Neue Erkenntnisse über die Wirkungsweise der „Pille danach“
Zusammenfassung
Aktuelle Daten zur Wirkungsweise der sog. Pille danach (Vikela®) erlauben folgende Schlussfolgerungen: (1) Die Einnahme der „Pille danach“ bis zu 3 Tage vor dem zu erwartenden Ovulationstermin interferiert mit der Follikelreifung und dem Eisprung und verhindert so eine Befruchtung. Diese Wirkungsweise erklärt bis zu 30% der Wirksamkeit der „Pille danach“. (2) In mindestens 50 Prozent dieser Fälle verhindert sie die Einnistung einer befruchteten Eizelle in das Endometrium, vorwiegend deshalb, weil die Lutealphase zu früh abgebrochen wird. (3) In den verbleibenden Fällen, besonders bei später Anwendung, wirkt die Notfallpille nicht. Ein bereits eingenistetes Ei bleibt ungestört. Die Wahrscheinlichkeit, dass Vikela® bei sporadischer Einnahme tatsächlich zum Untergang einer Blastozyste führt, beträgt 4 bis 5 Prozent. Die sich daraus ergebenden moralischen Konsequenzen werden diskutiert.
Schlüsselwörter: Notfallpille, Blastozyste, Zyklusstörung, Ovulationshemmung, Frühabort
Abstract
Recent data concerning the mechanism of action of the emergency contraceptive (EC) pill allow the following conclusions: (1) Intake of the EC-pill up to 3 days before ovulation interferes with follicle maturation and rupture, thus preventing fertilization. This mode of action accounts for up to 30 percent of the effect of the EC pill. (2) Later application does not inhibit ovulation. Instead, delay of transport through the Fallopian tube as well as a premature onset of bleeding will eventually prevent blastocytes from being received by the endometrium. This effect leads to a loss of at least half of otherwise surviving conceptions. (3) Application of the EC-pill from the day of ovulation onwards will do no harm any more to the blastocyte and may even support an ongoing implantation. The risk for a blastocyte to get lost by a single application of the EC-pill ranges from four to five percent. The moral implication of this result is being discussed.
Keywords: Emergency contraceptive pill, menstrual cycle, ovulation inhibition, abortive risk
Einleitung
In dieser Zeitschrift wurde bereits mehrmals über die Wirkungsweise der „Pille danach“ berichtet.1 Wie ihr Name schon sagt, ist sie zur Verhinderung einer Schwangerschaft nach ungeschütztem Verkehr bestimmt. Eine möglichst frühzeitige Einnahme – jedenfalls innerhalb 72 Stunden – wird empfohlen. Die Wirkzusammenhänge sind relativ komplex und im Einzelnen nicht ganz erforscht.2 Diese Defizite in unserer Kenntnis erlauben es Proponenten und offiziellen Dokumenten (z. B. www.not-2-late.com), die kontrazeptive – also empfängnisverhindernde – Wirkung von Vikela® in den Vordergrund zu stellen. Aus diesem Grund wird die „Pille danach“ im angloamerikanischen Schrifttum auch „emergency contraceptive pill“ genannt. Der Grund für einen solchen Vertrauensvorschuss leuchtet sofort ein: Es soll nahe gelegt werden, dass die „Pille danach“ nicht auf bereits gezeugtes Leben Einfluss nimmt oder die nach einer Empfängnis im weiblichen Organismus ablaufenden physiologischen Prozesse stört. Ist bereits menschliches Leben gezeugt, dann – so die offizielle Lehre – bleibe die „Pille danach“ wirkungslos. Angesichts ihrer Harmlosigkeit wird beklagt, dass die „Pille danach" viel zu wenig bekannt und durch ihre häufigere Anwendung Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern wären. Auch ist der Name „Notfallpille“ (emergency contraceptive pill) geeignet, äußerste Dringlichkeit zu signalisieren, die die bei hochwirksamen Medikamenten sonst übliche Vorsicht (etwa ärztliche Verschreibung) als hinderlich oder zweitrangig erscheinen lässt.
