Zum Thema „Impfen“
Die Masernepidemie in Salzburg im März 2008 hat eine Diskussion zum Thema „Impfen“ neu in Gang gebracht. Inzwischen ist es zwar wieder ruhiger geworden. Dennoch lohnt es sich, dazu einige – freilich unvollkommene – Überlegungen anzustellen.
Die Impfungen vom Säuglingsalter an sind zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Bekannte Impfstoffe werden verbessert, neue Impfungen werden entwickelt. Krankheiten wie Diphtherie oder Poliomyelitis, die früher sehr gefürchtet waren, sind in unseren Breiten praktisch völlig verschwunden. Da niemand mehr die Schrecken kennt, gerät auch die Impfdisziplin in Gefahr.
Freilich kann man nicht generell über „die Impfungen“ sprechen. Es ist ein Unterschied, ob es sich um obligate Impfungen des Kindes- und Jugendalters handelt, oder um spezielle Impfungen für Reisen oder für besonders gefährdete Personengruppen. Dazu zählt etwa die Tollwutimpfung. Die Impfung gegen Pneumokokken wird nicht generell, sondern einerseits für Babys, andrerseits für Leute mit einer chronischen Grundkrankheit und für das höhere Lebensalter empfohlen. Zur Wirksamkeit dieser Impfung konnte und kann man aus universitären Fachkreisen unterschiedliche Meinungen hören. Ebenso über das Impfschema, das zunächst eine einmalige Verabreichung ohne weitere Auffrischungen vorsah, dann aber doch eine Auffrischung nach fünf Jahren. Ich erwähne dieses Beispiel, weil es zeigt, dass die Erfahrung bei neu auf den Markt kommenden Impfstoffen mangelhaft sein kann und ein Zuwarten mit der Empfehlung angebracht sein kann. Man ist dann nicht nur als Patient verunsichert. Auf der anderen Seite leisten die Leute, die sich impfen lassen, einen wichtigen Beitrag für neue Erkenntnisse. Hier gilt es, im Einzelfall abzuwägen.
Impfungen stellen einen nicht unerheblichen Eingriff in das Immunsystem dar, der auch Gefährdungen mit sich bringen kann. So müssen die Impfempfehlungen laufend im Hinblick auf die epidemiologische Situation und auf neue Erkenntnisse über Wirkung und Nebenwirkung bewährter oder neu entwickelter Impfstoffe adaptiert werden. Die Pockenimpfung wurde nach der Ausrottung der Erkrankung aufgegeben. Die Aufgabe der Tuberkuloseschutzimpfung folgte, was allerdings auch in Fachkreisen kontrovers diskutiert wurde.
Die Anerkennung der Notwendigkeit der Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Poliomyelitis dürfte außer Streit stehen.
Anders ist dies bei der Masern/Mumps/Röteln-impfung, die besonders gerne von ideologischen Impfgegnern abgelehnt wird. Dies ist auch der Hintergrund der jüngsten Epidemie in Salzburg, die bezeichnender Weise an einer Waldorf Schule aufgetreten ist. Dort sind offenbar überdurchschnittlich viele Eltern ideologisch motivierte Impfgegner. Diese kommen teilweise auch aus dem Ärztestand und vertreten die Meinung, Kinderkrankheiten seien durchzumachen und trügen im Sinne eines Reifungsschubes zur Entwicklung des Kindes bei. Durch Impfungen würde dies verhindert. Zudem enthielten die Impfstoffe schädliche, zum Teil krebserregende Zusätze. Masern beispielsweise würden laut Impfgegnern harmlos verlaufen, Komplikationen selten auftreten und keine bleibenden Schäden hinterlassen. Masern wären gut behandelbar.
Trotz klarer wissenschaftlicher Daten, die diese Positionen widerlegen, halten die Impfkritiker in rational nicht nachvollziehbarer Weise an ihrer Impfkritik fest. Wissenschaftliche Ergebnisse der „Schulmedizin“ werden abgetan. Es existiert etwa ein Verein AEGIS (Aktives Eigenes Gesundes Immunsystem), der sowohl in Österreich als auch in der Schweiz in diese Richtung tätig ist.1
Impfgegner erhalten vor allem dadurch Auftrieb, dass die Gefahren der Masern den Leuten nicht mehr aus eigener Erfahrung in ihrer Umgebung bekannt sind. Als Minderheit profitieren sie von der sogenannten Herdenimmunität. Das bedeutet, dass ab einer gewissen Durchimpfungsrate der Bevölkerung (bei Masern 93% Geimpfte) der Erreger nicht mehr zirkulieren kann, weil er zu wenige nicht immune Personen vorfindet. Es treten somit keine Epidemien mehr auf.
