprochen werden muß, nämlich das Unterscheiden von Töten und Sterbenlassen.

Die Unterscheidung von Töten und Sterbenlassen wird nämlich nicht nur von den Befürwortern der Euthanasie geleugnet und bestritten, sondern auch von ihren fundamentalistischen Gegnern. Unter den Befürwortern der Euthanasie nenne ich an dieser Stelle den australischen Bioethiker Peter Singer. Als Utilitarist beurteilt er die Moralität einer Handlung nur nach ihren Folgen. Dem Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen, also dem Sterbenlassen, folgt aber der Tod in gleicher Weise wie dem Töten. Daraus schließt Singer, daß er, wenn er sterben lassen dürfe, auch töten dürfe. Aus seiner utilitaristischen Sicht sind Töten und Sterbenlassen darum ununterschieden.

Seine fundamentalistischen Gegner machen aber nun auch keinen Unterschied zwischen Tun und Lassen und meinen deswegen, weil Töten verboten sei, müsse das Sterbenlassen genau so verboten sein.

Wer darum eine ars dimittendi, also eine Kunst des Sterbenlassens, vertreten will, der muß versuchen, seinen Standpunkt zwischen diesen beiden Extremen zu finden und zu befestigen. Das soll über eine differenzierende Betrachtung des Begriffes „Recht auf Leben" versucht werden.

Der Begriff „Recht auf Leben" ist zunächst in rein defensivem Sinne zu verstehen, als ein Verteidigungsrecht also. Das bedeutet, daß mein Leben mir nicht genommen werden darf. Niemand darf mich töten. Die gesellschaftliche Antwort auf dieses mein Recht ist das Tötungsverbot. Läßt man die drei klassischen Ausnahmen außer acht, nämlich das Töten im Krieg und in Notwehr sowie die Todesstrafe, dann gilt das Tötungsverbot absolut. Das bedeutet, daß es unabhängig von den Umständen und jeweiligen Bedingungen der Situation einzuhalten ist.

Nur beim Töten durch Unterlassen spielen die Bedingungen eine Rolle. Es wäre dies ein sogenanntes unechtes Unterlassungsdelikt, zu dessen Tatbestand gehört, daß eine in der jeweiligen Situation geschuldete Handlung unterbleibt. Welche Handlungen in der jeweiligen Situation geschuldet sind, läßt sich aber nicht einfach aus dem defensiv verstandenen Lebensrecht herleiten. Vielmehr ist dazu ein über den defensiven Charakter des Lebensrechtes hinausgehendes, weiter gefaßtes und andersartiges Verständnis vom Recht auf Leben erforderlich.

Recht auf Leben ist nämlich über das Defensivrecht hinaus ein Teilhaberecht. Durch seine Existenz hat jeder Mensch einen Anspruch auf die Teilhabe an den Mitteln zum Leben, und zwar an den materiellen Dingen ebenso wie an den Leistungen der Mitmenschen. Auch auf dieses Teilhaberecht gibt es eine gesellschaftliche Antwort. Sie besteht in dem Gebot der Solidarität, also der Pflicht der Menschen, füreinander einzustehen.

Im Gegensatz zu dem unbeschränkten, absoluten defensiven Recht auf Leben und dem demzufolge bedingungslos geltenden Tötungsverbot ist dieses Teilhaberecht aber keineswegs absolut. Es ist vielmehr ein relatives Recht, ein Recht nämlich, dessen Umfang sich erst aus der Situation, aus den jeweils herrschenden Bedingungen ergibt. Es ist kein unbedingtes, sondern seiner Natur nach ein bedingtes Recht. Das Teilhaberecht hat seine Grenzen. Und diese ergeben sich einmal aus den jeweiligen Bedürfnissen, dann aus der Beziehung des Verpflichteten zum Inhaber des Rechtes und schließlich aus den zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Die Bedürfnisse – erstens – kennzeichnen die Bedingungen, die in der jeweils betroffenen Person liegen. Das Neugeborene kann überhaupt noch nicht für sich selber sorgen und hat deswegen maximale Bedürfnisse: es muß gestillt, gewickelt, gereinigt und gewärmt werden. Beim Kind fallen einige Bedürfnisse weg, die für andere entstehen, etwa solche nach Schutz und Bildung. Der Jugendliche braucht Ausbildung, der Kranke Behandlung, der Alte Lebensunterhalt.