Die vorliegende Untersuchung will aufgrund neuer Forschungsergebnisse zur Wirkungsweise der „Pille danach“ nochmals eine Klarstellung und moralische Wertung geben.
Zusammensetzung und Einnahmevorschrift
Die „Pille danach“ wird in Österreich unter dem Namen Vikela® (Gerot Pharma) vertrieben. Andere bekannte Firmennamen sind Postinor®, Levonelle® oder Plan B. Vikela® enthält 2 Tabletten zu je 0,75 mg des künstlichen Gestagens Levonorgestrel (LNG), welche entweder auf einmal oder in einem Abstand von 12 Stunden, jedenfalls binnen 3 Tagen postcoital einzunehmen sind. Erfahrungsgemäß wird die „Pille danach“ in 45 Prozent der Fälle binnen 24 Stunden und in 80 Prozent der Fälle binnen 48 Stunden eingenommen. Die Einnahme erfolgt bevorzugt in Zyklusmitte, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis am größten ist.
Effektivität
In 3 randomisierten Studien3 mit insgesamt 3298 auswertbaren Anwendungen der „Pille danach“ wurden 54 Schwangerschaften beobachtet. Das entspricht einer Rate von 1,64 Prozent. Bezogen auf eine erwartbare Rate von 7,8 Prozent ergibt sich daraus eine durchschnittliche Wirksamkeit von knapp 80 Prozent. Das heißt, es können 4 von 5 erwartbaren Schwangerschaften verhindert werden. Je früher die postcoitale Einnahme erfolgt, desto größer ist die Wirksamkeit (innerhalb der ersten 24 Stunden liegt sie bei über 90 Prozent). Jenseits der 72-Stunden-Frist sinkt die Wirksamkeit unter 60 Prozent. Diese Prozentsätze gelten aber mit Vorbehalt. Denn etliche Frauen hatten auch nach Einnahme der Notfallpille weiteren Partnerverkehr. Dadurch eintretende Schwangerschaften wurden in der Auswertung einem Pillenversagen zugeordnet. Hält man sich an jene Frauen, die von sich behaupteten nach Einnahme keinen weiteren ungeschützten Verkehr gehabt zu haben, dann steigt die Effektivitätsquote auf 89 Prozent.4 Zwei der drei Studien5 erlaubten auch eine Pilleneinnahme innerhalb 120 Stunden. In der Tat wird also bei korrektem Gebrauch die Wirksamkeit der Notfallpille über 80 Prozent betragen. Uns interessieren im Folgenden die Wirkungsmechanismen und damit verbunden die Frage, ob auch eine abortive Wirkung eine Rolle spielt. Wodurch also wird die Schwangerschaft verhindert?
Wirkungsmechanismen
(1) Wirkung auf Spermien und Zervikalschleim: LNG kann die Beweglichkeit und Befruchtungsfähigkeit der Spermien beeinträchtigen. Diese Wirkungen setzen frühestens 3 Stunden nach Hormongabe ein und kommen daher zu spät, da bereits Minuten nach Insemination Spermien im Eileiter zu finden sind und dort unter Östrogeneinfluss ihre Befruchtungsfähigkeit erwerben. Die 0 – 3 Tage später stattfindende Befruchtung kann demnach ungehindert erfolgen. Auch der Aufbau einer Schleimbarriere im Gebärmutterhalskanal kommt zu spät. Die Befruchtung selbst wird durch Gestagene eher gefördert.6
(2) Wirkung auf den Eisprung: Dem Eisprung geht ein Anstieg des Hypophysenhormons LH um zirka 18 Stunden voraus. Nur wenn dieser Anstieg verhindert wird, kann auch die Ovulation gehemmt werden. Aufwendige Studien7 haben gezeigt, dass bei Einnahme der „Pille danach“ bis 3 Tage vor dem LH-Anstieg die Ruptur des Eifollikels fast immer verhindert oder so weit verzögert werden kann, dass eine Empfängnis unmöglich ist. Bei Einnahme am Tag LH – 2 kann die Ruptur des Follikels in etwa der Hälfte der Fälle gestört oder verzögert werden. Bei Einnahme am Tag LH – 1 wird die Ovulation nur sehr selten und später auf keinen Fall mehr behindert. Eine Empfängnis ist also trotz Einnahme der „Pille danach“ gerade während dieser höchst empfängnisbereiten Zeit möglich.
