Sterbehilfe: Dignitas strebt Musterprozess in Österreich an
„Nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen zu sterben“: So lautet der in Österreich breite politische Konsens, wonach es keinen ärztlichen Auftrag zur Beihilfe zum Suizid oder der Tötung auf Verlangen gibt. Stattdessen muss der Fokus auf dem Ausbau von Palliative Care und Hospizangeboten liegen, so die Forderung der bis 2015 durchgeführten breiten parlamentarischen Enquete.
In Österreich sind sowohl die Tötung auf Verlangen als auch die Beihilfe zum Selbstmord strafrechtlich verboten. Dem international agierenden Schweizer Sterbehilfe-Verein Dignitas ist dies schon länger ein Dorn im Auge. Dignitas will international seine Geschäftsfelder erweitern. Dazu bringt der umstrittene Verein Pro-Sterbehilfe-Musterprozesse weltweit in Gang mit dem Ziel, den assistierten Suizid durchzusetzen.
Gegenüber Medien verbucht Dignitas-Gründer Ludwig Minelli (85) mehrere „Pro-Sterbehilfe-Urteile“ – etwa in Deutschland, Kanada und einigen australischen Bundesstaaten – als eigenen Erfolg. Nun ist offenbar Österreich an der Reihe: „Wir sind bereit, derartige Verfahren zu finanzieren, denn es ist unsere Aufgabe und unser Auftrag, auch in Österreich das Licht der Freiheit anzuzünden. Das wird wohl in den nächsten zwei bis drei Jahren vonstattengehen“, so Minelli gegenüber der österreichischen journalistischen Recherche-Plattform Addendum.1
Dignitas will die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 78 StGB (Mitwirkung am Selbstmord) prüfen lassen. Vor rund zwei Jahren trat der Schweizer Verein mit seinem Ansinnen an den Wiener Rechtsanwalt Wolfram Proksch heran. Proksch ist kein Unbekannter. 2016 präsentierte ihn die Neos-Partei als ihren Kandidaten für das Amt des Rechnungshofpräsidenten,2 die Neos bekennen sich klar zu einer Freigabe des assistierten Suizids. Mit mehreren Klagen beim Verfassungsgerichtshof will Proksch nun das Verbot des assistierten Suizids zu Fall bringen. Einer von Prokschs Mandanten ist ein an Multipler Sklerose erkrankter 54-jähriger Burgenländer, der das Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung einfordert. Bei einem negativen Ergebnis schließt der Anwalt nach eigenen Angaben den Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht aus.3
Dabei ist Dignitas selbst ins Visier der Justiz geraten: Seinem Gründer Minelli wird vorgeworfen, sich persönlich mit Erbschaften seiner „Kunden“ bereichert zu haben, zudem ermittelt die Schweizerische Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Vorwurfs von Wucher.4 In der Schweiz ist Beihilfe zum Suizid erlaubt, sofern die „Sterbehelfer“ nicht aus selbstsüchtigen Motiven handeln – sprich: das Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen, um persönliche Bereicherungen auszuschließen. Im Gegensatz zu anderen Schweizer Vereinen wie Exit oder Eternal Spirit legt Minelli seine Finanzen jedoch nicht offen.
Neu aufgerollt wird von der Schweizerischen Staatsanwaltschaft etwa der Fall eines 34-jährigen, schwer depressiven Österreichers aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie, der per Testament einem Minelli nahestehenden Verein einen Teil seines Erbes in Millionenhöhe vermachte.5 Auf Intervention der Mutter widerrief das Opfer sein Testament im März 2013 wenige Minuten vor seinem mithilfe von Dignitas durchgeführten Suizid.6 Minelli klagte daraufhin, der Rechtsstreit endete schließlich in einem Vergleich.
Dass Dignitas als Lobby-Organisation auch mit großen Geschützen auffährt, zeigt die im November 2018 erstattete Strafanzeige gegen den deutschen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.7 Dignitas wirft dem Gesundheitsminister Meineid und Rechtsbeugung vor. Der CDU-Minister hatte im März 2018 dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bis auf weiteres untersagt, Genehmigungen zur Abgabe tödlicher Arzneimittel zu erteilen. Den Fall dahinter – eine Deutsche, die in ihrem Land keine Medikamente zur Selbsttötung erhielt – hatte ebenfalls Dignitas als Musterprozess ins Rollen gebracht.8 Einem bisherigen Rechtsgutachten des früheren deutschen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio zufolge hat der Staat jedoch keine Pflicht, seine Bürger beim Suizid zu unterstützen.9 Jens Spahn ließ ausrichten, dass er das abschließenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten und diesem nicht vorgreifen will.