Zweitens kennzeichnet die Beziehung des jeweils Verpflichteten zum Inhaber des Lebensrechtes die relationalen Bedingungen. Eltern sind für Ernährung und Unterhalt ihrer Kinder sehr direkt verpflichtet, während Fremde ihnen gegenüber ohne weiteres keine Ansprüche haben.

Drittens sind die Ressourcen für die Mittel zum Leben, seien sie materieller oder personeller Art, nie unbegrenzt und limitieren deswegen den Teilhabeanspruch, der somit auch ökonomischen Bedingungen unterliegt.

Aus diesen drei Bedingtheiten folgt, daß die Ansprüche auf die Mittel zum Leben, wie sie aus dem Recht auf Leben als einem Anspruchsrecht folgen, niemals absolute, unbedingte sein können, sondern ihrer Natur nach begrenzt sind.

Diese Feststellung ist deswegen sehr wichtig, weil mit ihr der These begegnet werden kann, aus dem Recht auf Leben folge ohne weiteres, daß jeder jederzeit das Recht auf alle Mittel zur Erhaltung seines Lebens habe. Vielmehr hängt dieses Recht in der jeweiligen Situation von seiner Bedürftigkeit, vom Verpflichtungscharakter des zur Hilfe Verpflichteten und vom Vorhandensein der Ressourcen ab.

Man könnte einfacher sagen, daß sich der Anspruch auf die jeweils angemessenen, die verhältnismäßigen Mittel beschränke. Die alte Moraltheologie kannte dafür den Ausdruck „media ordinaria", die ordentlichen Mittel, die sie von den media extraordinaria, den außerordentlichen Mitteln unterschied, auf die niemand ein Recht hatte.

Das Kriterium der Verhältnismäßigkeit der Mittel galt nun aber nicht nur für die Ansprüche, die man gegenüber anderen erheben konnte, sondern auch für die Pflichten, die jeder sich selbst gegenüber hat.

Auch zur Erhaltung seines eigenen Lebens, so ist zu folgern, hat man nur die „verhältnismäßigen Mittel" anzuwenden – und man kann auch nur die verhältnismäßigen Mittel beanspruchen.

Was aber ist verhältnismäßig, angemessen, ordentlich und nicht außerordentlich? Sicher ist, daß ein Mittel nicht per se verhältnismäßig sein kann. Der Ausdruck kann vielmehr nur besagen, daß es in einem Verhältnis zu etwas anderem beurteilt werden muß. Das andere aber ist das, was mit der Anwendung des Mittels erreicht werden soll. Es kommt also darauf an, ob man die Anwendung eines Mittels in einer konkreten Situation im Verhältnis zu dem, was damit erreicht werden soll, als angemessen, eben als verhältnismäßig betrachtet.

In der Medizin wird dies zunächst der Arzt aus seiner diagnostischen, therapeutischen und prognostischen Überlegung heraus zu beurteilen haben. Letztlich entscheidet aber der Patient, ob er dem ärztlichen Urteil folgen wird.

So kann er etwa eine Chemotherapie, die sein durch eine Krebserkrankung bedrohtes Leben etwas verlängern könnte, ablehnen, weil er die mit dieser Therapie verbundenen Belastungen für die Lebensverlängerung nicht in Kauf nehmen will. Oder er kann sie akzeptieren, weil er bestimmte Ereignisse noch erleben oder bestimmte Aufgaben noch erfüllen will.

In diese Beurteilung seiner Chancen und Risiken geht für den Patienten auch der Faktor Lebensqualität ein. So kann – und darf er auch – zu dem Schluß kommen, daß er beispielsweise für ein Leben mit erheblich geminderter Lebensqualität keine lebenserhaltende Behandlung wünscht. Eine solche Weigerung bindet den Arzt, wenn sie aus dem freien Willen des Patienten folgt. In einem solchen Fall ist der Arzt nicht verpflichtet, dennoch lebenserhaltende Maßnahmen einzusetzen, ja, er ist dazu nicht einmal berechtigt, weil er sie nämlich gegen den Willen des Patienten ausführen würde.

Dies gilt für den Patienten, der in der Lage ist, einen Willen zu bilden und zum Ausdruck zu bringen. Was aber soll für den willensunfähigen, also etwa den bewußtlosen Patienten gelten? Kann dieser Vorausverfügungen treffen? Oder ist er in solchen Entscheidungen vertretbar?