(3) Wirkung auf die Lutealphase (Zeit nach dem Eisprung bis zum Eintritt der Monatsblutung) und das Endometrium (Gebärmutterschleimhaut): Dieselben zitierten Studien an insgesamt 27 Frauen zeigten bei Anwendung der Pille danach 1 – 2 Tage vor dem zu erwartenden LH-Anstieg infolge einer Unterdrückung der pulsatilen LH Signale8 eine signifikante Verkürzung der nachfolgenden Lutealphase um 1,5 bis 2 Tage. Auch wurden in einer großen Studie mit 2712 Frauen bei 46 Prozent der Anwenderinnen Schmierblutungen oder eine vorzeitige Regelblutung beobachtet.9 Eine neuere Studie an 120 Frauen10 untersuchte die Korrelation zwischen einer vorzeitigen Regelblutung und dem Zeitpunkt der Pilleneinnahme. Ein signifikant verkürzter Zyklus wurde vor allem bei Anwendung der Notfallpille zur Zeit der 2. oder 3. Zykluswoche beobachtet, d. h. während des empfängnisbereiten Zeitraumes. Bei Anwendung während der 2. Zykluswoche betrug die mediane Verkürzung 8,6 Tage und während der 3. Zykluswoche 3,2 Tage. Es scheint schwer vorstellbar, dass Blastozysten (Keimlinge) einen so gravierenden Eingriff in den Zyklus überleben könnten und nicht vor ihrer Einnistung mit der vorzeitigen Blutung ausgeschwemmt würden. Bei Anwendung während der 4. Woche war der Zyklus hingegen eher verlängert. Eine weitere Studie zur selben Zeit an afrikanischen Frauen11 erbrachte tendenziell ähnliche, aber weniger ausgeprägte Ergebnisse. Die Mitarbeit der Probandinnen war in dieser Studie deutlich schlechter. Hinsichtlich verschiedener Marker endometrialer Rezeptivität waren die Ergebnisse verschiedener Studien uneinheitlich. Neuere Studien zeigen eher nur geringfügige Veränderungen, zumal dann, wenn die ‚Pille danach’ erst zum Zeitpunkt der Ovulation oder später verabreicht wird. Hingegen wurde in einigen Fällen eine gestörte Zeitabstimmung zwischen der Keimes- und Endometriumsentwicklung beobachtet, die Voraussetzung für eine erfolgreiche Einnistung ist (fehlende Phasenkonkordanz).12
(4) Wirkung auf die Tubenfunktion: Hohe Gestagendosen sind in der Lage, die Aktivität des tubaren Flimmerepithels und die Tubenmotilität zu lähmen.13 Als Folge davon wird der tubare Transport der Blastozyste verzögert. Dieser Effekt ist im Kontext einer manifesten Verkürzung der Lutealphase zu sehen. Es liegt nahe zu vermuten, dass der Blastozyste letztlich nicht genug Zeit bleibt, sich im Endometrium einzunisten, auch dann nicht, wenn dessen Rezeptivität kaum affiziert ist. Denn der mit Verzögerung in der Gebärmutterhöhle eintreffende Keimling findet ein Eibett vor, das bereits im Begriff ist, vorzeitig abgestoßen zu werden. Diese Wirkung muss indirekt erschlossen werden und ist klinisch experimentell nicht fassbar.
(5) Je später die „Pille danach“ verabreicht wird, das heißt, je länger eine Fertilisation zurückliegt, desto weniger kommen nachteilige Wirkungen von LNG zur Geltung. Im Gegenteil, es treten nunmehr die schwangerschaftsschützenden Attribute der Gestagenpille in den Vordergrund. Dem entspricht die Beobachtung, dass bei später Pilleneinnahme Schwangerschaften paradoxerweise sogar häufiger auftreten können, als natürlicherweise zu erwarten wären.14 In diesen Fällen nämlich kommt es zur Diskordanzumkehr: die Natur wird diskordant, die Notfallpille korrigiert sie.