Die Sterbehilfe-Organisation Dignitas mit Sitz im Kanton Zürich finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Erbschaften. Der Verein zählte nach eigenen Angaben 2017 rund 8.500 Mitglieder aus mehr als 80 Ländern. 688 davon hatten ihren Wohnsitz in der Schweiz, 3.351 in Deutschland, 1.315 in Großbritannien, 542 in den USA und 168 in Österreich. In den vergangenen 20 Jahren haben 55 Österreicher Suizid in der Schweiz begangen, das zwei bis drei Personen pro Jahr.10
Es ist tragisch genug, wenn Menschen mit Suizidgedanken keine Hilfe zum Leben finden. Geradezu zynisch ist es, wenn andere bei Suiziden Geld verdienen und dann ihr Geschäftsmodell auch noch exportieren wollen. Unsere Kultur lebt davon, dass wir auch an den Grenzen des Lebens zueinander stehen.
Die Tendenz, Suizidwillige und vulnerable Personengruppen wie Ältere, Einsame oder Kranke für eine Debatte rund um ein würdiges Sterben zu instrumentalisieren, ist Methode und zugleich gefährlich. Das Recht auf die begleitete Selbsttötung mutiert in Kürze zu einer Pflicht zum sozialverträglichen Frühableben. Und eine Legalisierung der medizinisch assistierten Selbsttötung untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten.
Das zeigt der Blick in andere Länder, etwa die Entwicklungen im US-Bundesstaat Oregon.11 Oregon hat 1997 den assistierten Suizid legalisiert. Zwei Krebspatienten, die in Oregon nur über die staatliche Armen-Krankenversicherung Medicaid verfügen, wurde mit amtlichem Schreiben die zu teure Chemotherapie verweigert, gleichzeitig aber angeboten, einen assistierten Suizid als Alternative zu bezahlen. Beide wollten jedoch leben und behandelt werden. Erst als der Fall von Randy Stroup 2009 an die Öffentlichkeit kam, wurde ihm eine Chemotherapie zugestanden.
Besonders rasant sind die Entwicklungen in Kanada. Dort wurde im Juni 2016 das sog. MAiD-Gesetz verabschiedet, mit dem sowohl aktive Sterbehilfe als auch assistierter Suizid landesweit erlaubt wurden. Das Gesetz war umstritten und die Kontroverse hält an. Manchen ging das Gesetz nicht weit genug, sie forderten analog zur Sterbehilfe-Regelung in Belgien auch die Möglichkeit der Tötung auf Verlangen für „reife Minderjährige“ und Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ein Expertengremium hat im Dezember 2018 im Auftrag der kanadischen Regierung sein Votum hinsichtlich einer weiteren Liberalisierung des MAiD-Gesetzes abgegeben. Darin wird klar befürwortet, aktive Sterbehilfe auch für diese Personengruppen zu öffnen sowie die Möglichkeit zu bieten, Vorausverfügungen über eine Tötungswunsch zu erstellen, womit eine aktuelle Zustimmung im Fall von Euthanasie ersetzt würde.12
Natürlich spielen hier auch finanzielle Überlegungen eine Rolle. Kanadische Gesundheitsökonomen rechneten bereits 2017 in Studien vor, wieviel Geld sich das Gesundheitssystem durch Euthanasie am Lebensende einsparen könne.13
Im Herbst 2018 forderte eine Arbeitsgruppe von kanadischen Bioethikern und Kinderärzten im Journal of Medical Ethics,14 dass Tötung auf Verlangen im Falle eines selbstbestimmten Wunsches der Minderjährigen auch ohne Wissen oder Zustimmung der Eltern möglich sein soll, falls die Kinder zurechnungsfähig sind und keine Beratung mit den Eltern wünschen. Zugleich sollte das „soziale Stigma“, mit dem Kinder-Euthanasie noch behaftet ist, beseitigt werden, so die Autoren. Ärzte sollten pro-aktiv über aktive Sterbehilfe informieren wie über jede andere Möglichkeit der „Behandlung“ auch. Dies sei Teil ihrer ärztlichen Verpflichtungen.