Vorausverfügungen werden in den meisten Fällen ohne Kenntnis der konkreten Situation getroffen, in der sie wirksam werden sollen. So wie die Einwilligung des Patienten in eine Behandlung der Aufklärung bedarf, so bedürfte die Vorausverfügung des Wissens um Chancen und Risiken in der Situation, in der sie gelten soll. Darum muß in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob eine Vorausverfügung auch noch in der jeweiligen Situation getroffen werden würde, mit anderen Worten, was denn jetzt der mutmaßliche Wille des Patienten ist. Die Vorausverfügung mag ein wichtiger Anhalt dafür sein, sie ist aber nicht einfach dem mutmaßlichen Willen gleichzusetzen. Dieser ist vielmehr in der Situation und in bezug auf sie zu ermitteln.

Dabei muß der Arzt, dem diese Erforschung letztlich obliegt, nicht notwendig zu dem Schluß kommen, daß der Patient jede nur mögliche lebenserhaltende Maßnahme wünscht, also Leben um jeden Preis. Dem zuvor Gesagten entsprechend muß es dem Arzt auch möglich sein anzunehmen, daß der Patient in der vorliegenden Situation auf solche Maßnahmen verzichten würde, weil er sie mutmaßlich, seinen Tod in Kauf nehmend, als unverhältnismäßig ansieht.

Dabei fällt der Arzt kein Urteil über den Lebenswert seines Patienten. Und er tötet nicht, wenn er den Patienten – dessen mutmaßlichem Willen entsprechend – keine lebenserhaltende Behandlung mehr zukommen, sondern ihn sterben läßt.

Nun ist allerdings zuzugeben, daß diese Überlegungen, so richtig und logisch zwingend sie sein mögen, in die Praxis umgesetzt ein ungeheueres Mißbrauchspotential in sich bergen, insbesondere dann, wenn sie sich nicht nur auf unmittelbar Sterbende beschränken sollten. Ihre Ausweitung auf Menschen im Wachkoma (chronischer vegetativer Status) und verwandten Zuständen ist in Deutschland von der Rechtsprechung zugelassen, durch die Gesichtspunkte der deutschen Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung gedeckt und in der Schweiz von den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften gebilligt.

Alle diese – sagen wir einfach – Richtlinien verlangen für die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen wegen der besonderen Mißbrauchsgefahr eine konkrete frühere Willenserklärung des Betroffenen. In Deutschland bedarf die Einwilligung eines Bevollmächtigten oder eines gerichtlich bestellten Betreuers zur Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen darüber hinaus noch der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht.

Immer aber ist von dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen auszugehen. Aus diesem Grunde sind Vorausverfügungen unverzichtbar. Eine besondere Form der Vorausverfügung ist die Bestellung einer Vertrauensperson, die im gegebenen Fall den Arzt über die Lebenseinstellungen und Vorstellungen des Patienten informieren kann, und der gegenüber der Arzt verpflichtet wird, alle Informationen über den Gesundheitszustand seines Patienten zu geben und gleichzeitig sein geplantes Handeln oder Unterlassen zu begründen. Dabei ist die Vertrauensperson nicht entscheidungsberechtigt, und die Verantwortung bleibt eindeutig letztlich beim Arzt. In diesem Falle bedarf es des Vormundschaftsgerichtes nicht. Juristisch gesehen handelt es sich also um eine „weiche" Lösung, die ich gegenüber der juristisch „harten" für die humanere und praktikablere halte.

Der Vollzug des Übergangs von einer kurativen zu einer palliativen Medizin, der in fast jedem einzelnen Menschenleben einmal mehr oder weniger deutlich erforderlich sein wird, muß als Gegenstück zur ars moriendi der Patienten ins Bewußtsein der Ärzte gehoben und erlernt werden. Diese ars dimittendi zu beherrschen wird das einzige Mittel sein, die neu drohende Euthanasiewelle aufzuhalten und zu brechen, weil nur sie einer humanen Akzeptanz der Endlichkeit des Menschen entspricht.

Anschrift des Autors:

Prof. Dr. Hans-B. Wuermeling, emeritierter Professor für Gerichtsmedizin, Fiechtestraße 5, D-91054 Erlangen

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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