Wahrscheinlichkeitserwägungen
Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft nach einmaligem ungeschütztem Verkehr
Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft pro Partnerverkehr beträgt für den Standardfall (regelmäßige ovulatorische Zyklen, kein Empfängnishindernis) 7,8 Prozent.15 Hier ist bereits der natürliche Abgang von Blastozysten (ca. 50 Prozent) eingerechnet. Die zeitliche Aufschlüsselung der Empfängniswahrscheinlichkeit ist in Abb. 1 (durchgezogene Kurve) dargestellt. Demnach umfasst der Zeitraum einer möglichen Empfängnis 7 Tage, beginnend am Tag 4 vor dem LH-Anstieg (LH – 4) und endend am 3. Tag danach (LH + 3). Die Hauptempfänglichkeit (ca. 30 Prozent) ist am Tag des LH-Gipfels gegeben. Wäre die Wahrscheinlichkeit eines ungeschützten Verkehrs auf 25 Zyklustage (3 Mensestage ausgenommen) gleichmäßig verteilt, so ergäbe sich die Empfängniswahrscheinlichkeit als Funktion gegebener Flächenverhältnisse, mithin zum Verhältnis 120 (Fläche unter der Kurve) / 25 x 100 (Gesamtfläche) = 4,8 Prozent. Dieser Wert entspricht der Schwangerschaftsrate bei Vergewaltigungsopfern. Die beobachtete Wahrscheinlichkeit von 7,8 Prozent ist Ausdruck einer Verschiebung der Koitusfrequenz zugunsten fertiler Tage. Die Empfängniswahrscheinlichkeit im Alltag beliebiger Paare, inkludierend irreguläre und anovulatorische Zyklen, sowie auch Empfängnishindernisse vonseiten des Mannes, wird in der Literatur mit 5,2 Prozent angegeben. Unsere Berechnungen müssen jedoch von Studienfällen ausgehen, die auf Standardfälle hin selektiert sind. Nur anhand solcher Fälle wurde auch die Wirksamkeit der Notfallpille gemessen. Eine neuere Studie16 verwendet eine andere Berechnungsbasis und erzielt damit eine um etwa 2 Prozent niedrigere natürliche Schwangerschaftsrate. Sie stützt sich auf die Konzeptionsrate von 213 Frauen nach Absetzen einer u. a. hormonellen Kontrazeption. Diese Konzeptionsrate ist erwiesenermaßen verzögert bzw. niedriger als jene von Frauen, die zuvor keine hormonelle Kontrazeption geübt hatten17, weshalb sie als Referenzwert nicht haltbar ist.
Wahrscheinlichkeit der Einnahme der Notfallpille
Nicht nur ist die Wahrscheinlichkeit für einen Partnerverkehr innerhalb eines Zyklus ungleich verteilt, sondern es trifft dies auch für die Einnahme der „Pille danach“ zu. Demnach machen Frauen von der Notfallpille an potentiell fruchtbaren Tagen, an welchen sie eine Empfängnis befürchten, etwa doppelt so häufig Gebrauch wie an potentiell unfruchtbaren Tagen. Die Studiendaten dazu sind in der strichlierten Kurve von Abb. 1 wiedergegeben. Es ist freilich anzunehmen, dass sich die Verteilung der Koitusfrequenz mit der Verteilung der Einnahmefrequenz der Notfallpille weitgehend deckt. Aus diesem Grund wird für die Wahrscheinlichkeitsberechnung die Frequenzvariable nur einfach berücksichtigt.