So werden Impfgegner zu Trittbrettfahrern der erfolgreich Geimpften. Dies gilt allerdings nur so lange, wie dieser kritische Prozentsatz nicht unterschritten wird. Genau dies ist in Salzburg passiert.
Eindrucksvolle Zahlen aus diesem aktuellen Anlass der Masernerkrankung präsentierte Prof. Dr. Werner Zenz am Österreichischen Impftag 2008.
Ohne die Masernimpfung würden über 95% aller Kinder bis zum 14. Lebensjahr erkranken. Bei rund 76.000 Geburten wären in Österreich zwischen 1990 und 2007 rund 1.300.000 Masernfälle aufgetreten. Bei einer Letalität von 1:10.000 hätte dies den Tod von 130 Kindern bedeutet. Andere Autoren sprechen sogar von einer Letalität von 1:1000! Weiters hätte es 360 Fälle der gefürchteten Masernenzephalitis gegeben, die in etwa 30% Dauerschäden, sprich behinderte Kinder, hinterlässt.
Auch wenn die Akuterkrankung ohne Komplikationen durchgemacht wurde, kann es zu der gefürchteten Spätfolge der subakuten sklerosierenden Enzephalitis kommen, die nach Jahren zunehmender Behinderung letztlich immer tödlich endet.
Angesichts der möglichen tragischen Folgen für die betroffenen Kinder, stellt sich die Frage, ob Eltern für ihre Kinder ein derartiges Risiko eingehen dürfen. Juristisch ist die Situation ähnlich wie bei den Zeugen Jehovas wenn Eltern für ihre Kinder die Verabreichung von Blutkonserven verweigern dürfen. Dies ist für die Impffrage meines Wissens bisher nicht ausjudiziert. Ethisch gesehen haben Kinder jedenfalls das Recht auf Impfungen, die verfügbar sind und ein geringeres Risiko in sich bergen als mögliche Komplikationen der Erkrankung. Juristisch wäre zu klären, ob es Teil der elterlichen Sorgfaltspflicht ist, den Kindern die vom Obersten Sanitätsrat empfohlenen Impfungen auch angedeihen zu lassen.
Insofern eine ausreichende Durchimpfungsrate dazu führt, dass keine Epidemien mehr auftreten können, kann man der Meinung sein, dass die Impfdisziplin bei den klassischen etablierten und sicheren Impfungen des Kindes- und Jugendalters zumindest eine moralische Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwesen darstellt.
Eine besondere Schwierigkeit dabei ist, dass einige allgemein empfohlene Impfungen privat bezahlt werden müssen. So z. B. die Hepatitis B und die Meningitis-Impfung. Eine Impfung wie die gegen humane Papillomviren, bei der eine Impfdosis über 200 Euro kostet, wird auch noch einige Zeit benötigen, bis hohe Durchimpfungsraten erreicht sind.
Sicherlich gilt auch für das Impfen so wie für jede ärztliche Maßnahme „primum nil nocere“. Komplikationen und Risiken dürfen selbstverständlich bei einer Impfung keinesfalls höher sein, als das Risiko im Rahmen der entsprechenden Krankheit. Bei neu auf den Markt kommenden Impfstoffen kann man sicherlich auch zurückhaltender sein und noch breitere Erfahrungen mit der Impfung abwarten. Es müssen ausreichende Erfahrungen mit der Impfung vorliegen, so dass die Impfung sicher und effektiv ist.
Über die etablierten und sicheren klassischen Impfungen des Kindes- und Jugendalters darf es keine Diskussion geben. Die Kinder haben ein Recht auf das vom Obersten Sanitätsrat des Gesundheitsministeriums empfohlene Impfprogramm.2
Referenzen
Mag. Dr. Rupert Klötzl
Testarellogasse 11/2, A-1130 Wien
Rupert.Kloetzl(at)telering.at