Eine Studie von November 2018 zeigt, dass zahlreiche erwachsene Patienten zum Zeitpunkt des Antrags auf Sterbehilfe noch keine angemessene palliative Versorgung hatten. Zwischen dem MAiD-Antrag und dem Tötungstag lagen im Schnitt nur 6 Tage. In 25 Prozent der 80 untersuchten MAiD-Fälle wurde Palliative Care erst einen Tag vor oder nach dem Antrag angefordert, in 32 Prozent der Tötungs-Fälle hatten die Ärzte für ihre Patienten gerade einmal 7 oder noch weniger Tage an Palliativberatung vor dem MAiD-Antrag in Anspruch genommen.15
Die kanadische Ärztevereinigung Physicians’ Alliance against Euthanasia, der mehr als 1.100 kanadische Ärzte angehören kritisiert diese Entwicklungen vehement. Es sei „keine Aufgabe von Ärzten zu töten“, so die Allianz. 16 Sie wehrte sich gegen einen Antrag, den die Canadian Medical Association (CMA) und Netherland Medical Association (NMA) an den Weltärztebund (World Medical Association, WMA) stellte. Der internationale Dachverband der Ärztekammern solle offiziell eine „neutrale Position“ gegenüber Euthanasie und ärztlicher Beihilfe zum Suizid einnehmen, so die Forderung der beiden Ärztekammern. „Als kanadische Ärzte möchten wir betonen, dass die Position der CMA weder unsere Ansichten noch unsere Erfahrung widerspiegelt und wir eine neutrale Haltung als unlogisch und nicht vertretbar erachten“, betont Catherine Ferrier, Präsidentin der Physicians’ Alliance against Euthanasia. Weltweit ist es Ärzten in nur sechs von 200 Ländern (3 Prozent) gestattet, den Tod ihrer Patienten direkt herbeizuführen, die große Mehrheit nationaler Ärzteverbände spricht sich klar dagegen aus.
Die WMA hat sich wiederholt gegen Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid ausgesprochen und hat auf der jüngsten WMA-Generalversammlung in Island im Oktober 2018 den Antrag der CMA und NMA abgelehnt.17 Erst kürzlich hatte die WMA in einer Stellungnahme gegenüber Australien18 bekräftigt: „Ärztlich assistierter Suizid und Euthanasie sind unethisch und müssen von der Ärzteschaft verurteilt werden. Wo die Assistenz des Arztes absichtlich darauf gerichtet ist, einem Individuum zu ermöglichen, sein eigenes Leben zu beenden, handelt der Arzt unethisch“, betont der Weltärztebund.
Wenn Tötung noch vor jeder palliativen Versorgung angeboten wird, dann haben wir es mit einer Bankrotterklärung des ärztlichen Ethos zu tun. Die Kanadische Ärztekammer hat zumindest konsequent gehandelt: Sie ist 2018 aus dem Weltärztebund ausgetreten.
Referenzen
- TV-Interview, Addendum, 26.11.2018, www.addendum.org/sterbehilfe/interview-minelli-luley/ (letzter Zugriff am 5.2.2019).
- Neos nominieren Anwalt für Rechnungshofjob, Kurier, 13.5.2016.
- Das Recht zu gehen, Die Ganze Woche, 29.10.2018.
- Der Minelli-Freispruch wird nur in Teilen angefochten, NZZ, 3.11.2018.
- Suizid von psychisch krankem Mann: Schwyzer Staatsanwaltschaft nimmt Freitodbegleitung von Dignitas nochmals unter die Lupe, NZZ, 28.11.2018.
- 34-jähriger Kärntner mit Depressionen bekam Sterbehilfe, Kleine Zeitung, 27.11.2018.
- Dignitas stellt Strafanzeige gegen Spahn, Apotheke ad hoc, 19.11.2018.
- Frau K. stimmte sofort zu, FAZ, 11.3.2017.
- IMABE, Deutschland: Staatliche Mitwirkung an Suizid ist „verfassungsrechtlich nicht haltbar“, Bioethik Aktuell, 02/2018.
- Dignitas, 1998 – 2017 Freitodbegleitungen nach Jahr und Wohnsitz, www.dignitas.ch/images/stories/pdf/statistik-ftb-jahr-wohnsitz-1998-2017.pdf (letzter Zugriff am 5.2.2019).
- Kummer S., Ex in the City, in: Hoffmann T. S., Knaup M., Was heißt: In Würde sterben? Wider die Normalisierung des Tötens, Springer (2015), S. 19-48.
- Expert Panel: Medical Assistance in Dying, 12.12.2018, scienceadvice.ca/reports/medical-assistance-in-dying/.
- Trachtenberg A. J., Manns B., Cost analysis of medical assistance in dying in Canada, CMAJ (2017); 189 (3): E101-E105.
- DeMichelis C., Zlotnik S. R., Rapoport A., Medical Assistance in Dying at a paediatric hospital, J Med Ethics (2019); 45(1): 60-67.
- Seller L., et al., Situating requests for medical aid in dying within the broader context of end-of-life care: ethical considerationsm, J Med Ethics. 2019 (Pii: medethics-2018-104982).
- Physicians’ Alliance against Euthanasia, Physicians’ Alliance against Euthanasia: Canadian Physicians Won’t Kill, Pressemitteilung, 1.10.2018, collectifmedecins.org/en/press-release/ (letzter Zugriff am 5.2.2019).
- Cook M., Canadians and Dutch fail to shift World Medical Association opposition to euthanasia, Bioedge, 6.10.2018.
- World Medical Association reiterates strong opposition to physician assisted suicide and to Australian bill, WMA-Erklärung, 29.10.2017.
Mag. Susanne Kummer
IMABE
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