Die Rolle der Ovulationshemmung
Eine Beeinträchtigung der Ovulation und Empfängnis ist, wie unter Punkt 2 der Wirkmechanismen erläutert, höchstens bis zum Tag LH – 2 zu erwarten. Das bedeutet angesichts der beobachteten postkoitalen Einnahmelücke, dass geschlechtlicher Verkehr bereits 1 – 2 Tage früher (an den Tagen LH – 3/4) stattgefunden haben muss. Die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis zu einem so frühen Zeitpunkt ist a priori gering. Über 80 Prozent der Kinder werden später empfangen. Da andererseits die Notfallpille 80 Prozent möglicher Schwangerschaften verhindert, folgt daraus, dass der Großteil ihrer Wirkung nicht mit einer Behinderung von Ovulation oder Empfängnis zu tun haben kann. Dieser Schluss steht im Widerspruch zu Berechnungen von Trussell et al.21, die ergaben, dass 62 – 87 Prozent des Wirkungsanteils der Notfallpille einer Ovulationshemmung zuzuschreiben wären. In ähnlicher Weise äußern sich Marions22 und Gemzell-Daniellson23. Diese Einschätzungen beruhen einerseits auf unrichtigen Prämissen, – bis zum Tag LH 0 wird noch Ovulationshemmung unterstellt und generell eine Pilleneinnahme binnen 24 Stunden angenommen – andererseits vielleicht aus Ratlosigkeit, weil abgesehen von einer Ovulationshemmung kein klarer Wirkmechanismus für die „Pille danach“ experimentell fassbar ist.
Die Rolle einer möglichen Interzeption (Frühabtreibung)
Tatsächlich liegt zwischen dem Tag LH – 1 und LH + 1 – dem Zeitraum höchster Empfänglichkeit – ein Graubereich, für den kein Wirknachweis vorliegt. Abb. 1 stellt die Anteile des gesicherten und ungesicherten Wirknachweises durch unterschiedliche Grautönung der fertilen Periode dar: Der schwarz-dunkelgraue Bereich zur linken Seite veranschaulicht den Zeitraum der Ovulationshemmung. Dieser umfasst 28 Prozent der Fläche (der Empfängniswahrscheinlichkeit). Der schwarz-dunkelgraue Bereich zur rechten Seite veranschaulicht den Zeitraum weitgehender Wirkungslosigkeit der „Pille danach“. Er umfasst 13 Prozent der Fläche und macht daher den Großteil jener maximal 21 Prozent an Fällen aus, bei denen die „Pille danach“ nicht wirkt (Punkt 5 oben). Der in der Mitte befindliche hellgraue Abschnitt veranschaulicht jenen Zeitraum, für welchen ein definitiver Wirkmechanismus der „Pille danach“ nicht nachweisbar ist, in dem aber doch die Mehrzahl offenbar befruchteter Eizellen nicht in eine Schwangerschaft münden. Der Flächeninhalt dieses Graubereiches umfasst 59 Prozent der Gesamtfläche, das heißt, der Empfängniswahrscheinlichkeit. 8 Prozent dieser Gesamtfläche (resultierend aus der Differenz von 21 und 13 Prozent) kann dem Wirkversagen der „Pille danach“ während dieses Zeitraumes – der Blastozyste glückt es in wenigen Fällen knapp vor Beginn einer Blutung, oder ihr zum Trotz, sich im Endometrium noch zu verankern – zugerechnet werden. In mindestens 51 Prozent der Fälle hingegen muss eine frühabtreibende Wirkung, resultierend aus den unter Punkt 3 und 4 beschriebenen Wirkungen der Notfallpille, angenommen werden. Es gibt dafür keine andere Erklärung. Es ist wahrscheinlich, dass die frühabtreibende Wirkung sogar noch größer ist, wenn von einem korrekten Gebrauch der Pille ausgegangen wird. Dieses Ergebnis stimmt mit unseren früheren Aussagen überein.
Risiko einer frühabtreibenden Wirkung der „Pille danach“ im Einzelfall
Werden die Frequenzvariablen für Partnerverkehr und Pilleneinnahme nur einfach berücksichtigt, dann genügt es, die Konzeptionswahrscheinlichkeit (7,8 Prozent) nach einmaligem Verkehr mit dem oben errechneten Prozentsatz des Interzeptionsrisikos (51 Prozent) zu multiplizieren. Demnach ergibt sich das Risiko einer frühabortiven Wirkung für den Einzelfall zu 4 Prozent als unterstem Wert. Wird die Frequenzvariable teilweise doppelt berücksichtigt und der unter strengen Studienbedingungen sich ergebende Effektivitätswert von 89 Prozent herangezogen, dann liegt das Risiko im Einzelfall nahe 5 Prozent. Dieser relativ niedrige Prozentsatz folgt aus der simplen Tatsache, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle auch ohne Einsatz der „Pille danach“ eine Schwangerschaft nicht eingetreten wäre – und somit ihre Einnahme retrospektiv unnötig war.
Moralische Wertung
Selbstverständlich will kein Befürworter der Notfallpille sich sagen lassen, dass er für die Vernichtung menschlichen Lebens eintrete. Um diesem Vorwurf zu begegnen, bringen Befürworter je nach „philosophischem“ Background eines oder mehrere der folgenden Argumente vor:24
(1) Von Frühabort zu sprechen ist Etikettenschwindel. Nur eine Schwangerschaft kann abortiert werden. Es ist indes erwiesen, dass die Notfallpille eine Schwangerschaft nicht stört. Darauf ist zu antworten: Eine Handlung, die die Vernichtung eines Menschen in seinem frühsten Stadium zum Ziel hat, ist moralisch als Tötungshandlung zu bewerten und daher im Falle des Embryos als Abtreibung zu bezeichnen.
(2) Die Anwendung der Notfallpille führt zu keinem Verlust keimenden menschlichen Lebens. Denn sie wirkt praktisch ausschließlich ovulationshemmend. Dort, wo sie den Eisprung nicht verhindert, wirkt sie gar nicht. Antwort: Die Existenz des beschriebenen hellgrauen Bereiches wird in Abrede gestellt. Um diesen (moralisch einwandfreien) Schluss ziehen zu können, werden unrealistische Annahmen gemacht bzw. experimentelle Daten nicht zur Kenntnis genommen.
(3) Die Zahl natürlicherweise verloren gehender Blastozysten ist weit größer als die Zahl der durch die Notfallpille induzierten Verluste. Antwort: Dieses Argument vergleicht unzulässigerweise Tötung mit einem Naturgeschehen. Für Naturvorgänge trägt niemand Verantwortung. Eingriffe am Embryo, die seinen Tod herbeiführen, sind hingegen moralische Handlungen von Menschen an Menschen, keine Vorgänge.
(4) Der Prozentsatz der Anwendungsfälle, die zu einem Blastozystenverlust führen, ist lächerlich niedrig. Die Notlage rechtfertigt seine Inkaufnahme.
Dieses letztere Argument soll genauer untersucht werden. Die Notfallpille wirkt zwar in mindestens 50 Prozent der Fälle, in denen sie überhaupt zur Wirkung kommt, frühabtreibend, jedoch so nur in 4 – 5 Prozent der Anwendungsfälle. Das heißt konkret, in einem von 20 – 25 Fällen. Was bedeutet das für jene, die das Medikament verschreiben, jene, die es verkaufen, und jene, die es anwenden? Für letztere muss man zunächst die Absicht, mit der sie das Medikament verwenden wollen, prüfen. Nehmen wir zunächst jenen Fall an – und dieser dürfte auch der Normalfall sein –, in dem eine Frau ihre Schwangerschaft um jeden Preis, d. h. auch um den Preis der Vernichtung eines eventuell bereits entstandenen menschlichen Lebens verhindern will. In einem solchen Fall ist in der Absicht die Vernichtung menschlichen Lebens bereits voll enthalten. Es ist daher unerheblich, wie hoch oder niedrig die Prozentsätze einer Frühabtreibung sind, denn intentional will die Frau gegebenenfalls auch die Vernichtung. Da die Absicht ein maßgeblicher Faktor für die moralische Qualität einer Handlung ist, ist in diesem Fall die moralische Qualität der Handlung allein schon durch die schlechte Absicht verdorben.
Was wäre aber, wenn die Frau nicht die Vernichtung des neuen menschlichen Lebens will? Nehmen wir an, dass sie das Kind jedenfalls austragen würde, wenn sie wüsste, dass sie sicher schwanger ist. Sie hat sich auch beraten lassen und erfahren, dass die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, bei 7,8 Prozent liegt und dass das Risiko, dass die eingenommene Pille entstandenes menschliches Leben vernichtet, 4 bis 5 Prozent beträgt. Darf sie das Risiko auf sich nehmen? Wenn man hier die Regeln der Handlung mit Doppeleffekt25 anwendet, und auch annehmen könnte, dass die Verhinderung der Schwangerschaft unter Umständen ein moralisch erstrebbares Ziel ist, müsste die betroffene Frau vor allem klären, ob es einen angemessenen Grund gibt, um dieses Risiko auf sich zu nehmen. Zur sicheren Rettung von Leben dürfte sie unter Umständen ein geringes Risiko auf Tötung, niemals aber eine sichere Tötung in Kauf nehmen. Man könnte nicht ganz hypothetisch an den Fall einer Frau denken, die durch eine eingetretene ungewollte Schwangerschaft, falls sie das Kind austrüge, selbst in Lebensgefahr geriete und ihre Wahrscheinlichkeit, infolge der Schwangerschaft zu sterben, deutlich über 5 Prozent läge. Dann könnte sie erwägen, ob eine Verhinderung der Schwangerschaft durch die „Pille danach“ berechtigt sein könnte. Hier läge auch ein Grund für eine ethisch zulässige medizinische Indikation, die die Einnahme der Pille rechtfertigt. In einem solchen Fall müsste der Arzt auch die Indikationsstellung und der Apotheker die Verabreichung der Pille mit seinem rechten Gewissen vereinbaren.
Man kann aber davon ausgehen, dass im Normalfall (empirisch-statistisch gesehen) die Pille mit der Absicht eingenommen wird, die Schwangerschaft um jeden Preis zu verhindern. Hier kann der Arzt nicht mitmachen. Er muss damit rechnen, dass jede 20. bis 25. Pille danach, die er verschreibt, eine Vernichtung eines Menschen im Blastozystenstadium bewirkt, d. h. wenn er z. B. 100 Pillen pro Jahr verschreibt oder verabreicht, er an 4 bis 5 Tötungen indirekt mitwirkt, was sicher ethisch nicht zu rechtfertigen ist. Nicht ganz dieselbe ist die Stellung des Apothekers. Er kennt die Absicht des Patienten meistens nicht. Jedoch weiß er auch, dass jede 20. bis 25. Pille danach, die er verabreicht, eine Vernichtung eines Menschen im Blastozystenstadium bewirkt. Und er wird auch schwer davon ausgehen, dass jede Pille zu Recht verschrieben wurde und daher dem Arzt die ganze Verantwortung zu übertragen sei. Sich selbst als vernunft- und willenlosen Handlanger des Arztes zu sehen, wäre für den Apotheker anthropologisch und daher auch ethisch sehr problematisch. Zumindest kann man hier mit Sicherheit sagen, dass der Apotheker, der entscheidet, die Pille danach nicht zu führen, weil er dafür keine moralische Verantwortung tragen will, ethisch einwandfrei handelt. Deshalb wäre sehr wichtig, dass der Gewissensvorbehalt beim Apotheker gesetzlich verankert wird.
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- vgl. Trussell J., Jordan B., Editorial: Mechanism of action of emergency contraceptive pills, Contraception (2006); 74: 87-89
ebenso www.not-2-late.com - Für die Sittlichkeit der Handlungen mit Doppeleffekt werden in der moraltheologischen Tradition folgende Regeln geltend gemacht:
1. Die Handlung und die intendierte Folge müssen an sich gut sein.
2. Die negative Folge muss objektiv den Charakter einer Nebenwirkung haben und nicht die Hauptwirkung einer solchen Handlung sein. Sie muss, soweit es geht, sogar vermieden werden.
3. Die negative Folge muss in einer angemessenen Proportion zum Zweck der Handlung stehen.
Dr. Walter Rella
Küb 12, A-2650 Payerbach
walter(at)rella.at